Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 6 -Jahrgang 1918/19
„Gebete, die erhört und die nicht erhört werden“„Gebete, die erhört und die nicht erhört werden“
Das Gebet ist das Atmen deines inneren, verborgenen Lebens. Es ist der Verkehr deiner Seele mit Gott. Als der Herr einst von der neuen Geburt redete, sagte Er: „Der Wind weht, wo er will, und du hörst sein Sausen.“ Etwas von diesem „Sausen“ ist auch das Gebet, so wie es von Saulus hieß: „Siehe, er betet.“ In dem Gebet reden wir mit Gott, und Gott redet wiederum durch Sein Wort zu uns. Dies sind die beiden sichtbaren Verbindungen zwischen der Seele und Gott. Beide, das Wort und das Gebet, finden wir oft in der Schrift nahe beieinander. In dem einen spricht Gott zu uns, in dem anderen wir zu Ihm. Im Gebet kommt unsere Abhängigkeit von Gott so recht zum Ausdruck. Unsere Schwachheit und Unzulänglichkeit treibt uns, Seine Kraft für uns zu erbitten. In jedem Menschen lebt etwas davon, Ihn in der Not anzurufen; dieser Zug in jeder Menschenbrust ist ein Beweis von dem Dasein Gottes.
Es ist etwas Wunderbares, einen Menschen mit dem Unsichtbaren reden zu sehen, fast noch wunderbarer erscheint es uns aber, daß dieser Unsichtbare in nicht mißzuverstehender Weise antwortet. Tausende könnten bezeugen, wie Er geantwortet hat. Und doch wie wenig wird auf Seine Antwort geachtet! Oft wird uns Seine Antwort in den Umständen zuteil, und diese ergeben sich oftmals wieder in so scheinbar natürlicher Weise, daß wir uns gar nicht bewußt werden, daß es Gottes Antwort ist. Gott gebraucht eben Mittel und Wege, und weil Er Mittel und Umstände gebraucht, bleiben wir so leicht an den Umständen hängen und sehen nicht Sein Walten darin. Seine Güte antwortet dem Gebet des Glaubens in den Umständen oft so unmerkbar und schnell, daß es geöffneter Augen bedarf, Seine Antwort zu sehen.
Möchten wir nicht nur unsere Anliegen vor Ihn bringen, sondern auch auf Seine Antwort achten! Wir sollen nicht nur allezeit beten, sondern auch in demselben wachen. Es liegt so in uns, alles selbst einfädeln zu wollen, statt die Dinge Ihm zu überlassen. Der Herr sagt: „Seid um nichts besorgt, sondern in allem lasset durch Gebet und Flehen mit Danksagung eure Anliegen vor Gott kund werden.“ (Phil 4,6). Nichts ist für Ihn zu klein, es zu beachten, und nichts ist zu alltäglich, um es Gott nicht sagen zu können, seien es die Dinge des Werkes des Herrn, der Familie oder des Geschäftes usw. Welche Gnade, daß Gott uns zu solchem nahen Verkehr mit Sich ermuntert, mit Ihm alle unsere Gedanken und Anliegen auszutauschen. Aber lassen wir uns auch bewahren, es etwa mit einem Herzen des Probierens zu tun, ob und wie Er antworten wird, sondern vielmehr in wahrer Abhängigkeit mit dem Herzen des Glaubens; unser Gewinn wird groß sein.
Laßt uns in unseren Gebeten nüchtern und einfach sein! Nicht das lange, mit Worten geschmückte Gebet ist es, das Gott gefällt, sondern das, das aus dem Herzen des Glaubens zu Ihm emporsteigt. Ist das Herz rein, die Absicht recht, so mag unsere Ausdrucksweise mangelhaft sein, Gott versteht's. Ja, Gott versteht das Gebet des Herzens selbst dann, wenn auch vor Schmerz und Kummer die Lippen schweigen. Er versteht das Seufzen und den Schrei der Seele. Er sagt: „Ehe sie rufen, werde Ich antworten; während sie noch reden, werde Ich hören“ (Jes 65,24).
Was das Gebet auszurichten vermag, das sehen wir so recht in der Geschichte des Königs Josaphat (2Chr 20). Als Moab und Ammon wider ihn in großer Menge heraufzogen, „da richtete er sein Angesicht daraus, Jehova zu suchen“. Höre, was er zum Herrn sagt: „... willst Du sie nicht richten? In uns ist keine Kraft vor dieser großen Menge, die wider uns kommt, und wir wissen nicht, was wir tun sollen, sondern auf Dich sind unsere Augen gerichtet.“ Und was war das Resultat? Gott stritt für ihn. Er machte, daß die Feinde gegeneinander kämpften und sich verdarben, und als Juda auf die Bergwarte kam, da sahen sie die Erde bedeckt mit den Leichnamen ihrer Feinde. Alles, was Juda tat, war „Sänger für Jehova zu bestellen, welche lobsangen im heiligen Schmuck“. Wären unsere Augen mehr auf den Herrn gerichtet, unsere Lippen würden mehr zu Seinem Preise geöffnet sein.
Sollten wir nicht aus solchen Beispielen die Macht des Gebets lernen? Hat Gott nicht deshalb für uns solches niederschreiben lassen? Wir mögen nicht beredte Evangelisten, Hirten oder Lehrer sein, auch nicht zu großen hervortretenden Arbeiten und Aufgaben in Seinem Werke berufen sein, aber wir können beten, können mit Ihm reden, ohne dessen Kraft alle Gaben und Fähigkeiten kraftlos sind. Was wird einst sichtbar werden an jenem Tage, wenn alles im Lichte Gottes offenbar wird! Was wir hier auf die Rechnung dieses oder jenes begabten Bruders schrieben, mag dort als Antwort auf das „inbrünstige Gebet eines Gerechten“ (Jak 5,16) offenbar werden, auf den niemand hier unten geachtet hat. Wir ahnen ja gar nicht, wieviel im Werke des Herrn von den Gebeten des Glaubens abhängt! Möchten doch alle Kinder Gottes in ihren Gebeten mitwirken an der Arbeit in Seinem Werke! Unsere Augen blicken oft zu viel auf die Werkzeuge Seiner Hand, und wir legen allen Wert und Ehre auf diese, aber Gott wird an jenem Tage die gläubigen, von niemand gekannten Beter ehren. Dies sollte eine Ermutigung sein für alle verborgenen Beter, nicht müde zu werden im anhaltenden Gebet. Sie selbst und andere mögen nichts sehen von der Wirkung ihrer Gebete, aber sie wird nicht verborgen bleiben. Der Herr kommt und mit Ihm Sein Lohn (Off 22,12).
Ein Evangelist kam in ein Dorf, um das Evangelium zu verkündigen. Als er von Haus zu Haus ging und Traktate verteilte, fand er eine bettlägerige Schwester im Herrn. Er erzählte ihr, daß er gekommen sei, um an dem Orte das Evangelium zu verkündigen. Da bedeckte plötzlich eine Röte das Gesicht der Schwester. Auf seine Nachfrage hörte er nun, daß sie schon mehr als zehn Jahre bete, daß der Herr jemand senden möge, die frohe Botschaft zu verkünden, und nun war er da, es zu tun. Sie konnte nicht selbst das Evangelium verkünden, aber sie konnte Gott bitten, einen anderen zu senden. Werden nicht beide ihren Lohn finden am dem Tage des Herrn Jesus Christus?
Laßt uns beten und glauben. Der Herr sagt: „Alles, um was irgend ihr betet und bittet, glaubet, daß ihr es empfanget, und es wird euch werden“ (Mk 11,24). Der Geist Gottes bewirkt die Gegenstände des Gebetes in unserem Herzen, damit wir sie Gott im Gebete sagen und Er sie uns geben möge. Sind aber unsere Herzen für Sein Wirken nicht gereinigt (z. B. nicht vergebend, Mk 11,24-26), so können wir auch nicht erhörlich beten. Aber was Sein Geist dir ins Herz legt, welche Dinge es auch seien, sage es Gott im Glauben. Aber vermiß dich nie in deinem Gebet zum Fordern oder Erzwingen - gleichsam Gott Gewalt anzutun, dir dein Verlangen geben zu müssen. Fordern und Erpressen ist kein „Gebet“. Wir dürfen „bitten“, aber nicht „fordern“. „Gebet“ ist die bittende Rede des abhängigen, willenlosen, ergebenen Herzens mit Gott, und doch ist das „Gebet des Glaubens“ ein Erfassen Seiner Macht und Seiner Liebe im vollen Glauben - Seiner Macht, die alles vermag zu geben - Seiner Liebe, die geben wird, wie es für uns am besten ist. Das Wort an Hesekiel (14,7) gilt dem Grundsatz nach auch für uns: „Ich, Jehova, werde in Meiner Weise (Mir gemäß) antworten.“ Gewiß, Gott hat uns Verheißungen gegeben, aber Seine Verheißungen geben uns kein Recht zum Fordern. Er wird sie erfüllen zu Seiner
Zeit. Daran ist kein Zweifel. Wir aber dürfen um die Erfüllung Seiner Verheißungen „bitten“. Die Verheißungen machen keineswegs unser Gebet überflüssig. Wir wissen, Gott hat vielmals klar verheißen, Israel zu segnen und an Menschen zu vermehren, und doch sagt Er: „Ich werde Mich vom Hause Israel erbitten lassen, daß Ich es ihnen tue: Ich werde sie an Menschen vermehren wie eine Herde.“ (Hes 36,11.37).
Wie aber ist es mit den unerhörten Gebeten? Vielleicht sagt ein Leser: „Ich habe lange um diese oder jene Sache gebetet, und mir ist keine Antwort geworden. Warum hat Gott mein Gebet nicht erhört?“
Zunächst wollen wir uns gesagt sein lassen, daß es auch Gebete gibt, die nicht erhört werden; wenigstens nicht nach unseren Gedanken und Wünschen. Denken wir an den bekannten Fall mit Paulus (2Kor 12). Er bat den Herrn dreimal, daß der „Dorn für das Fleisch“ ihm weggenommen werde, und doch wurde ihm seine Bitte nicht erfüllt. Es war besser für ihn, daß er nicht empfing, um was er bat. Und dies mag auch der Fall mit uns sein. - Davids Geschichte gibt uns ein anderes Beispiel. Er wünschte sehnlichst, dem Herrn ein Haus zu bauen. Das war gewiß ein rechter Gedanke, und wie würde er sich gefreut haben, es tun zu können, aber es wurde ihm nicht erlaubt. Beide aber empfingen Antwort auf ihr Gebet. Paulus empfing die Gnade, sich seiner Schwachheiten zu rühmen, daß die Kraft Christi über ihm wohne; und David wurde zufriedengestellt dadurch, daß sein Sohn das Haus bauen sollte. Beide empfingen Antwort, nur die Antwort war nicht so, wie sie sie sich gedacht und erbeten hatten. Und so mag es auch mit uns sein. Auch wir empfangen Antwort, aber die Antwort ist anders als die Bitte, und weil sie anders ist, sehen wir sie nicht an als eine Antwort. Ja, mehr, wir mögen ähnliche Erfahrungen machen wie jener Bruder, der mit Inbrunst betete, daß es ihm gegeben werden möge, das Leben Jesu in seinem Leben zu offenbaren. Der Herr erhörte sein Gebet - aber wie? Er erzählte, daß er Wege geführt wurde, die ihn schier an den Rand der Verzweiflung brachten. Zuerst wurde er selbst zerschlagen, dann wurden die Bande nach dem Fleische und der Welt zerbrochen, und er mußte durchleben, was Paulus in 2Kor 4,8-11 sagt: „... allenthalben bedrängt ... verfolgt ... verlassen ... niedergeworfen ... das Sterben Jesu am Leibe umhertragend.“ Aber Gott gab ihm Gnade zu sehen, daß dies der Weg war, auf dem Gott ihm seine Bitte schenken konnte. Wir sehen, Gott antwortet, aber Seine Antwort kann ganz anders sein, als wie wir sie erwarten.
Es kann auch sein, daß uns keine zusagende und bestimmte Antwort wird. Wir mögen um Dinge bitten, die uns nicht gut sind, oder um etwas Törichtes bitten. Wir sahen solches bei der Mutter der Söhne des Zebedäus (Mt 20,20ff). Sie bat, daß ihre beiden Söhne einer zu Seiner Rechten und einer zu Seiner Linken sitze in Seinem Reiche. Der Herr sagte ihr, daß sie nicht wisse, um was sie bitte. Gewiß, sie dachte, wie schön es sei, wenn ihre beiden Söhne zu Seiner Rechten und Linken säßen, aber der Herr zeigte ihr und uns, daß es eine wichtigere Sache ist zu dienen, als sich bedienen zu lassen.
Doch vielleicht beten wir um rechte Dinge, z. B. um die Bekehrung unserer Kinder und um andere rechte Dinge, und doch wird uns keine Antwort. Dies führt uns zu anderen Gründen der Nichterhörung unserer Gebete. Da war eine gläubige Frau, sie wünschte innigst, daß in der Familie Hausandacht gehalten werde, aber ihr Mann war nicht dafür zu haben. Lange bat sie den Herrn darum. Da geschah es, daß ein Bruder auf einige Tage in ihr Haus kam. Diesem klagte sie ihr Anliegen, daß sie schon oft, aber vergeblich den Herrn gebeten habe und es nicht verstehen könne, warum Gott ihr Gebet nicht erhöre und ihren Mann zurechtbringe. Ganz überrascht wurde sie, als der Bruder ihr sagte, daß zuerst sie selbst sich müsse von Gott zurechtbringen lassen, und dann würde auch Gott ihren Mann zurechtbringen. Sie war willig und demütig, die Zurechtweisung anzunehmen, und mit Ernst prüfte sie ihr Benehmen und Verhalten vor dem Herrn, um zu sehen, wo die Hindernisse bei ihr seien. Und als Gott Sein Ziel bei ihr erreicht hatte, währte es nicht lange, da war auch ihr Mann gewonnen und eines Sinnes mit ihr. Auch unsere Gebete bleiben oft unbeantwortet, weil Gott noch erst bei uns etwas zurechtzubringen hat. Es ist gewiß recht, um das geistliche Wachstum und den Segen anderer zu beten. Aber Er liebt uns zu sehr, um andere zu segnen und uns ungesegnet zu lassen. Seine Weise ist vielmehr: „Ich will dich segnen“ - und dann folgt - „und du sollst ein Segen sein“. Wenn der Herr uns etwas vorenthält, so ist das eine deutliche Mahnung, zuerst einmal uns und unsere Wege zu prüfen und zu erforschen, und dann „laßt uns zum Herrn umkehren“ (Klgl 3,40). Unerhörte Gebete sind oft ein Hinweis auf unseren eigenen Zustand.
Jakobus gibt uns noch einen anderen Grund, warum wir nicht empfangen, um was wir beten. Er sagt: „Ihr bittet und empfanget nichts, weil ihr übel bittet, auf daß ihr es in euren Lüsten vergeudet“ (Jak 4,3). O, wie viele, die da fragen, warum Gott ihre Gebete nicht erhöre, finden in diesem Worte ihre Antwort. Wie erforschen diese Worte die Beweggründe unserer Gebete! Hinter all unserem Beten, unserer scheinbaren Hingabe usw. steht, ach, so oft nur unser eigener Genuß, unser Haus, unsere Interessen und Freude - und so nahe dabei steht „die Welt“ (V. 4). Gott liest das Verborgene unseres Herzens, und gäbe Er uns unsere Bitte, wir würden sie gebrauchen, uns zu spreizen und uns selbst zu gefallen. Gott weiß, was Er uns anvertrauen kann und ob es uns zum Segen und Ihm zur Herrlichkeit sein würde. Wenn wir uns selbst besser kennten, wir würden uns weniger wundern, daß unsere Gebete nicht erhört werden. Auch ungerichtete Sünden (Lüge, Unrecht, Untreue u. a. m)., sagt Jesaja im Kap. 59,1.2ff., sind Ursachen, „daß Er nicht hört“. - „Seine Hand ist nicht zu kurz, um retten zu können, und Sein Ohr nicht zu schwer, um zu hören“, aber „unsere Missetaten stehen zwischen uns und Ihm“, um uns erhören zu können.
Ein anderer Grund, warum Gott die Erhörung unserer Gebete zurückhält, ist, daß wir zurückhaltend sind in Dingen, die wir schuldig sind zu tun. Z. B.: Als der Herr in Mk 11,24-26 von der Erhörung der Gebete spricht, verbindet Er die Vergebung unsererseits damit: „Alles, um was irgend ihr betet und bittet, glaubet, daß ihr es empfanget, und es wird euch werden. Und wenn ihr im Gebet dastehet, so vergebet, wenn ihr etwas wider jemanden habt.“ Hegst du in deinem Herzen einen nicht vergebenden Geist, dann erkenne, daß dies das Hemmnis für die Erhörung deiner Gebete ist. Und ebenso wird es sein, wenn wir zurückhalten, was dem Herrn geweiht sein soll. Es gibt keinen ärmeren Menschen als den, der immer spart. Denke an das Wort in Spr 11,24.25: „Da ist einer, der ausstreut, und er bekommt noch mehr, und einer, der mehr spart, als recht ist, und es ist nur zum Mangel. Die segnende Seele wird reichlich gesättigt, und der Tränkende wird auch selbst getränkt.“ Es ist ganz gewiß, daß Gott nach Seiner Gnade mit uns handelt und nicht nach dem, wie wir es verdienen, und doch übersieht Gott nicht, wie wir Ihm und anderen gegenüber handeln, und danach handelt Er auch mit uns. Vergeltung ist ein Grundsatz Seines Waltens schon in dieser Welt. „Gegen den Gütigen erzeigst Du Dich gütig“ (Ps 18,25). Und denen, die nur für ihr „eigenes Haus“ sorgten, ließ Er sagen: „Darum hat der Himmel den Tau über euch zurückgehalten und die Erde ihren Ertrag.“ (Hagg. 1,4-11; vergl. Mal 3,10).
Dann bleiben unsere Gebete auch unbeantwortet, weil wir unverständig bitten. Dies ist besonders oft der Fall, wenn es sich um geistliche Dinge handelt. Im Geistlichen wie im Natürlichen hat Gott gewisse Grundsätze und Ordnungen festgelegt, und Er kann Bitten, die diesen entgegenstehen, nicht ohne weiteres erfüllen. Aus dem Fall mit dem kananäischen Weibe können wir etwas lernen (Mt 15,21-28). Sie kam in der tiefen Sorge um ihre Tochter zum Herrn, um von Ihm als dem „Sohne Davids“ gesegnet zu werden, - und „Er antwortete ihr nicht ein Wort“. (War dies herzlos von Ihm?) Aber Er wies sie nicht ab, wie Er auch uns nicht abweist. Sie kam unter ganz falschen Voraussetzungen zu Ihm, und ehe Er ihre Bitte erfüllen konnte, mußte Er sie belehren, damit sie erst ihren rechten Stand vor Ihm einzunehmen lernte. Welchen Anspruch hatte sie als Heidin an den „Sohn Davids“? Er muß ihr erst die Augen über sich selbst und ihre Stellung zu Ihm öffnen. Und sie versteht Sein Wort. Sie beugt sich und sagt: „Ja, Herr“ und nimmt ihren Platz als ein „Hündlein“ vor Ihm ein, als eine, die kein Anrecht an Israels Verheißungen hat und „ohne Hoffnung und ohne Gott in der Welt ist“ (Eph 2). Aber das Erbarmen des „Herrn“ ist auch für die „Hündlein“ da, und so klammert sie sich an Ihn und erwartet ein Brosamlein von Seinem Tische, von Ihm, den sie das Recht hatte ihren „Herrn“ zu nennen. Der Herr hatte Sein Ziel erreicht. Sie war zur rechten Glaubensstellung hingeführt, und mit welcher Freude gibt Er ihr jetzt, was ihr Herz verlangte. Wir sehen, der Herr hätte die ganze Ordnung Gottes beiseile setzen müssen, wenn Er ihr hätte ohne weiteres geben wollen, was sie erbat. Deshalb mußte sie erst lernen, wie sie den Segen empfangen konnte.
Wenn auch nicht in derselben Weise, aber demselben Grundsatz nach bedürfen auch heute gar manche Beter Belehrung, nicht etwas als eine Gabe auf ihr Gebet empfangen zu wollen, was Gott auf den Glauben, auf die Treue oder auf Grund anderer Bedingungen geben will. Ich möchte hier zunächst auf das Gebet um Vergebung der Sünden hinweisen. Haben wir nicht ernste, suchende Seelen gesehen, die jahrelang um die Vergebung beteten, und wenn man sie nach der Vergebung ihrer Sünden fragte, traurig „nein“ antworteten oder im besten Falle mit einem zweifelnden: „Ich hoffe, die Vergebung zu haben“? Sie beten beständig um etwas, was Gott willig ist, ihnen zu geben, und was Er ihnen beständig anbieten läßt, zu nehmen. Wenn wir jemand um etwas bitten, und er uns anbietet, es zu nehmen, so werden wir mit dem Bitten aufhören und es annehmen. Wenn wir es aber nicht annehmen, so brauchen wir uns nicht zu wundern, daß wir es nicht empfangen. Aber so ist es. Da sind Tausende, die da meinen, die Vergebung als eine Antwort auf ihr Gebet zu empfangen, aber sie wird nur erlangt, wenn der Glaube an den Herrn Jesus sich erkühnt, von Ihm anzunehmen, was Er anbietet. Ich möchte keine suchende Seele aufhalten zu beten. Bete ernst! Bete inbrünstig! Bekenne dem Herrn dein sündiges Leben, aber setze deine Erwartung und Hoffnung nicht auf das Gebet! Gebete, Tränen, gottselige Übungen bringen dir nicht die Errettung deiner Seele. Es heißt nicht: „Bete“ - sondern: „Glaube an den Herrn Jesus, so wirst du errettet werden“ usw. Du mußt an Ihn glauben - Ihm glauben, daß, wenn Er dir die Vergebung anbietet, Sein Angebot dir auch das Recht gibt, anzunehmen, was Er anbietet. Viele sind es aber, die durch Gebet erlangen wollen, was nur durch Nehmen im Glauben an den Herrn Jesus erlangt werden kann. „So sei euch nun kund, daß durch diesen (Jesus) euch Vergebung der Sünden verkündigt wird ... und in diesem jeder Glaubende gerechtfertigt wird (Apg 13,38.39). Und kurz vor Seiner Himmelsahrt sagte der Herr, daß „in Seinem Namen Buße und Vergebung der Sünden verkündigt“ werden solle (Lk 24,47). „Verkündigt“ zur freien Glaubensannahme. „Wer da will, nehme das Wasser des Lebens umsonst.“ (Off 22,17b). Solche um ihre Sündenvergebung betenden Seelen haben zu lernen, daß sie die Vergebung nicht auf ihre Gebete empfangen, sondern auf dem Grunde des Kreuzes Christi und des Glaubens an Ihn. -
Andere beten um mehr Glauben. Als ob Gott ihnen an einem Tage ein großes Maß des Glaubens in den Schoß geben möchte. Wir müssen lernen, daß Gott nicht in solcher Weise den Glauben vermehrt. Der Glaube ist gleich dem Samen, der da wächst - gleich der physischen Kraft, die durch den Gebrauch erstarkt. Als die Jünger einst den Herrn baten: „Vermehre uns den Glauben“ (Lk 17,5-10), gab der Herr ihnen nicht einfach denselben, sondern Er belehrte sie, wie sie ihre Bitte erlangen könnten. Er wies sie hin auf das Senfkorn. So klein das Senfkorn auch an sich war, unter den natürlichen Bedingungen - in dem Erdreich unter den Einwirkungen der Luft, der Sonne und des Regens wurde es groß. So auch der Glaube. Und sei er so klein wie ein Senfkorn, er vermag große Dinge zu vollführen. Wie nötig haben wir, göttliche Grundsätze zu lernen. Der Herr zeigt ihnen, daß es sich nicht um viel oder wenig Glauben handelt, sondern um den Gebrauch. Nicht durch die Bitte um Vermehrung, sondern durch die praktische Ausübung des Glaubens würde ihnen die Vermehrung des Glaubens zuteil werden. Der Glaube, und sei er so klein wie ein Senfkorn, wenn er in den prüfenden Umständen ausharrt und sich bewährt, wird sich wie das Senfkorn im Erdreich entfalten und wachsen. In seinem zweiten Brief schreibt Paulus den Thessalonichern: „Euer Glaube wächst überaus.“ Wie konnte er das sagen? Weil er im ersten Briefe ihrer „Werke des Glaubens“ gedachte und nun von ihrem „Ausharren des Glaubens in allen Verfolgungen und Drangsalen“ reden konnte (1Thes 1,3; 2Thes 1,3.4). Hätten sie nur um mehr Glauben gebetet und sich den göttlichen Grundsätzen für das Wachstum des Glaubens entzogen, indem sie den Leiden aus dem Wege gegangen wären, so würde ihr Glaube statt sich vermehrt, abgenommen haben.
Ebenso verhält es sich mit dem Gebet um Geduld, Ausharren, Ruhe und viele andere geistliche Dinge. Gott gibt uns diese nicht in Bausch und Bogen, ganz abgesehen von unserem geistlichen Leben, einfach auf unser Gebet. Der Empfang dieser Dinge hängt mit anderen Dingen zusammen und steht mit diesen in Beziehung, so wie Ursache und Wirkung. Wollen wir hiermit sagen, daß sich das Gebet um diese Dinge erübrige? Durchaus nicht! Aber wir wollen lernen, in der rechten Weise zu beten und zu wachsen in der Erkenntnis Gottes. Wir sind ungeduldig und harren nicht aus, weil wir Ihn so wenig kennen. Wenn wir nur suchen, frei zu werden von der Ungeduld, indem wir um Geduld beten, oder von unserer Unbeständigkeit und Unruhe, indem wir um Ausharren und Ruhe beten, so gehen wir nicht zur Wurzel unseres Zustandes, sondern handeln nur mit den Symptomen. Der Herr sagt uns, wir sollen Sein Joch auf uns nehmen und von Ihm Sanftmut und Demut lernen, dann werden wir die Ruhe finden. Möchten wir dieses aber nicht, so werden wir sie nicht finden (Mt 11,29). Entziehen wir uns der Trübsal, so kann kein Ausharren bei uns bewirkt werden (Röm 5,3). Dämpfen oder betrüben wir den Heiligen Geist, so können wir die Frucht des Geistes nicht erlangen (Gal 5,22). Üben wir nicht Enthaltsamkeit und Selbstbeherrschung aus, so fehlt uns auch das Ausharren (2. Petrus 1,6).
Der Herr schenke uns Verständnis in allen Dingen! Wir dürfen unsere Anliegen alle Gott kundmachen (Phil 4,6.7), und der Friede Gottes wird unser Teil sein; für die Erfüllung unserer Anliegen müssen unsere Bitten aber „nach Seinem Willen“ sein (1Joh 5,14.15). Und wenn wir uns bewußt sind, in gewissen Anliegen „nach Seinem Willen“ zu bitten, so werden wir in Frieden warten und Zeit und Stunde - ja alles, jeden Ausgang - Ihm überlassen. Die Gemeinde betete anhaltend für Petrus, und nur wenige Stunden vor seiner Hinrichtung wurde ihr Gebet erhört und Petrus gerettet (Apg 12,2-17). Jakobus dagegen war hingerichtet worden. Wir haben keinen Grund anzunehmen, daß niemand für die Rettung Jakobus' oder Stephanus' gebetet hätte, aber sie starben unter Mörderhänden. Seine Gedanken sind höher als unsere Gedanken (Jes 55,8.9).
Laßt uns alles dieses ernstlich erwägen, und wir werden Licht über manche Frage empfangen. Der Herr schenke uns Gnade, treuer im Gebet zu stehen und zu lernen, nach Seinem Willen zu beten, indem wir wachsen in der Erkenntnis Gottes.
(E). - v. d. K.