Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 20 - Jahrgang 1935
Röm 12,21 - Ein beherzigenswerter Rat (2)Röm 12,21 - Ein beherzigenswerter Rat (2)
(Fortsetzung). „Laß dich nicht von dem Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit dem Guten!“ (Röm 12,21)
Ohne auf die Fragen der Einleitung, die ich in Lief. 1 bringen durfte, noch einmal einzugehen, will ich nur kurz den Hauptgrundsatz hervorheben, daß obigem Worte zufolge von uns Gläubigen mehr als nur Passivität, stilles Dulden erwartet wird, daß wir vielmehr das uns umgebende und sonstige Böse so zu überwinden haben, daß dabei etwas Positives, Gutes, Wertvolles erreicht wird. Ich ging dann noch auf die Art und Weise ein, wie wir das uns allen so wohlbekannte Böse in uns auch nicht anders wirklich überwinden könnten als mit dem Guten, nämlich dem, welches uns die Lehre von Röm 6 an die Hand gibt, indem wir uns im Glauben der Sünde für gestorben, für Gott aber lebend in Christo Jesu erachten und so das alte „Ich“, als mit Ihm gekreuzigt, im Glauben stets in seine Todesschranken zurückweisen könnten usw. ... Bei diesem geistlichen Überwinden des Bösen mit dem Guten würden wir die Erfahrungen eines Siegeslebens machen, das auf andere Weise (etwa durch eigene Anstrengungen) nicht zu erzielen sei. Mögen wir also hierin die Kostbarkeit unseres Schriftworts erproben und darin täglich Erlebnisse und Fortschritte machen durch Seine Gnade!
Im folgenden gehe ich nun dazu über, Beispiele aus der Schrift zu besprechen, in denen der Grundsatz unseres Leitwortes mehr oder weniger offenbar oder wenigstens in etwas angestrebt wird.
Ich will, genau wie im vorigen Jahrbuch in meinem durchlaufenden Aufsatz „Wie kam es?“, keine bestimmte Reihenfolge beobachten, keine Steigerung, keine Einteilung geben, sondern die Beispiele so, wie der Herr sie mir wichtig machte und macht, nennen, besprechen und für den Leser wichtig zu machen suchen, und zwar gemäß Röm 15,4!
Als erstes greife ich aus der Fülle des Stoffs das doch geradezu „auf der Hand liegende“ Beispiel der Geschichte von David und Saul heraus, und zwar nach 1Sam 24 und 26! Eine kurze Skizzierung der Begebenheiten schicke ich voraus, wenngleich ich doch hoffen darf, daß diese im allgemeinen wohlbekannt sind!
Jahrelang, 4-6 Jahre hindurch, befand sich David auf der Flucht vor dem König Saul, und zwar war ersterer schon lange, zirka als 25jähriger, zum König gesalbt, als er durch den Neid Sauls (18,6-9) von diesem angefeindet, sich auf die Flucht vor diesem begeben mußte, dem er durch sein Saitenspiel (16,20-23) und durch seine siegreichen Kriegszüge (V. 13ff. und 30) doch nur Gutes erwiesen hatte. Und war die Rettung, die Jehova durch Davids Hand von dem Philister Goliath geschaffen hatte (1Sam 17), etwa ein Kleines? Nein, es war eine Großtat, aber gerade dieser und der sonstigen Erfolge wegen haßte Saul den tapferen jungen Krieger. (Vgl. z. B. 18,29)!
Es ist tiefbewegend zu sehen, zu welchen Bosheiten der unselige Saul fähig war, um damit David zu treffen (Vgl. 22,11-23). Sicher wird es jenen „Priestern Jehovas“ nicht vergessen werden, daß sie gleichsam für David ihr Leben ließen, aber wenn man bedenkt, daß 85 Mann fallen mußten, weil „ihre Hand mit David“ war (V. 17), so muß man staunen, daß David dann später so gütig und milde mit diesem seinem Todfeind zu handeln imstande war. Welch eine Illustration gibt er doch für unsere Stelle! - Die Zeit ging dahin, manches geschah, aber stets war David auf der Flucht vor Saul, Jonathan besuchte seinen Herzensfreund, aber zeigte sich nicht fähig, den Platz der Verwerfung (vgl. 22,1.2)! mit David zu teilen, 23,16ff. (wie ernst! darum dann später das traurige Ende des doch frommen Jonathan mit seinem gottlosen Vater, Kap. 31)!, und dann, nach einer gottgeschenkten, wunderbaren Bewahrung Davids (am Ende von Kap. 23), dann geschah die erste jener Begegnungen zwischen Saul und David, in denen dieser sich als ein echter Knecht Gottes, der auf Gottes Stunde warten kann, bewies und „das Böse mit dem Guten“ überwand: Kap. 24.
Nun ist es natürlich nicht nötig, über den einfachen Tatbestand, den jeder kennt oder neu nachlesen kann, etwas zu sagen; aber doch glaube ich auf einige Punkte näher hinweisen zu sollen, die das Tun Davids mehr ins Licht rücken können als eben nur der, wie gesagt, „einfache Tatbestand“. Ich will diese Punkte sozusagen nummerieren, um sie deutlicher zu machen:
1. Davids Aufenthaltsort ward - von wem auch immer - verraten. Wenn man sich verraten fühlt oder weiß, dann übt das auf das Verhalten gemeinhin eine üble Wirkung aus. Bei David auch?
2. Ob Davids Schar sich seit den Tagen von Adullam (Kap. 22,1.2) auch jetzt schon (vgl. 26,13) vergrößert hatte, wissen wir nicht genau, aber wenn 3000 (V. 3) gegen 400 stehen, so müssen letztere jede sich ihnen bietende Gelegenheit ausnützen, um bestehen zu bleiben. War David nicht ein Tor, daß er diese sich ihm einzig in der Art bietende Gelegenheit nicht ausnützte? Ja, ein Tor vor der Welt!
3. Hatte Gott ihm nicht eine so günstige Lage geschaffen, wie in V. 4 angegeben? Doch ganz sicher - aber wozu? Unsere Leitstelle sagt es! (Röm 12,21)
4. Hatten seine Männer nicht recht mit ihren Worten V. 5? Wenn wir auch nichts Näheres wissen über diese Weissagung, so wird doch mit der Tatsache dieses Augenblicks ein solches Wort Jehovas wahrscheinlich. Welche Versuchung ist dieser Augenblick, sind diese Worte seiner Leute - die doch auch das beständige Umherirren einmal satt bekommen konnten (V. 8a)! (vgl. 30,6!! Solche Gesinnung hat auch einmal einen Anfangspunkt, der tief verborgen und weit zurückliegen kann)! - für den geprüften Flüchtling! Dennoch, er sucht nicht sich, nicht sein Recht, nicht Rache, nicht Böses, er sucht nur mit Gutem das Böse zu überwinden.
5. Aber er schneidet - als Beweisstück (V. 12)! - den Zipfel vom Oberkleide Sauls ab. War's recht? Wir mögen so fragen, denn dem David schlug hernach das Herz2! Warum? Wegen des Zipfels? Gewiß nicht, dies Beweisstück trat ja auch nachher doch in seine Rechte! Aber warum schlug ihm denn das - so zartfühlende! - Herz? Weil er in seinem Tun, trotz aller guten Gesinnung, dennoch ein Ausstrecken seiner Hand nach dem Gesalbten Jehovas sah. Und ob er nicht einen Augenblick nur lang die Versuchung fühlte, dem Saul dennoch ein Leids zu tun? Wäre das nicht natürlich gewesen? Aber dann hätte er sich von dem Bösen überwinden lassen und - nie wäre er das in vielem so kostbare Vorbild auf den wahren David, Christus, geworden! Nein, dem Feinde seiner Seele wurde widerstanden, indem er den Feind seines Leibes leben ließ, und der Seelenfeind mußte weichen, während sein persönlicher Feind noch eine Zeit am Leben blieb, ihm aber doch nichts anhaben durfte. (Hier eine ganz kleine Bemerkung, Brüder: Kennen wir solche, darf ich sagen, „Zipfelgefahrenaugenblicke“? Kennen wir ein Spielen mit dem Gedanken an irgendein Unrecht, von dem wir nur einen „Zipfel“ wollen - aber wenn wir dabei sind, uns des Zipfels zu bemächtigen, dann bleiben wir nicht wie David, sondern dann wird die Gefahr uns zu groß, und wir erliegen ihr? Laß den „Zipfel“, wenn er eine Gefahr für dich werden könnte)!
6. Welch wunderbarer Sieg! David mochte solch Wort wie Röm 12,21 nicht kennen, aber diese Gesinnung war in ihm, und war's in diesem Falle nicht „die Gesinnung, die auch in Christo Jesu war“? (Phil 2,5) Und sind seine Worte, die er dann nachher an Saul richtet, als dieser der „Gefahr“, die für ihn eine hätte werden können, aber seitens eines David nicht wurde, entronnen war - sind seine Worte (V. 12-16) nicht ganz und gar neutestamentlich, ganz im Sinne der letzten Verse von Röm 12 oder von 1Pet 4,19? Ist es nicht so, daß heute - auch unter Gläubigen! - gar zu leicht nach V. 10 gehandelt und allen möglichen Verleumdungen geglaubt wird, während einfachen, aber lieblichen Tatsachen, wie z. B. zur Versöhnung hingestreckten Händen, nicht geglaubt wird? Ja, warum glaubte Saul nicht dem David, warum glaubte er den „Belialsmenschen“ - vgl. Spr 16,27: „ein Belialsmann gräbt nach Bösem!“ - auch nachher mehr als dieser Tat Davids, mit der dieser seine versöhnliche treue Gesinnung besser bewiesen hatte als mit dicken Briefen? Warum jagte Saul „einem toten Hunde, einem Floh“ (V. 15) lieber nach als den Landesfeinden? Weil sein Herz böse war, das ist es! Darum waren seine an sich schönen Worte, begleitet von Weinen (V. 17ff)., doch eben auch nur Worte und weiter nichts, und als die verräterischen Siphiter wieder kamen, um David in Sauls Hand zu liefern (26,1), da war ein Saul nur gar zu gern bereit, seine Worte von Kap. 24 zu vergessen und wieder mit 3000 Männern auszuziehen, um seinen Todfeind? nein, seinen einzigen, seinen besten Freund zu töten!
7. Wird David wieder imstande sein, Röm 12,21 zu verwirklichen? Wird er? O David hatte in Kap. 25 eine neue Probe bestanden, freilich nicht sofort! Der „Zipfel“ war eine größere Gefahr geworden als in Kap. 24 bei Saul. Aber - ohne daß ich näher auf diese Geschichte, David und Abigail (Nabals Weib) eingehen möchte - Jehova tritt ihm in Abigail wunderbar entgegen und verhindert ihn, in Blutschuld zu kommen, V. 26, und so erringt er auch hier einen herrlichen Sieg. Freilich, wenn man solch kostbare Worte hören darf wie Abigails Rede (V. 23-31), dann kann man nur trotzig sein und dadurch zu Fall kommen, oder man muß Sieger werden! David wurde Sieger, und wie schön, daß er zuerst Jehova dafür preist (V. 32, vgl. 39 Mitte)!, daß Er ihm die Abigail entgegengesandt hat. Erinnert das nicht an 1Kor 4,7: „Was hast du, das du nicht empfangen hast?“ Aber das weitere trifft David nicht: „Wenn du es aber empfangen hast, was rühmst du dich, als hättest du es nicht empfangen?!“ Demütiger David, wie spricht dein Verhalten doch zu unserem Herzen! Ja, du ließest dir sagen (V. 34.35) und offenbartest so wahre „Weisheit von oben“ (Jak 3,17)!, und darum (vgl. Spr 2,1-8; 3,7.8.19-26 u. a). wurdest du fähig zu noch größerem Siege als in Kap. 24, in Kap. 26!
Es ist wohl nicht nötig, dies Kapitel auch so aufzuteilen wie 24, es spricht ja zu deutlich zu uns! Aber einige Worte möchte ich darüber niederschreiben, die uns Davids noch immer (leider nicht mehr in 27)! schier vollkommene Gesinnung (Vorbild auf Christus, vgl. Ps 17,3)! zeigen und sein Tun gemäß Röm 12,21.
War die Gelegenheit nicht noch verführerischer als Monate zuvor? Brauchte hier David seine Hand zu beflecken? Abisai war ja so bereit zur Tat, und sicher - „nur ein einziges Mal“ hätte er seinen Speer gebraucht! (V. 8) Aber David als echter Führer weiß: Was der Unterführer tut, fällt auf den Führer zurück, wenn dieser es hätte hindere können3. Er erlaubt es nicht aus heiligen Beweggründen, wie das erstemal. Er fühlte seine Verantwortung (Wie leicht betrügen sich manchmal sogar Gläubige, indem sie durch andere ausüben lassen, was sie selber im Herzen hatten, und nun weniger schuldig zu sein wähnen!! Als wenn Gott Sich durch uns betrügen ließe)!. Nein, David bleibt schuldlos, so günstig auch die Gelegenheit gewesen wäre und so gern seine Leute auch endlich den lästigen Feind beseitigt hätten. Nein, David schafft sich nicht selber Hilfe (25,31), er kann warten und indessen gleich „einem Floh, einem Rebhuhn“ auf den Bergen bleiben (26,20). So siegt man! So ist es, wenn man sich nicht vom Bösen überwinden läßt, sondern das Böse überwindet mit dem Guten. Ja, dann kann man sogar andere belehren, andere strafen, weil sie nicht besser achtgegeben haben auf ihren Schützling (V. 14-16). Saul hört nun noch einmal - zum letztenmal! Wie erschütternd! - die Stimme dessen, der nie aufgehört hat, ihn zu ehren, ja, zu lieben! Einmal wird jeder unbekehrte Mensch die Stimme seines Retters zum letztenmal gehört und - verworfen haben, dann folgt das Gericht, wie ist das doch so ernst!
Saul beugt sich in V. 21, und fast scheint es echt, aber aus 27,4 geht hervor, daß er David trotz all seiner schönen Worte, auch seiner Verheißung (V. 25) doch noch weiter gesucht hat, bis er hörte, er sei zu den Philistern geflohen (Schade, daß David im Glauben schwach wurde, aber wollen wir ihn richten, wir?)!. Ja, Saul blieb sich gleich, er ließ sich stets vom Bösen überwinden - weil's nie aus seinem Herzen wirklich herausgekommen war -, und so überwand er jede bessere Regung, jede bessere Erkenntnis, die er durch Davids Tun bekam, immer wieder mit dem Bösen. Das ist der Feind, das ist der Teufel! Wie klar ist das zu sehen, und wie herrlich demgegenüber hebt sich das Tun Davids, noch mehr, das des Herrn Selber, ab als ein ständiges Verhalten gemäß Röm 12,21.
Wo aber war die Kraft für David oder die Kraftquelle, immer wieder, fast ununterbrochen solche Siege zu erringen? Ich glaube darin, daß seine Herzensstellung die war von 30,6 am Schluß: „Aber David stärkte sich in Jehova, seinem Gott.“ So war seine Herzensstellung schon gewesen, als er noch die Herde seines Vaters hütete und sie nicht nur gegen Löwen und Bären verteidigte, sondern diese sogar angriff und besiegte (17,31-37)!. Und diese Kraftquelle ist auch heute noch nicht versiegt, geliebte Geschwister! Sieger, Überwinder, „mehr als Überwinder“ können wir nach Röm 8,37 nur, aber dann auch stets und ständig, sein „durch den, der uns geliebt hat“. Wir können es! Wollen wir es auch sein? - So köstlich auch die Vorbilder sind, wir werden nur dann auch unsere Erfahrungen machen, wenn wir uns Ihm, unserem HErrn, völlig ausliefern und zur Verfügung stellen, wie einst David tat, schon auf der Weide bei dem Vieh seines Vaters und dann später wieder und wieder. Dann werden wir (geistliche) Erfahrungen machen gemäß denen, die David in den Psalmen beschreibt, so in dem wunderbaren Ps 18, siehe z. B. V. 20ff., V. 29 bis 35 usw. -!
Noch andere Gelegenheiten lassen sich aus Davids Geschichte finden, wo und wie er das Böse überwand durch das Gute, aber ich will für heute schließen. Das nächste Mal werde ich, so Gott Gnade gibt, einen anderen Mann aus dem A. T. anführen, der uns lehrt, wie man unsere Stelle auch Brüdern gegenüber beweisen kann. Möge es uns, je älter wir im Glauben werden, geschenkt werden, „Sein Wort wirklich als unseres Fußes Leuchte“ zu gebrauchen (Ps 119,105) und dabei „nicht Hörer allein“, „die sich selbst betrügen“, sondern „Täter Seines Wortes“ (Jak 1,22) zu sein, Ihm zur Ehre und uns allezeit zum Segen! Durch Seine Gnade sei uns also weiterhin wichtig Sein „beherzigenswerter Rat“ von Röm 12,21!
F. K. (Fortsetzung folgt, s. G. w).
2 Wenn wir immer vorher bedenken würden, wie uns hernach das Herz oder sogar das Gewissen schlagen würde - wir würden dies und das wohl nicht tun! F. K.↩︎
3 Darum war sein Verhalten gegen Urija in 2Sam 11 so verwerflich, ob es nun direkt oder durch Joab geschah! F. K.↩︎