Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 11 -Jahrgang 1926
Röm 13,8 - „Schulden“Röm 13,8 - „Schulden“
Schulden zu haben ist schon in der Welt ein häßlich Ding, und mancher ist daran zugrunde gegangen. Ob wohl alle Kinder Gottes ein Gefühl dafür haben, wieviel häßlicher noch Schulden für „Diener Gottes“ (2Kor 6,4) und „Gesandte für Christum“ (2Kor 5,20) sind, die ihren hohen „in ein fernes Land gereisten Herrn“ in dieser im Bösen liegenden Welt würdig vertreten sollen? Denn wie der Vater den Sohn in die Welt gesandt hatte, also hat der Sohn uns in die Welt gesandt (Joh 17,18). „Ihr nun sollt vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist“ (Mt 5,48), hat unser Herr zu uns gesagt. Gott aber ist uns nichts schuldig geblieben. Er, der uns doch nichts schuldig war, hat für solche, die Seine Feinde und Ihm viel, ja alles schuldig waren, den Sohn Seiner Liebe gegeben. Seine Liebe, fast möchte ich sagen, hätte sich in der Schuld gewußt, wenn Er nicht alles gegeben hätte, um Seine Feinde mit Sich zu versöhnen, Verlorene zu retten, und so gab Er Sein Kostbarstes, den eingeborenen, geliebten Sohn.
Wir Menschen aber können wirklich etwas schuldig sein: Steuer, Zoll, Furcht, Ehre (Röm 13,7), auch Geld als Leistung für Dienste oder empfangene Ware. Darüber sagt uns „die Schrift, die nütze ist zur Lehre, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Unterweisung in der Gerechtigkeit, auf daß der Mensch Gottes vollkommen, sei zu jedem guten Werke völlig geschickt“ (2Tim 3,16.17). „Seid niemanden etwas schuldig, als nur einander zu lieben“ (Röm 13,8). „Mensch Gottes“, hat dir das Wort etwas zu sagen? Steuer und Zoll der Obrigkeit zu geben, und zwar ein gerüttelt und geschüttelt Maß, auch wenn sie uns vielleicht nicht paßt, weil sie uns politisch zu weit rechts oder links steht, ist doch wohl jedem Kinde Gottes selbstverständlich. Auch Furcht zu geben an Gott, die Eltern und wem immer Furcht gebührt, haben wir wohl ein wenig gelernt, wenn wir auch darin zu lernen nicht aufhören. Wie steht es aber mit dem: „Erweist allen Ehre“ (1, Petr. 2,17)? Nachfolger des Herrn Jesus achten nicht nur einer den anderen höher als sich selbst (Phil 2,3) und beeifern sich, in Ehrerbietung (!)! einer dem anderen voran zu gehen (Röm 12,10), sondern sie erweisen auch denen, die nicht zum Hause Gottes gehören, alle Ehre, auf daß die Lehre Christi nicht verlästert werde, sondern die Menschen zu Christo gezogen werden. Welch einen häßlichen Eindruck macht doch der Mensch, der behauptet, für Gott ermahnen zu dürfen: „Wir bitten an Christi statt: Laßt euch versöhnen mit Gott“ (2Kor 5,20), wenn er gegen die gewöhnlichen Formen guter Sitte an Höflichkeit und Ehrerbietung verstößt! Wie mancher ist dadurch schon abgestoßen statt angezogen worden. Auch das ist eine Schuld, die wir nicht schuldig bleiben sollten. Da heißt es z. B.: „Ihr Knechte unter dem Joch, achtet eure eigenen Herren aller Ehre schuldig, sonderlich, die da gläubige Herren haben“ (1Tim 6,1.2), so werdet ihr die Lehren eures Heilandes zieren (Tit 2,10). Manchem gläubigen Dienstmädchen wird es schwer, das Wort „gnädige Frau“ ihrer Herrin gegenüber auszusprechen, und doch ist das in der vornehmen Welt so Brauch, und deine Herrin darf erwarten, daß du ihr diese Ehre gibst.23 Ist es nicht ungebrochenes Wesen des adamitischen, nicht des himmlischen Menschen, das es uns so schwer macht, uns in Ehrerbietung unter andere zu stellen? Doch nur wer sich selbst verleugnet, kann des Herrn Jesus Jünger sein.
Noch eins! Gott gibt dem mangelhafteren Gliede reichlichere Ehre in dem Leibe (1Kor 12,24). Handeln wir als Nachahmer Gottes (Eph 5,1) ebenso? Behandeln wir die unansehnlicheren Glieder Christi, die sozial niedriger Gestellten, auch die jung Bekehrten, die noch manche Frage stellen und allerlei weltliches Wesen an sich haben - behandeln wir diejenigen, die keine Gabe zu haben scheinen, mit reichlicherer Ehre?
Aber laßt uns auch das andere Wort nicht vergessen: „Die Ältesten, welche wohl vorstehen, laßt doppelter Ehre würdig geachtet werden, sonderlich die da arbeiten in Wort und Lehre. Denn die Schrift sagt: ‚Du sollst dem Ochsen, der da drischt, nicht das Maul verbinden‘, und: ‚der Arbeiter ist seines Lohnes wert‘.“ (1Tim 5,17.18). O, Brüder, laßt uns an Ehre nichts schuldig sein!
Aber auch nicht an Geld! Schon der Israelit mußte lernen: „Du sollst deinen Nächsten nicht übervorteilen und sollst ihn nicht berauben; der Lohn des Tagelöhners soll nicht bei dir über Nacht bleiben bis an den Morgen.“ (3Mo 19,13). Wenn jemand dem, der auf seiner Hände Arbeit angewiesen ist, den Lohn vorenthält, und sei es auch nur eine Nacht, so ist das also Raub. Wenn das schon so unter dem Gesetz war, wie soll es denn unter dem Gesetz der Liebe sein? (Lies Mt 5,21-48). Wer seinen Nächsten liebt wie sich selbst (Mt 22,39; Gal 5,13.14), versetzt sich in die Lage des anderen. Wie sehnlich wartet doch mancher Arbeiter und Handwerker auf die Bezahlung seiner Arbeit, besonders in dieser schweren Zeit, weil seine Kinder hungrig sind oder er von den Gläubigern bedrängt wird, der Schuldner aber denkt nur an sich selbst und läßt ihn hungern oder gar bankrott werden, weil er sich in seinen vielleicht nur eingebildeten „Bedürfnissen“ etwas einschränken müßte, wenn er die Rechnung gleich bezahlen würde.
Eine Schuld, welche so leicht übersehen wird, ist die gegen die, welche im Worte unterweisen. Man nimmt so leicht als selbstverständlich hin, was doch tiefe Dankbarkeit auslösen sollte. Nicht nur Ehre sind wir denen schuldig, die uns in dem Worte unterweisen, sondern auch „allerlei Gutes“ (Gal 6,6).24 Welch eine Hingabe erfordert doch oft bwohl in den Worten: „Es hat ihnen wohlgefallen“, die Freiwilligkeit ihrer Gaben betont wird, so weist der Apostel doch mit Nachsolch ein Dienst nach ermüdender Berufsarbeit; mit wieviel Tränen und Schmerzen ist er oft verbunden, denn der da im Worte unterweist, hat, wenn anders der Dienst recht geschieht, das hohe Ziel im Auge, alle hingelangen zu lassen „zur Einheit des Glaubens und zur Erkenntnis des Sohnes Gottes, zu dem erwachsenen Manne, zu dem Maße des vollen Wuchses der Fülle des Christus, auf daß sie nicht mehr Unmündige seien“ (Eph 4,13). Er trägt deshalb die, die da unterwiesen werden, mit all ihren Fehlern und Schwächen auf liebendem Herzen, wie Paulus die Korinther ermahnt und belehrt wie ein Vater „seine geliebten Kinder“ (1Kor 4,14). Ein solcher hat gar oft abermals Geburtswehen, bis Christus in euch gestaltet ist. (Gal 4,19).
Und welch eine Entsagung setzt der so nötige Reisedienst zur Verkündigung des Evangeliums und zur Ermunterung und Befestigung der Gläubigen voraus; wochen-, ja monatelange Trennung von Weib und Kindern, die auch des Mannes und Vaters bedürfen, Ermüdung der Reise, Frost und Hitze, druck darauf hin, daß sie dazu verpflichtet waren, weit sie dafür tatsächlich Schuldner waren, und er beweist dieses damit, daß, wenn sie, „die Nationen, ihrer geistlichen Güter teilhaftig sind, sie schuldig sind, ihnen auch in den leiblichen zu dienen.“ Die geistlichen Güter sind unendlich höherer Art als die fleischlichen, und wenn sie deshalb auch nicht durch irdische und leibliche erstattet werden können, so sollen sie doch durch solche erwidert werden. Die Abtragung dieser Dankes- und Liebesschuld war dem Apostel so wichtig und köstlich, daß er sie selbst nach Jerusalem bringen wollte.
Diesen hier niedergelegten Grundsatz, daß das Teilhaftigwerden der geistlichen Güter die Schuldverpflichtung, mit den leiblichen zu dienen, in sich schließe, hat Gott an vielen Stellen des Alten und Neuen Testamentes niedergelegt.
Wie wenige unter den Kindern Gottes beachten es, daß der Herr „verordnet“ hat, daß die, die das Evangelium verkündigen, auch vom Evangelium leben sollen (1Kor 9,14). Gilt diese „Verordnung“ des Herrn dem Volke Gottes heute nicht mehr? Die Schrift fragt: „Wer einen Weinberg pflanzt, ißt er nicht von dessen Frucht, und wer eine Herde weidet, isset er nicht von der Milch der Herde?“, und sie fragt weiter, ob Gott für die Ochsen besorgt ist, wenn Er spricht: „Du sollst dem Ochsen, der da drischt, nicht das Maul verbinden.“ „Spricht Gott das nicht durchaus um unsertwillen?“ (1Kor 9,7-9).
Wenn die Korinther etwa meinen sollten, daß dies etwas Großes sei, so zeigt ihnen Paulus, daß das wirklich Große nicht das Leibliche, sondern das Geistliche sei. Sie sollten es sich einmal selbst beantworten, ob, „wenn sie ihnen das Geistliche gesät hätten, es ein Großes sei, wenn sie ihr Fleischliches ernteten“ (1Kor 9,11). v. d. K. mangelnde Körperpflege, dazu die ständige Sorge um die Versammlungen und die zur Aussprache kommenden Seelen, das alles muß der Diener am Wort freudig auf sich nehmen. Sind wir uns dessen bewußt, daß das alles uns eine große Schuld auferlegt, die wir abzutragen haben in der Liebe Christi?
Ein Bruder sagte mir einmal: „Als ich mich entschloß, ganz in den Dienst des Herrn zu treten, da war mir klar, daß wir trocken Brot essen müßten.“ Und er hat sich nicht getäuscht. Welch eine Schuld ist da unbeglichen geblieben!
Zur Unterweisung im Worte gehört aber auch der schriftliche Dienst. Auch er kann nur mit viel Gebet und aus einem liebenden Herzen getan werden, das von Eifer für das Werk des Herrn und Sein geliebtes Volk erfüllt ist. Lies einmal in Kol 1,20 - 2,3, wie das Herz eines wahren Dieners Christi bewegt ist. Da läßt sich mancher jahrelang Schriften schicken, ohne je zu bedenken, was sie den Herausgeber und Verfasser an Liebesarbeit gekostet haben, gar nicht zu sprechen von den Kosten des Papiers, des Druckes und des Versandes. Wenn die Liebe Christi die Herzen erfüllte, so hätte jener auch an den Lohn gedacht. Gedankenlosigkeit ist auch Lieblosigkeit. Denn das ist doch wohl nicht der Gedanke gewesen: „Gehet hin in Frieden, wärmet euch und sättigt euch.“ (Jak 2,16). Sonst ist ja der Glaube tot!25
Christus wird uns keinen Lohn vorenthalten. Er sagt: „Siehe, Ich komme bald, und Mein Lohn mit Mir, um einem jeden zu vergelten, wie sein Werk sein wird.“ (Off 22,12). „Irret euch nicht, Gott läßt Sich nicht spotten! Denn was irgend der Mensch sät, das wird er ernten.“ (Gal 6,7). Das steht in Verbindung mit der Schuld gegen die, die da im Worte unterweisen. Das wollen wir wohl beachten. Wie wird unsere Ernte sein? „Wer da sparsam sät, wird auch sparsam ernten, und wer segensreich sät, wird auch segensreich ernten.“ (2Kor 9,6). O, daß unsere Ernte doch reich sei! Ja, Brüder, laßt die Liebe Christi unsere Herzen und unser Leben regieren, laßt uns alles selbstsüchtige Wesen, das nur an sich selber denkt und für sich selber besorgt ist, als mit Christo Gestorbene verurteilen, und daß Christus durch den Glauben in unserem Herzen wohne, indem wir in Liebe gewurzelt und gegründet sind (Eph 3,17). Er, der in Gestalt Gottes war, hielt das Seine nicht wie einen Raub fest, sondern entäußerte Sich Selbst bis zum Tode am Kreuze (Phil 2,6-8). So hat auch Paulus gehandelt. Deshalb kann er schreiben: „Seid meine Nachahmer, wie auch ich Christi.“ (1Kor 11,1).
Wir sind schuldig, für die Brüder selbst das Leben darzulegen, denn Er hat Sein Leben für uns dargelegt (1Joh 3,16). Und da sollten wir nicht an den Bedürfnissen der Heiligen teilnehmen, die uns dienen in der Liebe Christi, wenn Gott uns allerlei Gutes zur Verwaltung anvertraut hat?! „Brüder, laßt uns nicht lieben mit Worten, noch mit der Zunge, sondern in der Tat und Wahrheit.“ (1Joh 3,18). So werden wir keinem anderen etwas schuldig bleiben als nur Liebe. Diese Schuld freilich endet nie; aber da wir in Christo sind, dem ewigen Quell unveränderter Liebe, dürfen wir auch aus Seiner Fülle täglich schöpfen Gnade um Gnade, um diese Schuld einzulösen. Seine Liebe aber höret nimmer auf!
W. v. S.
23 Wem diese Anredeform törichterweise ganz unnötige Schwierigkeit macht, weil er meint, nur Gott, nicht ein Mensch sei „gnädig“, der bedenke einmal, wie oft er ein anderes Wort stets und selbstverständlich gebraucht, das für uns Gläubige einen besonderen Klang hat: das Wort „Herr“! Es ist nun einmal Brauch in der Welt, Männer, selbst solche, die nicht im geringsten äußerlich Herren sind, mit „Herr“ anzureden, und auch wir Gläubige tun es ohne Schwierigkeit, obwohl eigentlich diese hohe Anrede nur dem Herrn gebührt. Er allein ist doch für uns wirklich Herr! (1Kor 8,6). Aber solchen allgemeinen gebräuchlichen Formen haben wir uns ebenso wie die Welt unterzuordnen aus Gründen, wie sie obiger Aufsatz so ernst betont. Tun wir es nicht, so machen wir dem Herrn mehr Schande, als wenn wir aus vermeintlicher christlicher „Entschiedenheit“, vielleicht aber gar aus Trotz oder Rechthaberei, solche Formen des Anstandes umgehen oder auch verweigern.
Der Schriftl. F. K. törichte (?)↩︎
24 Zu diesen Worten an die Galater finden wir eine Illustration in Römer 15,26.27. Die griechischen Gemeinden hatten das Evangelium von den Judenchristen empfangen, und in dankbarer Anerkennung des durch sie empfangenen Segens hatten sie Sammlungen veranstaltet, deren Betrag Paulus selbst nach Jerusalem überbringen wollte.↩︎
25 Auf ausdrücklichen Wunsch des teuren Verfassers haben wir auch diesen Absatz seines ernsten Aufsatzes - wie überhaupt den ganzen! - unverändert gelassen! Wir glauben das sagen zu müssen, damit keiner der Leser unserer „Handreichungen“ meine, wir wollten ihn auf diese Weise „mahnen!“ A. v. d. K. u. F. K.↩︎