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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 17 - Jahrgang 1932
Joh 10,12.13 - Wer ist der Mietling? Die Hirtenrede des Herrn
Joh 10,12-13 - Wer ist der Mietling? Eine Studie über die Hirtenrede des Herrn (2)Joh 10,12-13 - Wer ist der Mietling? Eine Studie über die Hirtenrede des Herrn (2)
(Schluß).
III. Das Gleichnis vom guten Hirten. Vers 11-18.
Hier wechselt wieder das Bild. Während Sich der Heiland soeben mit der Tür verglichen hatte, bezeichnet Er Sich nun wieder als den Hirten. Auch dieses Gleichnis glauben wir, wie das erste, heilsgeschichtlich verstehen zu müssen. Der Hinweis auf die Schafe, die nicht zu „dieser“ Hürde, sondern zu anderen Hürden gehören und dennoch zu der Herde des Messias hinzugefügt werden sollen, ist ein zu deutlicher Fingerzeig, daß es sich hier um eine bestimmte heilsgeschichtliche historische Einzelsituation handelt, als daß wir das übersehen dürften.
Der Hauptgedanke des ersten Gleichnisses war die Rechtmäßigkeit des Hirtenamtes Jesu. Dies hatte der Herr im Gegensatz zu Seinen Feinden, den falschen Hirten, betont. Hier in dem dritten Gleichnis zeigt Er nun diesen Gegensatz noch ausführlicher und legt auch dar, zu welchem furchtbaren Ende diese Feindschaft führen würde, das aber dennoch infolge der Siegeskraft Gottes und Seines Christus zu einem glorreichen Ergebnis hindurchgebracht werden würde. „Der gute Hirte läßt Sein Leben für Seine Schafe. Der Mietling aber flieht.“ Daß mit dem ersteren das Sterben des Heilandes Selber zugunsten Seiner Herde gemeint ist, liegt auf der Hand. Aber wer ist der Wolf, und wer ist der Mietling? Viele Schrifterklärer betonen hier, daß in einem Gleichnis nicht alles einzelne auszulegen sei, daß man hier also nicht zu viel fragen solle, und wenn jemand ihnen auch in bezug auf diese Punkte Recht zu geben geneigt ist, so verstehen wir ihn sehr wohl. Der Wolf wäre dann ganz einfach die Verkörperung der den Schafen stets drohenden „Gefahr“, und der Mietling würde nicht eine Einzelperson oder eine bestimmte Gruppe von Personen darstellen, sondern einfach ganz allgemein den ausschmückenden und verdeutlichenden Gegensatz zu der Aufopferungsfähigkeit und Bereitwilligkeit des guten Hirten. Wir aber persönlich glauben, daß es sich in Johannes 10 weniger um eigentliche als vielmehr um halb allegorische Gleichnisse handelt. Dies wird uns auch dadurch bestätigt, daß die hier gebotene Bildrede nicht das Kennzeichen der eigentlichen Parabel hat, nämlich, einen nur einmal vorkommenden Einzelfall wie eine richtige Geschichte zu berichten, sondern sie bringt einen oft und immer wieder sich ereignenden Vorfall aus dem allgemeinen Alltagsleben und benutzt ihn zu ihrem Bilde. Das aber ist durchaus die Art der Allegorie. Außerdem spricht die Tatsache, daß der Mietling zweimal erwähnt wird, doch dafür, daß wir in ihm nicht eine bloße rednerische Figur zu erblicken haben, die lediglich dazu bestimmt ist, den Gegensatz zu der Liebe des guten Hirten in das helle Licht zu stellen, sondern seine zweimalige Erwähnung scheint uns die Notwendigkeit zu beweisen, in ihm irgend etwas Bestimmtes zu vermuten. Was ist das aber dann?
Vielfach sagt man: Der „Mietling“ seien alle die, welche um schnöden Gewinnes willen eine „Hirtentätigkeit“ in der Gemeinde Gottes auszuüben sich erkühnen, also etwa ungläubige Prediger und Pastoren. Doch steht demgegenüber zu bedenken, daß der Herr doch mit dem guten Hirten Sich Selber gemeint hat, daß also demnach die ganze Bildrede des dritten Gleichnisses uns in die Tage Seines Fleisches zurückführt. Bei aller Anerkennung des Wertes einer solchen gegenwartlichen Anwendung unseres Gleichnisses muß doch für die Auslegung gefragt werden: Wie sollte der Herr dazu kommen, zu den Pharisäern von den später auftretenden ungläubigen Priestern und Pastoren zu reden? Denn beachten wir es immer wieder: Das Gleichnis ist nicht zu den Jüngern Jesu als eine Gemeindebelehrung geredet, sondern zu den Feinden des Herrn !
Die Frage nach dem Mietling löst sich wohl am besten, wenn wir sie im Zusammenhang mit der Frage nach der Bedeutung des Wolfes zu beantworten suchen.
Wer ist der Wolf?
Zuweilen hat man gesagt: Der Wolf ist der Teufel, und die Mietlinge sind im Rahmen der zeitgenössischen Auslegung für jene Tage die Pharisäer, denen Christus doch gerade ihre falsche Nicht-Hirten-Gesinnung vor Augen halten will. Aber diese Auslegung ist in sich selbst widerspruchsvoll. Der Wolf ist doch nach dem Gleichnis der Feind nicht nur der Schafe, sondern auch der Mietlinge, die ja deshalb vor ihm fliehen, weil sie ihn fürchten! Das aber trifft nicht auf das Verhältnis der Pharisäer und des Teufels zu. Gerade diese beiden sind, nach der Lehre desselben Evangeliums, in bestem Einvernehmen miteinander, so daß von einer Furcht und einer Flucht der Pharisäer vor dem Teufel in keiner Weise geredet werden kann. Jesus bezeichnet den Teufel als den „Vater“ der Pharisäer und ihrer Freunde und sagt: „Ihr seid aus dem Vater, dem Teufel, und die Begierden eures Vaters wollt ihr tun.“ (Joh 8,44) Das sieht wenig nach dem Feindschafts- und Furchtverhältnis des mordenden Wolfes und der entsetzt vor ihm fliehenden, von dem Besitzer der Herden angestellten und bezahlten Unterhirten aus! Nein, gerade dieses letztere sollte den Weg zu der richtigen Deutung des Mietlings weisen. Für die Pharisäer war das Bild eines vom Herdenbesitzer gemieteten und besoldeten Schäfers viel zu schwach: im Gegenteil, sie sind der Wolf! Das ist die allein in den Zusammenhang des Gleichnisses sich organisch eingliedernde Deutung. Der Wolf tötet den guten Hirten, der sich ihm aus Liebe zu seinen Schafen entgegengestellt hat. Das haben die Pharisäer mit dem Herrn Jesus auch getan. Sie haben den Heiligen Gottes, den Messiashirten Israels, ermordet und umgebracht (Apg 2,23). Und keiner von den berufenen Führern Israels hat gewagt, sich diesem Mordanschlag in der rechten Weise entgegenzustellen! Alle beugten sich unter den Mordgeist der Pharisäer und ihrer Gesinnungsfreunde. Darum sind sie, die von Gott eingesetzten Führer Israels, denen der Mut zum Widerstand gegen die Pharisäer fehlte, die Mietlinge.
Ein Mietling ist ein von dem Besitzer der Herde rechtmäßig angestellter und bezahlter Hirte. Solche aber sind nie, weder in jenen Tagen noch zu irgend einer späteren Zeit, die ungläubigen Prediger und Pastoren gewesen. Diese hat Gott, der Besitzer der Herde der Gemeinde, auch noch nie für einen einzigen Augenblick rechtmäßig in ihre scheinbare „Hirten“-tätigkeit eingesetzt! Wohl aber hatte Er das mit den Fürsten, Priestern und Leviten des Alten Bundes getan, wie sie auch zur Zeit Jesu noch in ihrem Amte waren. Sie sind der Mietling, sie im Verein mit so manchem der heimlichen Freunde Jesu, die „aus Furcht vor den Juden“, das heißt den Pharisäern, die sich als die maßgebenden Vertreter des Gesamtvolkes aufspielten, nicht wagten, klar und deutlich Farbe zu bekennen, sie, die nach Gottes Auftrag im Rahmen der israelischen Theokratie die Herde zu weiden und vor allen verderblichen Einflüssen zu behüten hatten, sie alle „flohen“, als der Wolf des Pharisäertums Jesum, den wahren Hirten, hinmordete!
Soweit die zeitgenössisch-heilsgeschichtliche Deutung des Gleichnisses. Vieles hat sie uns aus jener großen, entscheidungsvollen Zeit vor Augen gestellt. Wir haben in dem ersten und dem dritten Gleichnis Jesum als den rechten und den guten Hirten gesehen, ferner Johannes den Täufer, den Wegbereiter und Türöffner des Messias, weiterhin die „Tür“ der alttestamentlichen Heilsgeschichte, dann die Herde des Messias und ihre Segnungen, auch ihre späteren gottgewollten Führer, auch die Hürde Israel, die Priester und Leviten und überhaupt die ängstlichen Freunde Jesu, die Ihn alle verließen und flohen, auch die Pharisäer sind vor unser Auge getreten, kurz, wir haben in Johannes 10ein überaus plastisches Bild der Zeit und engeren Umwelt Jesu gefunden.
Nur in einem Punkt konnte dieses Bild jedoch nicht der geschichtlichen Wirklichkeit entsprechen. Das lag in der Natur des Bildes. Der Hirte im Gleichnis nämlich stirbt, trotz all seiner Freiwilligkeit, mit der er sich dem Wolf entgegenstellt, letzten Endes dann doch schließlich nur deshalb, weil er von dem stärkeren Wolf überwunden worden ist. In diesem Punkte aber kann das Gleichnis nicht auf den Herrn Anwendung finden, denn Christus starb nicht deshalb, weil Er von der etwa größeren Macht Seiner Feinde niedergerungen worden war, auch starb Er nicht an einem gebrochenen Herzen, sondern Er Selbst fügt, um all diesen etwaigen irrtümlichen Deutungen und Forderungen, die man unter Umständen aus dem Bilde eines von der Kraft des Wolfes niedergekämpften Hirten ziehen könnte, von vornherein entgegenzutreten, ausdrücklich diesem Gleichnis hinzu: „Darum liebt Mich Mein Vater, weil Ich Mein Leben lasse ... Niemand nimmt es von Mir, sondern Ich lasse es von Mir Selbst.“ (V. 17 u. 18) Man muß eben auch ein solches Wort in seinem Zusammenhang lesen. Dann versteht man erst, warum es der Herr gerade in dieser Form überhaupt und speziell in dieser Rede von Johannes 10 gesprochen hat.
Schließlich zeigt der Herr aber noch, wie der zunächst so schreckliche Ausgang Seiner Hirtentätigkeit schließlich dennoch zu einem herrlichen und wunderbaren Sieg werden wird. Dieser ist in doppelter Weise groß und gewaltig:
Zum ersten bleibt Christus nicht im Tode, sondern Er steht wieder auf. Ja, so groß ist Sein Triumph, daß er nicht nur als eine Tat des Vaters am Sohne gekennzeichnet wird, als eine „Auferweckung“, sondern Christus bewirkt kraft Seiner göttlichen Herrlichkeit Selber Seine Rückkehr in ein, nun noch dazu verherrlichtes Menschenleben! Er läßt Sein Leben, nicht um als Märtyrer zu sterben, auch nicht einmal nur, um es als Lösepreis für Sünder zu geben, sondern, wie Er Selber ausdrücklich bezeugt, „auf daß Ich es wiedernehme“. (Vers 18) „Ich habe Gewalt, es zu lassen, und habe Gewalt, es wiederzunehmen.“ (Vers 18) Hier haben wir den einen der beiden Aussprüche des Herrn , denen zufolge die Auferstehung nicht nur das „Siegel“ der Bestätigung ist, das der Vater auf das Werk des Sohnes drückt (vgl. Röm 1,4), sondern eine Tat des Sohnes Selber, ja, in vollem Sinne eine Selbstauferweckung des Sohnes! Die andere Stelle haben wir in demselben Johannesevangelium: „Brechet diesen Tempel - den Leib des Herrn - ab, und in drei Tagen werde Ich Ihn aufrichten.“ (Joh 2,19) Hier haben wir ein besonderes Geheimnis, das allein in der Göttlichkeit des Gekreuzigten seinen Urgrund hat.
Das zweite, womit der Herr in dem letzten Gleichnis trotz der Hervorhebung Seines schweren Ausganges in Jerusalem dennoch das Sieghafte Seiner Hirtentätigkeit ausspricht, ist die universale Weite Seines Werkes und die übernationale Größe Seiner Herde. „Und Ich habe andere Schafe, die nicht aus dieser Hürde sind. Auch diese muß Ich bringen, und sie werden Meine Stimme hören, und es wird eine Herde, ein Hirte sein.“ (Vers 16) Hier spricht der Herr von Seinem großen Siege. Er wird eine Herde haben - ja, Er hat sie schon Kraft der überzeitlichen Erwählung des göttlichen Ratschlusses -, die über den Rahmen des Volkes Israel hinausgeht, und so wird eine übernationale Einheit da sein, wie sie die Welt - und auch die Heilsgeschichte bis dahin noch nie gesehen hat.
Das, wovon der Herr hier spricht, bezieht sich nicht etwa auf die Zukunft, sondern es ist genau dasselbe, was der Apostel Paulus - nur unter einem anderen Vergleich (nämlich dem des Leibes) -, in Epheser 2 aussagt. Die Einheit, von der hier die Rede ist, ist auch nicht die Einheit, um die der Herr Seinen himmlischen Vater in dem Hohenpriesterlichen Gebet bittet, das heißt die praktische Einigkeit der Erlösten in brüderlicher Liebe (Joh 17,21.23), sondern es handelt sich hier um die Einheit der Stellung der Juden und der Heiden vor Gott durch den Glauben und durch die Zugehörigkeit zu der einen Gemeinde, der einen Herde, dem einen Hirten Jesus Christus.
So ist denn der Ausgang des Werkes des guten Hirten in der Tat ein großer und herrlicher. Wir aber wollen es lernen, immer mehr auf die Stimme dieses Heilandes zu hören, und dann wird es unsere Erfahrung werden, was der Schreiber des Hebräerbriefes seinen Lesern zum Schluß wünscht: „Der Gott des Friedens aber, der aus den Toten wiederbrachte unseren Herrn Jesus, den großen Hirten der Schafe, in dem Blute des ewigen Bundes, vollende euch in jedem guten Werke, um Seinen Willen zu tun, in euch schaffend, was vor Ihm wohlgefällig ist, durch Jesum Christum, welchem die Herrlichkeit sei von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen!“ (Heb 13,20.21)
Er. Sr.