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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 11 -Jahrgang 1926
1Kor 11,26 - „Briefe über den Tisch des Herrn“
Briefe über den Tisch des Herrn - Erster BriefBriefe über den Tisch des Herrn - Erster Brief
Geliebte Geschwister!1
Als Bruder A. und ich einer Konferenz in L... beigewohnt hatten, besuchten wir nach derselben noch einige Versammlungen. Bei einer Unterhaltung mit den Brüdern kamen wir auf den „Tisch des Herrn“ zu sprechen. Es zeigte sich da, daß die Anschauung dieser Brüder sich von der unsrigen bedeutend unterschied. Sie meinten, die Vorstellung, daß der „Tisch des Herrn“ der Tisch sei, an welchem die Abendmahlsfeier stattfinde, wäre nicht schriftgemäß.
Dieser Gedanke war uns ganz neu. Wir konnten ihn auch nicht sofort aufnehmen und verteidigten die Auffassung, die wir von frühester Jugend gehabt hatten.
Inzwischen ist dieser Punkt auf einer neueren Konferenz in L..., der wir wieder beiwohnen durften, eingehend besprochen worden, und es scheint uns, daß wir unsere Gedanken betreffs des „Tisches des Herrn“ zu ändern haben; wenigstens neigen wir dahin, zu glauben, daß die Ansicht unserer Brüder in Deutschland mehr Grund in der Schrift findet als die unsrige.
Aber das Neue ist immer anziehend, es reizt, es ist interessant, besonders bei einem Gegenstand wie diesem, der einen so bedeutenden Teil unseres geistlichen Besitzes ausmacht. Es ist deshalb Pflicht, sehr, und nochmals sehr vorsichtig zu sein und sorgfältig zu prüfen.
Es scheint mir am besten zu sein, unsere Aufmerksamkeit mehr im fragenden als im bejahenden Sinne auf diesen Gegenstand zu lenken und unsere Gedanken miteinander auf das zu richten, was die Schrift darüber in den Vordergrund stellt, und alles an der Schrift genau zu prüfen. Der Gegenstand, der uns beschäftigt, ist von großer Wichtigkeit, und nur, wenn wir nach bestem Wissen den festen Grund des Wortes Gottes unter uns haben, kann von einer befestigten Überzeugung die Rede sein.
Wenn die Gedanken unserer Brüder, von denen wir glauben, daß sie mehr als unsere bisherigen nach der Schrift sind, sich als nicht nach dem Worte erweisen sollten, so würden wir uns freuen, mit der Schrift zurechtgewiesen zu werden. Unsere Ausführungen sind also nicht auf den Ton gestimmt: „So ist es“, sondern vielmehr auf die Frage: „Ist es nicht so?“
Im allgemeinen, wenn über den Tisch des Herrn gesprochen oder geschrieben wird, wird an die Einsetzung des Herrn gedacht, als Er mit Seinen Jüngern das Passah feierte, bevor Er litt und starb, die Einsetzung, die als „Abendmahl des Herrn“ oder auch als „Brechen des Brotes“ in der Schrift bezeichnet wird und von der man auch nach 1Kor 11,26 als von der „Verkündigung des Todes des Herrn“ spricht.
Der Tisch, an welchem man sitzt, auf welchem sich das Brot und der Wein befinden, an dem man die Abendmahlsfeier hält und den Tod des Herrn verkündigt, dieser Tisch wird als „der Tisch des Herrn“ angenommen.
So verschieden man auch in den vielen Gruppen, in welche die christliche Kirche zerteilt ist, über die Bedeutung des „Tisches des Herrn“ denkt, so ist doch die allgemeine Meinung, daß der Tisch, an dem man das Abendmahl feiert, der „Tisch des Herrn“ ist.
Selbst jene Brüder, die in Rede und Praxis zum Ausdruck bringen, Christi Versammlung zu sein, haben diese Meinung, denn sie reden beispielsweise davon, daß sie sich „um den Tisch des Herrn versammeln“, oder, daß soundso viele „zum Tisch des Herrn hinzugekommen sind“, oder „zugelassen werden konnten“, daß der „Tisch des Herrn“ nur in ihrer Mitte sei; oder wenn Gläubige an einem Orte in Gemeinschaft mit ihrem Kreise anfangen, das Brot zu brechen, dann wird diese Tatsache damit angedeutet, daß man sagt: „In N... ist der Tisch des Herrn aufgerichtet“. (Kann jemand mir sagen, wo wir in der Schrift den Ausdruck finden oder auf welche Schriftstelle er begründet sein kann?)
Wohl geht bei diesen Brüdern der Begriff etwas weiter als Tisch im Sinne des materiellen Tisches, aber immerhin ist der Begriff damit verbunden, daß dasjenige, was auf dem Tisch steht und was an demselben geschieht, den Tisch zum „Tisch des Herrn“ macht. Und weiter, wenn so an einem Orte der Tisch einmal aufgerichtet ist, so spricht man (ganz abgesehen von dem Akte der Feier des Abendmahles) von dem „Tisch des Herrn“, als an diesem Orte anwesend. Man sagt, daß der „Tisch des Herrn“ in N... ist und daß dort das Zeugnis von der Wahrheit, der Wahrheit des einen Leibes ist, und dieses Zeugnis ist solange an diesem Platze, als am „Tische des Herrn“ diese Einheit in dem Brotbrechen sichtbar ist oder dargestellt wird.
Wir nennen diese Dinge nicht aus Streitsucht, sondern weil dieselben in den Herzen vieler Brüder Aufnahme gefunden haben, um bei der Betrachtung unseres Gegenstandes zu prüfen, ob solche Anschauungen in der Schrift gefunden werden. Wir teilen diese Anschauungen nur soweit, als wir glauben, auch in der Feier des Abendmahles des „Tisches des Herrn“ teilhaftig zu sein. Daß aber nur bei einem Kreise von Gläubigen mit Ausschluß anderer der „Tisch des Herrn“ sei, das glauben wir nicht.
Wir müssen aber jetzt sehen, ob unsere Anschauung, ja, ob der allgemeine Begriff vom „Tisch des Herrn“ der richtige ist. Laßt uns zuerst fragen, was in der Schrift mit „Tisch“ gemeint ist. Sehr oft wird das Wort „Tisch“ in derselben Weise gebraucht, wie wir täglich von demselben als von einem Gegenstande reden. Aber weiter ist mit dem Wort „Tisch“ in unserer täglichen Sprache wie auch in der Schrift ein weiterer Begriff verbunden, und es wird damit etwas ganz anderes angedeutet als nur ein Tisch als Gegenstand. Z. B. wenn wir von einem reichen Tisch oder einer reichen Tafel sprechen, so denken wir durchaus nicht an den Gegenstand, der „Tisch“ heißt oder der als „Tisch“ gebraucht wird, sondern an die reiche Auswahl von Speisen, die zum Genuß dargeboten werden.
So finden wir es auch in der Schrift. Wenn z. B. in 1Kön 4,27 die Rede von solchen ist, die zum Tisch des Königs Salomo kamen, und in 1Kön 18,19 von den Baalspriestern, die am Tische Isebels aßen, dann wird mit dem Worte „Tisch“ gemeint, daß diese Personen von Salomo oder von der Isebel ihren Lebensunterhalt empfingen. Wenn wir ferner im 23. Psalm, Vers 5, lesen: „Du bereitest vor mir einen Tisch“, so ist offenbar mit „Tisch“ die Zusammenfassung alles dessen gemeint, was die rühmende und preisende Seele von der Güte des Herrn zu genießen empfängt, ohne daß an den Gegenstand, der „Tisch“ heißt, überhaupt gedacht wird.
Wir finden selbst in Maleachi 1,7.12 einen Ausdruck, wo „ Altar“ und „Tisch“ identifiziert werden: „Die ihr unreines Brot auf meinen Altar darbringet und doch sprechet: Womit haben wir Dich verunreinigt? Damit, daß ihr saget: Der Tisch des Herrn ist verächtlich usw.“ Wenn der Herr Jesus in Lk 22,30 spricht: „Auf daß ihr esset und trinket an Meinem Tische in Meinem Reiche“, wird nicht auch da in „Tisch“ das Ganze der Herrlichkeit zusammengefaßt, alles was der Herr den Seinigen an Segnungen schenken wird?
In Röm 11,9 wird eine Stelle aus Ps 69 angeführt, in der das Gericht über Israel wegen der Verwerfung des Heils in Christo angekündigt wird: „Es werde ihr Tisch ihnen zur Schlinge und zum Fallstrick und zum Anstoß und zur Vergeltung!“ Sagen uns diese Beispiele nicht deutlich, daß das Wort „Tisch“ in der Schrift ohne allen Zweifel auch als eine Zusammenfassung von Vorrechten und Segnungen usw. gebraucht wird? Und wenn es so ist, kann dieses dann nicht auch der Fall sein mit dem Ausdruck: „Tisch des Herrn“, der, wie uns ja bekannt ist, nur einmal im Neuen Testamente in 1Kor 10,21 vorkommt?
So der Herr will, werden wir im nächsten Briefe diesen Gegenstand weiter miteinander betrachten. Sollte jemand über das oben Gesagte mir seine Gedanken mitteilen wollen, so könnte auf diese, wenn möglich, Bezug genommen werden.
Euer Bruder in Christo
M. J. S.
1 Diese Briefe sind von Bruder M. J. S. in Rotterdam an die Brüder in Holland gerichtet. Sie enthalten so viel zum Nachdenken und Prüfen, daß wir glauben, sie auch den Lesern der „Handreichung“ in Übersetzung bringen zu sollen. v. d. K.↩︎