Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 10 -Jahrgang 1925
Joh 19,41 - „Und in dem Garten ein Grab“
Irrende Jünger und des Herrn Treue
Joh 21 - „Irrende Jünger und des Herrn Treue“ (2)Joh 21 - „Irrende Jünger und des Herrn Treue“ (2)
Es ist köstlich, den Herrn anzuschauen, wie Er Seinen Jüngern hier in den Weg tritt. Er ließ ihnen die Schätze des Meeres in das Netz gehen. Wer konnte das tun, als nur Er allein! Er greift in unsere verkehrten Wege in einer Weise ein, wie nur Er es tun kann, damit wir Ihn daran erkennen sollen und überführt werden, daß Er es ist.
Johannes, der da schreibt: „Er offenbarte Sich aber also“, ist der erste, der Ihn an dieser Seiner Weise erkennt, und er sagt zu Petrus: „Es ist der Herr“. Der erste aber, der zu Ihm eilt, ist Petrus. Wir möchten denken, er sollte der letzte sein, der sich dem Herrn nahte. Hatte er ganz vergessen, was geschehen war? O nein, er vergaß es nie! Das zeigen uns seine Briefe. Das war keine Oberflächlichkeit, keine Gleichgültigkeit über seine Sünde. Das war die Frucht der Vergebung und die Wirkung seines gereinigten Gewissens.
Als er die Worte des Johannes hörte: „Es ist der Herr“, da konnte er nicht mehr warten, bis das Schiff das Land erreicht hatte. Er verließ, wie einst, das Boot und eilte zu Ihm. Er fragt nicht einmal wie in Matthäus 14: „Herr, wenn Du es bist, so befiehl mir, zu Dir zu kommen auf den Wassern“. Sein Herz zog ihn zu Christo hin. Nach jenen Begegnungen, die er mit dem Herrn hatte, weiß er, daß er dem Herrn willkommen ist. Er denkt nicht: „Ich bin so tief gefallen; es geziemt sich für mich nicht, der erste zu sein; die anderen, die nicht so tief gefallen sind, mögen vorangehen, ich muß der letzte sein“. Nein, niemand hatte Seine Liebe so erfahren wie er. Kein Schatten stand mehr zwischen ihm und dem Herrn. Seine Sünde war vergeben, sein Gewissen war frei. Die unwandelbare Liebe seines Herrn gab ihm die Freimütigkeit des Vertrauens. Möchte ein solches Vertrauen auch in unserem Herzen sein!
Hätte der Herr Sich freuen können, wenn Petrus schüchtern hintenan gestanden hätte, als sei er nicht würdig, Ihm nahe zu sein? Wie oft ist dies in unserem Herzen! Sind wir nicht auch schon gefallen? Liegen nicht Fehltritte und Verleugnungen auch auf unserem Weg? Haben wir nicht auch Seine vergebende Liebe erfahren und Seine reinigende Hand, die uns von der Ungerechtigkeit reinigte? Und doch, wie geschäftig ist der Feind, uns das Vertrauen zu Seiner Liebe und zu Seiner Gnade und zu der Völligkeit der Vergebung zu rauben!
Wie mußte es das Herz des Herrn erfreuen, als Er Petrus zu Sich kommen sah! Laßt uns Sein Herz nicht nach unserem Herzen beurteilen und nicht unser Herz zum Maßstab für das Seine machen! Du magst dich so schämen, daß du deine Augen nicht aufzuheben wagst, aber sieh das Blut und das Wasser, das aus Seiner Seite floß, als Er am Kreuze starb. Sieh Ihn an, wie Er als Sachwalter droben bei dem Vater ist, Er, der Gerechte, der Sich für dich verwendet, der für dich bittet, der da sagt, daß, wenn wir unsere Sünden bekennen, Er nicht nur treu und gerecht ist, daß Er uns die Sünden vergibt, sondern der auch sagt, daß Er uns reinigt von aller Ungerechtigkeit (1Joh 1,9; 2,1). Wie wunderbar ist Seine ewige und unwandelbare Liebe, in der Er droben Sich für uns bei dem Vater verwendet! -
So völlig wußte sich Petrus von seiner Schuld gereinigt, daß einige Wochen später, als in Jerusalem das Volk der Juden zusammenlief, er ihnen sagen konnte, daß sie den Gerechten und Heiligen angesichts des Pilatus verleugnet hätten; zweimal führt er ihnen diese Schuld ihrer Verleugnung vor Augen. Sie hätten ihm antworten können: „Genau so hast du es gemacht, du hast Ihn verleugnet schon angesichts einer Magd“. Wenn seine Wiederherstellung nicht eine so völlige gewesen wäre, meinst du, er hätte gewagt, diese Anklage zu erheben? Würde er sich nicht gesagt haben: „Gebrauche dieses Wort nicht, es geziemt sich nicht für dich, andere mögen es tun“? Aber kein Schatten seines Falles hinderte ihn an einem klaren Zeugnis für seinen Herrn. Dies zeigt uns die Herrlichkeit der Gnade und der völligen Vergebung. (Apg 3,13.14).
Als sie nun ans Land ausstiegen, sehen sie ein Kohlenfeuer liegen und Fisch darauf liegen und Brot. Das, was sie dort am Ufer sahen, war kein Fisch von den 153 Fischen, die sie gefangen, und kein Brot, welches sie bereitet hatten, denn sie hatten nichts zu essen. Das, was sie dort fanden, das hatte alles Seine Liebe für sie bereitet. Die Fische ihrer Arbeit sollten sie zu Ihm ans Ufer bringen. Er sagt: „Bringt her von den Fischen, die ihr jetzt gefangen habt“, und Petrus zog das Netz ans Land. Und dann ladet Er sie ein: „Kommet her, frühstücket“. Alles, was sie für ihre Bedürfnisse brauchen, finden sie durch Seine Liebe für sie bereitet. Die Frucht ihrer Arbeit sollte nicht Speise für sie sein. Ihre Speise war das Werk Christi, das, was Er für sie bereitet hatte. Wie leicht sind unsere Herzen geneigt, die Früchte unserer Arbeit zu genießen und uns zu nähren von dem, was wir auf Sein Wort hin gefangen haben. Aber der Herr zeigt uns hier, daß unsere Speise nicht das sein soll, was wir gefangen haben, sondern das, was Er für uns bereitet hat. Die Früchte unserer Arbeit sollen wir Ihm bringen. Sie sind für Ihn zum Ruhm Seiner Herrlichkeit. Am Ufer des Landes der Ruhe werden sie gezählt, und dort will Er uns zu Tische sitzen lassen und hinzutreten und uns bedienen (Lk 12,37). Aber auch hienieden hat Er uns schon ein Mahl bereitet, wo wir geladen sind, zu essen und die Frucht Seiner Liebe zu genießen. Aber möchten wir nie begehren, unsere Seele an unserer Arbeit sättigen zu wollen!
Keiner der Jünger wagte Ihn zu fragen: „Wer bist Du?“ Mit welcher Ehrfurcht blickten sie auf Ihn! Welch heilige Scheu und selige Gewißheit Seiner Gegenwart erfüllte ihre Seele. Keiner wagte Ihn zu fragen, „sie wußten, daß es der Herr sei“.
Am Schlusse dieses Ereignisses berichtet Johannes, daß dies das dritte Mal sei, daß Sich Jesus den Jüngern offenbarte. Johannes übergeht die Begegnungen, die der Auferstandene mit den einzelnen hatte. Diese Offenbarung des Herrn reiht der Apostel an die beiden, die er in dem 20. Kapitel beschrieben hatte, als die dritte an. Die erste war am Auferstehungsmorgen, die zweite fand eine Woche später mit Thomas statt, und die dritte ist diese. In diesen Worten: „Dies ist das dritte Mal, daß Jesus Sich den Jüngern offenbarte“ liegt ohne Zweifel eine tiefere Bedeutung. In dem ersten Male finden wir das Bild der Gemeinde, in dem zweiten Male sehen wir Israel und in dem dritten Male die Nationen, ein Bild des Anfanges des Tausendjährigen Reiches.
Bei dem ersten Fischzug in Lk 5 sanken die Schiffe, und die Netze rissen, aber hier wird sehr bedeutungsvoll hinzugefügt, daß, obwohl der Fische so viele waren, das Netz doch nicht zerriß. An diesem Tage der dritten Offenbarung Christi im Tausendjährigen Reiche wird kein Zukurzkommen mehr sichtbar werden, das Netz wird nicht zerreißen, und alle die Früchte der Arbeit auf Sein Wort hin werden voll ans Ufer Seiner Gegenwart geführt werden.
Als sie nun gefrühstückt hatten, beginnt der Herr mit Petrus zu reden. Er fragt: „Liebst du mich mehr als diese?“ Welche Erinnerungen mußten diese Worte in Petri Herz wachrufen! Diese Frage, die ihm am Kohlenfeuer vorgelegt wurde, mußte sie ihn nicht erinnern an jenes Kohlenfeuer, an dem er wenige Tage zuvor in dem Kreise der Feinde gesessen hatte? Und doch, welch ein Unterschied! Dort waren es die feurigen Kohlen der Feinde Christi und hier die feurigen Kohlen der Liebe seines Herrn.
Der Herr hatte noch mit Petrus zu reden, aber Er tut es erst, nachdem Seine Liebe ihn gestärkt und erwärmt hatte. Die Tat - der tiefe Fall Petri - war restlos geordnet, aber der Herr hatte noch Tieferes zu berühren als allein den Fall, auch die Wurzel mußte entfernt werden. Der Ausgangspunkt, die Wurzel des Falles, mußte aufgedeckt werden. Diese Wurzel war Selbstvertrauen, das sich über alle Jünger erhoben hatte. Er hatte gesagt: „Wenn sich alle an Dir ärgern werden, ich werde mich niemals ärgern“ (Mt 26,33). Diese Wurzel mußte gerichtet werden, und der Herr fragt: „Liebst du Mich mehr als diese?“ Wie tief mußte diese Frage in Petri Herz hineinschneiden! Dreimal hatte Petrus verleugnet, dreimal fragt der Herr, dreimal legt Er das Messer an. Nichts durfte von der Wurzel geschont werden; das Werk mußte vollkommen sein. Wenn du siehst, daß um den veredelten Rosenstock sich Ausschüsse am Erdboden zeigen, so schneidest du diese nicht nur ab, du weißt, sie würden bald wiederkommen, sondern du gräbst tief hinein, ziehst die Wurzel hervor und entfernst sie. So legt der Herr hier bei Petrus das Messer an die Wurzel seines Falles. Es ist nicht genug, die einzelnen Taten zu verurteilen, auch die Wurzel, aus der die Taten hervorgegangen sind, muß aufgedeckt und gerichtet werden. Es ist nicht schwer, die Taten zu sehen, sie treten im täglichen Leben offen hervor, aber die Wurzeln dieser Taten liegen oft tief in unserem Herzen verborgen und werden sogar oft von uns selbst nicht erkannt und oft noch weniger von anderen, aber der Herr kennt die Wurzel. Sind solche Wurzeln in unserem Herzen? Es ist ein schmerzliches, bitteres Werk, sie aufzudecken. Sie liegen oft so tief und so verzweigt, daß wir der ganzen Gnade bedürfen, sie zu erkennen. Stolz, Eitelkeit, Habsucht,
Leidenschaft, Lust usw. sind Wurzeln, die tief verborgen im Menschenherzen stecken. Möchten wir dem Herrn nicht hinderlich sein, wenn Er das Messer ohne Schonung daran legt! Diese Wurzeln haben ihren Ausgang und ihre Nahrung in dem Fleische, mit dem wir, solange wir hienieden sind, es zu tun haben, und beständig müssen sie unter dem Schneidemesser des Gerichts gehalten werden. Diese Stunde war sehr schmerzlich für Petrus, und sie ist nicht weniger schmerzlich für uns, aber sie bereitet uns zu, ein Gefäß zu sein, „geheiligt, nützlich dem Hausherrn, zu jedem guten Werk bereitet“ (2Tim 2,21).
Drei Fragen und drei Antworten haben wir in diesem Abschnitt. Der Herr richtet Seine Fragen nicht an Petrus als an Petrus, sondern an ihn als an Simon, Sohn Jonas, und zwar alle drei Male. Er nennt ihn mit dem Namen seiner natürlichen Herkunft, mit diesem Namen, der das natürliche Gebiet seiner Schwachheit und seines Falles in sich schloß. Alles dieses war nötig für die Bloßlegung und Entfernung der Wurzel.
Petrus übergeht in der Antwort die Frage, ob er Ihn mehr liebe als die anderen. Er vergleicht sich nicht mehr mit den anderen Jüngern. Er hat es nur noch mit sich zu tun, und er antwortet: „Herr, Du weißt, daß ich Dich lieb habe“. Der Herr vertraut ihm nun Seine Lämmer an. Das zweitemal fragt der Herr: „Liebst du Mich?“ Es ist die Frage nach seiner Liebe zu Ihm persönlich, wie sein Herz Ihm zugetan sei. Und wiederum sagt Petrus: „Ja, Herr, Du weißt, daß ich Dich lieb habe!“ In den Antworten, welche Petrus dem Herrn gab, gebraucht er dem Urtext nach für „Liebe“ ein anderes Wort, als welches der Herr in Seinen Fragen gebrauchte. Als der Herr nun zum dritten Male fragte: „Hast du Mich lieb?“ da gebraucht der Herr für „liebhaben“ das Wort, welches Petrus in Seinen Antworten gebraucht. Er fragt somit gleichsam: „Ist das, was du sagst, wirklich so?“ „Liebst du Mich?“ Er berührt gewissermaßen noch einmal die Wurzel des Selbstvertrauens in seiner Seele: „Vertraust du dir, daß du Mich liebst?“ Diese dritte Frage machte Petrus traurig und er läßt auch sein „Ja“ weg, welches er seinen Antworten bisher vorangestellt hatte. Er sagt jetzt: „Herr, Du weißt alles, Du erkennst, daß ich Dich lieb habe“. Er legt jetzt jeden
Winkel Seines Herzens bloß, als ob er sagen will: „Andere können nach meinem Falle Liebe zu Dir in meinem Herzen nicht sehen, aber was andere nicht sehen können, das kannst Du, Herr, sehen, Du weißt alle Dinge, Du erkennst alles, und wenn an dem Maße der Liebe, das Dir gebührt, es auch noch mangeln mag, so hängt doch mein ganzes Herz Dir an, und Dein göttliches Auge vermag es zu erkennen, daß ich Dich lieb habe. „Weide Meine Schafe.“ Es ist die ganze Herde, die der Herr ihm nun zu weiden übergibt, die Lämmer und Schafe, mit denen Sein Herz verbunden ist. Seine Lämmer, Seine Schafe, ihm vertraut Er sie an. Dem Gedemütigten, dem Petrus, der kein Vertrauen mehr zu sich selbst hat, der sich nicht mehr vergleicht mit anderen Jüngern, der da weiß, daß nur das allsehende Auge seine Liebe kennt und zu kennen vermag, das ist der Mann, dem der Herr Seine Schafe anvertrauen kann. Aber dem von sich selbst eingenommenen Petrus, dem, der noch auf seine Liebe zum Herrn vertraute, dem konnte Er nicht Seine Schafe anvertrauen, den mußte Er demütigen. Wie sorgsam ist der Herr in der Wahl derer, denen Er Seine Schafe, die Seinem Herzen so teuer sind, anvertraut. Die Frage der Liebe zum Herrn mußte zuerst beantwortet werden, alsdann konnte Er ihm Seine Schafe anvertrauen.
Der Herr fügt dann weiter hinzu: „Wahrlich, wahrlich, Ich sage dir, als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und wandeltest, wohin du wolltest; wenn du aber alt geworden bist, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und hinbringen, wohin du nicht willst. Dieses aber sagte Er, andeutend, mit welchem Tode er Gott verherrlichen sollte.“ Wie weit Petrus und die anderen Jünger diese „Andeutung“ des Herrn verstanden, wissen wir nicht. Als Johannes diese Worte niederschrieb, hatte Petrus schon sein Leben für den Herrn gelassen, aber der Herr zeigte ihm dann, daß in jenen Worten schon eine Andeutung des Ausganges seines Lebens enthalten war.
Wir finden hier drei Gegensätze. Der Herr spricht von dem Gegensatz zwischen dem „als er jünger war“ und dem, wenn er alt geworden sein würde, zwischen dem Sich-selbst-gürten und dem sich von einem anderen Gürtenlassen, von einem Gehen, wohin er wollte, und von einem
Sich-hinbringen-lassen, wohin er nicht wollte. Welch ein Gegensatz zwischen jung und alt - zwischen dem schnell zufahrenden Petrus und dem gereiften, besonnenen Petrus; zwischen dem, der seinen Weg in eigener Kraft ging wie er wollte, und dem, der alt geworden, seine kraftlosen Hände ausstreckte, um sich gürten und führen zu lassen, wohin sein eigener Wille ihn nicht hätte gehen lassen! Welche Gnade, einen gebrochenen Willen zu haben und mit dem Herrn von Herzen sagen zu können: „Nicht mein, sondern Dein Wille, o Herr, geschehe!“
Als der Herr dies gesagt hatte, spricht Er zu ihm das bedeutungsvolle Wort: „Folge Mir nach!“1 v. d. K.
1 Über die Schlußverse dieses Kapitels siehe Band 4, Seite 210-219; Band 5, Seite 194-199.↩︎