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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 19 - Jahrgang 1934
Jerobeam, der Mann Gottes aus Juda und der alte Prophet aus Bethel
1Kön 13,11-34 - Der Mann Gottes aus Juda und der alte Prophet in Bethel (4)1Kön 13,11-34 - Der Mann Gottes aus Juda und der alte Prophet in Bethel (4)
Wenn wir uns noch einmal mit dem göttlichen Bericht im 1. Buche der Könige, Kap. 13, befassen, so geschieht es, um uns besonders mit dem alten Propheten in Bethel zu beschäftigen. Wir sind uns bewußt, daß wir (wenn auch von anderen Gesichtspunkten betrachtet) manches bereits auf Seite 241ff. Gesagte noch einmal erwähnen müssen. Wir bitten dieserhalb um Nachsicht. Die Geschichte dieser beiden Knechte Gottes ist aber so reich an Belehrungen, daß wir trotz der Wiederholungen, die für den Zusammenhang dieses Artikels nötig sind, doch vertrauen, daß der Herr den Lesern einen inneren Gewinn schenken wird.
Beim Betrachten dieser Geschichte steigt ganz von selbst die Frage in unserem Herzen auf: „Was bewog den alten Propheten, den Mann Gottes in sein Haus zu bringen, daß er, um dies zu erreichen, selbst vor einer Lüge nicht zurückschreckte? Wenn die Schrift auch nichts Bestimmtes hierüber sagt, so finden wir doch Mitteilungen, die, wenn wir an unser eigenes Herz denken und an das Wort: „Wie im Wasserspiegel das eine Gesicht dem anderen entspricht, ebenso das Herz des einen Menschen dem anderen“ (Spr 27,19), die uns dann manches ahnen lassen, was uns zur Belehrung und Warnung dienen kann.
So lesen wir, daß der alte Prophet in Bethel wohnte. Er wohnte an dem Orte, wo Jehova verunehrt, Sein Wort verdreht und beiseitegesetzt wurde. Die Priester und Leviten und alle, die ihr Herz darauf richteten, Jehova, den Gott Israels, zu suchen, verließen ihr Besitztum und zogen nach Juda und nach Jerusalem. Sie lösten um der schrecklichen Abgötterei willen ihre Verbindungen mit dem Lande Jerobeams. Warum ging der alte Prophet nicht? Was hatte er noch an diesem götzendienerischen Platze zu tun? Fühlte er nicht, daß sein Bleiben im Gegensatz und Widerspruch mit denen stand, die das Land verließen? Wenn er - der alte Prophet - dort wohnen blieb, so verurteilte er damit den Wegzug seiner Brüder oder stellte denselben doch wenigstens als unnötig hin. So wurde durch sein Verbleiben die Tat jener Treuen, die Bethel und das Land verließen, um dorthin zu gehen, wo Jehova angebetet und Sein Wort noch beachtet wurde, entkräftet. Er wohnte, wie einst Lot in Sodom, an einem Platze, von dem aus die Sünde zum Himmel stieg.
Ist dies nicht eine Warnung für uns, nicht gleich dem alten Propheten oder gleich Lot in der Welt zu verweilen oder an Stätten, wo das Wort Gottes beiseite gesetzt und ein von Menschen ersonnener Kultus ausgeübt wird? Was haben wir mit diesen Dingen noch zu tun? Warum nehmen Gläubige heute nicht ihre von der Welt - auch der frommen Welt - abgesonderte Stellung ein? Ach, ist es nicht, weil man das Gefühl für die Verunehrung des Herrn und die Beiseitesetzung Seines Wortes verloren hat? Der Herr besitzt das Herz nicht mehr allein. Gewiß, man nimmt nicht an groben Dingen teil, wie auch sicher der alte Prophet die Abgötterei Jerobeams nicht mitmachte. Man will neutral stehen. Man ist gleich denen in Laodizäa, nicht kalt und nicht warm. Solche Gläubigen läßt die Welt sich gefallen, solche verachter sie nicht. Der alte Prophet wurde sicher in Bethel als eine ehrwürdige Person anerkannt, ebenso wie einst auch die Person und das Wort Lots im Tore Sodoms anerkannt wurden. Die Verunehrung des Herrn und die Nichtachtung Seines Wortes fallen solchen Gläubigen nicht aufs Herz, und sie haben kein Empfinden dafür, daß sie das Zeugnis der Wahrheit durch ihre Gemeinschaft mit Ungläubigen schwächen. (2Kor 6,14ff).
Als die Söhne des alten Propheten kamen und ihrem Vater erzählten, was an jenem Tage zu Bethel geschehen sei, teilten sie ihm auch die Worte mit, die der Mann Gottes dem König geantwortet habe, als dieser ihn in sein Haus einlud. Es ist gut zu verstehen, daß der alte Prophet den Wunsch hatte, diesen treuen und mutigen Zeugen, den Jehova so wunderbar bestätigt hatte, kennenzulernen und Gemeinschaft mit ihm zu haben. Als er sich auf den Weg gemacht und ihn gefunden hatte, lud er ihn in sein Haus ein. Nun hört er, daß Gott es ihm bedingungslos verboten hatte, „an diesem Orte“ Brot zu essen und Wasser zu trinken. Dieses Gebot Gottes hätte sein Gewissen erreichen und ihm sagen müssen, daß er selbst „an diesem Orte“ nicht nur Brot aß und Wasser trank, sondern sogar seine Wohnung hatte. Aber sein Gewissen wird nicht berührt, und dies zeigt den Stand seines Herzens Jehova gegenüber. Hätte er in der Furcht Jehovas gestanden, so würde er den Mann Gottes ermutigt haben, den Befehlen seines Gottes gehorsam zu bleiben. Statt dessen mißachtet er das klare Wort Jehovas und verleitet seinen Bruder zur Übertretung. Er schrickt, um sein Ziel zu erreichen, nicht vor einer Lüge zurück, ja, nicht einmal davor, die Lüge als einen Ausspruch Jehovas auszugeben. Wozu ist doch der Mensch fähig - ja, ein Gläubiger fähig -, wenn er die Furcht Gottes verläßt! Wie ernst mahnt uns diese Geschichte an das Wort: „Wachet, stehet fest im Glauben!“ (1Kor 16,13) „Wer zu stehen sich dünkt, sehe zu, daß er nicht falle!“ (1Kor 10,12)
Wenn wir uns fragen, warum der alte Prophet so beharrlich sein Ziel, den Mann Gottes in sein Haus zu bringen und mit ihm zu essen und zu trinken, verfolgte, so können wir den Grund dafür nur in dem Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ahnen. Aus dem Bericht der Söhne des alten Propheten sehen wir, daß die Leute in Bethel wußten, daß der Mann Gottes „an diesem Orte“ nicht bleiben und nicht essen und trinken durfte. Mußten die Leute nicht merken, daß, wenn der alte Prophet „an diesem Orte“ wohnte, er mit diesen Worten Jehovas in Widerspruch stand? Fiel es nicht auf, daß der Mann Gottes, so wie er nicht in das Haus des gottlosen Jerobeam, ebenso auch nicht in das Haus des alten Propheten einkehren durfte?
Versetzen wir uns einmal selbst in diese Lage! Fühlen wir dann nicht, welch eine Versuchung es für den alten Propheten war, den Mann Gottes in sein Haus zu bringen und ihn zu veranlassen, wenigstens mit ihm Brot zu essen und Wasser zu trinken? Welch eine Anerkennung wäre es für ihn! Dann wäre doch mindestens ein Unterschied zwischen ihm und dem gottlosen Jerobeam gemacht und der Eindruck verwischt, daß sein Haus von dem Manne Gottes ebenso gemieden wäre wie das Haus Jerobeams. Vom menschlichen Herzen aus gesehen können wir ahnen, wieviel dem alten Propheten daran liegen mußte, sich und sein Haus in den Augen des Volkes dadurch wieder in Ansehen und Ehre zu bringen, daß der Gottesbote nicht in das Haus des Königs, aber in sein Haus einkehrte und mit ihm aß und trank.
Ach, wie scheut doch der Mensch keine Mühe und Beschwerde, List und Tücke, wenn es sich um sein Ansehen und seine Ehre handelt; und wie wenig Zeit und Mühe hat er übrig, wenn es sich um die Ehre und das Ansehen des Herrn handelt! Ja, „arglistig ist das Herz, mehr als alles, und verderbt ist es; wer mag es kennen?“ (Jer 17,9) Und Salomo sagt: „Mein Sohn, merke auf meine Worte ... Behüte dein Herz mehr als alles, was zu bewahren ist; denn von ihm aus sind die Ausgänge des Lebens.“ (Spr 4,20.23)
Als er den Mann Gottes in sein Haus geführt hatte, werden da nicht die großen Taten und die Gerichtsankündigung Gottes das Tischgespräch gewesen sein? Ich kann es mir nicht anders denken, als daß das Gewissen des alten Propheten unter diesen Gesprächen zum Erwachen kam. Überwältigt von seiner eigenen Schuld und Sünde, wird er nun der Mund Gottes, seinem Bruder die Strafe zu verkünden. Bedrückt sattelte er ihm den Esel, und der Mann Gottes zieht seines Weges. Bald darauf vollzieht Gott das angekündigte Gericht über Seinen Knecht. Leute, die des Weges kommen, sehen seinen Leichnam liegen und den Löwen daneben stehen. Sie kommen in die Stadt und erzählen, was sie gesehen haben.
Als dies zu den Ohren des alten Propheten kommt, spricht er sofort: „Dies ist der Mann Gottes, der dem Befehle Jehovas widerspenstig gewesen ist.“ Deckt Gott in dem Worte „widerspenstig“ nicht etwas von dem auf, was Sein Auge im Herzen des Mannes Gottes sah? Als er von dem König eingeladen wurde, antwortete er: „Ich würde nicht mit dir hineingehen“ (V. 8); als der alte Prophet ihn einlud, antwortete er ihm: „Ich kann nicht ... mit dir hineingehen.“ (V. 16) In diesem „kann nicht“ liegt leise die Bereitwilligkeit, dem alten Propheten in sein Haus zu folgen; in dem Worte „widerspenstig“ die Abneigung und das Sträuben des Herzens, dem Befehl Jehovas jetzt zu gehorchen!
Der alte Prophet läßt sich nun den Esel satteln, und vom Gewissen gestraft, schuld am Tode seines Bruders zu sein, macht er sich auf den gefahrvollen Weg, den Leichnam seines Bruders zu bergen. Er findet diesen nicht, wie er vermutet hatte, zerrissen, sondern hingeworfen auf dem Wege und den Löwen und Esel daneben stehen. Der Löwe durfte den Mann Gottes töten, aber, seiner Natur entgegen, den Leib nicht fressen noch den Esel zerreißen. Beide standen als stumme Zeugen der gewaltigen Hand Gottes neben dem
Leichnam. Niemand sollte das Wunder des Gerichtes Gottes als einen Unglücksfall hinstellen können. Gott vermag Seinen Gerichten ein solches Gepräge zu geben, daß selbst die Welt, die Gott nicht kennt, Seine Hand darin anerkennen muß. (Siehe auch 2Kön 17,24ff).
Welch ein Anblick mußte es für den alten Propheten sein, als er den Mann Gottes, mit dem er vor wenigen Stunden gegessen und getrunken hatte, tot hingeworfen auf dem Wege und neben ihm den Löwen und den Esel stehen sah! Reue, Jammer und Schmerz nagten jetzt an seiner Seele. Welchen Wert hatte sein Leben noch für ihn! Er achtet nicht der Gefahr, gleichfalls vom Löwen getötet zu werden, tritt an den Leichnam heran, nimmt ihn, und mit Mühe legt er ihn auf den Esel, um ihn in sein Grab zu betten.
Aus dem gequälten, reuevollen Herzen über seine eigene Schuld und das traurige Ende seines Bruders ringt sich nun die Klage: „Ach, mein Bruder!“ Solche Folgen hatte er nicht geahnt. Zu spät war es jetzt, etwas wieder gut zu machen. Welche Warnung für uns! Wie leicht nehmen wir es manchmal mit der Lüge und dem Truge und ahnen nicht die furchtbaren Folgen.
Konnte er auch im Leben nicht mehr mit dem Manne Gottes verbunden sein, so wollte er es wenigstens im Tode sein. Er befiehlt seinen Söhnen: „Wenn ich gestorben bin, so begrabet mich in dem Grabe, in welchem der Mann Gottes begraben ist; leget meine Gebeine neben seine Gebeine.“ (V. 31) Das Grab, in dem sie gemeinsam ruhten, sollte dem ganzen Volke ein Zeuge der Heiligkeit Gottes und der Zuverlässigkeit Seines Wortes sein.
Eins aber konnte er noch im Leben: sich mit dem Zeugnis des Mannes Gottes eins machen. Er bestätigt: „Das Wort wird gewißlich geschehen, welches er durch das Wort Jehovas ausgerufen hat wider den Altar, der zu Bethel ist, und wider alle Häuser der Höhen, die in den Städten Samarias sind.“ (V. 32) Wohl mag Gott mit der Ausführung Seines Wortes oftmals zögern, aber was Er sagt, das geschieht.
Als nach langer Geduld dann der Tag kam, da Gott durch Josia, den Sohn vom Hause Davids, das Gericht vollzog, da gedachte Gott dieses einsamen Grabes, in dem die Gebeine Seiner Knechte lagen. Sie mochten unter Seiner züchtigenden Hand „an diesem Orte“ - dieser Stätte ihrer Untreue, auch begraben worden sein, aber das Gericht sollten sie nicht mit den Abtrünnigen dort teilen. An diesem Tage des Gerichtes ehrte Gott Seine beiden Knechte und rettete sie. Ihr Grab durfte nicht verletzt und ihre Gebeine nicht bewegt, geschweige mit denen der Abtrünnigen verbrannt werden (2Kön 23,15-19). „Wenn wir untreu sind - Er bleibt treu.“ (2Tim 2,13) Seine züchtigende Hand mag uns auch heute, wie es einst in Korinth geschah, mit dem Tode strafen, aber wenn es geschieht, „so werden wir vom Herrn gezüchtigt, auf daß wir nicht mit der Welt verurteilt werden“. (1Kor 11,32)
Wie ernst und vielseitig redet diese Geschichte zu unserem Herzen! O daß wir daraus lernen möchten, über unser Herz wachsam zu sein und die Nähe Sodoms zu meiden und uns warnen zu lassen, unser Ohr jemandem zu leihen, dessen Worte im Widerspruch mit den klaren und sicheren Worten unseres Gottes sind, wie hoch der Rang und Stand, das Ansehen und die Gelehrsamkeit eines solchen auch sein mögen! Die Schrift warnt uns: „Geliebte, glaubet nicht jedem Geiste!“ (1Joh 4,1) „Sehet zu, daß nicht jemand sei, der euch als Beute hinwegführe durch die Philosophie und durch eitlen Betrug nach der Überlieferung der Menschen, nach den Elementen der Welt, und nicht nach Christo.“ (Kol 2,8)
Laßt uns nie vergessen, daß unsere Verantwortung, dem Worte des Herrn gehorsam zu sein, bleibt, auch wenn der Feind uns mit noch so großer Gewalt und List umstellt, und daß auch die Sünde anderer, womit sie wider uns sündigten, unsere Untreue nicht entschuldigt noch uns schützt vor der strafenden Hand des Herrn. „Bewahre mich wie den Augapfel im Auge; birg mich in dem Schatten Deiner Flügel.“ (Ps 17,8)
A. v. d. K.