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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 18 - Jahrgang 1933
Heb 12,4-11 - Die erziehende Hand GottesHeb 12,4-11 - Die erziehende Hand Gottes
Die gläubigen Hebräer waren durch viel Kampf der Leiden hindurchgegangen (Heb 10,32). Leidenskämpfe sind heute noch das Teil der Kinder Gottes. Geschmäht, bedrängt, sind sie der Welt ein Schauspiel. Wie der Auskehricht vor dem Besen sind sie geachtet (1Kor 4,13). In diesem Kampfe wider die Sünde hatten die Hebräer noch nicht bis aufs Blut widerstanden. Damit ist nicht ein Kampf gemeint, den wir mit dem Aufgebot aller unserer Kraft wider die eigene Sünde führen sollen. Nirgends in der Schrift wird uns etwas derartiges gesagt. Sünde sollen wir richten und uns davon reinigen lassen. In dieser Stelle spricht der Apostel von der Sünde als von einer feindlichen Macht, die in den Söhnen des Ungehorsams gegen sie in Verfolgungen auftrat, um sie vom Glauben abwendig zu machen. Dagegen ankämpfend, hatten sie noch nicht bis aufs Blut widerstanden, d. h. noch nicht in Treue bis zum Tode ihr Leben eingebüßt.
Mehr oder weniger stehen alle Kinder Gottes im Kampf der Leiden. „Alle aber auch, die gottselig leben wollen in Christo Jesu, werden verfolgt werden.“ (2Tim 3,12) Jesu Nachfolge kostet uns etwas in dieser Welt. Den gläubigen Hebräern kostete sie Hab und Gut. Meinen wir, daß der Raub unserer Habe etwas Leichtes sei? Viele Brüder in Rußland haben in dieser dunklen Zeit auch den Raub ihrer Güter erdulden müssen, und gar manche haben in Treue bis zum Tode auch ihr Leben eingebüßt.
Der Apostel will nun, daß die Hebräer ihre Leiden und Trübsale noch von einem anderen Gesichtspunkte als dem der Sünde und Feindschaft der Welt ansehen sollen, nämlich von dem der göttlichen Seite, und diese - die göttliche Seite - hatten sie in ihren Leiden außer acht gelassen. Er sagt deshalb Vers 5: „Ihr habt der Ermahnung vergessen, die zu euch als zu Söhnen spricht: Mein Sohn! achte nicht gering des Herrn Züchtigung, noch ermatte, wenn du von Ihm gestraft - zurechtgewiesen - wirst.“
Gott kann Leiden, die die Welt uns zufügt, als ein Mittel zu unserer Erziehung gebrauchen. Es ist köstlich und zugleich auch ein Trost für uns, solche Leiden mit der Hand Gottes zu verbinden. Aber mehr noch; wenn Gott von Züchtigungen redet, so tut Er es in Seinem Charakter als Vater. Liebevoll, wie kein irdischer Vater es zarter tun könnte, redet Er uns an mit „Mein Sohn“. Er will, daß gerade in den Leidenstagen das Bewußtsein, im Verwandtschaftsverhältnis als „Söhne“ zu Ihm zu stehen, unerschütterlich fest in unserer Seele verankert sein soll, damit in den Trübsalen unser Vertrauen zu Seiner Vaterliebe nicht leide. Mit unwandelbarer Liebe achtet Sein Auge auf „jeden Sohn“. Da ist auch nicht eines Seiner Kinder, welches nicht beständig von Ihm umsorgt oder auch nur einen Augenblick versäumt würde. Wie Seine Hand auch über uns walten mag, Sein Ziel ist unsere Segnung sowohl für die Gegenwart als auch für die Zukunft.
Wie gut, daß wir uns unter Seiner erziehenden und doch liebenden Hand wissen! Wohin würden wir kommen, wenn Er uns nach unserem Willen gehen ließe? Wir bedauern solche Kinder, die ohne Zucht aufwachsen, und beklagen den Verlust, den sie dadurch in ihrem späteren Leben erleiden. Wenn wir unsere Kinder zurechtweisen und züchtigen, so geschieht es nicht, weil wir Freude an der Züchtigung haben, sondern weil die Zukunft unserer Kinder vor unserem Auge steht. Wir sehen Neigungen und Fehler, die ihnen in ihrem späteren Leben Schaden und Verluste bringen und die abgelegt werden müssen, und durch Erziehung bringen wir sie dahin. Wenn wir als leibliche Väter schon so im Blick auf das irdische Wohl unserer Kinder handeln, wieviel mehr tut es der Vater der Geister mit uns im Blick auf die Ewigkeit. Er führt uns Wege, auf denen offenbar wird, was in unserem Herzen ist. Der Weg der Zucht mag schmerzlich für uns sein; aber wir lernen auf solchem unser verdorbenes Herz kennen, wie wir es sonst nicht kennen gelernt hätten, und wir kommen zum Selbstgericht und zur Verurteilung des eigenen Willens und der Dinge der Welt und des Fleisches.
Zwei Ermahnungen werden in unserer Schriftstelle an uns gerichtet, erstens die Züchtigung des Herrn nicht gering zu achten und zweitens nicht darunter zu ermatten.
Der Gefahr zum „Geringachten“ sind wir besonders dann ausgesetzt, wenn es sich um Leiden mehr allgemeiner Art handelt. Oft achten wir solche kaum als aus Gottes Hand kommend. Wir sehen sie mehr als die Folgen der Umstände und Zeitverhältnisse an. In dem Leben der Kinder Gottes aber geschieht nichts, was nicht mit der Hand unseres Gottes verbunden werden muß; alles wird von Seiner Hand zum Segen für uns überwaltet. In allem, auch in dem Alltäglichsten, selbst dem Essen und Trinken, haben wir Seine Hand zu erkennen. Wir mögen mit Ungläubigen an einem Tische zusammen und von einer Speise essen, und doch ist es etwas anderes für uns als für die Ungläubigen; denn es ist für uns geheiligt durch Gottes Wort und Gebet. Der Herr sagt, daß selbst die Haare unseres Hauptes gezählt sind. Wenn dies für uns wahr ist, wie können wir dann Sein Walten über uns, selbst in den kleinsten Fügungen, unbeachtet lassen, als seien sie etwas allgemeines! Die Welt mag solches tun, Kinder Gottes aber nicht.
Dann werden wir nach der entgegengesetzten Seite gewarnt, nicht zu ermatten, wenn wir von Ihm gestraft oder zurechtgewiesen werden. Diese Gefahr droht uns, wenn die Trübsalswege uns zu schwer erscheinen. Wir fangen an, darinnen zu ermatten, und suchen nach Auswegen, sie abzukürzen. Dies scheint bei den Hebräern der Fall gewesen zu sein. Die anhaltende Verfolgung hatte sie verzagt gemacht, ihre Hände waren erschlafft und ihre Knie gelähmt (V. 12). Ist unser Blick auf die Umstände und nicht auf den Herrn gerichtet, so werden wir bald in unseren Seelen ermatten. Selbst in schweren Verfolgungen und Drangsalstagen sollen wir wissen, daß nicht Gottes Zorn, sondern Seine Liebe mit uns „als mit Söhnen“ handelt, denn „wen der Herr liebt, den züchtigt Er; Er geißelt aber jeden Sohn, den Er aufnimmt“. (V. 6) Züchtigung und Segen gehen Hand in Hand. Der Heilige Geist gebraucht hier das Wort „geißeln“; es ist, als ob Er uns damit an die tatsächliche Geißelung des Herrn erinnern will, der einen solchen Weg vor uns ging und das Ziel erreicht hat, damit auch wir in dem Troste Seines Mitgefühles den Wettlauf nicht aufgeben.
Es will uns oft schwer fallen, in Menschen, die uns hassen und uns Leiden zufügen, die Geißel Seiner Hand für die Erziehung Seiner Geliebten zu sehen. Der Apostel ermuntert deshalb die Hebräer, in den Leiden, die sie von ihren Feinden erduldeten, auszuharren, denn die Leiden, durch welche sie in Gottes Erziehungsschule hindurchgingen, waren
Beweise ihrer Sohnesstellung. Alle Kinder Gottes ohne Ausnahme befinden sich in der Zucht und Schule Gottes; und weil alle Seiner Züchtigung teilhaftig werden, so beweisen die Trübsale, daß sie Söhne und nicht Bastarde sind. Bastarde und Knechte werden nicht gezüchtigt. Knechte werden, wenn sie ungehorsam sind, entlassen, nicht aber Söhne. Sie sind durch die Geburt ein Teil der Familie geworden und bleiben unter der Zucht des Vaters.
Vielleicht hat der Herr Seine züchtigende Hand auf jemand von uns gelegt. Wir mögen nicht verstehen, warum Er solches getan hat, und wir wehren und sträuben uns dagegen und meinen, so wahr und aufrichtig in den Vorsätzen unseres Herzens zu sein, daß kein Grund vorhanden sein könne, so mit uns zu handeln. Aber Er kennt uns besser als wie wir uns kennen, wie auch der Arzt den Kranken besser kennt als dieser sich selbst.
Ach, wie wenig kennen wir die Wurzeln unseres eigenen Willens und den oft verborgenen Hochmut unseres Herzens, dem Gott widerstehen muß! Wir können, wie der König von Israel (2Kön 6,30), unter dem Druck der göttlichen Hand das Sacktuch versteckt auf bloßem Leibe anlegen, um vor den Menschen nicht als von Gott Gedemütigte und Gebeugte zu erscheinen. Solche versteckte Beugung genügt vor Gott nicht. Und wie wartet Gott in Geduld oft Jahre, ehe Er die Rute der Leiden über uns bringt, um uns von dem zu heilen, was Seiner Heiligkeit entgegensteht!
Seine Züchtigungen sind nicht immer Strafe für Ungehorsam; oft dienen sie auch zu unserer Erziehung, zu unserer Ermahnung, zu unserer Unterweisung usw.
Als Strafe für Sünde finden wir Gottes Züchtigung z. B. bei David wegen seiner Sünde an Urija (2Sam 12); ebenso auch bei den Korinthern wegen ihrer Gleichgültigkeit in bezug auf das Zusammenkommen zum Mahl des Herrn. Sie wurden deshalb vom Herrn gezüchtigt durch Schwachheit, Krankheit, sogar durch den Tod. (1Kor 11,30.32)
Die züchtigende Hand Gottes über Hiob war nicht Strafe, sondern Erziehung. Auf dem Wege der Leiden mußte Hiob sein verdorbenes Herz kennen und sich selbst verabscheuen lernen. Und wie lange dauert es oft bei uns, bis auch wir uns so kennen und in unserer Verdorbenheit verabscheuen gelernt haben! (Hiob 42,6)
Bei Paulus waren die Erziehungswege Gottes wieder ganz anderer Art. Die Leiden, unter welchen er seufzte, mußten ihm zur Bewahrung dienen. Überschwänglich große Offenbarungen waren Paulus anvertraut. Diese Offenbarungen empfing er in einem Leibe, in welchem der Feind ihn reizen konnte, sich zu überheben. Satans Engel schlug ihn mit Fäusten, und obwohl Paulus dreimal dieserhalb zum Herrn flehte, dieses zu verhüten, verhinderte es Gott doch nicht. Er wußte, daß für Paulus Gefahr bestand, sich zu überheben. Gott gab ihm deshalb einen Dorn ins Fleisch, damit er in fortwährender Abhängigkeit von Seiner Gnade seinen Dienst vollende. Wenn Paulus auf sein Flehen auch eine andere Antwort empfing, als wie er sie wünschte, so fand sein Gebet doch Erhörung in der Darreichung der Kraft, die der Herr ihm in seiner Schwachheit zuteil werden ließ. (2Kor 12,7ff).
Und wiederum finden wir bei Paulus und seinen Mitarbeitern noch eine andere Seite in den Züchtigungswegen Gottes. In 2Kor 1,4 lesen wir von Drangsalen, die sie durchschreiten mußten, um darin Gottes Trost kennenzulernen, damit sie fähig waren, durch den Trost, mit welchem sie selbst von Gott getröstet worden waren, andere in ihren Drangsalen trösten zu können.
Aus allem diesen sehen wir, wie verschieden die Erziehungswege unseres Gottes mit uns sind und wie wichtig es ist, in den Drangsalen auszuharren, auch wenn wir den Nutzen, den sie für uns haben, noch nicht verstehen. Zucht ist, wie wir sahen, nicht nur eine Rute für Ungehorsame; oft ist sie das Messer zur Reinigung der Rebe, damit diese mehr Frucht bringe - oft die bewahrende Hand in uns drohenden Gefahren usw. Er weiß, was Er tut; Sein Tun ist immer Segen für uns. Wen Er liebt, den züchtigt Er. Seine Liebe tut dies nur, wenn es nötig ist, niemals ohne Grund und nur solange, bis Sein Ziel erreicht ist.
Wieviel Mühe mögen wir Gott machen, bis Er Sein Ziel bei uns erreicht, uns von unserem Stolz heruntergebracht, uns von unserem eigenen Willen (den wir in Blindheit manchmal gar oft für Gottes Willen halten können) gelöst hat, damit wir Seiner Heiligkeit, der Heiligkeit des Gottes teilhaftig werden, der Gerechtigkeit liebt und Sünde haßt. Wenn wir Seiner Heiligkeit teilhaftig werden, so lernen wir nach dem Maßstabe dieser Seiner Heiligkeit alles zu beurteilen, und wir selbst nehmen dann von allem Abstand, was mit derselben nicht zu vereinbaren ist.
Gewiß, Züchtigungen sind für die Gegenwart nicht Freude und sollen auch als Züchtigungen von Gottes Seite empfunden werden und auch Traurigkeit bewirken; hernach aber folgt die friedsame Frucht der Gerechtigkeit, jedoch nur denen, die durch sie geübt sind. Lehnen wir uns im Groll wider Seine züchtigende Hand auf, so wird unser Verlust groß sein; lassen wir uns aber durch dieselbe von den Hemmnissen Seines Segens lösen, so wird die friedsame Frucht, die sich auf Gerechtigkeit gründet, unser köstliches Teil sein.
Die Schrift verbirgt uns nicht, daß dies Seelenübungen kostet. Da mag unser Herz fragen: „Warum dies - warum jenes - warum gibt mir Deine Hand nicht Gelingen ...?“ Auch Heb 5,14 redet von Übungen, dort „zur Unterscheidung des Guten sowohl als auch des Bösen“, hier aber handelt es sich um Übungen, Gottes Absichten und Ziele in Seinen Züchtigungen zu erkennen. Solche geistlichen Übungen gehen wider die natürlichen Neigungen des Fleisches, machen uns aber stille unter Seiner Hand und stärken uns, im Glauben auszuharren.
Laßt uns einander ermutigen, dem Herrn zu vertrauen, auch wenn wir Seine Wege vielleicht heute nicht verstehen! Seine Züchtigungen sind Samenkörner, die ihre Frucht an einem späteren Tage bringen. Keine Träne wird hier umsonst geweint. Alles Kreuz ist für die Gegenwart bitter, sein Ende aber selig - jeder Sieg, jede Treue wird einst herrliche Belohnung finden, wenn der Herr jedem seine Krone zuteilen wird.
A. v. d. K.