Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 13 - Jahrgang 1928
Rt 1 - „Elimelech und Noomi“Rt 1 - „Elimelech und Noomi“
Kein König im Land! Kein Brot in der Heimat! Mit diesen beiden Tatsachen ist die dunkle Zeit in dem Buche Ruth gekennzeichnet. Aus dem Buche der Richter erkennen wir die traurige Tatsache, daß Israel von seinem Gott abgefallen war und jeder im Lande tat, „was recht war in seinen Augen“. Als Folge dieses Zustandes finden wir dann im Buche Ruth die Hungersnot im Lande.
Wir wollen uns heute nur mit Elimelech und Noomi, die im ersten Kapitel des Buches Ruth genannt werden, beschäftigen, deren Verhalten sowohl Gott als auch den Dingen ihres Lebens gegenüber uns so recht offenbaren, was im Menschen ist und worauf der Mensch seine Hoffnung setzt und wem sein Vertrauen gehört.
Die Hand Jehovas, welche Sein Volk Israel bisher aufrechtgehalten hatte, war zurückgezogen, und Gott offenbarte Sich in Gericht gegen Sein abtrünniges Volk. In diesen Tagen der züchtigenden Hand Gottes handelte Elimelech nach den Anschauungen seiner Zeit, die uns, wie schon gesagt, in dem letzten Vers des Buches der Richter in den Worten ausgedrückt werden: „Ein jeder tat, was recht war in seinen Augen“. Darum finden wir auch, daß in dem Bericht über ihn und seinen Weg (Vers 1-3) der Herr nicht erwähnt wird. Er handelte eben, ohne eine Anweisung von Gott zu haben, nach dem natürlichen Trieb und den Überlegungen seines Herzens. Hungersnot war im Lande, und obwohl er in Bethlehem, welches „Brothaus“ bedeutet, wohnte, war kein Brot in der Heimat. So verließ er nach eigenem Willen Bethlehem, um in den Gefilden Moabs zu bleiben.
Ist nicht auch unser Weg oftmals ein Weg ohne Verbindung mit dem Herrn gewesen? Haben wir es nicht auch bitter empfinden müssen, daß die Triebe und Überlegungen unseres Fleisches uns aus der Heimat unserer Seele und aus der innigen Gemeinschaft mit dem Herrn drängten? Es handelte sich bei Elimelech nicht nur um eine bloße Auswanderung für eine kurze Zeit, sondern um eine tatsächliche Glaubensverminderung und um Ungehorsam. Würde er sich im Lande unter die züchtigende Hand Gottes gedemütigt haben, so hätte der Herr ihn auch zu Seiner Zeit erhöht.
Aber statt dessen suchte er dem Gericht Gottes in der Heimat zu entgehen und seine Wohlfahrt bei einem von Gott verworfenen Volke zu finden (mit dem Gott jede Gemeinschaft untersagt hatte. 5. Mose 23,3). - Er entging aber dem Gericht Gottes nicht - es traf ihn in der Fremde.
Auch unser Verkehr in der Welt muß sich nach den klaren Anweisungen unseres Herrn vollziehen. Elimelechs Weg, anderswo, in der Entfernung von Seinem Volk und Land, Glück und Ruhe zu finden, wurde für ihn verhängnisvoll. Wie furchtbar enden doch eigene Wege, und wie kläglich ist das Resultat derselben! Elimelech fürchtete, in Bethlehem nicht leben zu können - und stirbt in Moab. Seine Söhne gründen sich nach dem Beispiel ihres Vaters auf moabitischem Boden ein Heim - und daselbst finden sie ihr Grab. Sicher wollten die drei Männer sich nur solange in Moab niederlassen, bis die Hungersnot vorüber sei - aber als dieselbe nachließ, waren sie längst in der Fremde gestorben. Diese traurigen Erfahrungen des Hauses Elimelechs sollen uns warnen und zugleich ermahnen, uns an den Herrn und Sein Wort zu halten und nicht unzufrieden in der Familie Gottes, der Gemeinde, zu sein. Haben wir diese traurige Geschichte Elimelechs nicht auch in unseren Tagen, wenn man meinte, den Herrn und Sein teures Wort beiseite lassen zu können, in der Geschichte des Volkes Gottes, ja vielleicht in unserer näheren Umgebung beobachten können? Wir können uns nicht von der Gemeinde in Eigenwilligkeit trennen und in der von Gott verworfenen Welt aufhalten, ohne Schaden zu nehmen und bitteres Leid zu ernten.
Elimelechs Name bedeutet „mein Gott ist König“. Es muß uns tief bewegen, daß nach den vorstehenden Ausführungen dieser Mann, der diesen köstlichen Namen „mein Gott ist König“ trug, die Wahrheit seines Namens nicht auslebte, sondern so handelte, als ob Gott nicht König sei. Welch eine Mahnung ist Elimelech für uns, die wir den Namen „Kinder Gottes“ tragen, Gott in dieser Welt in der rechten Weise darzustellen. Elimelech lebte seinen Namen nicht aus und starb.
Die zweite Person im Buche Ruth ist Noomi. Ihr Name bedeutet „die Liebe Gewinnende“ oder „die Liebliche“. Sie ging mit ihrem Manne den eigenwilligen Weg des Unglaubens und Ungehorsams. Ihr Bild in dem 1. Kap. ist zunächst das Bild einer durch die Wege des Unglaubens und Ungehorsams umdunkelten Seele. Wohl können wir Noomi auch von anderen Gesichtspunkten aus betrachten. Wir können auch in ihr das Bild des gläubigen Überrestes aus Israel sehen oder auch das Bild Israels, dessen Fall Gott zum Heil der Nationen dienen ließ, so wie der Herr auch zur Samariterin sagte: „Das Heil ist aus den Juden“ (Joh 4,22). Und weiter können wir auch Noomi als ein Beispiel betrachten, wie Gott das Schwache zu gebrauchen vermag, um die Vorsätze Seiner Gnade zur Ausführung zu bringen usw. Mit allen diesen Gesichtspunkten beschäftigen wir uns jedoch jetzt nicht, sondern wir wollen Noomi nur von einem Gesichtspunkt aus anschauen, und zwar als eine Seele, die durch die Wege des Unglaubens und Ungehorsams in Dunkelheit geraten ist.
Als sie hört, daß Gott Sein Volk Israel in Gnaden heimgesucht habe, wird die Sehnsucht nach ihrem Volk und Land wach, und sie macht sich auf, um in das Land Juda zurückzukehren. Eine solche Rückkehr von Ungehorsamswegen muß naturgemäß unter tiefem Leid geschehen. Als sie in ihrem Land ankommt, will sie nicht mehr „Noomi“, sondern „Mara“ genannt werden, ein Name, mit dem sie sich selbst kennzeichnet. Bitter sah es in ihr aus, und Dunkelheit umgab ihre Seele. Von bitterem Elend und Hoffnungslosigkeit erfüllt, konnte sie ihren Schwiegertöchtern zureden, in ein heidnisches Land nach Moab zurückzukehren, um dort einen heidnischen Mann zu finden. Ja, sie kann gleichsam Jehova bitten, ihre Schwiegertöchter auf diesem Wege abwärts nach Moab und in der Verbindung mit einem heidnischen Mann „Ruhe finden“ zu lassen.
Wir sehen, auch ein Kind Gottes kann so umdunkelt sein, daß es Wünsche und Ratschläge erteilt, die offenbaren, daß die gesegnete Gemeinschaft mit dem Herrn unterbrochen ist. Ein solches mag sich selbst dem Herrn wieder zuwenden, und doch kann ihm das irdische Wohl seines Kindes wichtiger sein als das Wohlergehen der Seele desselben. Es kann seinem Kinde den Weg in die Welt weisen und in der Dunkelheit seines Herzens den Herrn bitten, diesen Weg zu segnen. Wir müssen immer wieder erkennen, daß jeder Weg außerhalb der gesegneten Gemeinschaft des Herrn uns hindert, in die Gedanken Gottes und Seine Heilspläne mit den Menschen einzugehen.
Gesegnet ist es auch, die Barmherzigkeit und Gnade Gottes über Noomi anzuschauen. Hielt sie sich auch in Moab auf, so blieb sie doch eine Tochter Israels, um welche sich der treue Gott auch in der Zeit ihres eigenen Weges bekümmerte. Gott ließ die Botschaft, daß Er Sein Volk in Gnaden heimgesucht habe, in ihr Herz dringen, und die Folge war die Sehnsucht nach ihrem Lande. Auch in unserem Leben offenbart sich dasselbe. Sind wir Kinder Gottes, dann sind wir auch Gegenstände Seiner Gnade. Wir mögen zeitweise aus mangelndem Vertrauen und eigenwilligen Entschlüssen auf eigenen Wegen gehen und unter dem ganzen Jammer solcher Entschließungen leiden. Läßt Gottes Gnade es dann in unserem Herzen licht werden, dann entsteht das tiefe Sehnen nach Gemeinschaft mit dem Herrn und mit Seinem teuer erkauften Volk. Alsdann machen wir uns auf und kommen mit dem Bekenntnis unseres verfehlten und eigenen Weges zurück.
So war es auch bei Noomi. Wahre Buße geht durch ihre Klage: „Voll bin ich gegangen, und leer hat mich Jehova zurückkehren lassen ... Jehova hat gegen mich gezeugt.“ Sie bekennt ihre Sünde, daß sie, trotzdem sie Fülle hatte, im eigenen Willen gegangen sei. Sie sagt: „Ich bin gegangen.“ Sie sagt nicht: „Wir gingen“ oder „mein Mann nahm mich mit“ oder „ich bin nur meinem Manne gefolgt“. Keine Schuld schiebt sie Elimelech zu; keine Entschuldigung hat sie für sich selbst. Sie richtet sich selbst und bekennt: „Voll bin ich gegangen“, und dann fügt sie hinzu: „Leer hat mich Jehova zurückkehren lassen“. Sie bekennt aber nicht nur, daß Jehovas Hand wider sie gewesen und Er gegen sie gezeugt habe, sondern auch, daß Jehova es war, der sie zurückkehren ließ. Damit erkennt sie an, daß ihre Rückkehr nichts weiter als Barmherzigkeit und Gnade Gottes war.
Wir lernen hieraus die Notwendigkeit, daß ein Kind Gottes dorthin zurückkehren muß, wo es die Verbindung mit dem Herrn unterbrochen hat. Noomi blieb dies Bekenntnis nicht erspart. Die erschütternde Frage beim Anblick ihres Elendes: „Ist das Noomi?“ muß uns tief bewegen. Sie drückt das Mitgefühl derer aus, die im Vertrauen auf Jehova in Bethlehem geblieben waren. Wenn wir rückblickend unseren Weg überschauen, sind wir das gewesen und geblieben, was der Herr von uns erwartete, die wir Seinen Namen tragen? Und wenn diese Frage: „Ist das Noomi?“ über uns gestellt wird, welche Antwort müßten wir geben? Noomi mußte mit Schmerzen bekennen: „Nennt mich nicht Noomi (die Liebliche), sondern ‚Mara‘ (die Bittere)“, und dem Herrn recht gebend, fügte sie hinzu: „Denn der Allmächtige hat es mir sehr bitter gemacht“. In Demut bekennt sie, daß sie voll auszog und leer zurückkehren mußte.
Mit Recht dürfen wir auf Gottes Gnade und Barmherzigkeit rechnen, aber nachdem wir zum Glauben gekommen sind, ist es Sein Ziel, uns zu einem Glaubensleben zuzubereiten für jene Herrlichkeit, in welche wir eintreten sollen, wenn der Herr kommt oder wenn Er auf Sein Geheiß uns Feierabend machen läßt auf dieser Erde. Der große Gott will aus uns Sich ein Denkmal Seiner Liebe und Gnade errichten, welches Ihn in alle Ewigkeit preisen soll. Um dies zu erreichen, muß Er oft als der „Allmächtige“ in die Wege unseres Lebens eingreifen. Noomi sagt im 20. Verse: „Der Allmächtige hat es mir sehr bitter gemacht“. Unsere eigenwilligen und verkehrten Wege nötigen auch oft den Herrn , uns in unserem Leben manches bitter zu machen. Und oft kommen wir erst im Nachschauen Seiner Wege dahinter, daß der Herr es war, der uns die Wege verbaute und mit Bitterkeit tränkte, um uns so in die Wege Seines Wohlgefallens hineinzuführen.
Und doch, wie herrlich endete der Weg Noomis! Der Herr war gegen sie auf ihren eigenwilligen Wegen, um dann für sie zu sein auf Seinen Wegen. (Kap. 4,14-17). Der Lobpreis Jehovas in Kap. 4,14-17 beweist in überwältigender Weise, wie der treue Herr die unvollkommenen Wünsche und Gebete Noomis - auf Seine Art - wunderbar erfüllte und daß es etwas Herrliches ist, dem Herrn zu vertrauen, statt in der Dunkelheit eigener Wege zu wandeln.
Auch wir müssen rückschauend auf unser Leben mit tiefer Beschämung erkennen, daß so manches „Nein“ in unserem Leben, so manche Bitterkeit des Herrn doch ein Weg der Liebe war; daß Er den glimmenden Docht nicht verlöschen ließ und das schwankende Rohr nicht zerbrach, sondern geduldig wartete, bis wir „uns“ und „Moab“ satt hatten und bereit waren, „leer zurückzukehren“, damit Er uns in
Wegen Seines Wohlgefallens das segensreiche „Ja“ in Gnaden schenken kann. Und was wird es erst sein, wenn wir mit verklärter Erkenntnis in der Herrlichkeit „unseren Weg“ und „Gottes Weg“ rückschauend betrachten werden!
Ed. v. d. K., H.