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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 22 - Jahrgang 1937
Heiligung IHeiligung I
Paulus schreibt, daß „Christus Jesus uns geworden ist Weisheit von Gott, Gerechtigkeit, Heiligung (Geheiligtsein) und Erlösung“ (1Kor 1,30). Gewöhnlich sprechen diejenigen, welche die Wahrheit von den „zwei Naturen“ in dem Gläubigen nicht sehen, von der Heiligung nur als von einem fortschreitenden Werk, wodurch die alte Natur beständig verbessert wird, bis sie für das Erbteil der Heiligen im Licht fähig gemacht ist.
Die Schrift spricht aber nie von einer „Veränderung des Herzens“. Das ist eine Ausdrucksweise der Menschen. Gott spricht von einem „neuen Herzen“, das Er geben wird; aber Er sagt nie, daß das alte Herz „umgewandelt“ werden soll.
Wohl ist es wahr, daß an dem kommenden Tage der Segnung Israels an Stelle des steinernen Herzens ein fleischernes tritt - das Herz wird dann ausgetauscht - das steinerne Herz für ein fleischernes; aber auch dieser Austausch wird nicht eine „Verwandlung“ des einen in das andere sein.
Der Heilige Geist spricht niemals von Seinem Werke, daß es die Verbesserung der alten Natur ist. Im Gegenteil, Er sagt uns, daß der alte Mensch „Feindschaft gegen Gott“ ist (Röm 8,7) und daß er „nicht annimmt, was des Geistes Gottes ist, denn es ist ihm eine Torheit“. (1Kor 2,14)
Hieraus geht klar hervor, daß, da der natürliche Mensch weder „annehmen“ noch „erkennen“ kann, was des Geistes Gottes ist, er auch nicht geheiligt werden kann.
Das Fleisch, d. i. die alte Natur, widerstrebt immerdar dem16 Geiste, ist immer in Widerspruch mit dem Geiste, durch welchen wir der neuen Natur teilhaftig sind. (Gal 5,17; 2Pet 1)
Kampf ist nicht Heiligung, noch verbessert der Geist Gottes, der nur in unserer neuen Natur wirken kann, das, was zu Ihm beständig in Feindschaft steht.
Diejenigen, welche die Heiligung nur als ein fortschreitendes Werk ansehen, suchen nach einem Grund des Friedens in einer geheiligten alten Natur, anstatt mit jenem Frieden beschäftigt zu sein, welcher durch das vollkommene Opfer Christi zustande gekommen ist.
Statt sich mit Christi vollkommenem Werk für sie zu beschäftigen, befassen sie sich mit einem immer unvollendeten Werk in ihnen. Die Frage ist: „Christus“ oder das eigene „Ich“. Der Grund, weshalb manche Christen sich nur mit fortschreitender Heiligung beschäftigen, ist: Es verherrlicht das eigene „Ich“. Das Werk des Heiligen Geistes ist aber gerade das Gegenteil, nämlich: Christus zu verherrlichen. „Er wird Mich verherrlichen“, waren des Heilands Worte (Joh 16,14). Und in diesen Worten haben wir einen Standpunkt, vermöge dessen wir alles in und um uns zu beurteilen vermögen. „Aus Ihm aber seid ihr in Christus Jesus, der uns geworden ist von Gott ... Heiligung.“ Dies ist eine der Segnungen, welche wir in Christus haben. Christus ist uns geworden „Gerechtigkeit“. Wie und wann? Durch unsere Werke? Durch irgend etwas, das wir tun können?
Gerechtigkeit, so erklärt ausdrücklich Gott, wird zugerechnet dem, der nicht wirket (Röm 4,5). So ist es mit allem, was wir „in Christus“ haben. Wie es mit der Gerechtigkeit ist, so muß es mit der Heiligung sein. Rechtfertigung ist ohne Werke, aber viele Christen unserer Zeit wollen eine Heiligung durch Werke.
Heiligung aber ist auf genau denselben Grund gestellt wie Rechtfertigung. Auf dieselbe Weise, wie wir die eine bekommen, bekommen wir auch die andere, denn wir bekommen beide in Christus. Es ist wichtig, zu beachten, daß wir unsere eigene Heiligung ebensowenig wie unsere eigene Rechtfertigung selbst bewirken können.
Wohl steht von der Heiligung geschrieben, „ohne welche niemand den Herrn schauen wird“ (Heb 12,14); es steht aber nicht geschrieben: ohne einen gewissen Grad oder ein gewisses Maß von Heiligung, sondern „ohne welche“ ...
Wie erlangen wir nun die Heiligung oder das Geheiligtsein, was das Wort in 1Kor 1,30 eigentlich meint, wie z. B. auch in 1Thes 4,4-7 und 2Thes 2,13? Die Antwort ist: Auf genau dieselbe Weise wie die Rechtfertigung in Christus. Wir bekommen Christus als eine Gabe aus Gnaden und durch Zurechnung, und es ist alles Christus von Anfang bis Ende.
Unsere Stellung ist in all Seiner Vollkommenheit. Es gibt nur eine Stellung für jeden erretteten Sünder. In dieser Stellung können wir nicht wachsen; sie ist vollkommen. Nichts kann dazu getan und nichts kann davon hinweggenommen werden. Unsere Erkenntnis und Erfahrung darin sowie unser Genuß daran mögen wachsen und werden wachsen; aber es ist ein und dieselbe Stellung sowohl für das schwächste, ärmste, jüngste Kind Gottes als auch für das erhöhteste und gelehrteste.
Es handelt sich hier nicht um eine Frage der Erkenntnis, sondern darum, ob die betreffende Person Leben aus Gott hat. Und jenes Leben ist Christus.
In Ihm haben wir eine vollkommene Gerechtigkeit aus Gnaden. In Ihm haben wir auch eine vollkommene Heiligung, ein vollkommenes Geheiligtsein aus Gnaden. Gerecht vor Gott, wie Er gerecht ist - heilig vor Gott, wie Er heilig ist, weil Christus uns beides „geworden ist“. Beides ist vollkommen. So ist das Kind Gottes völlig gerechtfertigt und völlig geheiligt, und seine Stellung ist vollkommen und unveränderlich, weil göttlich.
Es ist wahr, daß unser Wandel gekennzeichnet ist durch Fehler, Schwächen und Sünden, aber das ist eine ganz andere Sache. Unser Wandel ist etwas von unserer Stellung in Christus ganz Unterschiedenes und kann sie nicht berühren. „Fähig gemacht“, dies ist die absolute Wahrheit in bezug auf die gegenwärtige Stellung aller derer, die in Christus sind als das Resultat Seines ewig vollkommenen Werkes für uns.
Und es ist „Ihn betrachtend“ und das, wozu Gott uns in Ihm gemacht hat, das uns befähigen und instand setzen wird, „würdig zu wandeln Seiner Berufung“. Dies kommt nicht dadurch zustande, daß wir uns mit unserem Wandel beschäftigen. Wir leben nicht durch das Studium der Selbstbetrachtung, noch atmen wir durch das Studium der Atmungslehre, auch werden wir nicht warm durch das Studium der Wärmetheorie, noch können wir wachsen, wenn wir versuchen, „mit Sorgen“ unserer Größe eine Elle oder unserem Leben ein Jahr zuzusetzen.
Wie kann nun unser Wandel unserer Berufung würdig werden? Nur dadurch, daß das Wort Christi reichlich in uns wohnt. Nur durch Anwendung des Wortes auf unsere Herzen. Darum sagt der HErr: „Heilige sie durch die Wahrheit, Dein Wort ist Wahrheit.“ (Joh 17,17) Es ist das besondere Wirken des Heiligen Geistes, dieses Wort beständig lebendig zu machen.
So hat uns Gott von Anfang an erwählt zur Seligkeit in Heiligung des Geistes (d. i. im Geheiligtsein, das der Geist wirkt) und im Glauben an die Wahrheit. (2Thes 2,13)
Wenn wir uns Seinem Worte gemäß mit Ihm beschäftigen, so wird die neue Natur genährt, sie wächst und erstarkt. Dies ist Wachstum. Aber was unsere Stellung in Christus anbelangt, so ist diese vollkommen, und in Ihm sind wir gerecht und heilig in all Seiner Gerechtigkeit und in all Seiner Heiligkeit.
A. d. Engl. übers. v. M. Bechler.
II.
Um Mißverständnissen vorzubeugen und um jungen Gläubigen entgegenzukommen, sei aus dem Vorangehenden einiges noch einmal beleuchtet und dies und das hinzugefügt: Heilig und Heiligkeit, Gott betreffend, ist die Besonderheit Seines Wesens, kraft deren Er abweist und fernhält, was nicht in Übereinstimmung mit Ihm ist.
Soll der sündige Mensch in Verbindung mit Ihm sein können, so muß er in Übereinstimmung mit Gott sein.
Gott übernahm es, diese Übereinstimmung zustande zu bringen.
Er tat es dadurch, daß Er den Menschen in der Person Seines Sohnes in Dessen Tod zunächst hinwegtat, um ihn dann in derselben Person, in Seinem Sohne, der Seines Wesens ist, in Dessen Auferstandensein anzunehmen und mit Sich in Verbindung zu bringen.
Das ist die Stellung, die der an Christus glaubende Mensch innehat. Im Wesen des Auferstandenseins steht er in Christus und wie Christus vor Gott. Er ist in Übereinstimmung mit dem Wesen Gottes, weil er es in dem auferstandenen Christus ist. Das zu erfassen und festzuhalten ist eine Sache des Glaubens, nicht eine des Fühlens oder der Erfahrung. Das ist Heiligung und Geheiligtsein, ist „Geheiligtwordensein“ (1Kor 6,11), ist „Geheiligte in Christus Jesus“ sein. (1Kor 1,2)
Von dieser unantastbaren, weil jenseits des Todes liegenden Stellung leitet sich die Art und Weise des Wandels her. Sie soll der Stellung entsprechen. Da tritt zu Tage, daß wir als auf der Erde im Leibe Seiende Mühe haben, viel Mühe, sehr viel Mühe, diesem Entsprechensollen nachzukommen. Wir werden der Tatsache inne, welche die Schrift als selbstverständlich bestätigt, daß wir damit nicht zu Ende kommen, bis wir den natürlichen Leib mit dem Leibe der Herrlichkeit vertauscht haben.
Wie einfach daher die Mahnung in Heb 12,14: „Jaget dem (praktischen) Geheiligtsein nach.“ Das Wort: „Ohne welches niemand den Herrn schauen wird“, darf aber nicht so ausgelegt und zum Angstmachen angewandt werden, als ob ein Nichterreichen in Frage käme, welches nach sich zöge, daß der Herr von einem der Seinen nicht geschaut würde. Es ist einfach die Feststellung einer selbstverständlichen Tatsache, die zum Ansporn dienen soll.
Heißt es doch schon in Kap. 2,11, daß derjenige, welcher die vielen Söhne, die Gott zur Herrlichkeit bringen will, durch alles hindurchrettet und sie von dem einen Ausgangspunkt des gemeinsamen Auferstandenseins an Brüder nennt, auch der ist, der sie (praktisch) heiligt, sie, an denen Sein Handeln des Heiligens sich vollzieht, die also Geheiligtwerdende heißen. Er tut; sie geben sich Seinem Tun an ihnen hin, und das nicht nur passiv, sondern aktiv mit Ihm, in der Kraft und Wirksamkeit des in ihnen wohnenden Geistes.
Darum 2Kor 7,1 auf Grund der vorangehenden Verheißungen: „... laßt uns uns selbst reinigen von jeder Befleckung des Fleisches und des Geistes, indem wir die Heiligkeit vollenden in der Furcht Gottes.“ Hier ist Heiligkeit der abstrakte Begriff dessen, was „heilig“ ist; als abgesondert dem Wesen Gottes angepaßt.
Dasselbe sagt Petrus, nur in anderem Zusammenhang und in anderen Worten, 2Pet 1,4: „Er hat uns berufen durch (die) Herrlichkeit (droben) und (durch) Tugend (d. i. geistliche Energie in uns), auf daß ihr durch dieselben Teilhaber der göttlichen Natur werdet, indem ihr entflohen seid dem Verderben, das in der Welt ist durch die Lust.“ Teilhaber der göttlichen Natur sein, das ist im Wollen, Denken, Fühlen, Handeln usw. in Übereinstimmung mit Gott sein.
Wenn die Söhne es dran fehlen lassen, so wendet Gott als Vater Züchtigung an, Heb 12,6-10: „Damit wir Seiner Heiligkeit teilhaftig werden.“ Heiligkeit hier, im Griechischen um einen Schatten verschieden von Heiligkeit in 2Kor 7,1, meint mehr die Eigenschaft „heilig“ als den abstrakten Begriff. Welch eine Feierlichkeit liegt in der Züchtigung, wenn sie nötig ist!
Wie himmelweit verschieden von dem, was landläufig über heilig und Heiligkeit gesagt und womit Unbefestigte in Bedrängnis gebracht werden! Nicht ein zu erreichender Grad von Heiligkeit ist irgendwo in der Schrift gemeint, sondern die Heiligkeit Gottes Selbst ist der Maßstab. Wie töricht, ihn geringer anzusetzen und etwas von dem vermeintlich erreichten Grad abhängig zu machen! Wie schlimm, damit unbefestigte Seelen in Unruhe und Ungewißheit zu bringen, von der man selber nicht frei ist.
Woran fehlt es? Am Erkennen der Liebe Gottes! Johannes spricht in seinen Briefen weder von heilig noch von Heiligkeit. „Liebe“ ist das, was der Schlüssel zu allem ist. Er sagt, 1. Brief 4,16-18: „Und wir haben erkannt und geglaubt die Liebe, die Gott zu uns hat. Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott, und Gott in ihm. Hierin ist die Liebe mit uns vollendet worden, auf daß wir Freimütigkeit haben am Tage des Gerichts, daß, gleichwie Er ist, auch wir sind in dieser Welt. Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus, denn die Furcht hat Pein. Wer sich aber fürchtet, ist nicht vollendet in der Liebe. Wir lieben, weil Er uns zuerst geliebt hat.“
Ist's nach solchen Darlegungen nötig, noch des langen und breiten von Heiligung zu reden? Sind wir nicht „Seiner“ Heiligkeit teilhaftig, wenn, gleichwie Er ist, auch wir sind in dieser Welt im Hinblick auf den Tag des Gerichts, des Offenbarwerdens vor dem Richterstuhl des Christus? - Geliebter Mitgläubiger! Lerne die Liebe erkennen und glauben, die Gott zu dir hat, dann werden deine Befürchtungen (falls du solche hast), ob du auch heilig genug werdest, vor der Liebe Gottes verschwinden wie der Nebel vor der Sonne; du wirst frei und glücklich werden und automatisch danach trachten, die Heiligkeit in der Furcht Gottes zu vollenden.
Drei Wörter und drei Begriffe über „heilig“ kommen in der Abhandlung in Frage.
1. hagias-mos: drückt die Handlung und deren Ergebnis aus: Heilig-ung und Geheiligtsein.
2. hagio-tees: drückt die Eigenschaft aus: Heilig-heit.
3. hagio-sünee: die Sache in sich selber im abstrakten Sinne: Heilig-keit.
Franz Kaupp.
16 Siehe auch den Artikel über „Heiligkeit“ in „Handreichungen“ Jahrbuch 18, S. 145-151.↩︎