Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 19 - Jahrgang 1934
Jerobeam, der Mann Gottes aus Juda und der alte Prophet aus Bethel
1Kön 13,11-34 - Der Mann Gottes aus Juda und der alte Prophet in Bethel (3)1Kön 13,11-34 - Der Mann Gottes aus Juda und der alte Prophet in Bethel (3)
Mit einem großen und gefahrvollen Auftrag hatte Gott Seinen Knecht, den Mann Gottes aus Juda, betraut. Treu hatte dieser das Wort Jehovas ausgerichtet, und Gott hatte mit wunderbarer Macht ihn beschirmt und den gottlosen König gedemütigt.
Jetzt kommen wir zum Abschluß der Geschichte. So wie bisher unser Herz mit Bewunderung sowohl über die Treue Gottes als auch über die Treue Seines Knechtes erfüllt wurde, so wird unsere Seele nun mit Trauer und Schmerz erfüllt; ja, Unwille steigt im Herzen wider den alten Propheten auf, und unserem Sinne hätte es mehr entsprochen, wenn das strenge Gericht, das den Mann Gottes aus Juda traf, den alten Propheten in Bethel getroffen hätte.
Aber auch diese Begebenheit ist uns zur Belehrung und Warnung geschrieben. Laßt uns nun dem Berichte der Schrift folgen und von Herzen um ein rechtes Verständnis desselben bitten!
Jerobeam hatte den Mann Gottes eingeladen: „Komm mit mir ins Haus und stärke dich ...“ Jehova aber hatte dem Manne Gottes geboten: „Du sollst kein Brot essen und kein Wasser trinken, und du sollst nicht auf dem Wege zurückkehren, den du gegangen bist.“ (1Kön 13,7-9) Den Grund, warum der Mann Gottes so handeln sollte, fügte Gott nicht hinzu. Seine Worte aber waren klar und nicht mißzuverstehen, und die Sache des Mannes Gottes war nur, dem Worte Jehovas gehorsam zu sein. In dieser Gesinnung antwortete er dann auch dem Könige: „Wenn du mir die Hälfte deines Hauses gäbest, so würde ich nicht mit dir hineingehen; und ich werde kein Brot essen und kein Wasser trinken an diesem Orte.“ (V. 8) Alsdann trat er auf einem anderen Wege den Rückweg nach Juda an. Soweit waren alle Gefahren und Versuchungen glücklich überwunden. Aber er war noch nicht in sein Land zurückgekehrt. Er war noch auf dem Wege, wo Kampf und Versuchung ihm begegnen konnten. Und diese Versuchung nahte ihm jetzt in einer ganz anderen Gestalt als zuvor. Der Feind konnte nicht nur den gottlosen König Jerobeam benutzen, sondern auch einen alten Propheten in Bethel; er tritt uns entgegen als brüllender Löwe, aber auch als ein Engel des Lichtes. Wenn wir ihn in seiner wahren Gestalt sehen, dann fürchten wir uns und suchen Hilfe beim Herrn, so wie Petrus es tat; als er den starken Wind sah, schrie er zum Herrn: „Herr, rette mich!“ Kommt der Feind aber in Engelsgestalt, dann sind wir gar leicht bereit, unserer eigenen Kraft zu vertrauen, und in höchster Gefahr, die Abhängigkeit vom Herrn aufzugeben.
Mit einem „Aber“ berichtet uns Gott von dem Wohnen eines alten Propheten in Bethel. Dessen Söhne kommen und erzählen ihm alles, was der Mann Gottes in Bethel getan, und die Worte, die er zu dem König geredet hatte. Der Vater erkundigt sich nach dem Wege, den der Mann Gottes gegangen, und als er dies erfahren, läßt er den Esel satteln, reitet ihm nach und findet den Mann Gottes unter einer Terebinthe sitzen. Nachdem er sich vergewissert hat, daß er den Mann Gottes aus Juda vor sich hat, spricht er zu ihm: „Komm mit mir nach Hause und iß Brot.“ Als der Mann Gottes aus Juda auch ihn mit dem Befehl seines Gottes, kein Brot und kein Wasser an diesem Orte zu sich zu nehmen, bekannt macht, antwortet ihm der alte Prophet: „Auch ich bin ein Prophet wie du; und ein Engel hat zu mir geredet durch das Wort Jehovas und gesagt: Bringe ihn mit dir in dein Haus zurück, daß er Brot esse und Wasser trinke.“ (V. 18) Dies aber war eine Lüge. Und auf diese Lüge hin kehrte er mit ihm zurück und aß Brot in seinem Hause und trank Wasser.
Die Versuchung war groß! Gefahr nahte sich ihm, von der er nichts ahnte: Er hielt sich vielmehr allen Gefahren und Versuchungen für entronnen. Der ihm gewordene Auftrag war ja ausgerichtet und er auf dem Wege der Heimkehr. Unter einer Terebinthe ließ er sich nieder. Meinst du nicht, daß die vergangenen Stunden des schweren Kampfes noch einmal an seiner Seele vorüberzogen und daß Freude und Zufriedenheit seine Seele erfüllten? Alles war vorüber; er sieht keine Gefahr mehr. Das götzendienerische Bethel liegt hinter ihm; einsam ruht er unter der Terebinthe in Zufriedenheit und vermeintlicher Sicherheit.
Da naht sich ihm ein ehrwürdiger alter Mann. Sie sind einander unbekannt, aber dieser redet ihn an und fragt, ob er der Mann Gottes aus Juda sei. Und nachdem er dies bejaht, spricht der alte Prophet: „Komm mit mir nach Hause und iß Brot.“ Wie ganz anders ist die Person, die ihn jetzt einladet, Brot zu essen und Wasser in seinem Hause zu trinken, als die Person des Königs Jerobeam! Auch ihm antwortet der Mann Gottes mit dem Befehl seines Gottes. Da stellt sich der alte Prophet ihm vor als einen, der gleichen Standes mit ihm sei. Auch er sei ein Prophet Jehovas, und ein Engel habe ihm eine Botschaft von Gott gebracht, ihn, den Mann Gottes, in sein Haus zu führen, um Brot zu essen und Wasser zu trinken.
Wie gesagt, die Versuchung war groß. Hier stand der Ausspruch, der ihm von Gott gegeben war, dem Ausspruch, den ein Engel von Gott gebracht haben sollte, gegenüber. Gewiß, hier sprach kein feindseliger Jerobeam, hier sprach -zwar ein ihm bisher unbekannter Mann - aber doch ein Mann, der bekannte, ein Bruder zu sein und deshalb als ein solcher auch von ihm angesehen und gehört zu werden Anspruch machte. Aber dessen Worte standen im Widerspruch mit den Worten seines Gottes. Welches Wort sollte ihm jetzt gelten? Das Wort, das Jehova zu ihm geredet hatte, oder das Wort, welches jetzt der alte Prophet zu ihm redete? Eines von beiden mußte zurücktreten.
Wenn der Mann Gottes sich weniger sicher gefühlt und auf seiner Hut gewesen wäre, dann würde er zum mindesten zu seinem Gott gegangen sein und hätte Jehova über diese Sache befragt. Gott würde ihm sicher geantwortet haben. Jehova Selbst hatte ihm befohlen, kein Brot zu essen und kein Wasser zu trinken, und von diesem Worte hätte er nicht anders weichen dürfen, es sei denn, daß auch Jehova Selbst Sein Wort aufgehoben hätte. Wie entschieden ist dagegen die Sprache des Apostels Paulus! Die Botschaft, die Gott ihm offenbart hatte, hielt er fest, ganz gleich, was auch ein Mensch oder ein Engel dazu sagen mochte; war es mit der göttlichen Botschaft nicht in Übereinstimmung, so sollte jenen ein Fluch treffen (Gal 1,8). Der Mann Gottes ging aber an dem Worte Jehovas vorüber und folgte dem Worte eines Menschen.
Alles dieses ist uns zur Ermahnung geschrieben; wir sollen daraus lernen, mehr auf das Wort unseres Gottes zu achten, es festzuhalten und den Worten der Menschen gegenüber zu behaupten. Ohne Zweifel hatte Gott einst den alten Propheten als Seinen Mund gebraucht; und Gott wählt Sich heute noch Menschen als Werkzeuge für Seinen Dienst. Wir haben auch solche zu ehren, die Er mit Seinem Dienst beehrt, und werden ermahnt, die Ältesten, welche wohl vorstehen, doppelter Ehre würdig zu achten, „sonderlich die da arbeiten in Wort und Lehre“ (1Tim 5,17). Aber nie dürfen wir ihnen den Platz des Herrn einräumen und nie ihr Wort an die Stelle Seines Wortes setzen. Hierin fehlte der Mann Gottes aus Juda. Er lieh dem alten Propheten sein Ohr. Sein Titel, ein Prophet Jehovas zu sein, sein Alter und Ansehen blendeten seine Augen, und ohne Jehova zu fragen, ging er an den klaren Worten seines Gottes vorüber und folgte dem Worte eines Menschen. Möchten wir die Warnung, die Gott uns in dieser Geschichte gibt, recht in unser Herz nehmen!
Was nun folgt, muß jedes Herz erschüttern. Während sie zu Tische sitzen, geschieht das Wort Jehovas zu dem alten Propheten, und dieser muß dem Manne Gottes aus Juda zurufen: „So spricht Jehova: Darum daß du gegen den Befehl Jehovas widerspenstig gewesen bist und nicht beobachtet hast das Gebot, das Jehova, dein Gott, dir geboten hat, und bist umgekehrt und hast Brot gegessen und hast Wasser getrunken an dem Orte, von welchem Er zu dir geredet hat: Iß kein Brot und trinke kein Wasser! so soll dein Leib nicht in das Grab deiner Väter kommen“ (V. 21. 22) Wie furchtbar! Der alte Prophet, der den Mann Gottes belogen und betrogen hatte, dessen Mund muß diesem jetzt das Gericht verkünden, welches zugleich auch seine Sünde ans Licht brachte und verurteilte. Er sagt ihm nicht, daß er jetzt auf dem Heimweg durch einen Löwen getötet werden würde, sondern nur, daß sein Leib nicht in das Grab seiner Väter kommen werde. Alsdann sattelte er ihm seinen Esel, und der Mann Gottes aus Juda zieht fort.
Welch eine Last mußte jetzt auf dem Herzen des Mannes Gottes und ebenso auf dem des alten Propheten liegen! Und welche Gefühle seine Seele durchziehen! Der eine schuldig in seinem Gewissen, dem Worte seines Gottes ungehorsam gewesen zu sein, der andere schuldig, seinen Bruder zur Sünde verleitet zu haben. Ein Löwe, von Gott gesandt, tötet den Mann Gottes auf dem Wege. Er darf den Leib Seines Knechtes nicht beschädigen, und er darf auch den Esel nicht zerreißen. Beide müssen neben dem Leichnam des Mannes Gottes als Zeugen des Gottesgerichtes stehenbleiben. Auch die vernunftlose Kreatur ist dem Willen und Gebote Gottes untertan. Raben mußten auf Gottes Geheiß in der Hungersnot dem Propheten Elia das Leben erhalten, und ein Löwe mußte auf Sein Geheiß dem Manne Gottes das Leben nehmen und dann neben demselben Wache stehen.
Es mag uns die Sünde des Mannes Gottes aus Juda weniger schwer erscheinen als die des alten Propheten, der diesen zum Ungehorsam gegen Gott verführte, und Vergleiche und Fragen mögen unwillkürlich im Herzen aufsteigen, warum den einen solche ernste Strafe traf, wogegen der andere eines natürlichen Todes starb und wir nichts von einer Strafe desselben hören. Wenn wir auf solche Fragen auch keine Antwort finden als das Wort Davids: „Jehova ist gerecht in allen Seinen Wegen ...“ (Ps 145,17) und mit Hiob sprechen lernen: „Siehe, Er rafft dahin, und wer will Ihm wehren? Wer zu Ihm sagen: Was tust Du?“ (Hiob 9,12; Dan 4,35b), so dürfen wir doch über das Tun unseres Gottes nachdenken und daraus lernen.
Kurz zusammengefaßt war die Aufgabe des Mannes Gottes, Jerobeams Abweichen vom Worte Gottes ins klare Licht zu stellen und Gottes Gericht über diese Sünde zu verkünden. Und was war nun geschehen? Er, der Mann Gottes war selbst in diese Sünde gefallen, über welche er das Gericht verkündigt hatte, und hatte durch sein eigenes Abweichen vom Worte Jehovas der göttlichen Botschaft die Kraft genommen. Gott aber bewahrte die Zuverlässigkeit Seines Wortes mit dem sofortigen Gericht der Sünde Seines Knechtes und bestätigte somit das sichere Geschehen Seines Wortes durch das Gericht an Seinem Knecht. Die Grabstätte des Mannes Gottes wurde somit ein ständiges Zeugnis von der Zuverlässigkeit Seines Wortes und für uns zur ernsten Warnung, von Seinem Worte ja nicht abzuweichen.
Gott vollzog das Gericht über Seinen Knecht, den Mann Gottes, sogleich. Dagegen aber ließ Er das Gericht über die Sünde Jerobeams, mit der er Israel sündigen machte, zwar zuvor verkünden, schob es aber mehr als dreihundert Jahre hinaus bis auf den Tag, da ein Sohn Davids, Josia, kommen werde. (1Kön 13,2; 2Kön 23,15-20) So wartet Gott auch heute noch mit Seinem Gericht über eine götzendienerische Welt, bis das Maß ihrer Sünden voll und der Herr Jesus das Gericht über diese Welt vollführen wird, wogegen aber jetzt die Zeit gekommen ist, „daß das Gericht anfange bei dem Hause Gottes“. (1Pet 4,17)
Wie schon angedeutet, ringt sich die Frage in uns auf, warum die Sünde des alten Propheten, die doch so offenkundig zutage trat, scheinbar übergangen wird, während die uns viel geringer scheinende Sünde des Mannes Gottes so ernst mit dem Tode bestraft wurde. Eine Antwort könnte vielleicht die sein, daß Gott in diesem Abschnitt die Sünde Jerobeams und das Zeugnis des Mannes Gottes aus Juda als den Hauptgegenstand in den Vordergrund stellt, wogegen die Person des alten Propheten nur gleichsam eine Nebenfigur in diesem göttlichen Berichte ist und deshalb uns nicht Eingehenderes weiter mitgeteilt wird. Aber doch können wir in bezug auf unsere verschiedenartigen Empfindungen über Sünden, die wider Gott geschehen, und über Sünden, die wider den Bruder geschehen, etwas lernen, obgleich letztere gewiß auch Sünden gegen Gott sind.
Als Gott die zehn Worte gab, schrieb Er sie nicht auf eine, sondern auf zwei Tafeln. Die Schrift sagt uns nicht, welche Gebote Er auf die eine und welche Er auf die andere schrieb. Allgemein wird aber angenommen, daß die eine Tafel die Gebote, welche unser Verhalten gegen Gott, und die andere die Gebote, welche unser Verhalten gegen Menschen betreffen, enthielten. Und diese Annahme scheint auch eine Bestätigung durch den Herrn zu finden, denn auf Seine Frage: „Was steht im Gesetz geschrieben?“ antwortete der Gesetzgelehrte dieser Zweiteilung gemäß: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben ... und deinen Nächsten wie dich selbst.“ Und der Herr bestätigte, daß er recht geantwortet habe. Diese Zweiteilung können wir m. E. auch in den Schriftstellen Mt 22,34-40 und Mk 12,28-34 finden.
Von diesem Gesichtspunkte gesehen, war die Sünde des Mannes Gottes, als er das Wort Jehovas aufgab, eine Sünde wider Gott, und die Sünde des alten Propheten, als er seinen Bruder betrog, eine Sünde wider den Nächsten.
Wenn wir die Empfindungen unserer Herzen beim Lesen dieses Schriftabschnittes beachtet haben, so werden wohl die meisten Leser zugeben, daß die Sünde des alten Propheten wider seinen Bruder unser Gemüt tiefer berührte als die Sünde des Mannes Gottes wider Gott. So können wir uns oft über eine Sünde gegen einen Bruder erregen und in aller Entschiedenheit dagegen auftreten (und sicher mit Recht), wogegen aber eine Sünde gegen den Herrn, ein Hinweggehen über Sein Wort, uns ganz ruhig lassen kann.
Auch in unseren Empfindungen können wir schief werden und den rechten Maßstab verlieren. Wir urteilen dann nach unserem eigenen, törichten Herzen und nicht den Gedanken Gottes gemäß. Bei Hiob mochte vieles verkehrt sein, aber in seinem Herzen trug er die rechten Gedanken über Gott, so daß Gott Zeugnis gab, daß Sein Knecht Hiob (im Gegensatz zu seinen drei Freunden) geziemend von Ihm geredet habe. Jede Verfehlung gegen den Nächsten - den Bruder - muß uns sicher betrüben, aber wieweit tragen wir in erster Linie Schmerz darüber, daß solche Verfehlungen Sünde auch gegen Gott und Symptome - Kennzeichen - eines traurigen Herzenszustandes sind?
A. v. d. K.
(Schluß folgt, s. G. w.)!