Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 21 - Jahrgang 1936
1Kor 15,55-58 - Wo ist, o Tod, dein Stachel?1Kor 15,55-58 - Wo ist, o Tod, dein Stachel?
Auf zwei Dinge möchten wir hinweisen, die zu verstehen für uns von größter Wichtigkeit sind: 1. Zu erfassen, was der Tod in seiner wahren Bedeutung ist und 2. daß der Tod unser ist, wie die Schrift sagt: „... Es sei Welt oder Leben oder Tod ... alles ist euer.“ (1Kor 3,22) Fast alles um uns ist geeignet, uns einen falschen Begriff von dem zu geben, was der Tod ist. Manche sehen ihn als ein Naturgesetz an; aber wie man ihn auch anschauen mag, alle müssen zugeben, daß er auf der Erde herrscht und alle Nachkommen Adams ihm unterworfen sind und von ihm auf eine gleiche Stufe gestellt werden.
Vielleicht besuchen einige, die diese Zeilen lesen, gern alte Friedhöfe. Hier liegen die Menschen, die großen und die kleinen, beisammen. Alle Unterschiede haben aufgehört. Der Gelehrte und der Unwissende, der Tyrann und der Bedrückte, der König und der Untertan - ob in einem marmornen Grabgewölbe oder unter einem schlichten Hügel - alle werden vorn Tode gleichgemacht. Ob Kaiser oder Sklave, es gibt keinen Unterschied, der Tod endet das Leben des Menschen auf Erden. Der Friedhof ist kein schlechter Ort zum Nachdenken. Wirklich, die ganze Erde ist wie ein großer Friedhof.
Der Tod ist das Gericht Gottes über den gefallenen Menschen, dem niemand entrinnen kann. Gott hat das Todesurteil über den Sünder ausgesprochen und keine Begnadigung gewährt. Das verhängnisvolle Klopfen des Todes wird an der Tür des Schlosses des Königs ebenso wie an der Tür der Hütte des Armen vernommen.
Die Bedeutung des Todes in Gottes Gegenwart zu lernen ist von höchster Wichtigkeit für uns alle. Und ich bin überzeugt, daß keiner, der dies liest, darüber leicht hinweggeht. Wir alle müssen lernen, daß der Tod der Sünde Lohn ist. Selbst bei dem Heimgang eines Gläubigen, dem der Sieg Christi voll zuteil wird (denn für ihn hat der Tod keinen Stachel mehr), ist es doch wichtig, den Ernst dieses Augenblickes zu empfinden. Gottes Gericht über den gefallenen Menschen muß vollzogen und die Weite des Abstandes des Menschen von Gott geschmeckt werden. Es kann nicht anders sein, das Schwert muß auch in unsere Seele dringen, und wir müssen verwirklichen, daß der Tod der Sünde Sold ist.
Aber der Herr Jesus Christus hat dem Tode die Macht und auch den Stachel genommen, und wir Gläubigen werden nunmehr ermuntert, allezeit überströmend in dem Werke des Herrn zu sein, da wir wissen, daß unsere Arbeit nicht vergeblich ist in dem Herrn. (V. 58)
Ich erinnere mich eines Skorpiones der gefährlichsten Art, dem aber der giftige Stachel genommen war. Beim Anblick desselben blieb das Gefühl des Grauens, aber das schreckliche Tier vermochte nicht mehr meinen Frieden und meine Ruhe zu stören. Seine Gegenwart war nicht mehr mit Furcht und Unruhe für mich verbunden.
So ist auch dem Tode der Stachel genommen, und wir können nun in dem Gebiete, wo der Tod noch ist und herrscht, fest, unbeweglich und allezeit überströmend in dem Werke des Herrn sein. Der Herr, der in Seiner Liebe zu uns den Tod für alles schmeckte (Heb 2,9) und den Sieg über das Grab davongetragen hat, hat uns zu diesem Werke berufen. Seine Liebe ist die uns bewegende Kraft, treulich darin zu verharren. Wir sollten dies als ein hohes uns anvertrautes Vorrecht schätzen und treu in der Verkündigung Seines Sieges über den Tod sein, dem Er den Stachel genommen hat.
Sein Weg von Gethsemane zum Kreuz und zum Grab zeigt uns aber, was Ihn dieser Sieg kostete. Die Schatten des Todes begleiteten Ihn auf Seinem ganzen Wege. Das sehen wir schon bald nach Seiner Geburt aus den Worten Simeons an Maria, als er ihr sagte, daß ein Schwert ihre Seele durchdringen werde. Die vollen Schrecken desselben aber treten uns erst am Schluß Seines Lebens entgegen, als Er, der vollkommene Mensch, dem Tode als dem Gericht Gottes über den gefallenen Menschen zu begegnen hatte. Was das Erdulden dieses Gerichtes für Ihn, den Heiligen war, das vermögen wir nie zu erfassen. Wenn aber die Schrift uns sagt, daß Sein Weg für uns in den Tod mit starkem Geschrei und Tränen verbunden war (Heb 5,7), dann empfinden wir etwas von der Tiefe Seiner Leiden, und unser Herz beugt sich über unsere Schuld und in Anbetung über Seine Liebe. Für Ihn war der Stachel des Todes nicht hinweggenommen. Er mußte den Tod in seiner ganzen Bitterkeit als Gottes Gericht über die Sünde schmecken. Für uns aber wurde der Stachel hinweggenommen, als Er die Schwere des Gerichtes auf Golgatha erduldet und den Sieg errungen hatte. Er mußte den Kelch trinken, und Er trank ihn bis zur Neige.
Nachdem der Herr den Stachel des Todes hinweggenommen, ist Er auferstanden und hinaufgefahren in die Höhe und ist jetzt im Begriff, wiederzukommen, um die entschlafenen Heiligen aufzuwecken und die lebenden zu verwandeln und mit Sich in die Herrlichkeit zu nehmen. Bald wird der Herr kommen; bis dahin sind wir berufen, an diesem Platze der Sünde und des Todes fest und unbeweglich in Seinem Werke zu stehen. Und ach, wie wenig können wir für Den tun, der an das Kreuz ging, um dem Tode mit all seinen Schrecken für uns zu begegnen. Darum laßt uns die Zeit auskaufen, solange es Tag ist; es kommt die Nacht, da niemand wirken kann. (Joh 9,4)
Es liegt etwas Feierliches in dem Abschluß eines Tages und ein noch weit größerer Ernst in dem Abschluß eines Lebens auf Erden. Wie manchmal schauen wir dem Untergang der Sonne zu, wie sie sich in ein tiefes Rot verwandelt und dann im Westen verschwindet. Der Tag ist vergangen und die Nacht hereingebrochen. Eine passende Stunde, sich die Frage zu stellen: „Wie habe ich diesen Tag verbracht?“
Gar manche sind in der letzten Zeit abgerufen, um vom Leibe ausheimisch bei dem Herrn einheimisch zu sein - manche, von denen wir wünschen, daß sie hätten länger bei uns bleiben mögen. Das Bewußtsein der unfehlbaren Weisheit des Herrn und Seiner unwandelbaren Liebe macht unsere Herzen still auch im Schmerz an ihrem Grabe. Es ist nicht unsere Sache, zu wissen, wann der Tag unseres Lebens für einen jeden von uns endet, wohl aber, ob unser Leben mit Seinem Dienst ausgefüllt sei.
Unser ganzes Leben gleicht einem Tage. Ich denke jetzt weniger an unsere irdischen Aufgaben, sondern an unser Leben im Dienste unseres Herrn. Uns allen sind nicht gleiche Gelegenheiten, gleiche Fähigkeiten, gleiches Maß von Gaben anvertraut worden. Jeder hat seinen eigenen besonderen Dienst, aber das, was wir in unserer Schriftstelle vor uns haben, spricht zu uns allen.
Gott gibt uns den Sieg durch unseren Herrn Jesus Christus. Die Sünde, der Stachel des Todes, ist gesühnt, und selbst das Grab ist nicht mehr fähig, den Gläubigen festzuhalten. Die Auferstehung in ihrer vollsten Entfaltung steht vor der Tür; und wir, die wir in unserer Seele die Kraft der Auferstehung kennen, sind berufen, an dem Platze, wo die Sünde und der Tod noch sind, fest und unbeweglich im Werke des Herrn zu stehen.
Das gegenwärtige Zeitalter, in dem wir leben, neigt sich dem Ende zu. Haben wir unsere Aufgabe verstanden? Sind wir wahrhaft überströmend im Werke des Herrn wie jene, die da fest und unbeweglich stehen inmitten des allgemeinen Abfalles in dieser Epoche?
Die Welt bemüht sich, den Tod, der Sünde Sold, als ein Naturgesetz abzutun, um die Todesfurcht zu verleugnen. Die Gläubigen aber verwirklichen den Sieg des Herrn über den Tod. Unser Auge sieht jene Welt, die der Herr uns erschlossen hat und in deren Licht unser Leben ist. Möchten wir mehr die Kraft Seiner Auferstehung erkennen und in der Gemeinschaft Seiner Leiden gefunden werden! (Phil 3,10) „Wo ist, o Tod, dein Stachel? Wo ist, o Tod, dein Sieg?“
L. B. - A. v. d. K.