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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 13 - Jahrgang 1928
1Mo 45,1-15 - „Danach redeten seine Brüder mit ihm“1Mo 45,1-15 - „Danach redeten seine Brüder mit ihm“
Das innige Verlangen des Herrn nach den Seinigen finden wir oft in den Vorbildern des Alten Testamentes ausgedrückt, und in keinem mehr als in der Geschichte Josephs mit seinen Brüdern. In seiner uns von Gott aufgezeichneten Geschichte sehen wir ihn als den Mann der Tränen, und seine Tränen entsprangen besonders aus der liebenden Sehnsucht seines Herzens nach seinen Brüdern.
Den Höhepunkt finden wir, als er, der mächtige Herrscher des Landes Ägypten, seine Gefühle nicht mehr zurückhalten konnte und unter Tränen ausrief: „Ich bin Joseph, euer Bruder!“ (V. 3.4). Es muß ein gewaltiger Augenblick gewesen sein. Diese Offenbarung Josephs brachte die elf Männer, die vor ihm standen, so aus der Fassung, daß sie wie gelähmt und unfähig waren, weder zu sprechen noch sich zu bewegen. Er streckte ihnen gleichsam die Hände entgegen und sagte: „Tretet doch her zu mir!“ (V. 4).
Alsdann nahte er sich jedem seiner Brüder, weinte an dem Halse eines jeden und küßte jeden einzelnen in seiner Liebe. Die Innigkeit seiner Umarmung und der Kuß seiner Liebe nahm ihnen jede Furcht. Die Schrift berichtet in ihrer schlichten und einfachen Sprache: „Und danach redeten seine Brüder mit ihm.“ Als sie unter der Inbrunst seiner Liebe zur Ruhe gekommen waren, öffnete sich ihr Mund, und sie redeten zu ihm in der Sprache ihrer Familie, in der Sprache des Vaterlandes und des Vaterhauses.
Den Söhnen Jakobs hätte natürlich der Gedanke nicht kommen können, daß sie die Brüder des Herrn von ganz Ägypten waren, die Brüder des Mannes, in dessen Hände der gewaltige Pharao die ganze Herrschaft gelegt hatte. Sie würden zufrieden gewesen sein, als Bittende zu seinen Füßen von ihm die Wohltat der Erhaltung ihres Lebens zu empfangen. Aber dies war nicht genug für Joseph, nicht genug für seine Liebe. Seine Liebe verlangte danach, ihnen die Verwandtschaft zu offenbaren, in welcher sie zu ihm standen, und ihnen ein Heim bei sich zu bereiten.
Wie oft gleichen wir den Brüdern Josephs! Wir wären hoch zufrieden gewesen, wenn der Herr uns aus unserer Sündennot und vom ewigen Verderben errettet hätte.
Unsere Sündennot ist es ja in den meisten Fällen, die uns zu dem Herrn treibt. Joseph aber war nicht zufrieden, nur den Nöten seiner Brüder zu begegnen, und so befriedigt es auch den Herrn nicht, uns nur von dem ewigen Verderben zu erretten. Seine unauslöschliche Liebe verlangt nach Größerem für uns. Sie ist nicht eher befriedigt, als bis Seine Geliebten Ihm passend und gleichförmig gemacht sind und Er sie für immer bei Sich hat.
Die erste Botschaft, die der Herr am Auferstehungsmorgen durch Maria Seinen Jüngern sandte, enthielt die große Tatsache, daß wir die Brüder des auferstandenen Herrn sind. „Gehe hin zu Meinen Brüdern und sprich zu ihnen: Ich fahre auf zu Meinem Vater und zu eurem Vater, und zu Meinem Gott und eurem Gott.“ (Joh 20,17). Doch beachte, daß Er nicht sagt: „Ich bin euer Bruder“. So konnte Joseph zu seinen Brüdern sagen. Er konnte ihnen ausdrücken, daß er zu ihnen als ihr Bruder herabstieg. Der Herr aber sagt: „Meine Brüder“, und in diesem Worte liegt die köstliche Wahrheit, daß Er uns zu Seiner Höhe emporhebt, daß wir Seine Brüder sind.
Wir sind nach Heb 1,9 Seine Genossen: „Gott, Dein Gott hat Dich gesalbt mit Öl des Frohlockens über Deine Genossen." Wir sind Seine Genossen für immer. Durch Gottes Gnade sind wir in Seiner Verwandtschaft, so wie es uns in Heb 2,11 gesagt wird: „Denn sowohl der, welcher heiligt, als auch die, welche geheiligt werden, sind alle von Einem; um welcher Ursache willen Er Sich nicht schämt, sie Brüder zu nennen.“ Dies ist eine überwältigende Wahrheit, etwas, das niemals aus eines Menschen Herz kommen konnte. Solche Gedanken über uns konnten nur aus Gottes Herzen hervorkommen, und wir dürfen sie als den Ausfluß Seiner ewigen Liebe anbetend erfassen.
Ja, wir, die wir an den Herrn Jesus Christus gläubig geworden sind, sind nicht allein errettete Sünder, sondern auch die Brüder des auferstandenen Herrn , dessen, der mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt und dem das ganze All unterworfen ist. Wie herrlich ist diese Verwandtschaft, in die wir eingeführt sind: Sein Vater ist unser Vater, Sein Gott ist unser Gott!
Als Brüder Christi haben wir das selige Vorrecht, uns zu allen Zeiten der Gemeinschaft Seiner Liebe zu erfreuen. Aber wir haben auch spezielle Gelegenheiten, und unter diesen Gelegenheiten nimmt das Mahl des Herrn einen besonderen Platz ein. In diesem Zusammenkommen sagt Er in Wahrheit zu uns: „Tretet doch her zu Mir!“ Das Mahl des Herrn führt uns zu dem Höhepunkt Seiner Liebe. Da erinnern wir uns Seiner, wie Er für uns in die unfaßbaren Tiefen des Todes hinabstieg, um uns den Kuß Seiner Liebe geben zu können. Wenn wir zu Seinem Gedächtnis an Seinem Mahle teilnehmen, gibt Er gleichsam aufs Neue einem jeden den Kuß Seiner Liebe, und wir erfahren immer wieder neu, daß, so oft wir auch Seine Liebe empfangen, sie sich doch niemals erschöpft noch durch die Länge der Zeit sich vermindert.
Nun laßt mich noch auf das kleine Wörtchen „danach“ hinweisen (V. 14). Als Josephs Brüder den Kuß seiner Liebe empfangen und geschmeckt hatten, alsdann - „danach“ - fingen sie an, mit Joseph zu reden. So ist es auch mit uns. Danach, wenn unsere Herzen von dem Kuß Seiner Liebe bewegt und aufgetan worden sind, werden unsere stammelnden Zungen gelöst, Seine Herrlichkeit zu preisen. Welche Freude war es für Joseph, als seine Brüder mit ihm sprachen. Können wir uns eine Vorstellung davon machen, „als sie mit ihrer Stimme zu ihm redeten“? In den Psalmen lesen wir: „Sinnen will ich über Deine Wundertaten“ (Ps 119,27). Sicher ist es köstlich, über Seine Wunderwerke nachzusinnen und darüber zu reden und zu rühmen. Hier aber handelt es sich nicht um das Reden über Seine Wunderwerke, sondern um das Sprechen mit Ihm. Gewiß ist es dem Herrn eine Freude, wenn wir über Ihn und Seine Wunderwerke sprechen. Wenn aber das Sprechen über Seine Wunderwerke einen solchen Platz einnimmt, daß wir das Sprechen mit Ihm darüber vernachlässigen, so rauben wir Ihm das, was Seine Liebe so hoch schätzt. Das Verlangen des Herrn in dieser Hinsicht finden wir so schön ausgedrückt in dem Hohenliede, wo der Bräutigam die Braut anredet: „Laß mich deine Gestalt sehen, laß mich deine Stimme hören; denn deine Stimme ist süß und deine Gestalt anmutig.“ (Hld 2,14).
Wenn wir in der gesegneten Freiheit und der Freude Seiner Gegenwart mit Ihm reden, werden wir nicht nur vertrauter mit der Sprache des Vaterhauses, sondern Seine Freude ist es auch, uns die Dinge des Vaters, die Ihm gehören, zu offenbaren, an welchen wir durch die wunderbare Verwandtschaft mit Ihm teilhaben. „Er küsse mich mit den Küssen Seines Mundes, denn Deine Liebe ist besser als Wein.“ (Hld 1,2).
M. (v. d. K).