verschiedene Autoren
Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 11 -Jahrgang 1926
1Kor 11,26 - „Briefe über den Tisch des Herrn“
Briefe über den Tisch des Herrn - Fünfter BriefBriefe über den Tisch des Herrn - Fünfter Brief
Geliebte Geschwister!
Im Nachsinnen über den Gegenstand, mit dem wir uns beschäftigten, denke ich, daß es Euch wie mir ergangen ist, nämlich, daß wir unsere Gedanken, die wir bis jetzt über den Tisch des Herrn hatten, geändert haben.
Im Anfang unserer Betrachtungen stand ich für mich selbst noch immerhin zögernd diesem mir neuen Lichte gegenüber, während wir aber tiefer auf diesen Gegenstand eingingen, hat sich in mir mehr und mehr die Überzeugung befestigt, daß die jetzt entwickelten Gedanken in bezug auf den Tisch des Herrn die schriftgemäßen sind, nämlich die Erkenntnis, daß wir unter „Tisch des Herrn“ eine bildliche Benennung, einen übertragenen Ausdruck zu verstehen haben, wo uns in einem Worte die Fülle, das zusammenfaßte Ganze der Reichtümer, der Wohltaten, der Segnungen, die unser Teil sind, vorgeführt werden.
Welch ein Tisch! Wie wichtig ist es für uns, daß er den Namen „Tisch des Herrn“ trägt, der Tisch von Dem, dessen Name uns über alles geht und über altem lieb und kostbar ist. Ihm, der uns Seinen Tisch geschenkt hat, singen wir:
Jesus Nam', wer kann ergründen
Deine Tiefen, Deine Höh'?
Wer die Gnad' und Lieb' verkünden,
Deren End' ich nimmer seh'?
Ja, wahrlich, deren End' ich nimmer seh'. Diese Worte beziehen sich voll und ganz auf die nicht zu ergründenden, nicht zu ermessenden Vorrechte und Wohltaten, die der Tisch des Herrn uns in Hülle und Fülle darbietet.
Ohne Zweifel ist die Feier des Abendmahles des Herrn, in der wir Sein gedenken und Seinen Tod verkünden, eine der kostbarsten Segnungen des Tisches des Herrn; es ist aber weit entfernt davon, daß in dieser Segnung der Reichtum von dem „Tische des Herrn“ allein bestehen und aufgehen sollte. Wie ungemein größer, reicher, seliger ist doch das Bewußtsein, daß der Tisch des Herrn uns alles, alles darbietet, was Gottes unendliche Güte uns zu schenken vermag! Wie kostbar, zu wissen: der Tisch des Herrn ist immerdar für mich gedeckt, für mich und für alle, die desselben kostbaren Glaubens teilhaftig sind! An diesem Tische darf ich mit allen Mitgläubigen teilhaben „alle Tage meines Lebens“, ja, in alle Ewigkeit.
Beschränken wir den „Tisch des Herrn“ auf die Abendmahlsfeier, dann ist es klar, daß seine Dauer nur zeitlich ist. Nicht wahr, wir verkünden den Tod des Herrn, bis Er kommt? Nachher nicht mehr. Werden wir aber nicht immerfort des ewigen Reichtums der Segnungen des „Tisches des Herrn“ teilhaftig sein? Sicher, bald wird alles, was jetzt noch hindernd in den Weg tritt, verschwunden und unser Genuß vom „Tische des Herrn“ vollkommen sein. Ist dieser Gedanke schriftwidrig?
Wenn der Herr Jesus sagt: „Auf daß ihr esset und trinket an Meinem ‚Tische‘ in Meinem Reiche und auf Thronen sitzet, richtend die 12 Stämme Israels“ (Lk 22,30), spricht Er da nicht von Seinem herrlichen Reiche in der Zukunft? Kann der Herr damit meinen, daß Seine Segnungen in dieser Zeit beschränkt sind auf Essen und Trinken? Faßt Er nicht vielmehr auch hier in diesem Worte mit „essen und trinken an Seinem Tische“ die ganze Fülle jener zukünftigen Zeit zusammen? Die Antwort wird nicht schwer sein.
Gewiß, was der Herr hier sagt, bezieht sich auf das Reich hier unten und nicht auf die Ewigkeit, aber in jedem Falle umfaßt es auch die Zeit nach der Entrückung der Gemeinde. Die Verkündigung Seinen Todes mag dann ein Ende genommen haben, keineswegs aber der Genuß, den der „Tisch des Herrn“ den Seinigen immer darbieten wird.
Wie wir schon bemerkten, müssen große Umstellungen, sowohl in den Gedanken wie in den verschiedenen Dingen, die wir bis jetzt mit dem Tisch des Herrn in Verbindung gebracht haben, bewirkt werden, sobald wir einsehen, daß es etwas ganz anderes ist, als was wir bisher damit meinten. Der „Tisch des Herrn“ ist für uns eine ganz andere Sache geworden.
Wir beschäftigten uns schon mit dem, was man das „Aufrichten des Tisches des Herrn“ genannt hat. Ein anderer Ausdruck, der auch in unseren Kreisen üblich ist, ist das Wachen über die Reinheit des Tisches des Herrn. Man meint damit, daß wir Sorge tragen sollen, daß nicht Ungläubige noch solche, die einen schlechten Wandel führen oder ketzerische Lehren bringen, mit am Tische des Herrn sitzen. Aber auch diese Redewendung ist in der Schrift nicht zu finden. Wenn wir eingesehen haben, was mit „Tisch des Herrn“ gemeint ist, verstehen wir sofort und ist es selbstredend, daß sowohl das „Aufrichten des Tisches“ wie auch das „Wachen über die Reinheit des Tisches“ unmögliche Handlungen sind.
Sage ich damit etwas gegen die Sorge, die wir zu tragen haben in bezug auf die, mit denen wir den Tod des Herrn gemeinsam verkündigen? Weit entfernt davon. Es ist selbstredend, daß wir nur mit Gläubigen, die einen guten Wandel führen und keine Irrlehren haben in bezug auf die Person und das Wort des Herrn, das Abendmahl feiern können. Aber was hat das mit dem „Tisch“ des Herrn zu tun? Kann dieser durch jemanden oder durch etwas (irgendwo und wann) verunreinigt werden? War er oder konnte er je Menschen anvertraut sein? Hat je ein Ungläubiger einen Augenblick am Tisch des Herrn gesessen? Vermögen wir jemanden von ihm abzuhalten oder ihn zuzulassen? Steht er nicht den Kindern Gottes zur Verfügung, um von seinen Reichtümern zu nehmen? Der schwächste Gläubige, das kleinste Kind in Christo kann sich von ihm nähren und von seinen herrlichen Gaben nehmen und sich daran laben, und zugleich vermögen auch die Väter in Christo und die am weitesten in der Erkenntnis Gottes Gewachsenen Seine Schätze nie zu erschöpfen.
Noch auf einen anderen Ausdruck, der bei vielen gebräuchlich ist, komme ich, nämlich, daß der Tisch des Herrn die Darstellung der Einheit ist. Manche Kinder Gottes, die diese Worte fast beständig im Munde führen, sind der Meinung, daß nur diejenigen, die mit ihnen in Gemeinschaft wandeln und mit ihnen den Tod des Herrn verkünden, die Einheit „in sichtbarer Weise“ zum Ausdruck bringen. Solche Meinung muß mit aller Entschiedenheit zurückgewiesen werden. Aber auch selbst bei solchen, die diesen anmaßenden Gedanken zurückweisen, lebt doch noch die Vorstellung und der Gedanke, als sei der „Tisch“ die Darstellung der Einheit. Das findet seinen Grund darin, daß 1Kor 10,17 auf den „Tisch“ des Herrn bezogen wird. Es heißt aber in diesem Verse nicht, daß wir, die vielen, ein „Tisch“ sind, sondern vielmehr: „Ein Brot, ein Leib sind wir, die Vielen“, „denn wir alle sind des einen Brotes teilhaftig“.
Ist nun mit dem einen Brot das Abendmahlsbrot gemeint, oder wird, abgesehen vom Abendmahlsbrot, damit das Bild eines ganzen Brotes als Vorbild gebraucht? Wir wissen und haben bereits gesehen, daß der Heilige Geist des öfteren gleiche Worte in verschiedenem Sinne und verschiedener Bedeutung gebraucht. In Vers 16 ist von dem Brote, das wir brechen, in der Weise die Rede, daß es die Gemeinschaft des Leibes Christi ist. In 1Kor 12 und ff. ist ebenfalls von dem Leibe Christi die Rede. Wenn wir uns fragen: „Ist in beiden Fällen mit ‚Leib‘ ein und dasselbe gemeint?“ so müssen wir antworten: „Durchaus nicht“, denn in 1Kor 12,12 usw. wird davon in vergleichendem Sinne geredet, und das zeigt sofort klar, daß „Leib Christi“ in diesen beiden Stellen nicht ein und dasselbe ist. Es kann auch nicht ein und dasselbe sein, weil in 1Kor 10,16 von dem für uns geopferten Leibe Christi geredet wird (denn es wird in dieser Stelle nicht nur von dem Leibe allein, sondern zugleich auch von dem Blute des Christus gesprochen), in 1Kor 12,12(.27) dagegen wird das Wort „Leib“ vergleichsweise in Verbindung mit der Gemeinde gebraucht, und in dieser Weise finden wir es auch im 17. Vers vom 10. Kapitel. Demgemäß sind auch mit „Brot“, je nach seinem Zusammenhange mit „Leib“, zwei verschiedene Gedankengänge verbunden.
Im 16. Vers ist es der für uns hingegebene Leib, im 17. Vers sind es die Gläubigen in ihrer Zusammengehörigkeit.
Das „eine Brot“ und der „Tisch des Herrn“ sind zwei ganz verschiedene Begriffe, die wir getrennt zu halten haben.
Wenn wir zusammenkommen, um den Tod des Herrn zu verkünden, und wenn auch nur wenige zugegen sein mögen, so fühlen wir uns doch mit allen Gläubigen eins. Wir wissen, daß wir mit ihnen und sie mit uns eins sind. Dies ist ein kostbares Bewußtsein, ein Bewußtsein und eine Wahrheit, die wir aber nicht nur haben, wenn wir zusammengekommen sind, um Brot zu brechen, sondern die fortwährend vor unseren Augen stehen, eine Wahrheit, die wir zu verwirklichen berufen sind, trotz aller äußerlichen Verschiedenheit und aller Trennung. Diese Tatsache der Einheit der Kinder Gottes ist auch eine der vielen herrlichen Wirklichkeiten, die der Tisch des Herrn darbietet.
Aber so, wie es keinem in den Sinn kommt, zu meinen, daß eine der vielen kostbaren Speisen auf dem Tische eines Fürsten der Tisch selbst sei, ebensowenig kann es uns in den Sinn kommen, daß der Tisch des Herrn die Darstellung der Einheit der Gläubigen sei.
Wir müssen uns noch mit einigen anderen Vorstellungen, die mit unserer früheren Anschauung vom „Tisch des Herrn“ in Verbindung stehen, beschäftigen. Ich denke, daß wir damit unsere Betrachtungen beenden können. Gebe der Herr Seinen Segen zu dieser Arbeit um Seines Namens willen!
Euer im Herrn verbundener
M. J. S.