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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 20 - Jahrgang 1935
Röm 12,21 - Ein beherzigenswerter Rat (10)Röm 12,21 - Ein beherzigenswerter Rat (10)
(Fortsetzung). „Laß dich nicht von dem Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit dem Guten!“ (Röm 12,21)
In der letzten Lieferung, in der ich mich mit Beispielen aus dem Leben des Apostels Paulus beschäftigte, Beispielen, in denen sein Handeln nach unserer Schriftstelle hervortrat, insofern er mit der Welt zu tun hatte und dabei stets obigen Grundsatz betätigte, kündigte ich an, daß ich nunmehr noch davon schreiben würde, wie dieses Wort auch in Pauli Verhalten gegenüber den Gläubigen zutage träte. Das soll auch noch geschehen, s. G. w.! Zuvor möchte ich aber noch einiges über jene Begebenheit sagen, die ich in dem letzten Hefte nur mit einem einzigen Satze gestreift habe (auf S. 173). Es ist die mit dem Kerkermeister von Philippi in Apg 16! Ich glaube doch nicht, daß diese Geschichte es verdient, mit nur einem Satze berührt zu werden, sie ist gerade, was unsere Stelle anbelangt, doch sehr belehrend.
Zunächst sehen wir schon in dem täglichen Zusammentreffen des Paulus und Silas mit jener armen durch einen Wahrsagergeist gebundenen Magd, wie die Apostel, insonderheit Paulus, dem Übel zu begegnen suchen. Denn wenn jene auch scheinbar die volle Wahrheit sagte, so war es doch nicht so (das tut der Teufel nie)!, und außerdem, selbst wenn es nicht nur eine „halbe Wahrheit“ gewesen wäre, so hätte Paulus vom Feinde doch kein Zeugnis angenommen, wie ja auch der Herr Jesus den Dämonen nicht erlaubte, von Ihm zu reden (vgl. Mk 1,34). Dennoch handelte Paulus nicht in fleischlicher Eile, er läßt trotz seiner Herzensbetrübnis über das Tun der Magd diese eine lange Zeit gewähren, läßt somit das Böse gleichsam ausreifen, ehe er dem Dämon aus dessen armem, auch von menschlicher Herrschaft um Geldes willen geknechteten Opfer auszufahren gebietet (V. 16ff). - Vielleicht dürfen auch wir hieraus lernen, bei bestimmten Fällen nicht zu eilig mit dem schließlich wohl notwendigen Tun zu verfahren, sondern zuerst zu versuchen, durch unser Stillesein etwas zu erreichen und in solcher Weise das Böse mit dem Guten auszulöschen.
Die beiden Zeugen kommen nun ob ihrer Guttat ins Gefängnis und werden noch extra fest „verwahrt“. Zuvor sind sie geschlagen und auf alle Weise mißhandelt worden. Die Obrigkeit des Ortes hat sich damals nicht gescheut, das Recht zu beugen und die (fälschlicherweise) Angeklagten durch ihre Handlungsweise zu verurteilen; eigentlich aber war ihnen alles „unverurteilt“ geschehen (V. 37)!, sie waren ohne Urteilsspruch gestraft worden. Sie tragen es in hingebender Geduld, sie schelten nicht dawider, sie drohen nicht, wo sie leiden (vgl. 1Pet 2,23), sie überlassen alles Gott, Ihm, dem sie gehören und der zur rechten Zeit eingreifen kann - der aber auch ihr alles bleibt, wenn Er nicht unmittelbar eingreift (Vgl. Dan 3,17.18)!. Sie tun Besseres als klagen murren und seufzen oder gar das Gericht der Vergeltung auf ihre Feinde herabzuwünschen: Sie beten und singen! (V. 25) Sie preisen Gott, sicherlich in der gleichen Gesinnung wie einst die Apostel in Apg 5,41. Ob sie wohl auch für den Kerkermeister gebetet haben und für die Magd und für die Obrigkeit der Stadt und für die ihnen zuhörenden Gefangenen? Ich glaube es bestimmt, ich denke, sie waren auch „mehr als Überwinder“ (vgl. Frage 16) und haben so im Gefängnis vielleicht wirksamer die künftigen Segnungen vorbereiten können als in der Freiheit.
Und nun greift Gott ein, und wie! Da ward alles erschüttert, nicht nur die Gefängnismauern, sondern auch die Insassen, und der Kerkermeister auch (V. 26.27). Und nun sehen wir den Apostel (und seinen treuen Gehilfen) wieder handeln nach unserer Stelle: Der arme Gefängnisdirektor, verantwortlich nach römischem Rechte für jeden ihm anvertrauten Gefangenen, wollte sich das Leben nehmen - ja, er als Heide hätte es sogar tun müssen, sollte nicht Schimpf und Schande über seine ganze Familie kommen. Und dabei war er doch an der sehr wohl möglichen Flucht der Gefangenen gänzlich unschuldig. Denn diese wären doch, menschlich gesprochen, Toren gewesen, hätten sie die ihnen sich so plötzlich bietende Freiheit nicht benutzt! Und dennoch taten sie - alle - es nicht. Wie kam das? Hielt die Ehrfurcht vor den merkwürdigen, so glücklichen Gefangenen in der innersten Gefängniszelle sie zurück? Oder hatten die Apostel selber ihnen zugeredet zusammenzubleiben, sie, die doch zunächst nicht sehen konnten, was jene taten, oder sind es nur die Trümmer gewesen, die ihnen den Weg versperrt hatten? (Als wenn entschlossene Leute sich dadurch hätten aufhalten lassen)! - Einerlei, sie waren da und blieben da, einfach weil die Wunderhand Gottes ebenso das Gefängnis einstürzen lassen wie auch die Gefangenen am Leben und an Ort und Stelle bleibend erhalten konnte (Jer 32,27). Der schlaftrunkene, dem Tode geweihte Kerkermeister sieht nichts und ist eben dabei, sein Schwert zu lösen, um sich darein zu stürzen - da hört er aus der Richtung der innersten Zelle eine laute Stimme, die ihm trotz ihrer Gewalt lieblich geklungen haben muß - o wie gütig ist unser Gott! -: „Tue dir kein Leid an, denn wir sind alle hier!“ (V. 28) Das war Musik in den Ohren, ja, im Herzen für diesen armen beinahe dem Verderben Anheimgefallenen, den nun für immer bei sich zu haben der Teufel gehofft hatte. Ja, das war Musik! Das war ein Verhalten nach Röm 12,21, das war ein Überwinden des Bösen, das jener Mann ihnen zugefügt hatte, mit dem Guten, das in den Aposteln wohnte und waltete. Keine Rache an dem Manne, keine Vergeltung gegen ihn, sondern nur Liebe zu ihm regierte in den Herzen der Männer Gottes! Wunderbar ist die Geschichte in allen ihren Einzelheiten: Wohl wußte Paulus als Römer (V. 37a)!, daß der Kerkermeister sich das Leben nehmen mußte, aber woher wußte er es, daß jener es gerade in diesem einzigen Augenblicke tun wollte? Sehen konnte er es ebensowenig, wie jener die Apostel und die anderen erblicken konnte, sonst hätte er ja nicht an den Tod gedacht, da er dann ja gewußt hätte, daß keiner entwichen war! Nein, unser Gott tut nichts halb! Alles war ein Wunder, eine ganze Kette von Wundern! Sollten auch wir Ihm nicht mehr vertrauen? „Tue dir kein Leid an!“ So war von denen, die er verderben wollte, ihm das Leben gerettet, keinen Augenblick zu früh, keinen zu spät hatte ihn die Retterstimme erreicht, die sein leibliches Leben erhielt. Und so tief war die Erschütterung seiner Seele, so völlig hatte Gott Sein Werk an ihm getan, daß er, nachdem Licht geworden war (ja, auch zuerst in seiner Seele)!, zitternd den Evangeliumsboten zu Füßen fällt und an sie, die er jetzt „Herren“ nennt, die entscheidende Frage tut (V. 30.31), die über sein Leben und das vieler anderer später (zuerst der Seinen) für ewig entschied. Wunderbar bist Du, o Gott! Preis sei Dir, Preis sei Dir, Herr Jesus, Preis Dir und Ehr! - Aber nicht eins von diesem allen wäre geschehen, wenn Paulus und Silas nicht so köstlich verstanden hätten, das Böse mit dem Guten zu überwinden. O daß wir alle lernten von ihnen!
Aber damit ist die Geschichte noch nicht zu Ende. Sie hat noch einen sehr belangreichen Schluß, aus dem auch wir noch Wichtigstes entnehmen können, und wieder durch unser Titelwort.
Der Tag nach dieser ereignisreichen Nacht, da allen Einwohnern Philippis ein heilsamer Schrecken eingejagt ist, sieht unsere Glaubensmänner in vollster Handlungsfreiheit. Sie sind jetzt geehrte, aber auch gefürchtete Leute. So ganz wohl mag der hohen Obrigkeit nicht mehr gewesen sein bei dem Gedanken, Leute gestraft zu haben, die nichts Böses, nur Gutes (an der Magd) getan hatten, die aber ganz offenbar von ihrem Gott glänzend gerechtfertigt waren, und sie versuchen, die Sache zu vertuschen und die beiden heimlich loszuwerden. Aber so ging das nicht bei einem Manne wie Paulus! Heimlichkeiten sind ihm ein Greuel (vgl. übrigens u. a. Nehemia [Neh 6,10ff. u. vorher!]), aber nicht nur das, sondern hier stand Größeres als etwa die Ehre eines beleidigten Römers auf dem Spiel! Darum handelte Paulus selbst hier nach dem Grundsatz von Röm 12,21, obwohl es, oberflächlich betrachtet, nicht so scheint. Gewiß, er forderte kein Recht für sich, wenn es nur um ihn selber ging, und Silas gewiß auch nicht (Vgl. 1Kor 4,9-14)!. Aber hier stand die spätere Ehre der jungen christlichen Gemeinde auf dem Spiele! Hätte die heidnische Obrigkeit später ausstreuen können (durch irgendwelche Organe), daß die Apostel sozusagen „bei Nacht und Nebel“ die Stadt verlassen hätten (und was kann man hinterher alles zusammenreden über einen beliebigen Fall)!, dann wären auf die kleine, aber jetzt durch des Kerkermeisters Familie willkommen vergrößerte Gemeinde im Hause der Lydia schwere Schatten gefallen, und keiner hätte sie so recht zerstreuen können. Darum mußte die Obrigkeit selber kommen und die Boten Gottes in allen Ehren aus der Stadt hinausbegleiten (Das Größere wäre gewesen, wenn sie, wie einst die Samariter den Herrn [Joh 4,40], die beiden gebeten hätten, noch bei ihnen zu bleiben und ihnen allen die Frohbotschaft zu bringen, doch das konnten sie nicht)!. Sie müssen einen gewaltigen Schrecken bekommen haben, als sie hörten, Paulus und Silas seien Römer (vgl. 23.27), und so wurden diese wirklich in Ehren hinausgebracht und gingen als Freie zu der Gemeinde, zu den Brüdern in Lydias Haus, ermunterten sie und zogen weiter auf der Siegesbahn des Evangeliums „im Triumphzuge in Christo“. (2Kor 2,14) Die Ehre der Gemeinde Christi war gerettet, und dies war wichtig, zumal jetzt doch auch ein römischer Beamter zu ihr gehörte. Das Wort „Alles geschehe anständig und in Ordnung“ (1Kor 14,40) muß auch in den Gemeindeangelegenheiten nach außen hin zu sehen sein, keiner darf uns mit Recht etwas nachsagen können, am wenigsten die Obrigkeit! Darum war des Paulus Verhalten hier bei ihrem Auszuge auch ein vorbildliches nach unserer Stelle Röm 12,21, und wir sehen wiederum, wie vielseitig dies Wort ist, gepriesen sei Gott! Es gebe uns Weisheit, in jedem einzelnen Falle stets das Rechte zu tun, nicht um unsert-, sondern um Seinet- und der Seinen willen! Alles an seinem Platz: Stillesein und Harren, Beten und Singen, Frohbotschaft im Dunkeln als praktische Liebe zu den Verlorenen, aber auch ein Bestehen auf öffentliche Ehre und Recht, sofern die Sache des Herrn dabei in Betracht kommt - ja, alles an seinem Platze, wenn wir uns nicht vom Bösen überwinden lassen, sondern vielmehr das Böse mit dem Guten, ja, mit Christus Selbst, überwinden wollen!
Nun komme ich auch heute noch nicht dazu, des Paulus Verhalten nach unserem Worte im Verkehr mit den Gläubigen zu kennzeichnen; aber ich glaube, die Geschichte von Apg 16 war wichtig genug, um den bekannten Grundsatz vor unserem geistigen Auge Punkt für Punkt sich entwickeln sehen zu können; und dazu mußte ich so ausführlich schreiben. In der nächsten Lieferung werden wir dann, s. G. w., das nun schon zweimal Angekündigte sehen! Möge der Herr uns Sein herrliches Wort segnen, und mögen wir Gnade haben, Ihm in allem wohlgefällig zu dienen (Heb 12,28), und nicht zum wenigsten dadurch, daß wir stets besser lernen zu verwirklichen: Röm 12,21!
F. K.
(Fortsetzung folgt, s. G. w).