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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 10 -Jahrgang 1925
Tit 1 ; 1Tim 3 ; 1Pet 5,2 - „Hütet die Herde!“ (2)Tit 1 ; 1Tim 3 ; 1Pet 5,2 - „Hütet die Herde!“ (2)
Der Aufseher mußte fähig sein, „mit der gesunden Lehre“ zu ermahnen. Die Lehre war für Paulus eine höchst wichtige Sache. Heute ist es anders geworden, man sagt: nur keine Lehre, Lehre ist nicht wichtig, das Leben ist wichtig; oder „erst das Leben und dann die Lehre“. Ja, manche haben eine förmliche Furcht vor der Lehre und warnen, sich mit der Lehre der Apostel zu beschäftigen, als ob sie etwas Gefährliches für das christliche Leben sei. Die solches sagen, wissen nicht, wie töricht sie reden.
Von welchem Leben reden sie, von dem Leben nach dem Wohlgefallen der Menschen oder von dem Leben nach dem Wohlgefallen Gottes? Kann man nach dem Willen der Menschen leben, ohne die Gedanken der Menschen zu kennen? Und kann man nach dem Willen Gottes leben, ohne den Willen Gottes zu kennen? Wie töricht, das Leben der Lehre voranzustellen oder das Leben von der Lehre trennen zu wollen! Muß nicht durch die Lehre erst dem Leben der Kinder Gottes die Richtung gegeben werden? „Um dem Willen Gottes zu leben“ (wie Petrus schreibt 1Pet 4,2), müssen wir erst die Belehrungen über den Willen Gottes haben. Die Lehre macht uns mit Gottes Willen bekannt. Wie töricht deshalb, das Leben an die erste Stelle und die Lehre an die zweite oder dritte Stelle zu stellen und von dem christlichen Leben als Hauptsache, und von der Lehre als unwichtig oder nebensächlich zu reden!
Lehre und Leben sind untrennbar verbunden. Wird das eine von dem anderen geschieden und stehen beide miteinander nicht im Einklang, so müssen verkehrte Dinge daraus hervorkommen. Ist die Lehre ohne das entsprechende Leben, so wird die Lehre verlästert (1Tim 6,1), und ist das Leben des Gläubigen nicht nach dem zuverlässigen Wort der Lehre, so muß sein Leben eine falsche Darstellung des Willens und der Gedanken Gottes sein. Mit welchem Ernst ermahnt Paulus: „Habt acht auf die Lehre“, „haltet fest das Bild gesunder Worte“, „bewahre das schöne anvertraute Gut“. Paulus hatte keine Furcht, immer wieder die Lehre zu berühren.
In diesen kurzen Briefen an Timotheus und Titus spricht er siebzehnmal von der Lehre; er stellt nicht, wie etliche heute, die Sache auf den Kopf; er wußte, wenn Leben und Wandel nach dem Willen Gottes sein sollten, daß dann die Belehrungen darüber voraus zu gehen hatten! Er betete für die Kolosser, „daß sie erfüllt sein möchten mit der Erkenntnis Seines Willens“. Warum? Um würdig des Herrn zu wandeln (Kol 1,10). Und Epaphras rang für die Kolosser. Um was? Daß sie völlig überzeugt in allem Willen Gottes stehen möchten (Kol 4,12). Und als Paulus die Epheser ermahnt, „sorgfältig“ zu wandeln, dann fügt er hinzu, nicht als Törichte, sondern als „Verständige“, die da wissen, „was der Wille des Herrn sei“ (Eph 5,15-17). Und David betet: „Lehre mich tun nach Deinem Wohlgefallen“ (Ps 143,10). Alle diese wußten, daß sie für das Tun nach Gottes Wohlgefallen die Lehre nötig hatten.
Aber heute scheint diese Ordnung Gottes, die uns die Schrift zeigt, in den Augen etlicher Kinder Gottes Unordnung und gefährlich zu sein! Sicher ist die Lehre gefährlich, aber nicht für das Leben nach dem Willen Gottes, sondern für das Leben „nach den Überlieferungen und Lehren der Menschen“ (Kol 2,8.22; Mk 7,8). Und wieviel „Wind der Lehre“ (Eph 4,14) umweht uns heute, und wie groß ist die Zahl derer, die durch „mancherlei und fremde Lehren“ fortgerissen sind. Das, „was von Anfang war“, die „gesunde Lehre“, ist heute so fremd geworden, daß dem, der in der Lehre der Apostel bleibt, nichts besonderes passiert, wenn er von den Christen heute wie einst Paulus von den Heiden angesprochen wird: „Können wir erfahren, was diese neue Lehre ist, von welcher du redest? Denn du bringst etwas Fremdes vor unsere Ohren.“ (Apg 17,19). Er, der inmitten der sieben goldenen Leuchter wandelte, sagte zu Pergamus: „Ich habe wider dich, daß du solche dort hast, welche die
Lehre Balaams festhalten ...“ (Off 2,14). Zu wie vielen Versammlungen würde der Herr wohl heute dieses sagen? Wie fein wird Christentum und Welt, Wahrheit und Irrtum, Christus und
Belial verbunden! Kaum regt sich noch eine Stimme dagegen, und wenn Treugesinnte ein geistliches Empfinden haben, daß solche Dinge nicht mit dem Worte übereinstimmen, so sagt man ihnen, man dürfe das Wort nicht so buchstäblich nehmen. Und wie der Satan bei der Versuchung des Herrn nicht um ein Schriftwort verlegen war, so beweisen auch diese klipp und klar, daß in der Bibel stehe, der Buchstabe töte (2Kor 3,6) (vergl. wie in der Bibel stehe, daß kein Gott sei! [Ps 14,1]).
Diese Klugen, die Gottes unfehlbare Weisheit meinen verbessern zu können, belehren uns, daß die Bruderliebe es erfordere, tolerant gegen die Verdreher der Wahrheit zu sein, und daß es empfehlenswert sei, ihre Lehren zu prüfen (da auch die Schrift sage: „Prüfet alles, und das Gute behaltet“). Zudem könne man gar manches Gute auch noch von diesen lernen, da es hochgebildete, tiefdenkende und ernste Männer seien. Man dürfe wegen kleiner Abweichungen vom Worte sie nicht gleich so streng beurteilen, zumal man auch nicht wissen könne, ob sie nicht bekehrt seien, und wenn sie dieses seien, dann sei es schon das Gebot der Allianz, kleine Meinungsverschiedenheiten über: Absonderung, ewiges Verderben, Wortinspiration, Gottheit Christi usw. usw. mit dem Mantel der Bruderliebe zu bedecken und diese Punkte nicht zu berühren.
Die Schrift aber führt eine andere Sprache. Sie lehrt uns, das Gerede von Menschen, die sich von der Wahrheit abwenden, überhaupt nicht zu beachten, noch uns damit abzugeben noch solchen unsere Aufmerksamkeit zu schenken (Tit 1,14; 1Tim 1,4; 4,1.7; 2Tim 2,23). Gott warnt uns vor jedem Abweichen von dem zuverlässigen Worte und zeigt uns an ernsten Beispielen, welche Folgen Abweichungen, die in den Augen der Menschen so klein sind, nach sich ziehen. Denken wir an Mose, der einer kleinen Abweichung wegen den Eingang ins Land verlor, oder an Nadab und Abihu, die dadurch ihr Leben einbüßten. Weiche ein wenig vom Worte ab, und du weißt nicht, wo du enden wirst! Siehe, zwei Schienen, die parallel zu laufen scheinen, aber sie weichen um Haaresbreite voneinander ab, und wie gewaltig groß ist die Abweichung in der
Verlängerung! Laßt uns nur ein wenig von dem Worte weichen und ein wenig von den Gewohnheiten der Welt aufnehmen, und schnell geht es bergab auf abschüssiger Bahn.
Halte nur Umgang mit diesen netten, toleranten Leuten, die die fremden und ungöttlichen Lehren in ihrer Mitte dulden und nicht erlauben, daß diese Punkte berührt werden, und du wirst bald spüren, wie schnell sich dein Ohr an die fremden Lehren gewöhnt; es währt nicht lange - und du hast das geistliche Empfinden für die Verletzung der Wahrheit verloren. Die Dinge fangen an, dir so klein und geringfügig zu erscheinen, daß du den Protest dagegen einstellst, und dann noch ein Schritt - und du findest kein Unrecht mehr darin. Weshalb schreibe ich alles dieses? Um zu zeigen, wie wichtig die Ermahnung ist: „Hütet die Herde Gottes!“ Mit welcher Wachsamkeit sollten die Augen der Ältesten auf diese Dinge gerichtet sein!
Aber ist Pauli Ermahnung, dem zuverlässigen Worte nach der Lehre anzuhangen, nur allein auf die Ältesten beschränkt? Gelten nicht allen die Ermahnungen, zu reden, was der gesunden Lehre geziemt, gesund zu sein im Glauben, in der Liebe, im Ausharren? In diesen wenigen Versen Tit 1,9 - 2,8 gebraucht der Apostel fünfmal das Wort „gesund“. Mit „gesund“ ist das gemeint, was für die Gesundheit fördernd und gut ist. Wenn wir gesund in der Lehre sein wollen, dann müssen wir Menschenlehren und -satzungen und auch unsere eigene Meinung aufgeben und dem zuverlässigen Wort nach der Lehre anhangen. Und wenn wir gesund im Glauben sein wollen, dann darf nur der Herr vor unserem Auge stehen und nicht mehr Menschen, auch wenn es Brüder sind. (Gal 1,10). O, daß unter den Kindern Gottes diese Gesundheit in der Lehre und im Glauben mehr vorhanden wäre! Wie lieblich sieht es in Versammlungen aus, wo die Gläubigen nach dem Worte handeln: „Du aber rede“ (ob in der Versammlung oder in deinem Hause, im Geschäft oder auf der Straße, ganz gleich, wo du bist) - „rede, was der gesunden Lehre geziemt!“
Aus allem diesem ersehen wir, welche hohen und ernsten Aufgaben die Ältesten hatten. Wenn sie „mit der gesunden
Lehre“ ermahnen sollten, wie unumgänglich notwendig war es dann, daß sie dem „zuverlässigen Wort nach der Lehre anhingen“. Ein Bruder, der nicht dem zuverlässigen Wort nach der Lehre anhing, konnte keinen Ältestendienst ausüben. Dieses sowohl als auch lehrfähig zu sein sind zwei Eigenschaften, die in der Schrift für diesen Dienst gefordert wurden. Und wie notwendig diese beiden Eigenschaften besonders in unseren Tagen sind, wo die Wahrheit so viel um Menschengefälligkeit willen verlassen wird, das haben wir in dem Zuvorgesagten gesehen. Wie können die Ältesten mit der gesunden Lehre ermahnen und die Widerspenstigen überführen, wenn sie selber die „gesunde Lehre“ nicht kennen und dem zuverlässigen Wort nach der Lehre nicht anhangen. Wer den Ältestendienst ausüben will, der muß seine ganze Aufmerksamkeit der Lehre zuwenden, weil eben sein Ermahnen und Überführen „mit der gesunden Lehre“ sein muß.
Lehrfähig sein darf nicht mit der Gabe eines Lehrers verwechselt werden; lehrfähig sein ist etwas anderes als eine Gabe vom Herrn als „Lehrer“ empfangen zu haben. Wenn ein Altester auch nicht, wie wir bereits gesehen haben, die Gabe eines Lehrers nach Eph 4 zu haben brauchte, so mußte er aber doch die Linien der Wahrheit kennen und in der Lehre selbst so gegründet sein, daß er fähig war, die Wahrheit zu behaupten und in dem Umgang mit den Einzelnen praktisch anzuwenden. Seine Ermahnungen mußten auf das Wort gegründet sein und nicht auf Weisheit oder menschliche Grundsätze oder dergleichen. In jedem seiner Dienste mußte das Wort Grundlage und Autorität sein.
Wie verantwortungsvoll sind doch die Aufgaben jener Brüder, die den Ältestendienst in der Gemeinde ausüben! Wieviel Wohl und Wehe hängt von ihrem Dienst für die Gemeinde ab! Es ist deshalb höchst wichtig, sowohl für die Gemeinde wie auch für die, welche diesen Dienst ausüben, sich unter das prüfende Licht des Wortes zu stellen, damit niemand leichthin Seine Hand an einen Dienst lege, zu dem er nicht die göttliche Qualifikation besitzt. Jemand kann in weltlichen und irdischen Dingen sehr geschickt und sehr fähig sein, ein Geschäft zu führen, aber damit ist er noch nicht in göttlichen Dingen geschickt und fähig, die Gemeinde Gottes zu besorgen oder zu führen. Und ein Bruder kann jung bekehrt und alt an Jahren geworden sein, aber sein Alter allein befähigt ihn noch nicht, der Gemeinde Gottes vorzustehen. Wohl sagt die Schrift: „Die Tage mögen reden und die Menge der Jahre Weisheit verkündigen“ (Hiob 32,7), aber beachte, es heißt, sie „mögen“, nicht, daß sie es „tun“.
Es mag hier nützlich sein, einmal die Eigenschaften aufzustellen, welche nach der Schrift ein Ältester für seinen Dienst bedarf. Der Herr, der Seine Herde liebt, hat die, welche Seine Herde hüten sollen, genau beschrieben. Ein Aufseher soll sein: 1. untadelig, 2. eines Weibes Mann, 3. nüchtern, enthaltsam, 4. besonnen, 5. sittsam, 6. gastfrei, 7. lehrfähig, 8. nicht dem Wein ergeben, 9. kein Schläger, der Gewalt anwendet, 10. gelinde, nicht zornmütig, 11. nicht streitsüchtig, 12. nicht geldliebend und schändlichem Gewinne nachgehend, 13. der dem eigenen Hause wohl vorsteht und Seine Kinder in Unterwürfigkeit hält mit allem würdigen Ernst, 14. kein Neuling, 15. einer, der ein gutes Zeugnis haben muß von denen, die draußen sind, 16. nicht eigenmächtig, 17. das Gute liebend, 18. gerecht, 19. fromm, 20. anhangend dem zuverlässigen Worte nach der Lehre, auf daß er fähig sei, mit der gesunden Lehre zu ermahnen und zu überführen, 21. fähig, die Herde zu hüten, 22. einer, der die Aufsicht nicht aus Zwang führt, sondern freiwillig, auch nicht um schändlichen Gewinn, sondern bereitwillig, 23. nicht herrschend, 24. ein Vorbild der Herde.
Obgleich diese Beschreibung so einfach und klar ist, finden wir doch an keinem anderen Platze im Hause Gottes mehr Personen, die nicht dahin gehören, als an diesem. Woher kommt es? Weil man nicht wartet, bis der Heilige Geist solche gibt, sondern sie sich selbst wählt. Man findet in der Schrift, daß die Gemeinden im Anfang Älteste hatten, und will nun gleichfalls solche haben, und um dieses zu erreichen, macht man es so, wie einst das Volk Israel, als es zu Samuel sagte: „Setze einen König über uns, der uns richte, wie alle die Nationen haben.“ (1Sam 8,5). Dieser mag nun ein Saul oder ein David sein, man will eben jemand haben, der diesen Platz einnimmt, so gut oder schlecht er auch dahin passen mag. Und gar oft muß nach einer solchen Wahl die Gemeinde wie einst Israel die Frucht ihrer Torheit tragen.
Manche fragen:
Sollen denn die Gemeinden sich ihre Ältesten nicht wählen?
Es ist sehr bedeutungvoll, daß wir in der Schrift nirgends ein Wort noch ein Beispiel dafür finden, daß eine Gemeinde sich ihre Ältesten selbst gewählt hätte. Selbst in den letzten Briefen Pauli, als er schon wußte, daß er bald heimgehen würde, machte er nicht die leiseste Andeutung, wie es mit der Fortführung des Amtes dieser apostolisch Angestellten gehandhabt werden sollte. Der Herr hat Vorsorge getroffen, daß uns in der Schrift eine Fülle von Belehrungen für die letzten Tage gegeben würden. Aber kein Wort hat er gegeben für eine spätere Einsetzung von Männern in das Amt eines Ältesten. Ist dieses in der Schrift vergessen worden? Wer hat die Schrift gegeben? Wenn wir anerkennen, daß der Heilige Geist sie gegeben hat - kann der Heilige Geist etwas vergessen?
Wenn Gott in Seiner Weisheit nichts bestimmt, wollen wir dann bestimmen? Wenn Er schweigt, sollen wir dann reden? Sollten wir nicht daraus lernen, daß, wenn Er uns nicht zu handeln beauftragt, wir dann in einer so ernsten Sache nichts selber tun sollen? Müssen wir uns im Gegenteil nicht vielmehr sagen, daß Gott den Verfall Seines Hauses und die Zertrennung der einen Herde in viele Spaltungen voraussah und daß Er deshalb keine Bestimmungen über die Wahl der Ältesten gab, weil dieses Amt über die eine ungeteilte Herde mit der Zerrissenheit derselben zu Boden fiel?
Wenn eine Gemeinde sich heute ihre Ältesten wählt, so ist es möglich, daß der Heilige Geist nicht einen von diesen dazu gesetzt hat. So wenig, wie ein Kreis von Gläubigen heute Anspruch machen kann, die „eine“ Herde und Gemeinde Gottes an ihrem Orte zu sein, so wenig kann sie sagen, daß ihre Ältesten die Ältesten der Gemeinde Gottes an dem Orte sind. Um Älteste gleich denen in Ephesus zu haben, von denen der Heilige Geist sagt, daß Er sie in die Gemeinde gesetzt hat, müßten wir auch heute die „eine“ ungetrennte Gemeinde haben. Heute ist aber die Gemeinde in viele Sonderkreise zerteilt, und fast jede Sondergemeinde hat ihre Ältesten, die die Interessen ihres Kreises zu vertreten haben.
Haben wir denn heute keine Ältesten mehr?
Nicht Älteste in der gleichen Weise, wie wir sie in der Schrift finden - wohl aber Männer, die den Ältestendientst ausüben. Jemand möchte fragen: Besteht denn ein Unterschied zwischen den Ältesten der Apostelzeit und den Männern, die heute den Ältestendienst ausüben? Ganz gewiß, so wie ein Unterschied besteht zwischen der Gemeinde in der Apostelzeit und der Gemeinde heute. Die Gemeinde damals war unzerrissen und an jedem Orte eine einzige Gemeinde. Sämtliche Gläubige, die an einem Orte wohnten, gehörten dieser Ortsgemeinde an; und die Ältesten, die der Heilige Geist gab, waren die Ältesten dieser einen Gemeinde und wurden von allen Gläubigen an dem Orte als solche anerkannt. Dieser einigen Gemeinde gegenüber steht heute die zerrissene und gespaltene Gemeinde. Gewiß, alle Kinder Gottes an einem Orte sind die Gottesgemeinde an diesem Orte, aber sie sind zerspalten und stehen oft kämpfend einander gegenüber. Fast jede dieser Spaltungen hat sich Älteste gewählt, aber diese werden nicht von allen Gläubigen an dem Orte als Älteste anerkannt, sondern jeder nur von dem Kreise seiner Wähler. Kann man von solchen gewählten Männern sagen, daß das die Ältesten sind, die der Heilige Geist diesen Sondergemeinden gegeben hat? So wie ein großer Unterschied zwischen der Gemeinde von einst und heute besteht, so sehen wir auch den großen Unterschied zwischen den Ältesten von einst und heute.
Die Schrift zeigt uns Älteste, die von den Aposteln und von deren Bevollmächtigten gewählt und angestellt wurden, und ihre Amtstellung gründete sich auf die Autorität ihrer Wähler. Die Stellung der verschiedenen Ältesten heute in den verschiedenen Kreisen gründet sich gleichfalls auf die Autorität ihrer Wähler, aber welche gottgegebene Autorität besitzen diese Wähler heute für solche Wahl? Und wenn diese Wähler dazu nicht göttlich autorisiert sind, welchen Anspruch haben dann die von ihnen gewählten Ältesten auf diesen Titel der Schrift? Gar viele haben mit diesem Titel kaum mehr gemeinsam als nur den Klang des Namens.
Es hat jemand einmal gesagt, wenn ich einem Juden sagen würde, daß ich in meinem Garten einen Ysop habe, so würde er jedenfalls in der Erinnerung, daß diese Pflanze beim Passah zum Sprengen des Blutes gebraucht wurde, interessiert sein, dieselbe zu sehen. Wenn ich ihm dann einen Holunderbusch in voller Blüte zeigen würde, so würde er sicher von meiner Botanik überrascht sein. Ich würde ihm gestehen, daß sein Erstaunen gerechtfertigt sei, aber ihm erklären, daß der Ysop doch in der Bibel vorkomme und daß ich alle Pflanzen meines Gartens mit biblischen Namen belege. Jedenfalls würde er mir erwidern, daß es aber sehr verwirrend sei, biblische Namen auf andere Dinge, als wofür die Schrift sie gebraucht, anzuwenden. So ist es auch heute, man gebraucht biblische Namen für allerlei Dinge, die die Schrift nicht kennt, und betrügt sich und andere durch den Klang von Worten, als ob damit die Dinge der Schrift vorhanden wären. Wenn die Schrift uns belehrt, daß der Heilige Geist die Spaltungen verurteilt (1Kor 3), so kann doch niemand daran denken, daß der Heilige Geist in solchen von Ihm verurteilten Spaltungen Älteste anstellt.
Wenn wir so die Unterschiede zwischen den Ältesten jener Tage und unserer Tage sehen und wir somit nicht Älteste mit Titel und Amt wie in den Tagen der ungebrochenen Einheit des Volkes Gottes haben, so haben wir doch Männer, die den Ältestendienst ausüben, und ihre Befugnis dazu beruht nicht auf ihren „Wählern“, sondern auf der Legitimation des Heiligen Geistes in ihren schriftgemäßen Eigenschaften und den Kennzeichen ihres „Werkes“. In ihnen sehen wir die Treue des Herrn zu Seiner Gemeinde trotz ihrer Untreue. Er bleibt Haupt und Heiland Seines Leibes. Er ist treu! Solange der Heilige Geist auf der Erde in Seiner Gemeinde wohnt, solange bleiben nicht nur die zu ihrer Auferbauung nötigen Gaben, solange gibt Er auch Männer, die den Aufseherdienst tun. Seine Treue läßt Seine Gemeinde nicht ohne Aufsicht.
Wir lesen: „Wenn jemand nach einem Aufseherdienst trachtet, so begehrt er ein schönes Werk.“ (1Tim 3,1). Dieses
Trachten erweckt der Heilige Geist heute noch in den Herzen der Seinigen. Er legt die Sorge um die Schafe des Herrn einem solchen Bruder ins Herz. Und es ist köstlich, wenn ein Bruder nach einem Aufseherdienst trachtet, aber dieses Trachten nach dem Aufseherdienst muß von dem Heiligen Geiste gewirkt sein. Wenn jemand nach einem Aufseherdienste trachtet, um der Erste in der Versammlung zu sein, so ist er von vornherein von diesem Dienste ausgeschlossen. Wenn jemand nach einem Aufseherdienst trachtet, so begehrt er ein schönes Werk, aber dieses Werk fordert beständige Selbstverleugnung, Demut, Sanftmut, Gnade, Geduld. Wenn dieses Trachten nicht aus der Liebe zum Herrn hervorgeht, Seiner Gemeinde sich selbstverleugnend und aufopfernd im Dienst hinzugeben, so ist er nicht für dieses Werk brauchbar. Die Welt hat aus dem Dienst eines Ältesten (oder wie Luther übersetzt „Bischofs“) einen hohen, kirchlichen Rang mit reichen Einkünften gemacht, aber die Schrift zeigt uns, daß es ein Werk ist, welches mit Mühe und mit Sorge Tag und Nacht und mit Schmerzen und Tränen verbunden ist. Daß zu einem solchen Werk, welches nur aus dem Drange der Liebe zum Herrn vollführt werden kann, nicht einfach jemand gewählt werden kann, liegt auf der Hand. Man könnte ebenso gut jemand wählen zum Lieben oder jemanden wählen, demütig zu sein und sich selbst zu verleugnen, wie jemand wählen für den Ältestendienst. Das eine ist so unmöglich wie das andere.
Aber, sagst du, die Apostel wählten solche oder ließen es durch andere tun, wie wußten sie, daß die, welche sie wählten, diejenigen seien, die der Heilige Geist bestimmt hatte? Obwohl wir wissen, daß die Apostel mit weit höheren Gaben und Kräften als wir ausgerüstet waren und Machtbefugnisse besaßen, die andere nicht hatten, und weiter, daß sie, unter der Inspiration des Heiligen Geistes stehend, die Übermittler der Worte Gottes waren, so sehen wir doch an vielen Beispielen in der Schrift, daß sie in völliger Abhängigkeit, auf die Leitung des Herrn wartend, ihren Pfad wandelten. Wir brauchen ja nur, um dieses zu sehen, die Apostelgeschichte zu lesen. Ich weise auf Apg 16,6-10 hin und weiter auf die Wahl der Sieben zur Bedienung der Tische in Apg 6,1-3. Sie wählten solche nicht ohne weiteres, sondern nach bestimmten Kennzeichen. Diese Männer mußten 1. „ein gutes Zeugnis“ haben und 2. „voll Heiligen Geistes“ und 3. voll „Weisheit“ sein. Das waren die Eigenschaften, die leitend für die Wahl der Männer sein mußten, die die Tische bedienen sollten. Und so, wie sie bei der Wahl dieser sieben Männer nach bestimmten Kennzeichen handelten, so handelten die Apostel ohne Zweifel auch bei der Wahl jener Männer, die den Ältestendienst ausüben sollten, nach bestimmten Kennzeichen und Eigenschaften. Es liegt auf der Hand, daß die Kennzeichen, die Paulus später Timotheus und Titus schrieb, dieselben waren, nach denen er in Verbindung mit Barnabas die Ältesten gewählt hatte. Denn Paulus konnte nicht nach anderen Grundsätzen wählen, als er es Titus befahl.
Warum wählten die Apostel, als die jungen Gemeinden entstanden waren, nicht sofort im Anfang bei ihrem ersten Besuch die Ältesten? Warum ließen sie darüber eine solche geraume Zeit bis zu ihrem zweiten Besuch vergehen? Sicherlich, sie warteten, bis der Heilige Geist die offenbar gemacht hatte, die Er für diesen Dienst gebrauchen wollte. In dieser geraumen Zeit von 1-2 Jahren (die zwischen den beiden Besuchen lag, Apg 14) war die Entwicklung der einzelnen Gläubigen so offenbar geworden, daß das geistliche Auge der Apostel an ihren Eigenschaften die erkennen konnte, die der Heilige Geist in der Gemeinde als Aufseher gesetzt hatte.
Aber, sagst du, wenn der Heilige Geist sie setzte, wozu war die Wahl der Apostel dann noch nötig? Kann die Gemeinde nicht die, welche vom Heiligen Geiste gewählt sind, ohne die Apostel empfangen und erkennen? Heute wohl, aber nicht zu jener Zeit. Wir haben heute die Bedingungen und Eigenschaften der Ältesten in der Schrift, und diese geben uns Klarheit, die zu erkennen, die der Heilige Geist in den Gemeinden als Älteste gesetzt hat, aber zu jener Zeit war das Wort Gottes noch nicht vollendet, und die Gemeinden hatten noch nicht die Instruktionen über die Eigenschaften der Ältesten, wie wir sie jetzt in den
Timotheus-, Titus- und Petri-Briefen haben. Es war daher notwendig und ganz natürlich, daß sie durch die Apostel (die die Grundlagen der Gemeinde zu legen hatten) oder durch die von den Aposteln Bevollmächtigten gewählt wurden.
Was haben wir nun zu tun? Wie schon gesagt, wir haben keine Apostel mehr und keine apostolisch Bevollmächtigen und keine Gemeinde in Einheit, aber wir haben den Heiligen Geist, denselben, der einst in der Gemeinde die Ältesten setzte. Und wenn wir auf Ihn warten und Ihm nicht durch unser eigenes Wählen im Wege stehen, so wird Er die Männer kennzeichnen, die Er für diesen Dienst bestimmt hat. Manche zweifeln, ob wir heute noch solche Männer haben. Ist die Gemeinde die Herde Gottes noch auf Erden? Ist der Heilige Geist noch hier? Solange diese noch hier sind und solange das Wort des Herrn noch gilt: „Hütet die Herde Gottes!“, solange gibt der Heilige Geist auch noch Männer, die diesen Dienst aus Liebe zum Herrn Seiner Gemeinde tun.
Kennst du diese Brüder? Sie sollten von allen in der Versammlung gekannt sein! Wenn du die Photographie eines Bruders hast, fällt es dir dann schwer, diesen Mann in der Versammlung zu erkennen? Eine solche Photographie hat der Heilige Geist uns von den Ältesten deutlich in ihren Kennzeichen gegeben, daß es einem geistlichen Auge nicht schwer ist, die zu erkennen, die Er in der Gemeinde als Aufseher gesetzt hat, die Gemeinde Gottes zu hüten.
Uns allen gilt die Ermahnung des Herrn, die, welche diesen Dienst tun und uns vorstehen im Herrn und uns zurechtweisen, anzuerkennen und über die Maßen in Liebe zu achten, um ihres Werkes willen (1Thes 5,12.13). Und die, welche wohl vorstehen, doppelter Ehre würdig zu achten, sonderlich die da arbeiten in Wort und Lehre, und keine Klage wider solche Brüder anzunehmen, außer, wenn dieselbe sich auf zwei oder drei Zeugen begründet (1Tim 5,17-19). „Lehre mich, Herr, Deinen Weg, daß ich wandle in Deiner Wahrheit; richte mein Herz auf das Eine, daß ich Deinen Namen fürchte!“ (Ps 86,11). v. d. K.