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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 10 -Jahrgang 1925
Der „Eingeborene“ und der „Erstgeborene“Der „Eingeborene“ und der „Erstgeborene“
„Jeder, der den Sohn leugnet, hat auch den Vater nicht“ (1Joh 2,23). Das sind ernste Worte der Warnung.
Es ist gut, sie bei der Betrachtung der Beziehungen des Sohnes zum Vater ständig vor Augen zu haben und auch der eigenen Worte des Herrn zu gedenken: „Niemand erkennt den Sohn als nur der Vater“. (Mt 11,27). Diese Worte sollen uns gewiß nicht verhindern, alles das zu beachten und zu erwägen, was die Schrift uns über den Herrn sagt; aber sie erfüllen uns mit solcher Ehrfurcht, daß wir mit heiliger Scheu unsere Herzen auf das richten, was in ihnen geschrieben ist.
Zu allen Zeiten gab es solche, die die ewige Sohnschaft des Sohnes leugneten, und heute geschieht dieses mehr als je in Wort und Schrift, so daß selbst Kinder Gottes, die einst mit aller Entschiedenheit für diese Wahrheit eintraten, verwirrt und in Unklarheit geraten sind.
Da diese Wahrheit ein Fundament „der Lehre des Christus“ ist (2Joh 10), so wollen wir uns zur Schrift wenden und hören, was das Wort Gottes als die einzige und allein maßgebende Autorität darüber sagt. Möchte diese Betrachtung dazu dienen, daß uns „die Herrlichkeit des Eingeborenen vom Vater voller Gnade und Wahrheit“ mehr und mehr enthüllt werde.
Laßt uns beachten, mit welcher Gewichtigkeit die Schrift Seine Sohnschaft hervorhebt. Wie nachdrücklich weist sie gerade auf Seine Sohnschaft hin, daß sie es ist, die den Herrn Selbst in Seiner Stellung als Mensch hienieden vor den Engeln auszeichnete: „Denn zu welchem der Engel hat Er je gesagt: Du bist Mein Sohn, heute habe Ich Dich gezeugt?“ (Heb 1,5). Kein Mißverständnis ist möglich, hier wird der Sohn als der in die Welt geborene Mensch angeredet, denn wenn hier von „heute“ geredet wird, so ist es klar, daß ein solches Wort sich auf die Zeit und nicht auf die Ewigkeit bezieht. Dieses wird auch durch das Wort des Apostels (Apg 13,33) in Antiochien bestätigt. Und dies ist um so beachtenswerter, weil auch Engel Söhne Gottes genannt werden und man somit in bezug auf die vom Vater der Geister geschaffnen Geistwesen in gewissem Sinne von einer Sohnschaft möchte reden dürfen; Seine Sohnschaft jedoch wird hiervon klar unterschieden durch die wirkliche Verwandtschaft des eingeborenen Sohnes vom Vater mit Ihm. Dies ist sorgfältig zu beachten und wird auch nachdrücklich bei der Verkündigung der Maria durch den Engel hervorgehoben: „Der Heilige Geist wird über dich kommen, und Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das geboren werden wird, Sohn Gottes genannt werden.“ (Lk 1,35). Es erscheint hier Einer in Menschenstellung, der mehr als ein Geschöpf ist. Menschen mögen „göttlichen Ursprunges“ und Engel „Söhne Gottes“ sein, aber keiner von diesen hat einen solchen Platz oder einen solchen Namen ererbt.
Der Apostel stellt weiter fest, daß zu keinem der Engel je gesagt worden ist: „Er soll Mir zum Sohne sein“. Auch hier wird wieder von dem Herrn in Seiner Menschheit geredet. „Ich will Ihm zum Vater sein“ könnte in anderer Beziehung ganz unmöglich von Ihm gesagt werden. Auch hierin ist wieder die wirkliche Verwandtschaft ausgedrückt, die weit über die eines Geschöpfes hinausgeht. Die Grundlage dieser Verwandtschaft findet ihren Ausdruck in der Geburt und ist der Beweis ihrer Tatsächlichkeit. Alles dieses (in dieser Stelle Gesagte) bezieht sich auf den Herrn als Menschen.
Diese Seine Sohnschaft als Mensch und Seine ewige Gottheit ist vielleicht von manchen nicht genügend beachtet worden. Seine Sohnschaft als Mensch gründet sich auf Seine Gottheit und wird doch unterschieden, wie wir gesehen haben. Sein Titel nach der einen Seite ist in der Schrift der „Erstgeborene“ und nach der anderen (der göttlichen Verwandtschaft) der „Eingeborene“.
Sein Titel „Eingeborener“ bezeichnet ausschließlich das, was Sein ist (was allein Ihm eigen ist), während in Seinem Titel „Erstgeborener“ ausgedrückt ist, was Er in Gnaden mit anderen teilen will. Wie wunderbar ist die Gnade, daß noch andere auserwählt sind, aus Gott geboren zu sein (und zwar nicht aus der Engel-, sondern aus der gefallenen Menschenwelt), um teil zu haben an dem, was geistlich ist: der göttlichen Natur. Diese, die Frucht Seines Werkes, sind mit Ihm, dem Erstgeborenen, verbunden. „Denn welche Er zuvorerkannt hat, die hat er auch zuvorbestimmt, dem Bilde Seines Sohnes gleichförmig zu sein, damit Er der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern.“ (Röm 8,29). Und ihre Verbindung mit Ihm als Brüder wird damit angegeben, daß „sowohl Der, welcher heiligt, als auch die, welche geheiligt werden, alle von Einem sind; um welcher Ursache willen Er Sich nicht schämt, sie Brüder zu nennen, indem Er spricht: Ich will Deinen Namen kundtun Meinen Brüdern; inmitten der Gemeinde will Ich Dir lobsingen.“ (Heb 2,11.12).
Bei dem Titel „Erstgeborener“ müssen wir beachten, daß derselbe nicht durchaus einen Zeit- oder Altersvorrang (eine Vorangängigkeit der Zeit nach) notwendig bedingt. Aber die Schrift verbindet mit diesem Titel den Vorrang an Hoheit, Macht, Majestät und Würde (1Mo 49,3; 5Mo 33,17). Wir sehen bei Jakob und Esau und bei Joseph und Ruben, wie andere als die der Zeit nach tatsächlich Erstgeborenen den Platz und die Würde des Erstgeborenen einnahmen, und Gott sagt prophetisch in den Psalmen: „So will auch ich Ihn zum Erstgeborenen machen, zum Höchsten der Könige der Erde“. (Ps 89,27). Ebenso ist es mit der Gemeinde der Erstgeborenen, die in den Himmeln angeschrieben sind (Heb 12,23), womit ohne Zweifel die Gemeinde des Neuen Testamentes unterschieden ist von den Geistern der vollendeten Gerechten, welche die Heiligen des Alten Testamentes sind. Diese letzteren (die Heiligen des Alten Testamentes) waren der Zeit nach die Erstgeborenen, aber die Jüngeren (die Gemeinde) empfing den Vorrang. Und so spricht der Apostel in Kol 1,15 von dem Herrn: „daß er das Bild des unsichtbaren Gottes ist, der Erstgeborene aller Schöpfung“. Als Er in Gleichheit der Menschen geworden, machte Er als Mensch hienieden den Vater kund, aber Er, obwohl Mensch geworden, ist Er doch der Schöpfer aller Dinge, wie der Apostel dann weiter ausführt in dem 16. Vers. Wenn Er nun in Seiner Liebe Sich so herabgelassen hat, inmitten Seiner eigenen Schöpfung einen solchen Platz als Mensch einzunehmen, so kann es gar nicht anders sein, als daß Er als Erster an der Spitze - als Erster allen voran steht. Dieser Sein Titel als Erstgeborener zeigt uns nicht, wie etliche meinen, Seinen Vorrang der Zeit oder dem Alter nach, sondern Seinen Vorrang an Hoheit (Seine Würde): „Und Er ist vor allen, und alle Dinge bestehen zusammen durch Ihn“ (Kol 1,17). Es sind zwei Dinge, die in dieser Stelle nicht verwechselt werden dürfen. Im 15. Vers sehen wir Ihn in dem Stande Seiner Hoheit als den „Erstgeborenen“ aller Schöpfung, und im 18. Vers sehen wir Ihn nach einer anderen Seite hin als den „Erstgeborenen“ aus den Toten.
Wie groß ist Seine Herrlichkeit und Hoheit, die der Heilige Geist so sorgfältig in ihren verschiedenen Strahlen uns vor Augen führt!
Zwischen uns und Ihm ist natürlich der große Unterschied: Wir sind als „Erstgeborene“ die Frucht Seines Werkes, Seine Erstgeburt aber gründet sich auf Seine Gottheit. Der Apostel spricht dies deutlich in den Worten aus: „Welcher das Bild des unsichtbaren Gottes ist, der Erstgeborene aller Schöpfung, denn durch Ihn sind alle Dinge erschaffen worden, die in den Himmeln und die auf der Erde, die sichtbaren und die unsichtbaren, es seien Throne oder Herrschaften oder Fürstentümer oder Gewalten: Alle Dinge sind durch Ihn und für Ihn geschaffen, und Er ist vor allen, und alle Dinge bestehen zusammen durch Ihn“. Auf dieses gründet sich Sein Titel als Erstgeborener und weist zugleich auf Seine Fleischwerdung (nicht auf Seine Auferstehung) hin. Wie klar redet doch die Schrift über diesen so kostbaren Titel unseres Herrn! Wie leuchtet durch alles die Herrlichkeit des wunderbaren (für uns unerforschlichen) göttlichen Verwandtschaftsverhältnisses mit dem Vater hindurch - die Herrlichkeit des eingeborenen Sohnes, der im Schoße des Vaters ist!
Der Titel „eingeborener Sohn“ wird ganz allein von Johannes, und zwar fünfmal, gebraucht, während Sein Titel „Erstgeborener“ außer im Buche der Offenbarung (welches einen ganz anderen Charakter trägt) nie von Johannes gebraucht wird. Dies ist von Bedeutung, weil die Gottheit des Herrn das besondere Thema des Apostels Johannes ist.
Einer der ersten Sätze seines Evangeliums bestätigt dies: „Und das Wort ward Fleisch und zeltete unter uns (und wir haben Seine Herrlichkeit angeschaut, eine Herrlichkeit als eines Eingeborenen vom Vater), voller Gnade und Wahrheit.“ (Joh 1,14). Ich gebrauchte in dieser Stelle in wörtlicher Übersetzung das Wort „zeltete“, weil es den Zusammenhang mit der Stiftshütte des Alten Testamentes ausdrückt. In dieser wohnte (zeltete) einst die Herrlichkeit Gottes, und zwar „im Dunkel“ (1Kön 8,12), nicht im Licht - verschlossen und unzugänglich für den Menschen. Nun aber war ein Zelt, eine Hütte da: „Sein Fleisch“, worin die völlige Herrlichkeit Gottes zeltete, und zwar uns zugänglich, so daß wir uns ihr nahen und sie anschauen konnten, weil sie sich uns in Gnade und Wahrheit offenbarte. Diese uns in Ihm enthüllte Herrlichkeit war die Herrlichkeit des Eingeborenen vom Vater. Das kennzeichnete diese Herrlichkeit. Die Herrlichkeit des Eingeborenen war die Herrlichkeit Gottes Selber.
Johannes wiederholt dieses in seiner eindringlichen Weise im 17. und 18. Verse: „Denn das Gesetz wurde durch Mose gegeben; die Gnade und die Wahrheit ist durch Jesum Christum geworden. Niemand hat Gott je gesehen; der eingeborene Sohn, der in des Vaters Schoß ist, der hat Ihn kundgemacht.“ Hier finden wir wieder den Gegensatz zwischen Gesetz und Gnade. Im Gesetz wohnt Gott unnahbar im Dunkel. In der Gnade und Wahrheit ist Er uns kundgemacht. Und wer ist der, der uns den Vater jetzt also enthüllt und kundmacht? Es ist der eingeborene Sohn, Der, der in des Vaters Schoß ist. Die Kraft dieses Wortes liegt nicht darin, daß Er der ist, der jetzt im Schoße des Vaters ist, sondern daß Er Der ist, der immer und immer dort ist. Zu verleugnen, daß Er immer der Sohn gewesen sei, ist gleich dem, zu verleugnen, daß der Vater immer der Vater war. Es wäre eine Verleugnung der göttlichen Verwandtschaft und die Herabwürdigung des wirklichen Vaternamens Gottes zu einer nur zeitlichen Eigenschaft. - Er aber ist der eingeborene Sohn, der im Schoße des Vaters ist!11, nicht immer Fleisch geworden, aber immer der eingeborene, der ewige Sohn Gottes.
Im dritten Kapitel finden wir noch einmal, und zwar in zweifacher Weise, diese uns unerforschliche Tatsache der göttlichen Verwandtschaft festgelegt: Zuerst wird uns in dem bekannten Worte: „Also hat Gott die Welt geliebt, daß Er Seinen eingeborenen Sohn gab, auf daß jeder, der an Ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe“ der unverbrüchliche Beweis Seiner unendlichen Liebe gegeben darin, daß Er Seinen eingeborenen Sohn gab, und zugleich gesagt, daß jeder Segen von der Annahme dieser Seiner Gabe abhängt. Und dann weiter: „Gott hat Seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, daß Er die Welt richte, sondern daß die Welt durch Ihn errettet werde. Wer an Ihn glaubt, wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, ist schon gerichtet, weil er nicht geglaubt hat an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes.“ (Joh 3,16-18). Das sind ernste Worte für alle, die die Wahrheit der ewigen Sohnschaft leugnen oder schmälern. In diesem „Namen“ ist die „Lehre“ eingeschlossen - die Wahrheit dieser Lehre.
Johannes spricht in allen seinen Schriften von dem Sohne in Seiner ewigen Sohnesherrlichkeit, dieser Herrlichkeit, die der Glaube durch das Zelt Seiner Menschheit hindurchleuchten sieht. Nur noch einmal in seinen Briefen spricht er von Ihm als dem Eingeborenen, indem er schreibt: „Hierin ist die Liebe Gottes zu uns geoffenbart worden, daß Gott Seinen eingeborenen Sohn in die Welt gesandt hat, auf daß wir durch Ihn leben möchten.“ (1Joh 4,9) Wie klar ist es hier ausgedrückt, daß Er der eingeborene Sohn war, ehe Er in die Welt kam!
Ich habe in diesem kleinen Artikel fast nichts getan, als nur die Bibelstellen angeführt, die aber so klar und deutlich reden, daß eine lange Erklärung sie nur verdunkeln könnte. Erfaßt unser Glaube die Herrlichkeit Seiner Person, so werden wir mit Freuden ins Heiligtum treten, um Ihm unsere Huldigung und unsere Anbetung zu bringen.
Gr.
11 Als der Sohn hier auf Erden war, spricht die Schrift doch nie von Ihm als dem, der im Schoße des Vaters war oder im Himmel war, sondern als dem, der, obgleich Er auf der Erde wandelte, doch im Schoße des Vaters ist und im Himmel ist (Joh 1,18; 3,13). v. d. K.↩︎