Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 11 -Jahrgang 1926
1Pet 1,1.2 - „Worte an Fremdlinge“
Worte an Fremdlinge - (1)Worte an Fremdlinge - (1)
Gott richtet Sein Volk und regiert alles nach ewigen Gesetzen Seines Wohlgefallens. In den Petribriefen können wir etwas von Seinem Regieren und Walten lernen, und zwar im ersten Briefe über Sein Volk und im zweiten Briefe über die Gottlosen.
Im 1. Kapitel des 1. Briefes sehen wir, wie Gott in Seiner Gnade und Heiligkeit jetzt über Sein Volk waltet, um es auf dem Pilgerpfade hienieden in den mannigfachen Versuchungen und Prüfungen aufrecht zu erhalten und zu ermutigen. Im 2. Kapitel - werden wir dagegen mit Vorrechten der Gläubigen bekannt gemacht.
In diesem Briefe vollführt Petrus den Auftrag Seines Herrn: „Weide Meine Lämmer!“ Schon vor dem Fall hatte der Herr ihm gesagt: „Und bist du einst zurückgekehrt, so stärke deine Brüder.“ (Lk 22,32). Aber nach seinem Fall und nach seiner öffentlichen Wiederherstellung gab Er ihm vor allen Jüngern den Auftrag: „Weide Meine Schafe!“
Dreimal hatte Petrus geleugnet, seinen Herrn zu kennen, und dreimal gab der Herr ihm den Auftrag, Seine Schafe zu weiden. Als er den Herrn verleugnete, traute er sich selbst. Selbstvertrauen ist die Wurzel all unserer Fehltritte. Aber als Petrus sich selbst nicht mehr traute, da konnte der Herr ihm vertrauen und ihm die Sorge für Seine Schafe übergeben. (Joh 21,15-17).
In dieser feierlichen Stunde fand nicht die erste Begegnung mit dem auferstandenen Herrn statt. Aus Lk 24,34 können wir ersehen, daß der Herr bereits früher eine solche mit ihm hatte. Wir wissen nicht, was in diesem Zusammensein zwischen Petrus und dem Herrn stattfand; der Herr hat einen Schleier darüber gezogen. Aber wir können etwas davon ahnen, wenn wir an Stunden zurückdenken, in welchen wir nach Fehltritten unsere erste Begegnung mit dem Herrn wieder hatten und wie alles vor Ihm aufgedeckt wurde.
Bei der öffentlichen Wiederherstellung in Joh 21 schenkte der Herr ihm vor allen Jüngern Sein volles Vertrauen wieder, indem er ihm das, was Er am meisten liebte - die Lämmer und Schafe Seiner Herde - in seine Hände legte. Kann ich mein Vertrauen einem Freunde mehr und deutlicher beweisen, als wenn ich bei meinem Weggange das mir Teuerste und Kostbarste in seine Hand lege? Dies tat der Herr dem Petrus. Welche Gnade!
Wie teuer muß dem Petrus dieser Auftrag des Herrn gewesen sein! Er konnte ihn nie vergessen. Und haben nicht auch wir alle einen Auftrag vom Herrn empfangen? Sollen wir nicht Seine Zeugen sein? Wie teuer ist uns der Auftrag unseres Herrn? Können wir ihn vergessen? Petrus vergaß ihn nicht. Konnte er die Schafe der Herde nicht mehr mündlich ermahnen, trösten, lehren, so tat er es schriftlich. Er sagt uns selbst, daß dies der Zweck seines Briefes ist: „Ich habe euch mit wenigem geschrieben, euch ermahnend (oder ermunternd), daß dies die wahre Gnade Gottes ist, in der ihr stehet.“ (1. Petrus 5,12).
Sichtungszeiten waren über die Gläubigen hereingebrochen. Sie hörten das Brüllen des Löwen, der sie verschlingen wollte (Kap. 5,8). Petrus sucht sie nun schriftlich in ihren Leiden zu trösten und zu heiligem Wandel zu ermuntern. Er ermahnt sie, besonnen und nüchtern zu sein (Kap. 4,7), und richtet ihren Blick auf das himmlische Erbe und den nahen Tag der Herrlichkeit, der allem Leiden dieser Zeit ein Ende machen wird, und sucht ihnen zu zeigen, daß Gott noch über Sein Volk waltet und im Regimente sitzt. Es ist ein Brief des Trostes und der Ermahnungen.
Laßt uns nun beachten, an wen Petrus seinen Brief richtet. Er schreibt ihn an die „Fremdlinge von der Zerstreuung von Pontus, Galatien, Kappadozien, Asien und Bithynien“ (V. 1). Sie waren in erster Linie gläubige Juden, die z. T. durch die Verfolgung, die sich nach dem Tode des Stephanus erhob, außer Landes weithin zerstreut worden waren.
Als Petrus diesen Brief schrieb, stand bereits alles, was dem Judentum angehört, unter dem Gericht Gottes. Die dem Judentum eigene nationale irdische Berufung war beiseite gesetzt und an deren Stelle die himmlische Berufung (Heb 3,1) getreten. Er wendet sich in diesem Briefe nun an die, welche einst dem Judentum angehörten, um ihnen die himmlische Berufung zu entfalten.
Die himmlische Berufung umfaßt mehr als nur die Gemeinde. Abraham z. B. gehörte nicht zur Gemeinde, dem Leibe Christi, aber er war ein Genosse und Teilhaber der himmlischen Berufung. „Denn er erwartete die Stadt, welche Grundlagen hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist.“ (Heb 11,10).
Es ist wichtig, zu sehen, wie der Heilige Geist in diesem Briefe die Herzen der Zerstreuten und Vertriebenen durch den Apostel der Beschneidung nach dem Himmel richtet.
Er beginnt seinen Brief mit der Versicherung, daß sie „auserwählt sind nach der Vorkenntnis Gottes, des Vaters, durch Heiligung des Geistes, zum Gehorsam und zur Blutbesprengung Jesu Christi.“ (V. 2). Sie sollten nicht nur wissen, zu welcher herrlichen Stellung sie durch Gottes Gnade gebracht seien, sondern auch dieses zu ihrer Freude und Stärkung in ihren Herzen tragen.
In dem 2. Verse können wir auch etwas von der wunderbaren Dreieinigkeit sehen. Es sind nur wenige Stellen der Schrift, in denen wir die Dreieinigkeit finden. Hier wird geredet von der Auserwählung des Vaters, der Heiligung des Geistes und dem Blute des Sohnes.
Die Auserwählung ist persönlich. Der Vater ist es, der die einzelne Person erwählt. Diese Auserwählung fand statt „vor Grundlegung der Welt“ (Eph 1,4), und zwar auf Grund der Vorkenntnis Gottes des Vaters.
Manche sprechen davon, daß die Gemeinde auserwählt sei, und berufen sich darauf, daß im 5. Kap., V. 13 von der Gemeinde in Babylon als von der „Miterwählten“ gesprochen wird. Dies ist aber nicht der Fall. Wohl haben einige Übersetzer das Wort „Gemeinde“ in diese Stelle eingeschoben, es steht aber nicht im Grundtext. Dort steht nur: „Es grüßt euch die Miterwählte in Babylon“, womit wahrscheinlich eine in jener Zeit wohlbekannte Schwester (vielleicht auch die Brüderschaft, V. 9)! gemeint ist. Aber wie dem auch sei, das „Geheimnis“ (die Gemeinde) war „vor den Zeitaltern her verborgen in Gott“ (Eph 3,9), und in der ganzen Schrift finden wir nicht einen solchen Gedanken, daß die Gemeinde „auserwählt“ ist.
Die Auserwählung ist eine Sache, die der Familie Gottes angehört, und jedes Kind Gottes sollte mit dem, was die Schrift darüber sagt, vertraut sein. Manche aber haben sich über die Auserwählung beunruhigt, statt sich ihrer zu erfreuen. Sie gehört zu den Perlen der Kinder Gottes, die nicht vor die Säue geworfen werden sollen, da diese ihren Wert und Inhalt nicht verstehen können. Der Welt haben wir nicht die Auserwählung, sondern das Evangelium zu bringen. Für die Gläubigen aber ist die Auserwählung unaussprechlich kostbar. In ihr sehen wir den Anfang und Ursprung all unserer Segnungen.
Zum leichteren Verständnis möchte ich ein oft gebrauchtes Bild benutzen: Da ist ein Haus des Überflusses. Alle Bewohner desselben leben in Frieden und Freude. Ich komme zur Tür des Hauses und finde daran die Worte geschrieben: „Wer da will, der komme herein!“ Dies ist das Evangelium; es ladet alle ein, die draußen sind, und gibt jedem, der da will, das Recht des Eintrittes. Ich mache Gebrauch von der Einladung und trete ein. Drinnen, an der inneren Seite der Tür lese ich nun zu meinem Erstaunen die Worte: „Auserwählt vor Grundlegung der Welt“ und erfahre, daß, wer hier hineingegangen ist, nie hinausgehen noch hinausgestoßen wird. Da sehe ich meine völlige und ewige Errettung, und daß der Ausgangspunkt meiner Errettung nicht erst die Stunde meines Kommens, sondern die Auserwählung war, daß meine Errettung auch nicht auf dem Kreuz auf Golgatha ihren Ursprung, sondern ihren Urgrund längst zuvor in der Ewigkeit - in der Auserwählung vor Grundlegung der Welt hatte. Die Schöpfung, das Erlösungswerk Christi, meine Errettung usw., alles waren die Folgen der Auserwählung Gottes des Vaters.
Die Wahrheit der Auserwählung enthält nichts, was den Gläubigen beunruhigen oder ungewiß machen könnte, sondern im Gegenteil, sie dient zu seiner Befestigung; sie macht ihn los von sich selbst und läßt ihn ruhen in den ewigen Ratschlüssen und Erbarmungen der Liebe Gottes.
Manche wollen in der Torheit ihres Herzens zuerst wissen, ob sie auserwählt sind, und dann wollen sie dem Evangelium glauben, gerettet zu sein. Die Reihenfolge ist aber umgekehrt. Zuerst haben wir dem Evangelium zu glauben. Die Annahme des Heils in Christo bringt mir die Errettung. Und in der Annahme des Heils und der Errettung finde ich zugleich die Gewißheit meiner Auserwählung. Daran, daß die Thessalonicher das Evangelium angenommen hatten, daran wußte Paulus, daß sie auserwählt waren, und daran wissen wir, daß wir auserwählt sind. (1Thes 1,4-6). Was ich wissen muß, um errettet zu werden, ist, daß ich ein verlorener Sünder bin, aber nicht, daß ich ein Auserwählter bin; denn nicht als ein Auserwählter habe ich zu Christus zu kommen, sondern als ein Sünder, der aus Gnaden die Vergebung seiner Sünden haben möchte. Danach, wenn ich in das Haus der Gnade eingetreten bin, komme ich zur Erkenntnis meiner Auserwählung, aber nicht zuvor.
Der Vater trifft Seine Auswahl gemäß Seiner für uns unerfaßbaren Vorkenntnis. In der Ewigkeit, ehe du da warst, sah Sein Auge dich schon - erkannte Er dich, dein ganzes Dasein und Leben nach innen und außen; und gemäß dieser Seiner Vorkenntnis erwählte Er dich. „Die Er zuvor erkannt hat, die hat Er auch zuvor bestimmt, dem Bilde Seines Sohnes gleichförmig zu sein ... die Er aber zuvor bestimmt hat, diese hat Er auch berufen; und welche Er berufen hat, diese hat Er auch gerechtfertigt; welche Er aber gerechtfertigt hat, diese hat Er auch verherrlicht“ (Röm 8,29.30).
Das „Zuvorerkennen“, „Auswählen“ und „Zuvorbestimmen“ geschah in der Ewigkeit (vor Grundlegung der Welt). - Das „Berufen“ und „Rechtfertigen“ aber geschieht jetzt, in der Zeit, durch das Wort Gottes und die Wirksamkeit des Heiligen Geistes.
Der 2. Vers steht im direkten Gegensatz zum Judentum, denn der Name Gottes als „Vater“ ist nur dem Christentum eigen.
El Schaddai, Gott der Allmächtige, ist der Name, in welchem Gott Sich Abraham offenbarte; Abrahams Vollkommenheit zeigte sich darin, als ein Pilgrim in Abhängigkeit vor „Gott dem Allmächtigen“ zu wandeln. - Jehova war der Name, in welchem Er von Seinem Volk Israel gekannt wurde; die Vollkommenheit des Volkes zeigte sich in dem Gehorsam Seiner Gebote. - Aber „Vater“ ist der Name, in dem Gott Sich uns geoffenbart hat - und in dem Ihm-gleich-sein zeigt sich unsere Vollkommenheit: „Ihr nun sollt vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist“ (Mt 5,48).
Es ist etwas Wunderbares für meine Seele, zu denken, daß Gott mein Vater ist, zu erkennen und das Bewußtsein zu haben, daß ich durch das Werk des Sohnes Gottes als Mensch mit Gott dem Vater in Verwandtschaft gebracht bin.
Diese wunderbare Verwandtschaft wurde den Jüngern zum ersten Male verkündigt, als der Herr ihnen durch Maria die Botschaft sandte: „Ich fahre auf zu Meinem Vater und zu eurem Vater“ (Joh 20,17). Hast du, lieber Leser, diese kostbare Verwandtschaft, in der du Gott als „Vater“ anreden darfst, in deinem Herzen erkannt?
In diesem 2. Verse finden wir an erster Stelle die Auserwählung Gottes des Vaters und an zweiter die Heiligung des Geistes. Manche mögen denken, daß die Blutbesprengung Jesu Christi vor der Heiligung des Geistes kommen müsse - aber Gott bringt diese Reihenfolge. Warum? Weil es überaus köstlich ist, zu sehen und zu wissen, daß wir bei unserer Bekehrung direkt unter der Wirksamkeit des Heiligen Geistes standen. Wir müssen unterscheiden zwischen der Wirksamkeit des Heiligen Geistes an einem Menschen und der Innewohnung des Heiligen Geistes in einem Gläubigen. Dieses sind zwei ganz verschiedene Dinge.18 Der Heilige Geist ist es, der den Anfang in uns macht und uns heiligt - unsere Herzen absondert - zur Aufnahme Seines Wortes.
Hierin stehen wir in einem bemerkenswerten Gegensatz zum Judentum. Israel wurde durch äußere Verordnungen für Gott abgesondert, wir aber werden durch das innere Werk des Heiligen Geistes in unserer Seele abgesondert zum Gehorsam und zur Blutbesprengung Jesu Christi. Dies ist die Reihenfolge, in der wir wohl alle geführt wurden und in der wir das Bewußtsein der Vergebung durch das Blut Jesu Christi erlangten.
In Saulus von Tarsus haben wir in der Schrift gleichsam das Musterbeispiel einer Bekehrung. Als er den Herrn Jesus „Herr“ nannte, wirkte der Heilige Geist in ihm, denn niemand kann Ihn in Wahrheit „Herr“ nennen ohne den Heiligen Geist (1Kor 12,3). Da ließ er seinen eigenen Willen fahren und fragte: „Was willst Du, das ich tun soll, Herr?“ (Apg 22,10). Hier fing der Gehorsam an. Wohl verstand er noch nicht die Reinigung durch das Blut Jesu, aber der Wille seines Herzens war gebrochen, und er war nun bereit, den Willen Gottes zu tun. Drei Tage stand er noch in tiefer Seelennot, alsdann wurde er durch den Dienst des Ananias weiter geführt zur Gewißheit der Vergebung seiner Sünden. Dies ist im allgemeinen Gottes Weg.
Jede Seele, die unter dem gnadenvollen Wirken des Heiligen Geistes steht, begehrt dem Worte des Herrn gehorsam zu sein und kommt zu der Erfahrung der Vergebung der Sünden „durch den Glauben an Sein Blut“, und „Gnade und Friede“ wird ihr „vermehrt“. (V. 2).
(W). v. d. K.
18 Diese und andere Unterschiede sind in dem Büchlein „Der Heilige Geist, der in uns wohnt“ eingehend behandelt. Zu haben bei A. v. d. Kammer, Kl.↩︎