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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 10 -Jahrgang 1925
Das Verhalten des Herrn dem gefallenen Petrus gegenüberDas Verhalten des Herrn dem gefallenen Petrus gegenüber
Wenn wir auf den Herrn blicken, wie Er dem fallenden Petrus gegenüber handelte, so sehen wir eine solche Tiefe der Liebe und Treue, daß unser Herz nur anbeten kann. Zuerst warnte Er ihn, dann betete Er für ihn, dann blickte Er ihn an, dann starb Er am Kreuz für ihn, dann sendet Er ihm eine Botschaft des Gedenkens, dann die Begegnung mit Ihm allein und dann schenkt Er ihm Sein volles Vertrauen.
Die Größe Seiner Liebe zu Seinen Jüngern tritt uns erst recht vor Augen, wenn wir daran denken, was diese „Stunde“ für den Herrn war. Vor Ihm lagen die Schatten des Kreuzes und des Gerichtes Gottes über die Sünde. David betete einst: „Gehe nicht ins Gericht mit Deinem Knechte“, aber Er mußte in dieses Gericht hineingehen. Er wußte alles, was über Ihn kommen würde, und Er sagt: „Jetzt ist Meine Seele bestürzt“ (Joh 12,27); „Vater, rette Mich aus dieser Stunde“, und als die Stunde näher kam, fing Er an, sehr bestürzt und beängstigt zu werden (Mk 14,33). Aber Er, der Selbst bestürzt war, tröstete bis zum letzten
Augenblick Seine Jünger: „Euer Herz werde nicht bestürzt“ (Joh 14,1). Er konnte sie trösten, weil Er ihre Bestürzung auf Sich nahm.
Doch auch sie mußten in einem gewissen Maße an dieser „Stunde“ teilnehmen, und Er mahnte sie: „Wachet und betet, auf daß ihr nicht in Versuchung kommt! ...“ „Die Stunde ist gekommen, der Sohn des Menschen wird in die Hände der Sünder überliefert“ (Mk 14,38-41). Das einzige Mittel, in dieser Stunde vor der Gewalt der Finsternis bewahrt zu bleiben, war: Wachsamkeit und Gebet. Wie treu der Herr sie warnte! Er kannte das Begehren Satans, sie zu sichten wie den Weizen. Er wollte den Weizen - das, was Gottes Werk in ihnen war - wegnehmen, und was Spreu war, lassen. Der Herr aber wollte, daß die Spreu durchs Sieb fallen und der Weizen bleiben solle.
Petrus sah keine Notwendigkeit, zu wachen und zu beten. Ihm war es völlig ernst, für und mit dem Herrn zu sterben. Er kannte weder die Macht Satans noch seine eigene Schwachheit, und deshalb hatte er kein Bedürfnis, über sich zu wachen und für sich zu beten. Und weil er nicht betete, tat der Herr es für ihn, und Er sagte ihm: „Ich habe für dich gebetet, auf daß dein Glaube nicht aufhöre.“
Es gibt kaum etwas, was das Herz mehr berührt, stärkt und ermutigt, als wenn uns jemand sagt: „Ich habe für dich gebetet“. Wie innig ist das Band der Liebe, das uns mit denen verbindet, von welchen wir wissen, daß sie aus dem Herzen der Liebe heraus für uns beten. Wie manchmal kommt mir der Wunsch, die zu kennen, die für mich beten. Wir sollten noch viel mehr füreinander beten und auch auf Fürbitte rechnen!
Aber, ach, zu dieser Stunde hatte das Wort des Herrn: „Ich habe für dich gebetet“ für Petrus keinen Wert. Er war zu sehr mit seinem eigenen Herzen und seiner Liebe zum Herrn beschäftigt. Der Herr hatte Petrus gesagt alles, was er tun würde, daß er dreimal leugnen würde, Ihn zu kennen. Betete der Herr nun darum, daß er Ihn nicht verleugnen, sich nicht verfluchen und verschwören möchte? Um was betete der Herr? Er betete, daß sein Glaube nicht aufhören möchte. Petrus hatte Glauben, aber sein Glaube war in Gefahr, aufzuhören, durch das Sieb zu fallen. Wenn der Herr nicht gebetet hätte, daß sein Glaube nicht aufhören möge, wer weiß, wo Petrus gelandet wäre! Man möchte fragen, hörte sein Glaube nicht auf? Nein, niemals! Petrus fiel, aber sein Glaube fiel nicht. Sein Glaube wurde auch in der dunkelsten Stunde von der unsichtbaren Macht Gottes bewahrt. Ob Petrus wohl daran dachte, als er in seinem Briefe schrieb Kap. 1,5: „Die ihr durch Gottes Macht durch Glauben bewahrt werdet zur Errettung?“ In uns ist keine Macht, den Glauben zu bewahren; aber die Fürbitte des Herrn bewirkte, daß sein Glaube an Gottes Gnade und Liebe nach dem schrecklichen Falle nicht aufhörte.
Wir wissen nicht, als Petrus hinausging und weinte, wo er hinging. Wie elend muß es in seiner Seele ausgesehen haben und was muß es für ihn gewesen sein, als er später hörte, wie sie den Herrn geschlagen, gekrönt, bespien und schließlich ausgezogen und gekreuzigt hatten. Wie schrecklich muß er da seine Verleugnung empfunden haben, wie müssen ihm immer wieder seine Worte ins Gedächtnis gekommen sein: „Wenn ich mit Dir sterben müßte, würde ich Dich nicht verleugnen“ (Mt 26,33.35), „mit Dir bin ich bereit ins Gefängnis und in den Tod zu gehen“ (Lk 22,33), „mein Leben will ich für Dich lassen“ (Joh 13,37). Wie furchtbar ist doch die Sünde, wenn sie der Seele ins Gedächtnis kommt!
Wie es einem dann ums Herz ist, das sehen wir bei David, der uns nach seinem tiefen Falle einen Blick in sein Herz tun läßt. Seine Gebeine verzehrten sich durch sein Gestöhn den ganzen Tag (Ps 32,3). In den Worten: „Meine Sünde ist beständig vor mir“ (Ps 51,3) enthüllt er uns den ganzen Jammer und das Herzeleid Seiner Seele. Aber wie er sich auch vor Gott schämt und verbergen möchte, so ist doch Der, gegen Den er gesündigt hat, seine einzige Zuflucht, das einzige Hoffnungslicht in der Dunkelheit seiner Seele. Er ruft: „Gegen Dich, gegen Dich allein habe ich gesündigt und getan, was böse ist in Deinen Augen“ und hängt doch zugleich sein Herz so an Gottes Gnade und an die Größe Seiner Erbarmungen, daß er bittet: „Wasche mich völlig von meiner Ungerechtigkeit, und reinige mich von meiner Sünde“ (Ps 51.1.2). Sein Glaube klammert sich daran, daß einen zerbrochenen Geist, ein zerbrochenes und zerschlagenes Herz Gott nicht verachten werde (Ps 51,17).
Meinst du, daß es in dem Herzen des Petrus in dieser Zeit anders aussah als in dem Herzen Davids? Petri Sichtung ist kein vereinzelter Fall. Solche Sichtungen sind immer wieder notwendig, weil wir unserem Herzen so leicht vertrauen. Der Herr möchte uns diesen Weg der Bitterkeit ersparen. Er möchte uns lieber mit Seinen Augen leiten, als uns wie Rossen und Maultieren Zügel und Gebiß in den Mund legen (Ps 32,8.9). Aber wenn wir von uns selbst so voll sind, daß wir kein Auge mehr für Sein Auge haben, dann muß Er uns einen solchen Weg gehen lassen, damit unsere Augen wieder einfältig werden, den Blick Seines Auges aufzunehmen. Hat der Herr Sich nicht auch nach uns umwenden müssen, um uns ins Herz zu blicken, damit wir wieder möchten zur Besinnung kommen?
Aber Jesu Herz und Jesu Liebe blieben unverändert. Wie groß steht der Herr in Seiner Liebe vor uns, wenn wir sehen, daß Petri tiefer Fall nicht vermochte, Seine Liebe auszulöschen. Er vergaß Petrus nicht. O, möchten wir uns eng an dieses Herz der Liebe schmiegen!
Das Letzte, was Petrus tat, war, daß er den Herrn verleugnete, und das Erste, was der Herr tat, war, daß er für Petrus starb. Geistlich betrachtet mußte der Herr zuerst am Kreuze sterben, ehe Er den ganzen Segen der Vergebung Petro zuteil werden lassen und Sein Wort in Erfüllung bringen konnte, daß Er, wenn Er zurückgekehrt sei, Seine Brüder stärken solle. Der Gerechte mußte für die Ungerechten sterben, um ihnen den Frieden zu bringen, den Er ihnen brachte, als Er ihnen Seine Hände und Seine Füße zeigte, die Er Sich zu ihrer ewigen Erlösung durchnageln ließ.
In Petri Geschichte können wir die beiden Dienste des Herrn, sowohl als Hoherpriester wie auch als Fürsprecher, unterscheiden. Von Seinem Dienste als Hoherpriester, der mit unserer Schwachheit Mitleid hat, machte Petrus keinen Gebrauch. Die Stunde der Versuchung und des Ansturmes des Satans fand Petrus nicht in Schwachheit, sondern in eigener Kraft. Wenn er den Gewalten der Finsternis in bewußter Schwachheit hätte gegenübergestanden, so würde er den Thron der Gnade benutzt und Barmherzigkeit, Gnade und rechtzeitige Hilfe gefunden haben und wäre vor Sünde und Fall bewahrt geblieben. So aber machte er keinen Gebrauch von der helfenden Hand des Herrn, und so wurde nun der Fürsprecherdienst des Herrn für ihn notwendig. In dem Herrn als dem Hohenpriester finden wir Hilfe vor dem Fall; in Ihm als dem Fürsprecher finden wir Hilfe nach dem Fall. Dieser Dienst beschäftigt sich mit der Reinigung des Gefallenen.
Doch laßt uns auf den Gang der Ereignisse weiter eingehen. Nachdem Petrus hinausgegangen war, sagt die Schrift uns nichts weiter, als daß er bitterlich weinte. Das nächste, was die Schrift uns dann berichtet, ist, daß Maria Magdalena zu ihm kommt und wir ihn mit Johannes zusammenfinden (Joh 20,2). Wenn uns auch nichts darüber gesagt wird, so spricht doch dieses Zusammensein von Petrus und Johannes eine Sprache zu uns. Seine tiefe Reue war Johannes nicht unbekannt geblieben, und wir können hieraus das herzliche Erbarmen sehen, mit welchem Johannes sich des unglücklichen Petrus annahm. War auch nicht er selbst geflohen? Hatte er nicht auch sein Gewand in den Händen der Feinde gelassen und war nackt davongelaufen? (Mk 14,52). Wie macht das Bewußtsein der eigenen Schwachheit und des eigenen Fehlens uns sanft und demütig! Auch daß Maria Magdalena zu Petrus kommt, zeigt uns etwas von dem herzlichen Erbarmen und ihrem Vertrauen dem trostlosen Petrus gegenüber.
Der Auferstehungstag war angebrochen. Die Weiber gingen in der frühen Morgenstunde, als es noch dunkel war, zur Gruft. Maria erblickt das erste Zeichen Seiner Auferstehung, den weggewälzten Stein, aber sie hält es für eine Tat des Hasses der Feinde. Sie meinte, sie hätten Seinen leblosen Leib geraubt, und läuft in ihrem Schreck zu Petrus und Johannes. Beide sehen wir dann zur Gruft eilen, Johannes läuft voran. Was mochte in Petri Herzen vorgehen, als er zur Gruft ging? Wie das Schuldbewußtsein auf seiner Seele lastete! Er, der immer allen voran war, er konnte jetzt nicht voranlaufen. Als Johannes zur Gruft kommt, beugte er sich vornüber, er sieht das zweite Zeichen Seiner Auferstehung: er sieht das leere Grab. Dann kommt Petrus, er geht hinein in die Gruft. Dann ging Johannes auch hinein in die Gruft. Ob Johannes anfänglich vor dem Betreten der Gruft zurückschreckte, weil er nach dem jüdischen Gesetz sich dadurch verunreinigte? Wir wissen es nicht.
Petrus ging sofort hinein. Was sollte ihm noch die Stellung eines reinen Juden, wo er Christus verloren hatte? Er wußte sich so verunreinigt, daß er durch das Betreten des Grabes sich nicht noch mehr verunreinigen konnte.
In der Gruft sehen wir dann das dritte Zeichen Seiner Auferstehung, die leinenen Tücher, geordnet und zurechtgelegt, das Schweißtuch zusammengefaltet am einem besonderen Ort. Da sahen sie, daß hier von einem Herausreißen des Leichnams - von einem Leichenraube, wie Maria meinte - keine Rede sein könne. Dann wären gewiß die Leinentücher, in welche der Leichnam eingewickelt war, mit hinweggenommen worden. Da fingen sie an zu ahnen, daß etwas anderes geschehen sei, als was Maria vermutete.
Der Glaube an Seine Auferstehung fing an zu glimmen durch das, was ihre Augen hier sahen, aber er gründete sich noch nicht auf die Schrift (Joh 20.9). Was nach diesem Besuch im Grabe in Petri Herzen vorgehen mochte, können wir nur ahnen, wenn wir uns in seine Lage versetzen. Wie mußte das Verlangen in seiner Seele brennen, nur noch einmal den Herrn wiederzusehen und Ihm sagen zu können, wie leid ihm seine Sünde sei.
Aber was wollen wir von dem Verlangen in dem Herzen Petri reden? Laßt uns lieber von dem Verlangen in dem Herzen des Herrn reden, Petrus zu begegnen! Wie Er sein gedachte, das sehen wir an der Botschaft, die Er ihm besonders durch den Mund der Weiber ausrichten ließ.
Früh am Auferstehungsmorgen war jene kleine treue Schar von Weibern ausgezogen, um nach dem Grabe zu schauen, allen voran Maria Magdalena. Sie sollten die ersten sein, die getröstet wurden. Als der ersten trocknet Er die Tränen der Maria; dann tröstet Er die Weiber und gibt ihnen die Botschaft an Petrus mit auf den Weg. Und dann sucht Er Seinen unglücklichen Petrus auf, und danach begegnet Er den Emmaus-Jüngern. Als diese dann nach Jerusalem zurückkehren, um den Jüngern die Botschaft Seiner Auferstehung zu bringen, kommen diese ihnen schon entgegen mit der Botschaft, daß Er auch Petrus erschienen sei, so daß der Herr zwischen der Erscheinung bei den Weiber und der bei den Emmaus-Jünger die Begegnung mit Petrus gehabt haben muß.
Wenn uns in 1Kor 15,5 gesagt wird, daß Er Kephas erschienen sei, danach den Zwölfen, so sehen wir daraus, welch ein Verlangen in dem Herzen des Herrn gewesen sein muß, Petrus wiederzusehen, daß Er ihm vor allen anderen Jüngern zuerst erschien. Wenn in dieser Stelle vom „Erscheinen“ geredet wird, so ist kein Grund vorhanden, darunter ein flüchtiges Erscheinen zu verstehen. Es war nicht weniger als bei den Weibern, die Seine Knie umfaßten. Wo dieses stattfand, wissen wir nicht. Ob Petrus nach dem Besuch des Grabes, von Furcht und Hoffen umhergejagt, irgendwo einsam umherirrte, genug, die Augen des Herrn waren auf ihn gerichtet.
Was da zwischen ihm und dem Herrn geschehen ist, das ist ein heiliges Geheimnis zwischen beiden geblieben, das haben selbst seine Mitapostel respektiert und nicht zu erforschen gesucht. Wie völlig aber die Vergebung gewesen und die Liebe wiederhergestellt war, das sehen wir, als der Herr den Jüngern auf dem Meere erschien, wo Petrus sich ins Meer stürzte, um zu dem geliebten Herrn zu kommen.
Diese geheime Begegnung mit dem Herrn war nötig und vorbereitend für den öffentlichen Beweis des Vertrauens und der Wiedereinsetzung Petri in die Arbeit in Seinem Werke. v. d. K.