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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 15 - Jahrgang 1930
Geheimnisse GottesGeheimnisse Gottes
Solange wir hienieden wallen, werden die Gedanken und Taten Gottes uns Geheimnisse bleiben, die wir nicht ergründen können, bis wir zum Schauen gelangt sind. Wir finden in der Schrift Stellen, die uns solches andeuten. In 5. Mose 29,29 heißt es: „Das Verborgene ist Jehovas, unseres Gottes; aber das Geoffenbarte ist unser und unserer Kinder ewiglich usw.“ In Psalm 25,14 ist das Geheimnis Gottes gleich einer vertrauten Mitteilung an die, welche Ihn fürchten. In Amos 3,7 tut der Herr nichts, Er habe denn Seinen Knechten und Propheten Sein Geheimnis offenbart. Aber wenn wir auch nach 1Kor 4,1 Haushalter über Gottes Geheimnisse sind und wenn auch Paulus 1Kor 15,51 uns eines der vielen Geheimnisse Seines Willens (Eph 1,9) anvertraut, wenn auch diese Geheimnisse groß und reich sind und wir die Pflicht haben, über sie zu reden, damit Gott gepriesen werde nach Seiner Würde und Liebe, so ist uns ein Erschöpfen der Geheimnisse unmöglich. Man kann die Wirkung eines Vulkans und die diese begleitenden Ursachen und Gesetze teilweise erkennen, aber nur der hat eine richtige Vorstellung, der den Dingen bis auf den Grund gegangen ist.
Zwei Geheimnisse stehen so groß vor unseren Augen: Sünde und Gnade. In 2Thes 2,7 spricht Paulus von dem Geheimnis der Gesetzlosigkeit, Bosheit oder Sünde, welche wirksam sind, und in Eph 6,19 von dem Geheimnis des Evangeliums. Woher kam die Sünde? Eine solche Frage zu stellen ist zwecklos, weil die Schrift über diesen Gegenstand schweigt. Sie sagt uns nur, was Sünde ist. Wir lernen aus der Schrift, daß Gott Menschen in Seinem Bilde haben wollte: Menschen Seines Wohlgefallens, in Reinheit, ohne Sündennatur und darum ohne Sündenschulden. Es muß ein heiliger und herrlicher Zustand gewesen sein, als Gott mit Seinen Geschöpfen lustwandelte. Aber die ersten Menschen hatten auch eine Verantwortung: „nicht zu essen vom Baume der Erkenntnis des Guten und Bösen“ und nach 1. Mose 2,17 „den Garten Eden zu bebauen und ihn zu bewahren.“ Der Mensch, verführt vom Vater der Lüge, verlor seinen Unschuldstand und wurde unter das angedrohte Gericht gestellt (1. Mose 2,17). Nun tragen Schöpfung und Geschöpf die dunkle Macht der Sünde in sich. Wir sind nicht nur Sünder, weil wir sündigen, sondern weil die Sünde in uns ist, weil die Voraussetzungen zum Guten uns fehlen. Aber Gott, der die Gerechtigkeit ist, kannte eben die Ursache der Sünde als bewußte Empörung gegen Sich und hat die menschliche Sünde als die, die den milderen Charakter des Verführtseins an sich trägt, bestätigt und in Seiner Liebe ihr die Möglichkeit der Erlösung aus Gnaden zugesprochen. Darum ist alles Mühen des Menschen auf die Verbesserung des Fleisches hin zwecklos und nur ein die Gnade hinderndes Tun. Ein Beispiel mag das erläutern.
In einem Bremer Barackenlazarett weilte eine Mutter am Bette ihres Sohnes, eines nach einem ausschweifenden Leben an Gehirnerweichung erkrankten Menschen. Sie geht mit einem Boten des Evangeliums im Anstaltsgarten auf und ab, nicht nur betrübt über den Zustand ihres Sohnes, sondern sie sieht im Geist die vielen Tausende von Jünglingen, welche durch die Sünde in das gleiche Elend gestürzt werden. Da ringt sich von den Lippen der Mutter die ernste Frage: „Kann man nicht die Menschen über Sünde und Sündenfolgen aufklären?“ Da antwortete der Diener am Wort tiefbewegt: „Haben Sie nicht hier in der Anstalt den kranken Arzt gesehen, der aufgeklärt war und doch an diesen schrecklichen Ort gelangt ist?“ Da steht man vor einem Geheimnis und würde nie eine Antwort finden, wenn nicht Gott in Seiner Barmherzigkeit durch ein neues Geheimnis uns eine wunderbare Antwort gegeben hätte. Wir lesen 2Kor 5,21: „Den, der nicht Sünde kannte, hat Er für uns zur Sünde gemacht, auf daß wir Gottes Gerechtigkeit würden in Ihm.“ Wer kann auch dieses Geheimnis verstehen. Und doch spricht es die herrlichste Tatsache aus, daß der große Gott über uns Menschen einen Plan hatte, dessen Auswirkung nichts anderes als der Beweis Seiner grundlosen Liebe ist. Dieser vor Grundlegung der Welt gefaßte Erlösungsplan wird uns nötigen, die Ewigkeiten der Ewigkeiten zur Anbetung zu benutzen, und wer anstatt an sich zu denken, ins Meer der Liebe Gottes sich versenkt, wird auch zwischen den beiden Geheimnissen „Sünde und Gnade“, das Geheimnis zur Überwindung der Sünde erkennen. Ein Beispiel mag das klarmachen! Tuberkulose-Bazillen können erst mit 100o Hitze getötet werden. Bei 90o Wärme sind sie noch am Leben. Wenn sie aber in die Sonne gestellt werden, dann sterben sie in kurzer Zeit: Christus ist die Sonne, in deren Strahlen die Sünde überwunden wird. Das ist die große Gottestat, daß der Sohn Gottes für uns als Sühnopfer an das Kreuz genagelt wurde und, beladen mit unseren Sünden, als das Sühnopfer starb. So wie der Israelit im Tempel nach dem Bekenntnis seiner Sünden seine Hand auf das für ihn sterbende Opfertier legte, so durften wir im Glauben unsere Hand auf Ihn legen, der als das Lamm Gottes unsere Sünden hinweggetragen hat.
Aber wir kommen von einem Geheimnis in das andere. Ist nicht das Kreuz mit dem auf ihm vollbrachten Werke der Erlösung auch ein Geheimnis? Es ist ein Hauptstück des Ratschlusses Gottes, die selige Seite im Geheimnis des Evangeliums, schon im Paradiese verheißen, in Jes 53, Psalm 22, Psalm 69 und vielen anderen Stellen der Schrift verkündigt und vollendet, als der Herr am Kreuze rief: „Es ist vollbracht!“ Ist es nicht ein wunderbares Geheimnis, daß einer stellvertretend für einen anderen starb und dieses Opfer so eine gewaltige Auswirkung hat? Der Unschuldige wird für schuldig erklärt. Das geht ja ganz gegen Menschenrecht, aber Gottes Recht besitzt diese Souveränität, denn nach Psalm 33 kann Er machen, was Er will. Ein ähnliches Bild haben wir im Leben: Die Frau eines Trinkers leidet, weil sie in die Schicksalsgemeinschaft mit ihrem Mann getreten ist; und im Kriege starben viele Tausende für die Gedanken der wenigen Regierenden. Wer aber kann die Wege Gottes begreifen? Zum Missionar Elliot kam ein Indianerhäuptling und sagte: „Indianerrecht ist es, daß ein Indianer für seinen Freund sein Leben zur Befreiung hingeben kann; aber wie kann das Leben des einen Heilandes die vielen befreien?“ Am anderen Tage zeigte Elliot den Indianer ein kleines Kupfergeldstück und machte ihnen klar, daß man für dieses nur ein Kupfergeldstück oder den Gegenwert erwerben könne; dann aber zog er ein Goldstück heraus und bewies, daß man mit diesem einen Stück viele Kupfergeldstücke erwerben könne. Nur einer, der Sohn Gottes, konnte „vieler Sünden tragen“ (Heb 9,28), die Sünden derer, die an Ihn glauben. Es ist Gottes Recht und Seiner wundervollen Gnade und Liebe würdig, sich in unsere Schicksalsgemeinschaft zu begeben.
Der herrliche Gott hat nun mitten unter die sterbenden Menschen das Kreuz gestellt. Nicht im Fragen und Forschen und Ergründenwollen göttlicher Tatsachen zeigt sich der Glaube, sondern in der Annahme dessen, was Gott gesagt und getan hat. Gott kann nur im Glauben verstanden, und auch nur im Glauben können die Geheimnisse erlebt werden. Möchten wir deshalb in aller Einfalt die Gnade Gottes preisen, die schon vor Grundlegung der Welt über unser Sein und Werden und unsere Vollendung Geheimnisse beschlossen hat, die uns durch das „Geheimnis des Glaubens“ (1Tim 3,9) übermittelt werden. Paulus hat ein Wort gesprochen, das nur der Glaubende versteht, das der Welt aber unverständlich bleibt: „Das Wort vom Kreuz ist denen, die verlorengehen, Torheit; uns aber, die wir errettet werden, ist es Gottes Kraft!“ (1Kor 1,18).
E. v. d. K., H.