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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 6 -Jahrgang 1918/19
Röm 7,24 ; 8,2 - „Ich elender Mensch! Wer wird mich retten...?“Röm 7,24 ; 8,2 - „Ich elender Mensch! Wer wird mich retten...?“
Alle, die an den Herrn Jesus gläubig geworden sind, gründen ihre Errettung auf Sein Opfer auf Golgatha. Alle haben Seinen Tod als die Grundlage der Vergebung ihrer Sünden erfaßt, aber wenige sind es, die die andere Seite Seines Todes erkennen und im Glauben erfassen, nämlich, daß Sein Tod auch das Gericht Gottes über mich, den Menschen im Fleische, sowie auch über das System der Welt ist (Gal 6,14). Meine Person, „Ich“, der Mensch im Fleisch, hat dort auf Golgatha vor Gott sein Ende gefunden. Nichts von diesem Menschen war für Gott mehr brauchbar, er war so verdorben und untauglich für alles, daß Gott nichts anderes mit ihm anfangen konnte, als ihn gänzlich und auf immer durch den Tod zu beseitigen. Dies geschah im Tode Christi.
Das Kreuz Christi ist das Ende des alten Menschen, darum kann Gott keinen Ruhm und keine Ehre auf ihn legen. Legen wir noch Ehre auf ihn? Vor Gott hat der erste Mensch keinen Platz mehr. Hat er noch Raum in unserer Mitte? Gott konnte ihn für nichts mehr gebrauchen, weder für Weisheit und Gerechtigkeit, noch in den Fragen der Heiligkeit und Erlösung. (Vergl. 1Kor 1.29.30). Können wir ihn noch für etwas gebrauchen? Vielleicht seine Weisheit? Gott kann auch diese nicht gebrauchen für das Wort vom Kreuz. Das Kreuz ist ja die Verneinung des Menschen; welch ein Unding, seine Weisheit für das Wort vom Kreuz gebrauchen zu wollen. Weisheit in irdischen Dingen ist gut, aber in den Dingen und dem Dienste Gottes ist sie nicht brauchbar, dazu brauchen wir den Heiligen Geist. „Ich will die Weisheit der Weisen vernichten“, sagt Gott, als Er vom Kreuze Christi redet, Verstand und Weisheit können die Dinge Gottes nicht erforschen, und eine erneuerte Seele bringt sie unter die Herrschaft des Heiligen Geistes, zur Herrlichkeit Gottes.
Hier liegt das Geheimnis für manche über ihr „Ich“ klagenden und zagenden Seelen. Sie seufzen: „Ich elender Mensch! Wer wird mich retten von diesem Leibe des Todes?“ (Röm 7,24). Warum? Weil sie noch nicht in ihrer eigenen Seele weder das vollstreckte Todesurteil über ihr „Ich“ angenommen noch mit Dank die Befreiung davon durch Jesum Christum im Glauben ergriffen haben. Sie seufzen, weil sie sich nicht besser machen können. Wen? Den, den Gott als unverbesserlich in Tod und Grab legen mußte. Sie haben noch nicht für sich im Glauben angenommen und verwirklichen nicht für sich das, was Wirklichkeit für Gott ist, nämlich, daß sie „mit Christo gestorben“ sind und aufgehört haben, Menschen „im Fleische“ zu sein, und Menschen „in Christo“ geworden sind. Sie sind immer wieder mit dem „Ich“ beschäftigt, mit dem Gott Sich nicht mehr befaßt, und wollen Gutes aus dem hervorgehen lassen, in dem „nichts Gutes“ ist.
Andere seufzen und sagen: Alles das ist Wahrheit, und ich zweifle nicht daran, aber ein Blick in mich genügt, mir zu sagen, daß ich noch nicht „gestorben“ bin; ich möchte gern „tot“ sein, aber ich bin es nicht. Solche erwarten etwas, was erst stattfindet, wenn der Leib ins Grab sinkt. Die Schrift sagt nie, daß wir in uns gestorben und tot sind, sondern daß wir „mit Christo gestorben“ sind. Es ist in der Verbindung mit Ihm, daß wir gestorben, und nur in der Glaubensverbindung mit Ihm wird es verwirklicht, aber nie unabhängig von Ihm. Als Er starb - starb ich, als Er auferweckt wurde, wurde ich mit Ihm zu neuem Leben auferweckt. So wie ich nicht in mich hineinschaue, um zu sehen, ob ich auferweckt bin, so wenig erfahre ich durch den Blick in mich, ob ich mit Christo gestorben bin. Wie weiß ich es? Durch das Zeugnis Gottes. Der Glaube erfaßt es und verwirklicht: „Ich bin mit Christo gekreuzigt.“ Das ist Wirklichkeit für Gott, das ist wahr und Wirklichkeit für mich. O, wie wenig kennen wir doch von dem Glaubensleben und -wandel in den Dingen, die Wirklichkeit für Gott und für uns sind.
Paulus lebte in dieser Wahrheit. Aber auch aus seinem Herzen kam einst der schmerzliche Ruf: „Ich elender Mensch!“ Das zuvor Gesagte in Röm 7 zeigt uns, wie aufrichtig er sich auch bemühte, die sündige Fleischesnatur zu überwinden, seine Kraft reichte nicht hin, all sein Bemühen war vergebens, und er ruft: „Ich elender Mensch!“ - Und es gibt in Wahrheit keinen in seiner Seele elenderen Menschen als den, der sich aufrichtig bemüht, in eigener Kraft das Fleisch und die Sünde zu überwinden. All die äußeren Leiden und Schmerzen, die Paulus zu erdulden hatte, konnten ihm nie den Schrei abringen: „Ich elender Mensch!“, den er hier in tiefem Seelenschmerz über das Versagen seiner Kraft ausstößt. Seine Frage ist: „Wer wird mich erretten von diesem Leibe des Todes?“ (Röm 7,24.25). Die Frage war nicht: Wie werde ich errettet (errettet war er), sondern: Wer wird mich retten, und zwar von dem Leibe des Todes? Er ist zu Ende mit sich und seiner Kraft, er sieht, daß er völlig auf einen anderen angewiesen ist, um von dem Leibe des Todes errettet zu werden. Da läßt er sich los und ergreift Jesum Christum, und nun lobpreist er Gott, daß er durch Ihn die Rettung auch von dem Leibe des Todes hat. Er machte diesen Weg von sich und seiner Kraft zu Christo, und froh bekennt er: „Ich bin mit Christo gestorben, nicht mehr lebe ich, sondern Christus lebt in mir“. (Gal 2.20).12
Und wie können wir von diesem schrecklichen „Ich“, das wir mit uns herumtragen, befreit werden? Wir müssen denselben Weg machen. Wer kann mich befreien? Christus! Wie befreit Er mich? Durch den Tod. Ich bin mit Christo gekreuzigt, nicht mehr lebe ich. Jede Regung des „Ich“ wird im Tode niedergehalten, es hat kein Recht mehr zu leben, sondern Christus allein hat das Recht, Er - Christus - lebt in mir. Er ist das wirkende Leben in mir. Sein Geist hat die Herrschaft (nicht mehr das „Ich“), und Er hält das „Ich“ im Tode. „Das Gesetz13 des Geistes des Lebens in Christo Jesu hat mich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes (Röm 8,2). Das Gesetz der Sünde - das „Ich“ - die Sündennatur ist zwar noch da, aber sie beherrscht mich nicht mehr. Ich bin freigemacht. Wodurch? Durch Christus. Der Geist des Lebens in Christo Jesu hat die Herrschaft. So wie ich einst unter dem mich überwältigenden Naturgesetz der Sünde und des „Ich“ stand, so stehe ich jetzt unter einem anderen Naturgesetz, dem des Geistes des Lebens, und zwar eines Lebens, das nicht in mir selbst liegt, sondern in Christo Jesu ist. Das Gesetz dieses Geistes hält unablässig in mir das Bewußtsein wach: Christus lebt in mir. Beim Aufstehen und Zubettgehen tönt es im Herzen: „Nicht mehr lebe ich - Christus lebt in mir“. Wir treiben unser Geschäft, wir arbeiten und wirken, aber es bleibt: „Nicht mehr lebe ich - Christus lebt in mir“. In der Familie, im Hause, in der Gemeinschaft mit den Gläubigen, in der Arbeit für den Herrn, unablässig und überall durchwirkt das Lebensgesetz des Geistes unser ganzes Wesen und Sein mit dem alles in uns bezwingenden Sinn: „Nicht mehr lebe ich - Christus lebt in mir“.
Dies wird nicht durch Kraftanstrengung von unserer Seite bewirkt. Es ist die Lebenswirkung „des Geistes des Lebens in Christo Jesu“. Leben ist keine Anstrengung und Anstrengung kein Leben. Die Anstrengungen des Fleisches möchten sich gern mit dem Wirken des Geistes vermischen. Aber Fleisch und Geist sind einander entgegen und können nie vereint werden. Jede Bei- und Einmischung des Fleisches ist ein Hemmnis für den Geist.
Laß dein kraftloses Mühen fahren - laß dich los und überlaß dich hemmnislos Christo, und du wirst die wunderbare Kraft - das Gesetz des Geistes des Lebens in Christo Jesu in Seiner alles in uns niederzwingenden Kraft erfahren, die dich „freimacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes“. v. d. K.
12 Wir wissen nicht, wann der Apostel in seiner Seele durch diese Erfahrung hindurchging. Die Zeit mochte schon lange hinter ihm liegen; aber wir sehen, auch er mußte sie in seiner Seele durchleben.↩︎
13 Das „Gesetz“ des Geistes des Lebens, das „Gesetz“ der Sünde in dem Sinne des Prinzips (Grundsatzes), wie wir von dem Gesetz, dem Gebot der Natur, dem Gesetz der Schwere usw. reden; es ist das zwingende, alles überwältigende Prinzip. v. d. K.↩︎