Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
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Handreichungen Band 21 - Jahrgang 1936
Sinai und GolgathaSinai und Golgatha
Zweimal hat während der Menschheitsgeschichte Gott den Menschen Sich insbesondere geoffenbart. Das erstemal redete Gott vom Sinai aus jene gewaltigen Worte, die uns in der Heiligen Schrift 2Mo 20 und 5Mo 5 aufbewahrt sind. Mit dieser Offenbarung vollzog Gott den ersten Bundesschluß mit einem Volke, das zwar heute noch lebt aber - infolge des eigenen Ungehorsams und der Verwerfung des Retters und Heilandes Jesus Christus - unter alle Nationen zerstreut und zum Unsegen der Völker geworden ist (Sach 8,13): den Israeliten.
Die beiden obenerwähnten Schriftabschnitte enthalten die Forderungen, die Bedingungen Gottes, die dem Volke Israel bei der Bundesschließung vorgelegt worden sind. Die Zehn Gebote oder das Gesetz, wie wir es von Jugend auf kennenlernen, sind die Grundlage, auf der Gott Selbst den Bund mit Israel errichtete.
Allein, nur sehr bald stellte es sich heraus, daß das Bundesvolk Israel die Forderungen Gottes nicht erfüllte und es somit zum Bundesbruch kam. Gott hatte ernst, unzweideutig und klar gesprochen - Israel hatte gehört und auch versprochen zu halten, ist aber dem Versprechen nicht treu geblieben, hat also die Bundespflichten nicht eingehalten und somit auch die Bundesrechte nicht genießen können. An jene uns ebenfalls bekannten Forderungen, die im „Gesetz vorn Sinai“ von Gott her ausgesprochen und aufgestellt wurden, schlossen sich eine lange Reihe göttlicher Segnungen, die Israel infolge seines Ungehorsams sich verscherzte.
Wie furchtbar ist allein schon der Gedanke an den schnöden Ungehorsam Israels! Welche Kette von Erfahrungen herber Art schlossen sich an jene ersten Gehorsamsverweigerungen Israels! Gottes Forderung blieb und bleibt, Er hat Sein Wort festgemacht über die Zeitalter der Zeitalter.
Am Geheiß Gottes konnte Israels zunehmende Ungehorsamslinie gemessen werden. Aus Ungehorsam und Bundesbruch folgten in erschreckender Zunahme Verhärtung, Verstockung, Abfall, Feindschaft, Auflehnung, Verwerfung. Sinai zeigt die Stetigkeit, die Beharrlichkeit, die Unabhängigkeit, die Heiligkeit Gottes einerseits und die zunehmende Verstockung und Verhärtung Israels andererseits. Sinai offenbart Gottes Heiligkeit und Israels Herzenshärtigkeit.
Sinai ist aber nicht nur ein geschichtlich bedeutsamer Begriff von der Verstockung des alten Bundesvolkes Gottes und von der Heiligkeit Gottes, nein, es ist darüber hinaus ein für die Gegenwart und für die Zukunft der Menschheitsgeschichte überaus bedeutender Entscheidungsbegriff für alle Menschen; denn wer irgendwie in die Beziehung zu Gott tritt, muß Ihn erst erfahren als von Sinai her, d. h. er muß Gottes Forderungen vernehmen.
Wer einmal in seinem Leben die Stimme Gottes vom Sinai her vernimmt, der wird an seine Brust schlagen und seufzen ob seiner Gottesferne und Sündenschuld, der wird erkennen: Gott fordert - aber ich kann nicht erfüllen. Ja, wer wollte sich unterwinden, mit Gott zu rechten? Wir bleiben Ihm schuldig - den Gehorsam, den Er fordert; und mit dem schuldigen Gehorsam verfallen wir ausnahmslos Seinem göttlichen Urteilsspruch genau so wie einst Israel, das in seiner Herzenshärtigkeit und in seiner Verstockung Hand anlegte an den Sohn Gottes und Ihn zu Tode brachte, das aber, in die Zerstreuung gegeben, heimatlos, friedelos, gottlos, segenslos, verflucht und verstockt geblieben ist bis auf den heutigen Tag.
Sinais Sprache schallt hinein bis in unsere Tage und überführt uns von unserer Schuld, überzeugt uns von der Verkehrtheit unseres Herzens und Wesens. Sinai verurteilt uns, weil es die Gerechtigkeit und Heiligkeit Gottes verkündet und uns in Sünde und Übertretung findet.
Gäbe es neben Sinai nichts anderes als unsere Verurteilung vor Gott, es wäre traurig und niederschmetternd für uns - für alle Menschen, für Israel und die Nationen! -
Doch Gott sei Dank! Neben Sinai redete Gott ein zweites Mal zu den Menschen. Anders als das erste Mal, nicht fordernd - sondern gebend, Gnade anbietend, erlösend, befreiend durch -
Golgatha!
Wie wunderbar! Es gibt keinen Ort auf Gottes weitem Erdboden, der größer und gewaltiger wäre an zeit- und ewigkeitsgeschichtlicher Bedeutung als jener Hügel, von dem der Dichter singt und bezeugt: „Durch manche Länderstrecke, die ich auf Erden sah,
Geht mir ein stiller Hügel, der Hügel Golgatha.“
Golgatha ist der Ort, von dem aus Gott zum zweiten Male redet zu der unter dem Gesetz vom Sinai stehenden - und deshalb verworfenen Menschheit. Golgatha wird zum gewaltigsten Schauplatz der Liebe und Güte Gottes. Wieder offenbart Gott den Menschen Sich insbesondere, diesmal in erlösender Gnade auf dem Grunde der Gerechtigkeit.
Was nie im Vermögen der Menschen lag und was wir ewig schuldig geblieben wären, das hat Gott Selbst durch den Herrn Jesus Christus erfüllt. Er hat unser aller Schuld und Sünde auf Sich genommen und hat durch Seinen Gehorsam (Phil 2,5-11) uns Gerechtigkeit vor Gott erwirkt.
In Joh 19 ist jenes gewaltige Geschehen beschrieben. Golgatha wird zur Zufluchtsstätte für alle, die Gnade suchen und wollen. Durch den Gehorsam des Herrn Jesus Christus ist uns der Weg frei geworden zu Gott, unserem Vater. In Golgatha ist aufgerichtet die Gehorsamslinie, die uns in Gnaden brachte vor Gott. Hinfort brauchen wir nicht zu empfangen, „was unsere Taten wert sind“ (Lk 23,41), sondern wir sind begnadigt in Christo Jesu. Er bürgt für uns; Er verwendet Sich für uns bei Gott; Er deckt und bedeckt uns völlig durch Sein Blut.
Nach göttlichen Gesichtspunkten zerfällt die Menschheit in zwei große Heerlager, die sich lediglich in Größe und Zustand unterscheiden. Das erste Heerlager steht unter der Forderung Gottes vom Sinai, es bleibt Ihm schuldig, offenbart sich durch Ungehorsam, Verhärtung, Verstockung, Feindschaft und Ablehnung; es verfällt dem göttlichen Urteil „... weichet von Mir, ihr Übeltäter!“ (Mt 7,23)
Im zweiten Heerlager finden und sammeln sich alle die teuren Menschenseelen, die sich der Gnade anvertrauen und aus Gnaden gerechtfertigt sind durch die Erlösung. Ihre Losung lautet: „Gnade muß es sein, Gnade allein!“
Geliebte Geschwister! Mag uns das hier kurz Geschilderte dazu dienen, daß wir uns mehr und mehr der Gnade anvertrauen, die uns von Golgatha her gereicht wird! Sinai bedeutet: gerechte Verurteilung - weil unvergebene Schuld.
Golgatha bedeutet: unverdiente Rechtfertigung - Erlösung aus und durch Gnade! - Der Gott aller Gnade sei mit uns!
H. B., U.
Erstellt: 23.05.2024 21:55, bearbeitet: 10.09.2024 15:27
Quelle: www.clv.de