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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 11 -Jahrgang 1926
1Kor 11,26 - „Briefe über den Tisch des Herrn“
Briefe über den Tisch des Herrn - Vierter BriefBriefe über den Tisch des Herrn - Vierter Brief
Geliebte Geschwister!
Nach der Meinung, die wir vorher vom Tisch des Herrn gehabt hatten, war dieses der Tisch, an welchem wir bei der Abendmahlsfeier sitzen. Nicht als ob wir diesem Tisch als solchem einen besonderen Wert beilegten, aber immerhin doch, daß wir Abendmahl und Tisch des Herrn als ein und dasselbe ansahen. In unserem Denken war beides nicht geschieden.
Ist es uns aber aus dem, was wir bis jetzt betrachtet haben, nicht klar geworden, daß „Tisch des Herrn“ ein unendlich viel mehr umfassender Begriff ist? Sagt er uns nicht (angenommen, daß unsere jetzige Anschauung richtig ist), daß mit „Tisch des Herrn“ die Zusammenfassung aller Segnungen, die unser Teil sind, gemeint ist und daß wir somit unser ganzes Leben, sowohl in der Woche wie am Sonntag, des Tisches des Herrn teilhaftig sind?
Ich sage, angenommen, daß unsere Anschauung richtig ist, und deshalb untersuchen wir ja die Schriften, denn keine andere Absicht leitet uns hierin als diese, die Gedanken des Herrn besser verstehen zu lernen. Der Psalmist bittet im 119. Psalm siebenmal: „Lehre mich Deine Satzungen!“ Diese Bitte muß ständig das Begehren und das Bedürfnis unserer Herzen sein.
Es ist selbstverständlich (und im Anfang unserer Untersuchung haben wir uns einander darauf aufmerksam gemacht), daß wir nicht etwas annehmen, weil es neu ist, und daß, wenn neues Licht und neue Gedanken uns werden, wir auf der Hut zu sein haben, damit wir nicht durch die Anziehungskraft des Neuen unsere Nüchternheit verlieren.
Aber es gibt auch eine Gefahr nach der anderen Seite hin, nämlich, daß wir festhalten, was alt ist, eben weil es alt ist und auch dann, wenn wir keinen Schriftgrund dafür haben. Die Frage unseres Herzens muß immer sein: „Was sind, nach unserem besten Wissen und Erkennen, die Gedanken des Herrn in Seinem kostbaren Worte?“
Und ebenso müssen wir auf der Hut sein, nicht unsere Gedanken, unsere Auffassung als mit dem Worte Gottes gleichbedeutend zu achten. Dieses liegt uns so nahe, wenigstens ist die Gefahr da. Es muß uns stets vor Augen bleiben, daß nicht unsere Gedanken über die Schrift, sondern nur die Schrift selbst unfehlbar ist. Daher ist es wichtig, immer bereit zu sein, uns durch den Heiligen Geist unterweisen zu lassen, der uns in die ganze Wahrheit leitet.
Zu meinen, daß wir „die Wahrheit haben“, daß wir soweit gekommen seien, über andere Kinder Gottes in der Erkenntnis hervorzuragen, ist nichts als eitle Torheit. Solange wir hier sind, bleiben wir Lernende.
In diesem Geiste des Lernens haben wir auch unsere Betrachtungen in diesen Briefen angefangen, nicht indem wir sagten: „Es ist so“, sondern indem wir fragten: „Kann es so sein?“
Wir wollen aber jetzt einen Schritt weiter gehen und von der Voraussetzung ausgehen, daß unsere Anschauung richtig ist, daß also mit dem „Tisch des Herrn“ nicht die Abendmahlsfeier gemeint ist, sondern im Gegenteil, daß „Tisch des Herrn“ ein charakterisier Ausdruck ist, mit dem so passend das Ganze der Segnungen, Vorrechte und Wohltaten (von welchen das Abendmahl eine ist) bezeichnet wird.
Wir sahen, wie der Heilige Geist in diesem Abschnitt (1Kor 10,14-21) uns davon überführen will, daß wir durch den Kelch, den wir segnen, und das Brot, das wir brechen, zu erkennen geben, Gemeinschaft mit dem Blute und dem Leibe Christi zu haben; ebenso wie auch Israel durch das Essen der Schlachtopfer ausdrückte, „Gemeinschaft“ mit dem Altar zu haben und wie die Heiden durch ihre Opfer „Gemeinschaft“ mit den Dämonen hatten.
Der Schluß des Apostels war: „Ich will nicht, daß ihr Gemeinschaft mit den Dämonen habt“. Denn eine solche Gemeinschaft war völlig unvereinbar mit der Gemeinschaft des Blutes und des Leibes Christi. Konnten Licht und Finsternis miteinander Gemeinschaft haben? Welche Übereinstimmung hat Christus mit Belial und welches Teil ein Gläubiger mit einem Ungläubigen und welchen Zusammenhang der Tempel Gottes mit Götzenbildern? (2Kor 6,14.15).
Im 21. Verse faßt dann der Apostel das Vorhergesagte zusammen und zeigt ihnen, daß sie nicht beides haben und mit beiden verbunden sein könnten: „Ihr könnt nicht des Herrn Tisches teilhaftig sein und des Dämonen-Tisches“.
Dies ist die Sache, um die es sich klar und unwiderlegbar in dieser Stelle handelt; und dieses wird den Gläubigen in Korinth eingeschärft und mit allem Ernst auf Herz und Gewissen gelegt, und dies ist es, was alle Gläubigen an allen Orten und zu allen Zeiten, also auch wir uns selbst und einander immer wieder einzuschärfen haben: Gemeinschaft mit dem Dämonen-Dienst der Welt und Gemeinschaft mit dem Herrn schließen sich gegenseitig aus. Wie auch Jak 4,4 sagt: „Wer nun irgend ein Freund der Welt sein will, der stellt sich als Feind Gottes dar“.
Auf der einen Seite ist der Kelch des Herrn mit seiner Fülle des Segens - der Tisch des Herrn mit allem, was Gottes unaussprechliche Liebe uns zu schenken vermag, und auf der anderen Seite ist der Kelch der Dämonen mit seinem Taumelwein - der Tisch der Dämonen mit seinen anziehenden und verführerischen Angeboten. Gemeinschaft mit dem einen schließt Gemeinschaft mit dem anderen aus. Wie außerordentlich ernst ist das!
Wenn wir jetzt die Voraussetzung machen, daß tatsächlich der „Tisch des Herrn“ nicht der Tisch ist, an dem wir das Abendmahl empfangen, sondern daß er der Inbegriff, die Zusammenfassung des ganzen Reichtums von Segen und Herrlichkeit ist, an welchem die Gläubigen teilhaben und der den Christen eigen ist, dann zeigen sich auch sofort die notwendigen Folgen - Folgen für eine ganze Reihe von Vorstellungen und Begriffen, die viele Kinder Gottes heute mit dem Begriff „Tisch des Herrn“ verbunden haben.
Beschäftigen wir uns zunächst mit der „Aufrichtung des Tisches des Herrn“, einer Sache, die heute noch bei einem Kreise von Brüdern beliebt und in Gebrauch ist, die wir aber vergeblich in der Schrift suchen. Wie kann man von einem Aufrichten dessen reden, was, solange es Kinder Gottes gab, immer da war!
Doch wir müssen uns noch etwas länger bei dieser schriftwidrigen Sache aufhalten, in der Hoffnung, sowohl uns als auch anderen zu dienen.
Wäre es richtig (wie von diesen Brüdern oft angedeutet wird), daß der Tisch des Herrn vor jetzt ungefähr hundert Jahren wieder aufgerichtet sei, dann muß daraus der Schluß gezogen werden, daß es jahrhundertelang keinen Tisch des Herrn gegeben habe. Und daraus folgt dann notwendig, daß die Kinder Gottes Jahrhunderte hindurch das Vorrecht, den Tisch des Herrn zu genießen, haben entbehren müssen. Aber dieses ist noch nicht alles. Wenn die Behauptungen solcher teuren Brüder richtig wären, dann säßen von allen Kindern Gottes auf Erden allein nur die am Tische des Herrn, die mit diesen Brüdern in Gemeinschaft seien. - Leider machen die, die solches reden, wie es scheint, diese Schlußfolgerung nicht. Täten sie es, so müßte das Schriftwidrige dieser Dinge und eines solchen Standpunktes bald erwiesen sein. Solche Reden und solches Verhalten müssen natürlich zu obigen Schlußfolgerungen führen.6
Gott aber sei Preis und Ehre, es ist nicht so; der Tisch des Herrn brauchte nie errichtet zu werden. Er kann durch keinen Menschen und auch nicht durch eine Versammlung von Menschen, und wäre diese Versammlung auch wirklich die Versammlung Gottes, errichtet werden.
Der Tisch des Herrn ist seit dem Tage da, als der Herr Jesus sein Werk vollbracht und der Heilige Geist ausgegossen war. Für alle Zeiten ist den Gläubigen dieser Tisch bereitet, und sie haben an diesem Tische teilgenommen. Sie tun es heute, und sie werden es tun ewiglich. Am Tische des Herrn nehmen sie teil an dem Reichtum der Herrlichkeit von Gottes Gnade alle Tage ihres Lebens.
Das kleinste Kindlein, das sein Herz dem Herrn gegeben hat, das mit aufgenommen werden wird, wenn Er kommt, hat teil an den unaussprechlichen Segnungen, die der Tisch des Herrn darbietet, und ebenso der Greis, der im Dienst des Herrn ergraut ist; auch er erfreut sich der Fülle, die der Herr auf Seinem Tische den Seinigen schenkt.
Diese Segnungen, die der Tisch des Herrn uns darbietet, genießen wir nach dem Maße des geistlichen Verständnisses. Nach diesem Maße nehmen wir an dem überfließenden Reichtum, den der Kelch des Herrn für die Seinigen enthält und den der Tisch des Herrn uns in unabsehbarer Herrlichkeit vor Augen stellt, teil.
Was sagen wir dazu, Geliebte? Erfreut es nicht unser Herz, zu sehen, wie weit, wie groß, wie frei, wie herrlich, wie alles und alle umfassend die Segnungen vom Tische des Herrn sind? Wird nicht das Herz weit und leicht, die beschränkende Auffassung, die den Tisch des Herrn zu einem Tische machte, an welchem wir uns nur ab und zu hinsetzen konnten, aufgeben zu können und statt dessen uns zu erfreuen in dem seligen, köstlichen Bewußtsein, daß wir Tag für Tag, ungestört, in Freude und Schmerz, in guten wie bösen Tagen an dem Tische des Herrn teilhaben und unsere Seele da erquicken?
Wir sind aber noch nicht am Ende unserer Betrachtungen in bezug auf die Folgen, die das veränderte Verständnis des Tisches des Herrn in sich schließt. Wir kommen, so der Herr will, in dem nächsten Briefe darauf zurück.
Euer im Herrn verbundener Bruder
M. J. S.
6 Nach vielem Hingewiesenwerden auf das Schriftwidrige dieser Sache haben diese Brüder unlängst zugegeben, daß der Ausdruck unrichtig sei und die Väter nicht den Tisch des Herrn wieder aufrichteten, aber daß sie, in der vorbildlichen Sprache von Esra 3 zu reden, den Altar wieder an seiner Stelle aufgerichtet hätten. Danach scheint es, daß die Brüder noch nicht die Sache des Tisch-Aufrichtens als schriftwidrig verurteil, sondern nur den Ausdruck für diese Sache ein wenig geändert haben. Wie schmerzlich, demütigend und zugleich warnend ist es für uns alle, immer wieder sehen zu müssen, wie der Nebel der Traditionen Kindern Gottes den Blick für die Wahrheit nimmt!↩︎