Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 14 - Jahrgang 1929
Joh 13,36 – „Der notwendige Zwischenraum“Joh 13,36 – „Der notwendige Zwischenraum“
„Du kannst Mir jetzt nicht folgen; du wirst Mir aber später folgen.“ (Joh 13,36)
Als die Kinder Israel ihre Wüstenreise vollendet hatten und im Begriff standen, in das verheißene Land einzugehen, flossen die Wasser des Jordans hindernd zwischen ihnen und dem Lande ihrer Hoffnung. Der Jordan ist hier in einer gewissen Beziehung ein Bild des Todes, ebenso wie auch das Passah und das Rote Meer Bilder des Todes sind.
In dem Passah sehen wir den Tod als die Sühnung für die Sünden des Volkes, durch welches es vor dem Gericht Gottes bewahrt wurde, das über Ägypten kam.
In dem Roten Meere sehen wir den Tod als die Errettung und Befreiung des Volkes aus dem Lande Ägypten und der Macht Pharaos. Durch den Tod wurde der zunichte gemacht, der die Macht des Todes hatte, und wurden alle die befreit, welche das ganze Leben hindurch der Knechtschaft unterworfen waren. (Heb 2,14; 2Tim 1,10)
Der Jordan ist wiederum ein Zeugnis von dem Tode, und zwar nicht von dem Tode als dem Gericht über unsere Sünden (wie bei dem Passah), sondern über den Menschen im Fleische selbst, der als völlig unverbesserlich und untauglich von Gott in dem Tode Christi auf immerdar abgetan wurde.
Das Blut des Passahlammes trennte das Volk Israel von den Ägyptern.
Das Rote Meer trennte Ägypten von der Wüste.
Der Jordan trennte die Wüste von dem Lande Kanaan.
So gelangten die Kinder Israel durch das Rote Meer in die Wüste und nach der Wüstenreise durch den Jordan in das Land Kanaan.
In Ägypten, in der Wüste und in dem Lande Kanaan sehen wir drei verschiedene Stellungen der Kinder Gottes. In Wirklichkeit befinden wir uns dem Vorbilde nach in Ägypten. Unseren täglichen Erfahrungen nach befinden wir uns in der Wüste. Durch Glauben und im Geiste wandeln wir schon im himmlischen Kanaan.
Wie gesagt, dem Leibe nach sind wir in dieser Welt. In geistlicher Hinsicht, dem neuen Leben nach, befinden wir uns in der Wüste, dem Geiste nach leben und haben wir unseren Verkehr schon droben in unserer Heimat, wo Christus, unser Vorläufer, schon eingegangen ist.
Ehe das Volk das verheißene Erbe antreten konnte, mußte es den Jordan durchschreiten. Wie eine undurchbrechbare Barriere versperrte er ihnen den Weg. Und wohl nie war der Übergang so versperrt wie in der Stunde, da der „lebendige Gott“ (Jos 3,10) bereit stand, für Sein Volk einzutreten. Denn wir lesen von dem Jordan, daß er voll Wasser war an allen seinen Ufern die ganze Zeit der Ernte (Jos 3,15). Der Tod trug nie eine schrecklichere Gestalt als in der Stunde, da der Fürst des Lebens ihn um unsertwillen zunichte machte und ihn umwandelte in einen offenen Weg, durch den wir zu unserer himmlischen Heimat gelangen können.
Der tiefe Jordangrund war ein unbetretbarer Weg für das Volk Israel. Die Wasser bedeckten das Jordanbett; niemand konnte auf diesem Wege hinübergehen. Sie mußten warten, bis die von den Priestern getragene Bundeslade des lebendigen Gottes vor ihnen herging und ihnen den Weg durch das Jordanbett auftat. Wir lesen: „Und es geschah am Ende von drei Tagen, da gingen die Vorsteher mitten durch das Lager, und sie geboten dem Volke und sprachen: Wenn ihr die Lade des Bundes Jehovas, eures Gottes, sehet, und die Priester, die Leviten, sie tragen, dann sollt ihr von eurem Orte aufbrechen und ihr nachfolgen. Doch soll zwischen euch und ihr eine Entfernung sein bei zweitausend Ellen an Maß. Ihr sollt ihr nicht nahen, auf daß ihr den Weg wisset, auf dem ihr gehen sollt; denn ihr seid des Weges früher nicht gezogen.“ (Jos 3,2-4) „Und Josua sprach zu den Kindern Israel: Tretet herzu und höret die Worte Jehovas, eures Gottes! Und Josua sprach: Hieran sollt ihr wissen, daß der lebendige Gott in eurer Mitte ist, und daß Er die Kanaaniter... gewißlich vor euch austreiben wird. Siehe, die Lade des Bundes des Herrn der ganzen Erde zieht vor euch her in den Jordan.“ (Jos 3,9-11)
Hier haben wir ein wunderbares, köstliches Bild von dem Herrn Jesus Christus, wie Er die Macht des Todes für die Seinigen überwand. Er begegnete und überwand den Tod, als er sich in seiner schrecklichsten Gestalt zeigte. Die mächtigen Fluten des Jordans hatten die Ufer überschritten, aber vor der Bundeslade mußten sie zurückweichen, und eine Straße zum Eingang in das Land wurde den Erlösten des Herrn geöffnet. „Und die Priester, die die Lade des Bundes Jehovas trugen, standen festen Fußes auf dem Trockenen in der Mitte des Jordans; und ganz Israel zog auf dem Trockenen hinüber, bis die ganze Nation vollends über den Jordan gegangen war.“ (Jos 3,17) Es war ein völliger Sieg des Lebens über den Tod. Die Macht des lebendigen Gottes wandelte den Tod so in einen Weg des Lebens um, daß die finsteren Wasser des Todes nicht einen Fuß der erlösten Kinder Gottes berühren durften.
Von der Entfernung aus sahen die Wasser des Jordans schrecklich aus. Dem natürlichen Auge mußten sie furchtbar erscheinen, aber in dem Augenblicke, wo das Volk sich dem schrecklichen Jordan nahte, fanden sie statt einer schrecklichen Flut nichts anderes als einen trockenen Pfad, der ins verheißene Land führte. In der Bundeslade und den Priestern sahen sie Gott, den lebendigen Gott, der Sich in Gnade und Wahrheit ihnen offenbarte. Alles war ganz verändert. Gott trat für sie ein, und der Tod war für sie nicht mehr der Tod. Sünde brachte den Tod in die Welt, und die Sünde ist der Stachel des Todes. Aber die Gnade Gottes ist erschienen, und alles ist verändert, so daß der Gläubige sagen darf: „O HErr, davon lebt man, und das Leben meines Geistes besteht ganz darin“. (Jes 38,16, Luth).
Hier tritt uns der Triumph der Gnade Gottes, die durch die Gerechtigkeit herrscht zum ewigen Leben, durch Jesum Christum, unseren Herrn , in seinem vollen Glanze entgegen. Gottes Gnade hat in Christo den Tod in einen Diener des Gläubigen umgewandelt. Statt ein furchtbarer Feind zu sein, ist er tatsächlich ein Teil unseres Besitztums (1Kor 3,21). Statt eine unübersteigbare Schranke zu sein, ist er ein offener, geebneter Pfad für uns geworden.
Ein Gegenbild von dem, was wir in Josua 3 gesehen haben, finden wir in Johannes 13. Unser hochgelobter Herr unterweist dort Seine Jünger, daß Er vor ihnen her durch den Jordan des Todes gehen müsse und daß eine Spanne, ein Zwischenraum zwischen Ihm und ihnen sein müsse. Als Sein Fuß den furchtbaren Jordan betrat, konnten sie Ihn nicht begleiten. Er sagt: „Kinder, noch eine kleine Weile bin Ich bei euch. Ihr werdet Mich suchen, und so wie Ich den Juden sagte: Wo Ich hingehe, könnt ihr nicht hinkommen, so sage Ich jetzt auch euch.“ (Joh 13,33)
Auf diesem Weg des Todes, den Er jetzt gehen wollte, konnten die Jünger Ihn nicht begleiten. Es war für die Jünger ebenso unmöglich wie für die Juden. Niemand konnte diesen Weg betreten. Jesus mußte ihn ganz allein gehen. Wer konnte Ihn begleiten? Wer konnte den Mächten der Finsternis, der List Satans, der Wut der Hölle und vor allem dem Zorn Gottes begegnen? Wer war dazu fähig als allein Er, der Gott und der Mensch war?
Petrus verstand dieses nicht. Er meinte, dem Tode begegnen und es wagen zu können, den göttlich bezeichneten Abstand, diese geheimnisvolle „Entfernung von 2000 Ellen“, nicht innezuhalten. Armer Petrus! Ihm kam kein Gedanke, daß schon das Rauschen der furchtbaren Jordanfluten des Todes ihn so erschrecken würde, daß er mit Flüchen und Schwüren leugnen würde, seinen Herrn zu kennen. Er fragte: „HErr, wohin gehst Du? Jesus antwortete ihm: Wo Ich hingehe, kannst du Mir jetzt nicht folgen; du wirst Mir aber später folgen.“ (Joh 13,36)
Unser geliebter Herr sagte Seinem schwachen Jünger mit diesen Worten, daß Er ihm vorausgehen müsse, um durch die dunklen Wasser des Todes einen trockenen Weg zu öffnen, auf welchem Petrus in Gemeinschaft mit allen Erlösten unversehrt in die Herrlichkeil gehen könne. Wunderbare Gnade!
Er betrat einsam und allein den finsteren, furchtbaren Weg des Todes. Allein, ganz allein begegnete Er dem Tode in seiner ganzen Kraft und allen seinen Schrecken. Kein Ufer war dort, welches dem Jordan Schranken setzte; kein Lichtstrahl bot sich Seiner Seele. Satans Bosheit umgab Ihn. Treulos waren Seine Freunde geflohen, und nachdem der Teufel und die Menschen ihr äußerstes getan hatten, kam das Schaurigste für Ihn, welches kein Mensch und kein Engel zu erfassen vermag: das Trinken des Kelches des gerechten Zornes Gottes wider die Sünde. Einsam und verlassen, im Dunkel des Gerichtes rief Er: „Mein Gott, Mein Gott, warum hast Du Mich verlassen?“
Alles dies war eingeschlossen in die Antwort des Herrn auf die Frage Petri: „Wohin gehst Du?“ Wer war fähig, Seine Antwort zu verstehen? Der Herr gibt deshalb keine weitere Erklärung. Er sagt einfach: „Du kannst Mir jetzt nicht folgen, du wirst Mir aber hernach folgen“. Petrus sollte dem Herrn folgen, wenn Er ihm den Weg geöffnet hatte. Dann vermochte er es. Welch ein gnadenvoller Herr und Meister ist Er! Er mußte all den Schrecken des Todes begegnen, damit wir die Freude des ewigen Lebens genießen möchten.
Petrus konnte die Andeutungen des Herrn nicht erfassen. Er sagt: „HErr, warum kann ich Dir jetzt nicht folgen? Mein Leben werde ich für Dich lassen.“ Fragend antwortete ihm Jesus: „Dein Leben willst du für Mich lassen? Wahrlich, wahrlich, Ich sage dir, der Hahn wird nicht krähen, bis du Mich dreimal verleugnet hast.“ (V. 38) Hiermit beendet Johannes seinen Bericht. Petrus kannte weder sich selbst noch den Weg, den er voll Selbstvertrauen meinte betreten zu können. Jesus aber kannte beides. Gepriesen sei Sein Name!
Er ging als Erster den Pfad allein und führte dann Seinen schwachen Jünger in Frieden und Sieg auf demselben Pfade zur Herrlichkeit. Und welch eine Gnade leuchtet uns in den Worten: „Euer Herz werde nicht bestürzt“ entgegen. Jeden Gedanken, der Petrus und die anderen Jünger traurig machen konnte, sucht Er hinwegzunehmen. Sie hatten an Gott geglaubt; jetzt sagt Er: „Glaubet auch an Mich. In dem Hause Meines Vaters sind viele Wohnungen; wenn es nicht so wäre, würde Ich es euch gesagt haben, denn Ich gehe hin, euch eine Stätte zu bereiten.“ (Joh 14,1.2)
M. (v. d. K).