Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 10 -Jahrgang 1925
Ein weites HerzEin weites Herz
Unser Mund ist zu euch aufgetan, ihr Korinther; unser Herz ist weit geworden. Ihr seid nicht verengt in uns, sondern ihr seid verengt in eurem Innern. Zur gleichen Vergeltung aber (ich rede als zu Kindern) werden auch ihr weit! Seid nicht in einem ungleichen Joche mit Ungläubigen; denn welche Genossenschaft hat Gerechtigkeit und Gesetzlosigkeit? Oder welche Gemeinschaft Licht mit Finsternis ... Nehmet uns auf ... (2Kor 6,11-18 bis Kap. 7,3).
In seinem 2. Briefe konnte der Apostel den Korinthern schreiben, daß sein Mund zu ihnen aufgetan sei. Das konnte er ihnen in seinem 1. Briefe nicht schreiben. Er konnte mit ihnen nicht über das reden, was in seinem Herzen war, weil so viele betrübende Dinge in ihrer Mitte waren, die ihm den Mund schlossen.
In seinem 1. Briefe mußte er ihnen schreiben über die Spaltungen in ihrer Mitte, über das Böse, das sie in ihrer Mitte duldeten, über ihr Rechten vor den Ungläubigen, über ihre Verbindungen mit dem Götzendienst, über ihre Unordnung beim Mahle des Herrn usw. Diese Dinge bereiteten ihm solche Kümmernis, daß ihm der Mund verschlossen wurde, von den tieferen Wahrheiten Gottes zu schreiben. Wie konnte er auch angesichts solcher Dinge in ihrer Mitte von den „Tiefen Gottes“ (1Kor 2,10), in denen seine Seele lebte, zu ihnen reden!
Ganz anders aber ist es, wenn wir zum 2. Briefe kommen. Es war in Korinth anders geworden; die Dinge, die er in seinem 1. Briefe rügen mußte, waren gerichtet und geordnet worden. Nun konnte er ihnen schreiben: „Unser Mund ist zu euch aufgetan, ihr Korinther; unser Herz ist weit geworden. Ihr seid nicht verengt in uns, sondern ihr seid verengt in eurem Innern ... werdet auch ihr weit!“
Diese Worte lassen uns erkennen, daß man ihn so hingestellt hatte, als ob sein Herz verengt sei. Schonungslos hatte er ihre Weitherzigkeit gegen das Böse bloßgelegt, und dieses hatte ihm ohne Zweifel den Vorwurf eines verengten Herzens eingetragen. Aber ob andere ihn auch in Argwohn und Stolz wegen seines rücksichtslosen
Tadelns ihrer Gleichgültigkeit und Zuchtlosigkeit so darstellen mochten, hier öffnet er ihnen sein Herz und läßt sie einmal in die Weite seiner Liebe hineinblicken. Er sagt ihnen, daß sein Herz weit aufgetan sei, und wünscht, daß auch ihr Herz so weit wie sein Herz werden möchte.
Das verengte Herz war nicht in ihm, sondern in ihnen. Ihr Herz war verengt, sie hatten darin wenig Raum für den, der in einer solchen Entschiedenheit und Absonderung den Weg ging. Er mußte auch jetzt wieder ihnen die Wahrheit sagen, ob sie ihnen gefiel oder nicht: „Ihr seid nicht verengt in uns, sondern ihr seid verengt in eurem Innern ... werdet auch ihr weit!“ Er sagt ihnen gleichsam: „Ihr habt Raum in unseren Herzen, wir aber haben wenig Raum in euren Herzen. Macht euer Herz auch uns weit auf, so wie unser Herz weit gegen euch ist.“
Er hatte ein weites Herz ihnen gegenüber, aber er hatte durchaus kein weites für die Vermischungen der Gläubigen mit den Ungläubigen - von Christus mit Belial, wofür ihr Herz noch weit war. Sein weites Herz war mit Heiligkeit verbunden, ihr weites Herz mit Unentschiedenheit und Lockerheit. Er wünscht ihnen ein weites Herz, aber nicht nach der verkehrten Richtung hin, sondern ein weites Herz in der rechten Art - den Gedanken Gottes gemäß.
Wenn er ihnen so in dem Drange seiner Liebe zuruft: „Werdet auch ihr weit“, so kann er nicht anders, er muß zugleich daran die Warnung vor einer falschen Weite anschließen und zugleich hinzufügen: „Seid nicht in einem ungleichen Joche mit Ungläubigen, denn welche Genossenschaft hat Gerechtigkeit und Gesetzlosigkeit? Oder welche Gemeinschaft Licht mit Finsternis ... oder welches Teil ein Gläubiger mit einem Ungläubigen? ... darum gehet aus aus ihrer Mitte und sondert euch ab, spricht der Herr ...“
Ein solcher Weg ist allerdings dem Fleische nicht angenehm, und er kann nicht umhin, ihnen im Anfang des Kapitels den Weg eines Dieners Gottes zu schildern, der in Abhängigkeit von dem Herrn nach der Wahrheit wandelt. Wie herzbewegend führt er ihnen die Entsagungen und Leiden dieses Weges, aber auch die Herrlichkeit und die Freude des Sieges in der Kraft Gottes vor Augen.
Er redet wie zu Kindern, die dem Vater die Vergeltung der Liebe schuldig sind, und wünscht, daß, wie sein Herz weit ihnen gegenüber war, in gleicher Vergeltung sie auch ihm ihr Herz weit öffnen möchten. - Warum will er ihr weites Herz? Er wußte, wenn ihr Herz weit sein würde ihm gegenüber, dem, der nicht nur predigte: „Seid nicht in einem ungleichen Joche mit Ungläubigen ... gehet aus aus ihrer Mitte und sondert euch ab“, sondern der dieses auch praktizierte, so würden sie ihre unheiligen Verbindungen bald selbst aufgeben und sich absondern. Hatten sie für den Apostel und für seine Mitarbeiter, die diesen Weg der Absonderung mit ihm gingen, ein weites Herz, so konnten sie natürlich nicht gleichzeitig auch ein weites Herz für solche haben, die den Apostel nach dieser Seite hin ablehnten. Darum schließt er der Aufforderung: „Werdet auch ihr weit“ sogleich die Wegweisung für das göttlich gerichtete weite Herz an: „Seid nicht in einem ungleichen Joche mit Ungläubigen ...“
Wieviel Weitherzigkeit nach der falschen Richtung hin finden wir heute! Wie viele lehnen den von Gott verordneten Weg der Absonderung ab, da sie vermeinen, „weitherzig“ sein zu müssen! Ja, sie rühmen sich solcher „Weitherzigkeit“ und gebrauchen sogar die vier aus dem Zusammenhang gerissenen Worte des Apostels: „Werdet auch ihr weit“ zur Rechtfertigung ihrer falschen Stellung. Ist dies Unwissenheit, oder ist es vorsätzlicher Ungehorsam? Gar manchmal fand ich, daß die sich solcher Weitherzigkeit Rühmenden kaum je diesen Vers gelesen und noch weniger ein Ahnen hatten, daß Paulus daran die Belehrungen der Absonderung knüpft, - geschweige denn, daß sie über diese Stelle nachgedacht hätten. Mit welch erschreckender Oberflächlichkeit behandeln Gläubige das Wort Gottes! Wenn das bei Dir, lieber Leser, der Fall war, möchtest du dann angesichts dieses Wortes nicht deine Augen in Beschämung niederschlagen und dich vor dem Herrn über deine Unwissenheit oder deinen Ungehorsam beugen?
Wie ernst trifft diese vermeinten „Weitherzigen“ das Wort des Apostels: „Ihr seid verengt in eurem Innern“ - nicht gegen Menschensatzungen und Würdenträger, aber verengt gegen die Wahrheit und die Apostel. Diesen „verengten“ Weitherzigen gilt das Wort: „Werdet auch ihr weit. Seid nicht in einem ungleichen Joche mit Ungläubigen ... gehet aus aus ihrer Mitte und sondert euch ab ... nehmet uns auf usw.“ (2Kor 6,11 - 7,3).
Haben wir nicht nötig, in dem Lichte dieses Wortes einmal unsere Verbindungen zu prüfen? Wenn wir zum Worte unseres Gottes kommen, befinden wir uns unter Gottes Auge. Seien wir ehrlich: Wofür ist unser Herz verengt, und wofür ist es weit? Möchte es weit gefunden werden für die Wahrheit und weit gegen die, die in der Wahrheit wandeln.
Als Beispiel eines weiten Herzens zeigt der Apostel ihnen ein wenig später (Kap. 8) die Gläubigen in Mazedonien. Er spricht von einer „Gnade Gottes“, die den Gemeinden Mazedoniens gegeben sei und wünscht, daß diese „Gnade“ auch bei ihnen gefunden werden möchte. Diese Gnade, von der er spricht, fand bei den Mazedoniern ihren Ausdruck in ihrem Verbundensein mit denen, die in der Wahrheit wandelten. Ihr weites Herz wurde in diesem Verbundensein und der damit zusammengehenden Teilnahme und Gemeinschaft sichtbar. Sie waren arm an irdischen Gütern, aber „ihre tiefe Armut“ strömte in der Weite ihres Herzens aus in reicher „Freigebigkeit“. Und warum? Damit sie „die Gemeinschaft des Dienstes für die Heiligen“ haben möchten (2Kor 8,4). Sie hatten kein verengtes Herz, das sich nur um sie selbst bewegte. Ihr Herz war weit für die Gemeinschaft der Heiligen. Dieses trieb sie an, durch ihre Gaben Gemeinschaft, Anteil zu haben „an dem Dienste für die Heiligen“. Sie hatten kein weites Herz für Gemeinschaft mit den Dingen der Finsternis, aber ein so weites Herz, daß sie um die „Gnade“ baten, durch ihre Freigebigkeit Gemeinschaft haben zu dürfen an dem Dienste eines Dieners Gottes, der bemüht war, die Gläubigen aus einer falschen Weitherzigkeit zu der wahren Weitherzigkeit, die mit Heiligkeit verbunden ist, zu führen.
Wie ist es mit uns? Derselbe Apostel, der hier spricht: „Werdet auch ihr weit. Seid nicht in einem ungleichen Joche mit Ungläubigen ... gehet aus aus ihrer Mitte und sondert euch ab“, derselbe Apostel sagt zu Timotheus: „Bedenke dieses sorgfältig; lebe darin, auf daß deine Fortschritte allen offenbar seien.“ (1Tim 4,15). Unser Herz kann nicht verborgen bleiben, es wird offenbar werden, wofür es weit ist, ob für Christus oder Belial - ob für die Wahrheit oder für die Überlieferungen der Menschen, ob für solche, die in der Wahrheit wandeln oder für solche, die tun, was recht ist in ihren Augen. Möchten unsere Fortschritte in der rechten Weitherzigkeit allen offenbar werden, mit denen wir Umgang haben, und möchten wir gleich den Mazedoniern die Gnade haben, Gemeinschaft mit denen zu suchen, die in der Wahrheit wandeln! v. d. K.