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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 16 - Jahrgang 1931
Das rechte Wort zur rechten ZeitDas rechte Wort zur rechten Zeit
Salomo sagt: „Ein Wort zu seiner Zeit, wie gut!“ „Goldene Äpfel in silbernen Prunkgeräten: So ist ein Wort, geredet zur rechten Zeit.“ (Spr 15,23; 25,11) Wieviel Weisheit haben wir nötig, und zwar Weisheit, die von oben ist (Jak 3,17), um zur rechten Zeit das rechte Wort zu reden! Um dies zu lernen, bedürfen wir, daß jeden Morgen unser Ohr geweckt wird, damit wir hören gleich solchen, die belehrt werden. (Jes 50,4)
Diese letzten Worte weisen auf den Herrn Jesus hin. Und wahrlich, Er ist unser vollkommenes Vorbild. Doch gibt die Schrift uns auch von der Weise, wie die Apostel den Heiligen dienten, treffliche Beispiele für einen verständigen Dienst, das rechte Wort zur rechten Zeit zu reden.
Aus dem Briefe des Judas ersehen wir, wie sein Herz voll war, den Heiligen über ihr gemeinsames Heil zu schreiben. So gern er ihnen darüber geschrieben hätte, erkannte er doch aus den Umständen, in denen sie sich befanden, daß er ihnen etwas anderes - Notwendigeres - sagen und von dem, wovon sein Herz voll war, schweigen müsse. Es war für den Tag nicht das rechte Wort für diese Gläubigen. Anstatt ihnen deshalb von dem gemeinsamen Heile zu schreiben, mußte er sie auffordern, in den Kampf für den Glauben einzutreten.
Es mag einem Diener am Worte schwer sein, von den Dingen des Heils, die seine Seele erfüllen und die er den Heiligen so gern bringen möchte, zu schweigen. Es bedarf des geistlichen Unterscheidungsvermögens, was die Gläubigen für den Tag und für die Umstände, in denen sie sich befinden, brauchen. Solches Schweigen und Reden erfordert Demut und Bescheidenheit - ein Sich-selbst-aufgeben und ein verständnis- und rücksichtsvolles Eingehen auf andere und deren Umstände.
Laßt uns dem obigen Beispiel aus dem Judasbrief noch einige andere Beispiele aus dem Dienste der Apostel anfügen!
Paulus schreibt den Korinthern: „Brüder, ich konnte nicht zu euch reden als zu Geistlichen, sondern als zu Fleischlichen, als zu Unmündigen in Christo. Ich habe euch Milch zu trinken gegeben, nicht Speise, denn ihr vermochtet es noch nicht, aber ihr vermöget es auch jetzt noch nicht, denn ihr seid noch fleischlich.“ (1Kor 3,1.2) Im 2. Kapitel, Vers 6 schreibt er ihnen: „Wir reden aber Weisheit unter den Vollkommenen.“ Wie gern hätte er sie in dieser Weisheit unterwiesen! Obwohl diese verborgene Weisheit allen Gläubigen, also auch ihnen (den Korinthern) gehörte, konnte sie doch nur von „Geistlichen“ aufgenommen werden, und so gern er ihnen auch davon geschrieben hätte, mußte er doch schweigen, weil sie nicht in dem Zustande waren, diese Dinge aufnehmen zu können, und somit war er genötigt, ihnen statt „Speise“ „Milch“ zu geben. So wie Milch die passende Nahrung für Neugeborene ist, so ist auch die Milch und nicht die feste Speise des Wortes die Nahrung für die neugeborenen Kindlein im Hause Gottes.
Feste Speise - Tiefen der verborgenen Weisheit Gottes - brachte Paulus den Gläubigen in Ephesus, wie verkehrt aber wäre es gewesen, wenn Paulus die Wahrheiten, die für die Epheser paßten, den Korinthern gebracht hätte, oder umgekehrt, wenn er die Ermahnungen und Unterweisungen, die für die Korinther nötig waren, in der Gemeinde zu Ephesus ausgerichtet hätte! Wir sehen daraus, daß der Dienst am Wort, der wichtig und passend für die Gläubigen der einen Versammlung ist, gänzlich unpassend für die Gläubigen einer anderen Versammlung sein kann. Es bedarf deshalb geübter Sinne zur geistlichen Unterscheidung, sowohl des Zustandes der Gläubigen als auch der Umstände, in denen dieselben stehen, um ihnen mit dem rechten Worte zur rechten Zeit zu dienen.
Im Brief an die Hebräer finden wir ähnliches. Der Apostel hatte von Melchisedek gesprochen und fährt fort: „Über welchen wir viel zu sagen haben, und was mit Worten schwer auszulegen ist, weil ihr im Hören träge geworden seid. Denn da ihr der Zeit nach Lehrer sein solltet, bedürfet ihr wiederum, .daß man euch lehre, welches die Elemente des Anfangs der Aussprüche Gottes sind, und ihr seid solche geworden, die der Milch bedürfen und nicht der festen Speise. Denn jeder, welcher der Milch teilhaftig wird, ist unerfahren im Worte der Gerechtigkeit, denn er ist ein Unmündiger, die feste Speise aber ist für Erwachsene, welche vermöge der Gewohnheit geübte Sinne haben zur Unterscheidung des Guten sowohl als auch des Bösen.“ (Heb 5,11-14)
Gern hätte der Apostel ihnen noch mehr über Melchisedek gesagt, und er beklagt es, daß er darüber schweigen müsse, weil sie im Hören träge geworden seien und deshalb die feste Speise nicht empfangen könnten. Der Zeit ihrer Gotteskindschaft nach hätten sie schon Lehrer sein sollen, statt dessen bedurften sie, wieder mit den Anfangs-Elementen der Aussprüche Gottes belehrt zu werden. Sie waren wieder solche geworden, die der Milch bedurften und nicht der festen Speise. Alles dieses waren Folgen ihres Träge-geworden-seins im Hören. Daß sie wieder mit Milch gespeist und in den Anfangs-Elementen unterwiesen werden mußten, bewies, daß sie in ihrem Wachstum zurückgeblieben und im Worte der Gerechtigkeit unerfahren waren.
Welch ein trauriges Bild sind Gläubige, die im Hören träge geworden und nicht willig sind, zum vollen Wuchse fortzufahren! (Heb 6,1) Wie viele Gläubige unserer Tage gleichen diesen gläubigen Hebräern! Sie bleiben bei den Elementen des Anfangs der Aussprüche Gottes stehen und wollen als Nahrung für ihre Seele nichts weiteres haben als das Evangelium. Sicher sollte jeder Gläubige Gemeinschaft mit dem Evangelium haben, denn Gottes Herz und Wirken ist mit dem Evangelium verbunden, und unser Herz und Wirken muß damit verbunden sein. Das aber darf nicht alles sein! Wenn wir an dem vorübergehen, was Christus in der Herrlichkeit Seiner Person ist und was Er für Gottes Herz ist und was wir in Ihm haben, so werden wir bald solche Unmündigen sein, wie jene Hebräer es waren.
In jeder Gemeinde, in welcher das Evangelium einen gebührenden Platz hat, sind sicher auch Kindlein in Christo vorhanden, die mit Milch gespeist werden müssen. Wir aber sind in unseren Tagen so der festen Speise entwöhnt, daß wir solche Nahrung, wie sie die Apostel den Kindlein in Christo gaben, schon als feste Speise ansehen. Dies ersehen wir aus den Briefen an die Thessalonicher. Diese Briefe wurden ungefähr ein Jahr, nachdem sich die Gläubigen in Thessalonich von den Götzen zu Gott bekehrt hatten, geschrieben. Und was schreibt Paulus ihnen? Wie in keinem anderen Briefe unterweist er diese jungen Gläubigen über die Ankunft des Herrn . In jedem Kapitel seines ersten Briefes wird die Wiederkunft des Herrn jedesmal in einer anderen Beziehung erwähnt. In dem zweiten Briefe geht Paulus noch weiter in seiner Unterweisung über die Wiederkunft Christi und unterrichtet sie auch über den „Menschen der Sünde“, „den Sohn des Verderbens“, den „Gesetzlosen“, „den der Herr Jesus verzehren wird durch den Hauch Seines Mundes und vernichten durch die Erscheinung Seiner Ankunft.“ (2Thes 2,8) Wir würden solche Belehrungen heute schon „feste Speise“ nennen. Paulus aber bringt diese Speise den jungbekehrten Thessalonichern!
Und noch ein Beispiel! Der Apostel Johannes wendet sich in seinem ersten Briefe an drei Klassen von Gläubigen, an „Väter, Jünglinge und Kindlein“. Was sagt Johannes den Kindlein? Er schreibt: „Kindlein, es ist die letzte Stunde, und wie ihr gehört habt, daß der Antichrist kommt, so sind auch jetzt viele Antichristen geworden.“ (1Joh 2,18) Heute möchten wir uns auch hierüber wundern, daß Johannes solche Worte an Kindlein richtet, aber er tut es. Er macht sie mit den Erkennungszeichen des Antichristen bekannt und führt sie zur Quelle ihrer Sicherheit - der Salbung des Heiligen Geistes und dem Worte Gottes.
Möchten wir nicht hieraus etwas von den Aposteln lernen? Unsere Speise ist das Wort. Es genügt nicht, in einigen Teilen desselben unterwiesen zu sein, wir bedürfen des ganzen Wortes. Warum ist Gottes Volk so schwach, und warum sind viele so unbefestigt in dem Worte der Wahrheit, daß sie von jedem „Winde der Lehre“ hin- und hergeworfen und umhergetrieben werden? (Eph 4,14) Ist es nicht deshalb, weil sie Unmündige sind, die nie über die Anfangs-Elemente des Christentums hinauskamen, und feste Speise ihnen nicht dargereicht wurde? Solche wissen beinahe nicht mehr, als daß sie die Vergebung ihrer Sünden haben, ein Interesse und einen Geschmack am Worte selbst aber kennen sie kaum. Ihre Nahrung suchen sie nicht in der gesunden Lehre, nicht in den „gesunden Worten, die unseres Herrn Jesus Christus sind“, sondern in den ungesunden und falschen Lehren, die ihnen in „überredenden Worten“ der „Menschen-Weisheit“ gebracht werden (1Kor 2,1-5). Kein Wunder, wenn wir als Folge solcher ungesunden Nahrung so viele ungesunde, schiefe, bucklige, im Wachstum zurückgebliebene Gläubige sehen. Wenn wir im natürlichen Leben einen Menschen sehen, der dem Alter nach schon arbeiten sollte, im Wachstum aber so zurückgeblieben ist, daß er wie ein Kind auf dem Arme getragen werden muß, so staunen wir. Im geistlichen Leben sind wir an solche Gestalten aber derart gewöhnt, daß wir nicht mehr über die in ihrem Wachstum zurückgebliebenen Kinder staunen, sondern darüber, wenn sie sich zum vollen Wuchse entfaltet haben.
Laßt uns von Ihm lernen, der nicht kam, „um bedient zu werden, sondern um zu dienen“, damit wir als Seine Knechte je nach der empfangenen Gnadengabe uns einander „priesterlich“ mit dem rechten Wort zur rechten Zeit „dienen als gute Verwalter der mancherlei Gnade Gottes“. (1Pet 4,10.11; Röm 15,16)
Uns allen aber schenke der Herr Gnade, nicht im Hören träge zu werden, sondern dem „zuverlässigen Worte“ anzuhangen (Tit 1,9), damit wir zum vollen Wuchse gelangen und Erwachsene seien, „welche vermöge der Gewohnheit geübte Sinne haben zur Unterscheidung des Guten sowohl als auch des Bösen“! (Heb 5,14)
A. v. d. K.