verschiedene Autoren
Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 12 -Jahrgang 1927
Kol 4,6 - „Eine gelinde Zunge“Kol 4,6 - „Eine gelinde Zunge“
„Euer Wort sei allezeit in Gnade, mit Salz gewürzt, um zu wissen, wie ihr jedem einzelnen antworten sollt.“ (Kol 4,6).
Von Demosthenes, dem berühmten, hinreißenden griechischen Redner, wird erzählt, daß er mit Kieselsteinen im Munde auf Bäume kletterte, um seine schwere Zunge geläufig und gewandt zu machen. Wir wollen jedoch nicht über eine gewandte, sondern über eine gelinde Zunge schreiben, was etwas ganz anderes ist.
Die Schrift spricht von einer Zunge, die gleich einem scharfen Schwerte ist (Ps 64,3). Eine solche Zunge ist das Gegenteil von einer gelinden Zunge. Wieviel Unheil vermag eine scharfe und spitzige Zunge anzurichten! Wie kann sie Herzen wehe tun und verwunden! Vielleicht rühmt sich der unglückliche Besitzer einer solchen Zunge, daß er nur aus Treue zum Herrn und um Seiner Ehre willen von diesem unbändigen Gliede Gebrauch mache! - Von unserem Herrn aber steht geschrieben, als Er siegreich aus der Wüste in der Kraft des Geistes nach Galiläa zurückkehrte und in der Synagoge zu Nazareth das Wort vorlas und auslegte, daß „alle Ihm Zeugnis gaben und sich über die Worte der Gnade verwunderten, die aus Seinem Munde hervorgingen“ (Lk 4,22). Und dazu bezeugt die Schrift: „Holdseligkeit ist ausgegossen über Deine Lippen.“ (Ps 45,2). Und die Braut rühmt von ihrem Geliebten: „Seine Lippen Lilien, träufelnd von fließender Myrrhe ... Sein Gaumen (d. h. Seine Rede) ist lauter Süßigkeit.“ (Hld 5,13.16).
Zwar wird die Stunde kommen, in welcher ein scharfes, zweischneidiges Schwert aus Seinem Munde gehen wird, „auf daß Er damit die Nationen schlage“. (Off 19,15); doch jetzt gießt Er Öl und Wein auf die eiternden Sündenwunden jeder reumütigen Seele, die sich zerschlagenen Herzens an Ihn wendet. Und wie versteht Er als einer, dem Jehova eine Zunge der Belehrten gegeben hat, den Müden durch ein Wort aufzurichten. (Jes 50,4).
Wie gut wäre es, wenn wir - Seine Nachfolger - uns Mühe geben würden, eine heilende und gelinde Zunge zu erlangen! Jakobus schreibt: „Die Zunge kann keiner der Menschen bändigen“, doch was bei Menschen unmöglich ist, ist möglich bei Gott. Eine gebändigte Zunge wendet den Zorn ab, denn „eine gelinde Zunge zerbricht Knochen“. (Spr 25,15). Haben wir nicht aber, ach, nur zu oft den Zorn im Herzen eines Bruders oder einer Schwester durch das kleine, sich großer Dinge rühmende Glied angefacht? Es ist, als ob etliche eine besondere Fähigkeit darin besäßen, den alten Menschen, das Fleisch in unseren Mitbrüdern zu erregen und dabei stolz darauf zu sein, wie sie sagen, nur die Wahrheit gesprochen zu haben. Mit rauher Hand berührt man irgend eine schmerzende geistliche Wunde, als ob das zur Heilung dienen würde, und doch weiß jeder verständige Mensch, daß man auf solche Weise eine Eiterbeule nur noch mehr entzündet. Und wie oft sind durch eine giftige oder nicht gelinde Zunge Herzen von Brüdern auf lange Zeit voneinander in Bitterkeit getrennt worden.
Von unserem Herrn singen wir: „Du hast, von Gott zur Erd' gesandt, nur Segen ausgeteilt,
Dein armes Volk mit linder Hand getröstet und geheilt“.
(B. K).
Zwei sehr lehrreiche Beispiele darüber haben wir in dem Buche der Richter, das erste von einer gelinden und das zweite von einer scharfen Zunge.
Gideon war nicht nur ein Glaubensheld, sondern er war ein weiser und verständiger Mann. Nach dem großen Siege über die Midianiter stieg Eifersucht in den Herzen der Ephraimiter aus; sie fühlten sich gekränkt und beleidigt, und das Wort berichtet, daß sie heftig mit Gideon zankten (Ri 8,1). Wie gut war es doch, daß er sich nicht hinreißen ließ, eine mit Pfeffer gewürzte Antwort zu geben! Sanft und schön erwiderte er: „Was habe ich nun getan im Vergleich mit euch? Ist nicht die Nachlese Ephraims besser als die Weinlese Abiesers? usw.“ „Und was habe ich tun können im Vergleich mit euch? Da ließ der Zorn von ihm ab, als er dieses Wort redete.“ (Ri 8,2.3). Sicher wäre es zu einem verhängnisvollen Bruderkrieg gekommen, wenn er hitzig geantwortet hätte. Das war eine Versuchung des Feindes, den Sieg über die Midianiter zu neutralisieren und zu verderben, aber es gelang ihm nicht; Gideon verhütete es durch seine gelinde Zunge.
Wie wahr ist das Wort des Weisen: „Eine gelinde Antwort wendet den Grimm ab, aber ein kränkendes Wort erregt den Zorn“ (Spr 15,1). Ach, daß wir alle lernen möchten, unsere Zunge zu bändigen! Wieviel Unheil und Zerwürfnis hat der Feind unter den Gläubigen aller Zeiten anstiften können, indem er sich der scharten und spitzen Zungen der Gotteskinder bedient hat; und dann flüsterte er ihnen zu, daß die Ehre des Herrn und die Rechtfertigung der Wahrheit bissige Worte erheische und fordere.
Jephtha war auch ein tapferer Held, aber ihm fehlte die gelinde Zunge, die Gideon besaß. Nach seinem herrlichen Sieg über die Ammoniter versammelten sich wieder die vermeintlich zurückgesetzten Ephraimiter und drohten ihm, sein Haus über ihm mit Feuer zu verbrennen (Ri 12). Wieder wollte der Feind, nämlich der Teufel, den Glaubenssieg annullieren oder aufheben, und diesmal gelang es ihm, denn Jephtha fiel es nicht ein, eine beschwichtigende Antwort zu geben. Wir spüren darin den barschen Klang: „Ich rief euch, aber ihr habt mich nicht aus ihrer Hand gerettet. Und als ich sah, daß du nicht helfen wolltest, da setzte ich mein Leben aufs Spiel“ usw (Ri 12,2.3). Das war ja die Wahrheit, und die Ephraimiter verdienten den Vorwurf, doch es war nicht die Wahrheit in Liebe (Eph 4,15). So kam es zu einem traurigen Brudermord, einem Bürgerkrieg. Kränkende Worte auf beiden Seiten brachten das zuwege. Das alles hätte so leicht mit einer gelinden Zunge vermieden werden können. Jephtha ging mit den Gileaditern noch weiter. Er stellte ein „Schibboleth“ auf und schlachtete alle Brüder, die nicht ein bestimmtes Wort so aussprechen konnten, wie sie es aussprachen. „Und es fielen in jener Zeit von Ephraim zweiundvierzigtausend.“ (Ri 12,6).
Ist das nicht alles äußerst lehrreich und zugleich auch eine ernste Warnung für uns? Wäre es nicht unendlich besser gewesen, wenn Jephtha seine Gelindigkeit allen Menschen hätte kundwerden lassen? (Phil 4,5). Paulus ermahnte die Philipper, das zu tun, weil der Herr nahe ist. Sicher, der Herr ist nahe, Sein Kommen steht vor der Tür. Aber ist Er uns nicht auch immer nahe? Ist Er nicht immer bei uns nach Seiner eigenen Verheißung in Mt 28,20? Und wenn wir uns Seines Naheseins bewußt sind, können wir dann anders als gelinde sein? Wollen wir nicht alle Starrköpfigkeit, alle kränkenden Worte einer scharfen Zunge meiden? Solche Dinge passen nicht in Seine heilige Gegenwart.
Wie innig und dringlich ist die Ermahnung: „Euer Wort sei allezeit in Gnade, mit Salz gewürzt“. Salz ist ein Symbol der Wahrheit und durfte bei keinem Opfer im
Alten Bunde fehlen: „Bei allen deinen Opfergaben sollst du Salz darbringen“ (3Mo 2,13; Mk 9,49). Wenn Brüder aber meinen, daß es ihre Pflicht sei, ihr Wort oder ihre Antwort mit Pfeffer oder Paprika zu würzen, so ist das ein gewaltiger Irrtum, und sie werden sicher früher oder später wie „Essig auf Natron“ eine große Explosion hervorrufen. Wohl entschuldigen sich einige fleischlich Gesinnte mit der ganz unangebrachten Ausrede, daß es ihre Natur und Veranlagung sei, jedem die Stirn zu bieten und geradeaus zu sagen, was sie denken!
Wie versuchte man, den Herrn zu verwunden und zu kränken, als Er am Kreuze in unsäglich körperlichen und geistlichen Schmerzen schmachtete: „Es reizen Ihn und schießen und es befehden Ihn die Bogenschützen, aber Sein Bogen bleibt fest“ (1Mo 49,23). Er schoß nicht zurück. „Der, gescholten, nicht wiederschalt, leidend, nicht drohte“ (1Pet 2,23), klagte wohl Seinem Vater und Gott: „Du, Du kennst Meinen Hohn und Meine Schmach und Meine Schande; vor Dir sind alle Meine Bedränger“ (Ps 69,19); aber Er Selbst schleuderte keine berechtigten Bannflüche gegen Seine Bedränger. Könnte das stille Gotteslamm Sich hinreißen lassen, ein ungeziemendes Wort zu sprechen? Diese Frage bedarf keiner Antwort. Nach diesem Beispiel des Herrn dürfen wir uns fragen, ob je ein Bruder berechtigt sei, seinem Mitbruder in Christo eine kränkende Antwort zu geben, auch wenn es die Wahrheit wäre? Solche erregt nur Zorn und stiftet nur vermehrtes Unheil an, dessen konzentrische, umkreisende Wellen immer weiter schlagen bis an die Ufer der Ewigkeit. Lernen wir vielmehr, den Stein in der geballten Faust hinwegzutun, damit wir ihn nicht werfen und Unheil anstiften, welches wir vielleicht nie wieder gutmachen könnten. „Die Worte des Mundes eines Weisen sind Anmut“ (Pred 10,12), „Tod und Leben sind in der Gewalt der Zunge“ (Spr 18,21). Laßt uns immer Leben wählen, d. h. Lindigkeit der Zunge, die ja ein Baum des Lebens ist (Spr 15,4). Unser Herr sagte: „Aus deinen Worten wirst du gerechtfertigt werden, und aus deinen Worten wirst du verdammt werden“. (Mt 12,37).
F. Btch.