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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 11 -Jahrgang 1926
4Mo 23 ; 24 - „Wie Gott sein Volk sieht“4Mo 23 ; 24 - „Wie Gott sein Volk sieht“
Mehr denn 40 Jahre waren vergangen, seitdem die erlöste Schar an den Ufern des Roten Meeres gestanden und ihren Lobpreis Jehova gesungen hatte. Niemand dachte damals auch nur im geringsten daran, daß nach so vielen schweren Jahren Kanaan noch nicht in Besitz genommen sein würde. Es würde auch nicht so gewesen sein, wenn es nicht um ihres Unglaubens willen geschehen wäre.
Vierzig Jahre! das ist eine lange Spanne, ob es damals war oder ob es heute ist, teurer Leser! Diese 40 Jahre haben uns viel zu sagen. Was waren das für Jahre! Jahre des Verdrusses, der Ungeduld, des Gelüstens, des Neides, der geistlichen Unfruchtbarkeit und des Götzendienstes. Die traurige Geschichte dieser Jahre ist uns, wenn jemand sie lesen möchte, in Psalm 106 berichtet. Doch Gott war gnädig und treu. Wohl züchtigte Er sie, aber die Wolkensäule Seiner Gegenwart verließ sie nie. Täglich fiel das Manna, ihren Durst stillte Er aus dem geschlagenen Felsen, ihre Kleidung alterte nicht, noch schwollen ihre Füße in diesen vierzig Jahren! (5. Mose 8,4).
Nun war die Zeit gekommen, wo sie den Jordan kreuzen sollten. Die Kinder Israel lagerten in der Ebene von Moab und Balak; Moabs König rüstete sich zum großen Widerstand, um ihren Einzug in das Land der Verheißung zu verhindern. Wird es ihm gelingen? Wenn
Jehova wie vor alters vor ihnen herzog, so würden die Feinde nichts wider sie vermögen. Aber wird Er vor ihnen herziehen? Die Erfahrungen und Prüfungen in der Wüste hatten offenbart, was in ihren Herzen war; und würde Gott im Gedenken aller dieser traurigen Dinge noch ihr Gott sein? Hatten ihr Wankelmut, ihre Sünde und ihr Unglaube sie Ihm nicht entfremdet? Waren sie trotz alledem noch das Volk Seiner Wahl?
Mancher Leser wird mir bezeugen, daß ähnliche Fragen auch heute die Seele bewegen. Bei der Bekehrung, wenn die Bedeutung des kostbaren Blutes Christi erkannt und erfaßt wird und die Freude der Errettung von Satans Macht das Herz erfüllt, ist alles lichter Sonnenschein um uns. Aber wenn eine Zeit darüber vergangen ist, kommt ein Wechsel. Man macht die niederdrückende Erfahrung, daß das „Fleisch“ noch da ist, ja, daß es unverändert ist und bei jeder Veranlassung sein Vorhandensein in schmerzlicher Weise zeigt, und die bekehrte Seele sieht mit Betrübnis, daß Sünden auf dem Wege liegen. Gedemütigt, bekümmert, den Reichtum der Gnade Gottes noch nicht kennend, blickt sie mit Furcht auf sich und fängt an zu fragen, wie sie nun nach solchen Erfahrungen zu Gott steht. Sie mag vielleicht nicht an ihrer Errettung zweifeln, aber was gäbe sie drum, wenn sie die Gewißheit haben könne, daß ihr Gottes Liebe unverändert geblieben sei!
Dieses Schriftwort wird solche Fragen beantworten und unsere Seele befestigen in der Gnade, in welcher wir stehen. Die Stelle enthüllt uns Gottes Gedanken über Sein Volk und zeigt uns die Art und Weise, in welcher Er es anblickt. Laßt uns beachten, daß alles, was uns hier mitgeteilt wird, nicht stattfand, als sie unter dem Schutze des gesprengten Blutes in Ägypten waren, noch im Anfang ihrer Befreiung am Roten Meer, sondern nach vierzig Jahren des Lebens in der Wüste, als all das Böse ihrer Herzen völlig ans Licht gekommen war. Wir bitten um genaue Beachtung dieses Punktes, weil sich die Herrlichkeit der Gnade in besonderer Weise auf dem Wege durch die Wüste enthüllt.
Es wird für diesen kurzen Aufsatz genügen, wenn wir einige Worte aus jeder der vier Prophezeiungen Bileams betrachten. Der Mann selber war erschreckend gottlos; dies beweist uns sein späterer schrecklicher Rat, das Volk zu verderben, und sein Ende (Kap. 31,8-16). Er wurde durch Balak bestochen, dem Volke zu fluchen. Aber Gott zwang Bileam, und der Mund, der beabsichtigte, zu verfluchen, wurde gezwungen, zu segnen.
Vier Dinge finden wir in Bileams Worten:
1. Die Absonderung des Volkes Gottes von der Welt für Gott. (Kap. 23,9).
2. Die vollkommene Rechtfertigung Seines Volkes und die Unveränderlichkeit der Gnade Gottes ihm gegenüber. (Kap. 23,19-23).
3. Die völlige bedingungslose Annahme des Volkes. (Kap. 24,5.6).
4. Die Herrlichkeit, die das Volk erwartet. (Kap. 24,16-19).
So viele es auch vergessen mögen, aber der Gläubige an den Herrn Jesus ist von der Welt abgesondert und Gott geweiht. Diese so köstliche Wahrheit sollte natürlich zu einem Wandel führen, der damit übereinstimmt. Aber wir sprechen jetzt nicht von dem Wandel, sondern von der Wirklichkeit dieser Tatsache an sich. Der Gläubige ist durch göttliche Macht abgesondert und für Ihn beiseite gesetzt worden, und wir wissen, daß das, was Gott tut, für ewig sein wird. (Pred 3,14). Geradesowenig wie ein Felsstück, wenn es einmal von dem großen Felsblock losgelöst ist, wieder an seinen früheren Platz zurückkehren kann, ebensowenig kann je ein Gläubiger in Gottes Augen irgendwie wieder ein Teil von der Welt werden, von der Gott ihn abgesondert hat. Er mag weltlich in der Gesinnung, in seinen Wegen werden und auf diese Weise verleugnen, was er in Wirklichkeit ist, so wie wir es bei Lot sehen. Er mag so wandeln, daß er die harte Zucht Gottes über sich bringt, ja, daß Gott ihn vor der Zeit aus dieser Welt herausnehmen muß; das ist alles wahr, aber dennoch ist es unmöglich, daß er jemals wieder „unter die Nationen gerechnet“ werden kann. Laßt uns das klar sehen und festhalten! Wenn Israel durch irgend etwas seinen Stand als ein abgesondertes Volk für den Herrn hätte verlieren können, seine Laufbahn durch die Wüste hätte sicherlich und vollständig genügt, um dieses zu tun. Aber wie groß ist die Gnade Gottes! Der Mann geöffneten Auges, der die Worte Gottes hört, die Gesichte des Allmächtigen sieht (24,4), muß das erlöste Volk sehen, wie es „abgesondert“ wohnt und nicht „unter die Nationen gerechnet wird“ (23,9). Es ist herausgerufen, abgesondert für Gott, und Er wird niemals aufhören, es als Sein Eigentum zu beanspruchen.
Sollten diese Zeilen das Auge jemandes erreichen, dessen Pfad einstmals in dem Lichte des Herrn war und der jetzt in dem Lichte des Feuers wandelt, das seine eigene Hand angezündet hat, dann gedenke, armes Kind Gottes, daran, daß du noch Sein Eigen bist und Er dich so ernst bittet, zurückzukehren. Beständig ist auf deinem Ohr, deiner Hand und deinem Fuß das reinigende Blut und das Salböl, so wie es bei dem Aussätzigen war an dem Tage, an dem er gereinigt wurde. Das Ohr wurde gleichsam abgesondert, um Seine Stimme zu hören; die Hand, um Sein Werk zu treiben; der Fuß, um zu wandeln in Seinen Wegen und die Botschaften Seiner Gnade weiter zu tragen. Zu welchem Zweck hast du deine Glieder an diesem Tage gebraucht? Lerne aus der Schriftstelle, die wir betrachten, daß du beständig in Seinen Augen kostbar und mit ewiger Liebe geliebt bist, daß Gott dich hinfort als Sein Eigentum gekennzeichnet hat, und das für ewig. O, laß Seine Gnade, so voll, so unumschränkt, so reich und so frei, dich doch befreien von jeder unwürdigen Sache und Fessel! Sei doch eingedenk, wovon du abgefallen bist! Öffne dein Herz und deinen Mund und wende dich zum Herrn und bekenne Ihm deine Sünde, und Er wird dich reinigen von aller Ungerechtigkeit und dich gnädiglich wieder annehmen. Er wird deinen Schaden heilen, und du wirst Seine Liebe schmecken.
In der zweiten Prophezeiung Bileams wird sogleich gesagt, daß „Gott nicht ein Mensch ist, daß Er lüge, noch ein Menschensohn, daß Er bereue. Sollte Er gesprochen haben und es nicht tun, und geredet haben und es nicht aufrecht halten? Siehe, zu segnen habe ich empfangen; und Er hat gesegnet, und ich kann es nicht wenden“. (4. Mose 23,19.20). Bei Gott ist keine Veränderung noch ein Schatten von Wechsel (Jak 1,17). Darum wird gesagt: „Er erblickt keine Ungerechtigkeit in Jakob und sieht kein Anrecht in Israel“. Was sind das für Worte nach vierzig Jahren der Widerspenstigkeit und der Herausforderung Seiner Gnade! In dem praktischen
Wandel des Volkes konnten Ungerechtigkeiten, Eigenwille über die Maßen viel geschaut werden, und wiederholt mußte Er dieserhalb in Seinem Walten über sie züchtigend eingreifen, aber den Blicken des Feindes zeigt Er ihre Rechtfertigung, und Sein Auge sieht das alles nicht. Warum nicht? Weil das Blut, welches sie rechtfertigt, beständig vor Seinem Auge steht und sie deckt. Zu ihrer Zeit war das Blut noch nicht geflossen, jetzt aber ist es vergossen worden. Aber ob damals wie jetzt: vor Gott steht die Sühnung, und Er sieht das große Opfer, auf Grund dessen Er gerechterweise rechtfertigen kann. Der Wert jenes Sühnungsblutes bleibt ewig derselbe, und bei Gort ist kein Wechsel. Bei uns ist viel Veränderung. Unser Leben, ach, statt daß es seit der Bekehrung in gerader Richtung aufwärts ging, gleicht einem traurigen Zickzackwege. Wenn wir dabei verweilen müßten, würden wir bald niedergedrückt und verzagt sein; aber mit Abscheu wenden wir uns von uns selbst weg und erfreuen uns an der Größe der Gnade Gottes, an der Unveränderlichkeit Seiner Liebe und an dem kostbaren Opfer unseres Herrn Jesus Christus, durch welches wir vollkommen gemacht worden sind auf immerdar. (Heb 10,14).
Es ist so wichtig, zu sehen, daß nichts den Gläubigen aus seiner Stellung, die er in Christo vor Gott hat, bringen kann. Sie beruht auf dem unerschütterlichen Fundament des vollkommenen Werkes Christi. Wäre sie gegründet auf irgend etwas in ihm selber - auf seine Liebe, seinen Gehorsam, auf seine treue Nachfolge -, er müßte wohl zittern und bange sein, und keine Sicherheit wäre möglich. Alle Sicherheit und alles Vertrauen, das sich selbst zum Grunde hat, ist ein Trug und eine Schlinge Satans. Unser Stand in der göttlichen Gegenwart aber hat seine Grundlage in der unendlichen Gnade Gottes und der vollkommenen Sühnung, die auf Golgatha durch das Leiden und Sterben des eingeborenen Sohnes Gottes vollbracht worden ist. Da hat Gott in Seiner Heiligkeit eine ewige, vollkommene Genügeleistung in bezug auf die Sünden und Verfehlungen Seines Volkes gefunden. Auf jenem wunderbaren Werk von Golgatha ruht das Auge Gottes für ewig, und dort wird die Antwort für jede Anklage, die der Ankläger oder unser eigenes Herz vorbringen könnte, gefunden.
Die dritte Prophezeiung trägt uns eine Stufe weiter: „Wie schön sind deine Zelte, Jakob, deine Wohnungen, o Israel! Gleich Tälern breiten sie sich aus, gleich Gärten am Strome, gleich Aloebäumen, die Jehova gepflanzt hat, gleich Zedern am Gewässer!“ (4. Mose 24,5.6). Sie sind schön in den Augen Gottes, lieblich in der Lieblichkeit, die Er ihnen aufgedrückt hat. So steht der Gläubige vor Gott! Nicht nur seine Sünden sind hinweggenommen, sondern er ist auch einsgemacht mit dem Einen, der sie für immer hinweggetan hat. Er ist eins mit Christus, angenommen beim Vater in der ganzen Wertschätzung Christi. Diese große erhabene Wahrheit hat der Heilige Geist in vielen anderen Schriftsteller niedergelegt, sie zieht sich wie ein köstlicher Faden durch die ganze Heilige Schrift. Wir möchten nur drei dieser Stellen anführen: „... wie der Himmlische ist, so auch die Himmlischen“ (1Kor 15,48). „Denn sowohl Der, welcher heiligt, als auch die, welche geheiligt werden, sind alle von Einem.“ (Heb 2,11). „... daß, gleichwie Er ist, auch wir sind in dieser Welt.“ (1Joh 4,17). Es ist kaum nötig, auf den unendlichen Unterschied zwischen unserem praktischen Zustand und dem, was wir sind, wie Gott uns sieht als einsgemacht mit Christus, hinzuweisen; aber wir dürfen durch den Blick auf unseren mangelhaften Zustand uns nicht hindern lassen, das anzunehmen, was Gott in bezug auf unsere Stellung vor Ihm in Christo sagt. Wohl haben wir gerechterweise uns über uns zu beugen, und doch dürfen wir uns in dem Neuen mit unaussprechlicher Freude freuen.
Die vierte Prophezeiung spricht von der zukünftigen Herrlichkeit. Das „Zepter“ und die „Herrschaft“ wird in der Mitte des irdischen Volkes Gottes gefunden werden, wenn Gott die herrlichen Verheißungen, welche Er den Vätern gegeben hat, erfüllen wird. Für uns liegt die Herrlichkeit in einer himmlischen Sphäre. Wir erfreuen uns in der Hoffnung der vor uns liegenden Herrlichkeit, in die wir bald eingeführt sein werden. „... Welche Er berufen hat, diese hat Er auch gerechtfertigt, welche Er aber gerechtfertigt hat, diese hat Er auch verherrlicht.“ (Röm 8,30). Gott wird alles vollenden, was Er Sich zu tun vorgesetzt hat, „denn Er ist nicht ein Mensch, daß Er lüge, noch ein
Menschensohn, daß Er bereue“ (4. Mose 23,19). Darum, alle diese Verheißungen sind sicher und gewiß.
Noch einmal bitten wir den gläubigen Leser, sich zu erinnern, daß dieses, was wir betrachtet haben, die Gedanken Gottes über Sein Volk am Ende ihrer Wüstenreise - nach den vierzig Jahren - waren. Hätte Gott diese Worte im Anfang, beim Auszug aus Ägypten ausgesprochen, so könnten wir versucht sein, zu denken, daß sie damals, als das Volk noch nicht so oft gesündigt hatte, für dasselbe passend waren, aber daß dies später, nachdem sie so vielfältig gefehlt hatten, nicht mehr der Fall sei. Diese Schriftstelle aber zeigt uns, daß es nicht so ist. Er sieht Sein Volk abgesondert, gereinigt von jeder Anklage, umhüllt mit unverwelklicher Schönheit in dem Werte des Blutes Christi, Seines Sohnes. Das ist Gottes Volk in Ewigkeit! So wird es von Ihm geschaut und nichts - weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges - kann Gottes Vorsatz zunichte machen oder ihn aufheben.
S. T. - E. K.