Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 15 - Jahrgang 1930
Mt 26,40 - „Eine besondere Frage des Herrn“Mt 26,40 - „Eine besondere Frage des Herrn“
„Und Er kommt zu den Jüngern und findet sie schlafend; und Er spricht zu Petrus: Also nicht eine Stunde vermochtet ihr mit Mir zu wachen?“ (Mt 26,40)
Unser teurer Herr hat während Seines Erdenwandelns verschiedene Fragen an Menschen gestellt; aber diese eine Frage an Seine Jünger ist deshalb eine besondere, weil sie heute noch in unser Leben hineinklingt. Wieviel wehe Verwunderung und auch sanften Tadel sprach Er in diesen Worten aus! Und klingt nicht ein Echo dieser Worte auch in unser Leben hinein mit den mancherlei Erfahrungen der Untreue und des Schlafes im Gebetsleben? Wir sind heute nicht zu einer schweren Nachtwache mit Ihm in Gethsemane berufen, wo Er im Blick auf den vor Ihm liegenden Kelch ringend auf Seinem Angesichte lag; wir sind aber mit jedem neuen Morgen berufen, in Seine Gegenwart zu treten. Wie oft aber ist unser Ohr nicht willig, Seiner freundlichen Einladung, mit dem neuen Tage Sein Angesicht zu suchen, Gehör zu schenken! Verschlafen klingt es in unserem Herzen oft zurück (wenn auch nicht in Worten): „Ja, Herr, nur noch einen Augenblick!“
Und dann? - „Ein wenig Schlaf, ein wenig Schlummer, ein wenig Händefalten, um auszuruhen“ (Spr 24,33) und - die kostbare „Stunde“, mit Ihm allein zu sein, ist dahin, welche uns zum Segen geworden wäre.
Der Herr hat hier eine besondere Frage an unser Herz gestellt! Wie manchmal stürmen Kinder Gottes in dieser unruhigen Zeit, vielleicht nach knapper Nachtruhe, ins weltliche Leben hinaus, ohne die geistliche Waffenrüstung angelegt zu haben! Man hat nicht vergessen, zu frühstücken - auch sein Gewand angezogen - auch wohl einen Blick in die Schrift getan - ins Losungsbüchlein oder auf den Kalenderzettel; man hat auch bei Tisch gebetet und sich dem Herrn für den ganzen Tag anbefohlen; aber sind ein paar Minuten genug für den gewaltigen Gegenwartskampf, genug Vorsorge, um alle unsere Nöte und Schwierigkeiten äußerer und innerer Not vor dem Herrn auszubreiten, um Ihm alles zu sagen, was in unserem Herzen wirklich ist? Da wird in unseren verborgenen Gebeten alles so kurz und in Sammelbezeichnungen ausgedrückt, aber die Einzelheiten unserer Arbeit und unseres inneren und äußeren Erlebens werden nicht so vor Ihn gebracht, um Seinen Willen darin zu erforschen. Wir nehmen den Tageslauf auf, ohne Sein Wort in unser Herz aufgenommen und unser „Samentuch“ neu gefüllt zu haben; darum haben wir, ach, so wenig Vorrat, um zu säen; und so kann Er unsere Sichel nicht schärfen, damit wir Gnade über Gnade ernten. Genügen wirklich ein paar Minuten zur ernsten Selbstprüfung, zum Selbstgericht in Seiner Gegenwart, zur treuen Fürbitte für andere, die damit rechnen? Und dann, wo bleibt Zeit zum Loben für Seine bisherige Gnade, zur Anbetung Seiner Größe und Majestät? „Also nicht eine Stunde vermochtet ihr mit Mir zu wachen?“ Wo bleibt die gewollte innere Stille vor Ihm, damit Er zu dir reden kann? Wann hattest du Zeit für die notwendigen Unterweisungen des Heiligen Geistes, um in deinem inneren Leben voranzukommen - Stille für das Leuchten Seines Lichtes in Dunkelheiten deines Lebens und Weges? Ist die Zeit, die du für Ihn verwendest, genügend für den Freund aller Freunde und Herrn aller Herren? Gibt dein Verhalten in der Morgenstunde des Tages Zeugnis von deiner Herzensstellung zum Herrn und von deinem Verlangen, dich in Stille und Gebet mit Ihm zu verbinden?
Und wenn meiner geringen und lauen Liebe einige Minuten genug erscheinen - Seiner großen Liebe genügen sie nicht. Kann ein solches Verhalten Sein Herz befriedigen, welches mit mir in so kostbare Gemeinschaft zu treten wünscht? Er hat mich so lieb, daß Er mich auf ewig bei Sich haben will; und ich liebe Ihn so wenig, daß mir nichts daran liegt, eine „Stunde“ wirklichen Gebetsumganges mit Ihm zu haben! Er wartete auf mich, aber ich kam nicht. Wieviel mag ich in solchen verschlafenen Morgenstunden meines vergangenen Lebens versäumt haben? -
Und wie viele entschuldigenden Einwendungen findet unser törichtes Herz? Da heißt es manchmal: „Nach dem Frühstück kannst du dich zurückziehen.“ Dann kam die Post, die Zeitung, Besuch usw., und die Zeit ging dahin, und als man sich dann „zurückzog“, hatten schon die sichtbaren Dinge die Oberhand über die unsichtbaren gewonnen. Das Wort war erstickt, und das Gebet gehindert. Unruhe erfüllte die Seele, die „Tür“ des Kämmerleins war nicht mehr „geschlossen“. Vergebens suchte man die zerstreuenden Gedanken zu verbannen. Ungegürtet zum Wettlauf, ungewappnet zum Kampf begann man den Tageslauf - und die Folgen waren Schwäche und Fehltritte.
Es gibt Dinge des inneren Lebens, durch welche wir uns so leicht selbst täuschen und betrügen: Wir haben „gute Vorsätze“ aber - keine „feste Absicht“, kein entschiedenes Wollen! Die matten und trägen Wünsche und die Augenblicksentschlüsse versagen nur. Bei den Männern des Glaubens finden wir das ruhige, demütige und feste Vornehmen und das entschiedene Wollen (Dan 1,8 und 2Tim 3,10). Ohne solches ist das ständige Morgengebet lahmgelegt und die Erhörung gehindert. Wie wenig ist das, was wir sagen, oft wirklich das, was wir zu tun wünschen! Wir wollen den Herrn um die Gnade bitten, auch die Ausführung unserer Absicht zu vollbringen. Laßt uns den kostbaren Ausspruch in Jes 50,4 im Glauben erfassen: „Er weckt jeden Morgen, Er weckt mir das Ohr, damit ich höre gleich solchen, die belehrt werden.“ Wir müssen lernen und immer wieder üben!
Vielleicht fragt der eine oder andere: „Wie kann ich diese kostbare Stunde erlangen?“ Bereiten wir uns diese Schwierigkeiten nicht oft selbst? Man bleibt bei gemütlichem Plaudern am Abend spät aus und erschwert sich so das Aufstehen am Morgen. Oft gilt es, eine angenehme Abendstunde zu opfern, aber der Segen ist immer größer als das gebrachte Opfer.
Kranke und ans Bett Gefesselte dürfen auch auf ihrem Lager vor dem Thron der Gnade erscheinen. Unser großer Hoherpriester hat Mitleid mit unseren Schwachheiten als einer, der Selbst unsere Schwachheiten und unsere Krankheiten trug (Heb 4,15; Mt 8,17). - Er kennt auch die Lagen solcher, die in schwierigen Verhältnissen und schweren Umständen stehen, die oft kein stilles Plätzchen zum Zurückziehen haben und die auf dem weiten Wege in der Frühe zur Stätte ihres Schaffens die gegebenen Möglichkeiten ausnutzen, Seine Gemeinschaft zu haben.
Welche Freude muß es dem Herrn sein, wenn die geliebten Seinigen Ihn unter Druck, Leid und Schwierigkeiten suchen! Jener Soldat beschämt sicher viele: Er hatte draußen in der Nacht, in einer Ecke des Kasernenhofes eine „ungestörte Stunde“ mit dem Herrn Jesus gehabt. Laut lachten seine Kameraden, als er in die Kasernenstube trat. Warum? Er hatte im Dunkeln unbewußt in einem Aschenhaufen seine Kniee gebeugt, - aber den Herrn erfreut. Er vermochte eine Stunde mit seinem Herrn zu wachen!
Ed. v. d. K., H.