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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 18 - Jahrgang 1933
Heb 12,18-24 - Sinai und Zion (1)Heb 12,18-24 - Sinai und Zion (1)
Beim Lesen des Hebräerbriefes ist es immer wieder nötig, zu beachten, daß er an Gläubige aus dem Judentum geschrieben ist mit dem Ziel, sie zum treuen Ausharren in dem Bekenntnis Christi zu ermahnen und zu ermuntern. Diese Gläubigen mußten um ihres Glaubens willen viel „Kampf der Leiden“ erdulden. So willig sie auch diese ertragen hatten, die Länge der Leiden aber machte sie müde. Sie fingen an, ihre Zuversicht und ihr freudiges Bekenntnis aufzugeben und sich dem Judentum wieder zu nähern. Das Zusammenkommen der Gläubigen wurde versäumt und das Ohr den mancherlei und fremden Lehren geliehen (Kap. 13,9). So waren sie im Hören und Beachten der Wahrheit träge geworden, und statt der Zeit nach Lehrer zu sein, bedurften sie, wieder mit den Elementen des Anfanges der Aussprüche Gottes belehrt zu werden, und waren in Gefahr, vom Christentum wieder ins Judentum zurückzufallen. Kehrten sie sich aber dem Judentum zu, so gaben sie damit das Christentum auf und fügten sich denen an, die den Sohn Gottes verwarfen und und der Schmach preisgaben. (Kap. 6,6)
Um nun die „erschlafften Hände“ und die „gelähmten Knie“ zu stärken und aufzurichten, finden wir durch den ganzen Brief die unvergleichlich höheren und himmlischen Dinge des Christentums dem Judentum gegenüber ins Licht gestellt. Dies tut der Schreiber nun noch einmal am Schluß seines Briefes. Nachdem er Kapitel 11 den Blick der gläubigen Hebräer auf die Glaubenstreue der Väter gerichtet und sie im Anfang des 12. Kap. zum Aufblick auf Jesum ermutigt hatte, zeigt er ihnen, daß ihre vielen Leiden Erziehungswege der Vaterliebe Gottes seien, und ermahnt sie, gerade Bahn für ihre Füße zu machen und der Heiligung usw. nachzujagen. An dem erschütternden Beispiel Esaus, der geringschätzend seine Erstgeburt verkaufte und hernach die furchtbaren Folgen zu tragen hatte, werden sie in heiligem Ernst gewarnt, ihr hohes Vorrecht, zur „Gemeinde der Erstgeborenen“ gekommen zu sein, nicht gering zu achten und ihre himmlischen Segnungen in Christo nicht für ein kurzes, zeitliches Wohlergehen hinzugeben.
Um ihnen einerseits die Herrlichkeit ihrer himmlischen Berufung dem Judentum gegenüber und ihnen anderseits auch ihre Verantwortung angesichts solcher ihnen zuteil gewordenen Gnade zu zeigen, läßt er nun eine Gegenüberstellung von Gesetz (der Grundlage des Judentums) und Gnade (der Grundlage des Christentums) folgen. Er tut dieses, indem er sie auf die beiden Berge „Sinai“ und „Zion“ hinweist. Wie hätte er sie auch besser belehren und zum treuen Festhalten der Wahrheit ermuntern können, als indem er ihnen das Gesetz mit seinen Schrecken und die Gnade mit der Fülle des Segens vor Augen führte?! Wenn jemand noch angefochten war, sich dem Judentum wieder zuzuwenden, so mußte er durch das Anschauen dieser beiden, jedem Juden wohlbekannten Berge in ihrer tiefen Bedeutung und den damit verbundenen wunderbaren Gottesoffenbarungen belehrt und gewarnt werden.
Sinai, der Berg der Gesetzgebung, spricht von den Forderungen des heiligen und gerechten Gottes an den Menschen, auf Grund derer Er ihn segnen will.
Zion spricht von dem Eingreifen Gottes in Gnade, als der Mensch auf dem Grunde seiner Verantwortung alles verloren und verwirkt hatte.
Laßt uns noch etwas näher auf diese beiden Berge eingehen!
Gott hatte Sein gnädiges Wort an Mose erfüllt: „Ich werde mit dir sein; und dies sei das Zeichen, daß Ich dich gesandt habe: wenn du das Volk aus Ägypten herausgeführt hast, werdet ihr Gott dienen auf diesem Berge.“ (2. Mose 3,12) Nun waren sie zu diesem Berge gekommen. Hier am Sinai redete Gott mit ihnen, richtete Seinen Bund auf und gab ihnen Sein Gesetz. Wenn sie fleißig auf Seine Stimme hören und Seinen Bund halten würden, so sollten sie Sein Eigentum sein aus allen Völkern. (2Mo 19,5)
Auf einer ganz neuen Grundlage begann Gott jetzt mit den Kindern Israel zu handeln. In Gnade und Erbarmen hatte Gott sie aus Ägypten und durch die Wüste bis zu diesem Berge geführt. Von nun an aber hatten sie es nicht mehr mit dem Gott der Gnade, sondern mit dem Gott der Heiligkeit und Gerechtigkeit zu tun, dessen Segen oder Fluch von ihrem Gehorsam - dem Halten Seines Gesetzes abhing.
Als Mose dem Volke die Worte Jehovas übermittelte, „antwortete das ganze Volk insgesamt und sprach: Alles, was Jehova geredet hat, wollen wir tun! Und Mose brachte die Worte des Volkes zurück zu Jehova.“ (2. Mose 19,8) In Dunkel gehüllt, fordert nun Gott, daß das Volk geheiligt und mit gewaschenen Kleidern vor Ihm zu erscheinen habe. Jeder einzelne sollte lernen, daß er jetzt Verantwortung trug, passend für Gottes Gegenwart zu sein. Unter erschreckenden Begleiterscheinungen macht Gott dann die Forderungen Seines Gesetzes bekannt. So hatte das Volk Gott noch nicht kennengelernt. Bisher hatte Er es in Erbarmen auf Adlers Flügeln getragen, jetzt aber offenbarte Er Sich in allen Zeichen Seiner Heiligkeit und Gerechtigkeit in der Forderung ihres Gehorsams. Wie konnte es anders sein, als daß das Volk unter dieser Offenbarung Gottes zitterte und in Todesfurcht bat, daß Gott nicht weiter mit ihm reden möge. Jeder fühlte die Entfernung - den Abstand zwischen sich und Gott -, die Grenze, die niemand überschreiten konnte, ohne den sicheren Tod zu erleiden. So furchtbar waren die Begleiterscheinungen der Offenbarung Gottes auf Sinai, daß selbst Moses, der Mittler des Gesetzes, sagte: „Ich bin voll Furcht und Zittern!“ Und warum zitterten alle? Weil sie es unternommen hatten, alles zu tun, was Jehova redete. Selbst Moses zitterte, denn auch er war ein Mensch gleich den anderen. Wohl war er der Mittler des Gesetzes, aber nicht der wahre Mittler, sondern ein Vorbild des kommenden, der auf Grund Seines Opfers uns Gottes Liebe vermitteln konnte. Gott begleitete Sein Gesetz mit diesen erschreckenden Zeichen Seiner Heiligkeit und Seines verzehrenden Feuereifers: „damit Seine Furcht vor ihrem Angesicht sei, daß sie nicht sündigten“ (2. Mose 20,20). Keine Übertretung Seines Gesetzes konnte ungestraft, keine Sünde ungesühnt bleiben.
So sehen wir in Sinai das Herabkommen des heiligen Gottes, um mit dem Menschen auf Grund der gerechten Forderungen Seines Gesetzes in Segen oder Fluch zu handeln. Das Gesetz aber bewirkte Knechtschaft, Furcht und Schrecken und erwies sich als ein Dienst des Todes und der Verdammnis. (2Kor 3)
Der Apostel beginnt nun mit der Gegenüberstellung dessen, wozu die gläubigen Hebräer nicht gekommen waren und wozu sie gekommen waren.
Israel kam zum Sinai, sie aber waren nicht gekommen:
Zu dem Berge, der betastet werden konnte, und zu dem entzündeten Feuer und dem Dunkel und der Finsternis und dem Sturm und dem Posaunenschall und der Stimme der Worte, deren Hörer baten, daß das Wort nicht mehr an sie gerichtet würde.
Der Berg, zu dem sie nicht gekommen waren, wird hier nicht der Berg Sinai genannt, sondern der Berg, „der betastet werden konnte“. Alles, was mit diesem Berge in Verbindung stand, konnte mit den Sinnen des natürlichen Menschen - des Menschen im Fleische, betastet, gesehen, gehört, erfaßt, aufgenommen werden. Es bedurfte dazu nicht des Glaubens, wie auch Paulus schreibt: Das Gesetz aber hat mit dem Glauben nichts zu tun, sondern da gilt: „Wer diese Gebote erfüllt hat, wird durch sie das Leben haben.“ (Gal 3,12, Menge) Dieser Tag des Berges, „der betastet werden konnte“, ist für immer vorüber. Gott beschäftigt Sich nicht mehr mit dem Menschen im Fleische. Der Tag seiner Prüfung ist vorbei; er ist als völlig untauglich, unverbesserlich und verdorben in dem Tode Christi gerichtet und abgetan. Wollten die gläubigen Hebräer wieder zu dem „betastbaren“ Berge zurückkehren, so machten sie damit das Kreuz Christi als das Ende des ersten Menschen zunichte und kehrten zu dem Zeitalter des Gesetzes und des Handelns Gottes mit dem Menschen im Fleische zurück.
Nicht zu einem irdischen Berge, sondern zu einem Berge im geistlichen Sinne - dem Berge Zion, waren sie gekommen, mit dem die Unbetastbaren, unsichtbaren und ewigen Dinge der Gnade Gottes in Verbindung standen - zu dem „Besseren“, das Gott für sie vorgesehen hatte (Heb 11,40) - zu den Dingen, die nicht von den Menschen im Fleische, sondern nur durch den Glauben erfaßbar und dem Glaubenden Wirklichkeiten sind. Wir lesen deshalb:
Ihr seid gekommen: zum Berge Zion und zur Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem; und zu Myriaden von Engeln, der allgemeinen Versammlung; und zu der Gemeinde der Erstgeborenen, die in den Himmeln angeschrieben sind; und zu Gott, dem Richter aller; und zu den Geistern der vollendeten Gerechten; und zu Jesu, dem Mittler eines neuen Bundes; und zu dem Blute der Besprengung, das besser redet als Abel.
Ist es nicht der Beachtung wert, daß in den Versen 18 bis 21 sieben Dinge genannt werden, die durch sechs „und“ zusammengefügt sind, und in den Versen 22-24 acht Dinge genannt werden, die durch sieben „und“ zusammengefügt sind? Die Zahlen sieben und sechs auf der einen Seite reden von einer Vollkommenheit, die neben einer Unvollkommenheit steht; und die Zahlen acht und sieben auf der anderen Seite von einem neuen Anfang verbunden mit Vollkommenheit27. Das auf Sinai gegebene Gesetz war vollkommen, aber es war nicht die vollkommene Offenbarung des Herzens Gottes. In Zion aber sehen wir den Anfang eines Neuen. - den neuen Menschen, und was mit diesem verbunden ist, muß vollkommen sein; denn alles, was hier mit Zion verbunden ist, gründet sich auf den gekreuzigten, auferstandenen und verherrlichten Christus.
A. v. d. K.
(Fortsetzung folgt, s. G. w).
27 Die Zahl „Acht“ finden wir in der Schrift vielfach in Verbindung mit dem Beginn eines Neuen dem bis dahin Bestehenden gegenüber. Der achte Tag war der Anfangstag einer neuen Woche. Acht Seelen wurden in der Arche gerettet, und sie bildeten den Anfang einer neuen Menschenwelt. Der achte Tag (der Tag nach dem siebenten - dem jüdischen Sabbat) war der Tag der Auferstehung. Am achten Tage fand die Beschneidung statt. Die neue Regierungsform des zukünftigen römischen Reiches wird als die achte in der Schrift bezeichnet. Vgl. Band 9, Frage 9!↩︎