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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 11 -Jahrgang 1926
1Kor 11,26 - „Briefe über den Tisch des Herrn“
Briefe über den Tisch des Herrn - Sechster Brief.Briefe über den Tisch des Herrn - Sechster Brief.
Geliebte Geschwister!
Als wir anfingen, uns miteinander mit dem Tische des Herrn zu beschäftigen, hat wohl keiner von Ihnen (und auch nicht der Schreiber) daran gedacht, daß unsere Betrachtung so umfangreich werden würde.
Ich hoffe aber, daß es Ihnen wie dem Schreiber ergangen ist, nämlich, daß im Laufe der Betrachtung die Bedeutung und Wertschätzung der Sache, mit welcher wir uns beschäftigen, gewachsen ist und daß der Tisch des Herrn in unserem Herzen einen Platz gewonnen hat, den er vorher nicht hatte.
Damit soll jedoch nicht gesagt sein, daß in unserer früheren Auffassung keine Wertschätzung für den Tisch des Herrn vorhanden war. Keineswegs! Wir hielten ihn hoch, wir achteten ihn und schätzten ihn, aber bei diesem allen haben wir für „Tisch des Herrn“ gehalten, was nur eine Seiner vielen und reichen Segnungen war.
Wir müssen uns aber noch mit einigen Anschauungen, die wir früher in Verbindung mit dem Tische des Herrn hatten, beschäftigen.
Es besteht eine gewisse Vorstellung über den „einen“ Tisch des Herrn (wir streiften diese bereits kurz), die sich darauf gründet, daß die Schrift nicht in der Mehrzahl von „Tischen“ des Herrn, sondern nur in der Einzahl von einem, dem „Tische des Herrn“ rede.9 Zur Bestätigung dessen, daß es nur „einen“ Tisch des Herr gäbe, wird gern der Schaubrote-Tisch als Beispiel gebraucht, indem man sagt: „Im Heiligtum durfte nur ein Tisch sein. So ist es auch mit dem Tisch des Herrn. Nur ein Tisch kann eine Vorstellung (Darstellung) von Christus und Seiner Gemeinde geben. Verschiedene Tische zerstören diesen Gedanken; d. h.: verschiedene Tische, die nicht miteinander in Gemeinschaft sind, und die deshalb nicht als ein Tisch betrachtet werden können. Man konnte in Jerusalem in verschiedenen Häusern das Brot brechen, aber die verschiedenen Tische waren ein Tisch.“ 10
Aus dem Vergleich mit dem Tisch der Schaubrote sehen wir zunächst, daß ein tatsächlicher Tisch gemeint ist. Dieser Tisch wird je nach Ausbreitung und Umfang vergrößert, ist und bleibt aber ein Tisch, und zwar der „eine“ Tisch.
Wie sonderbar es auch klingt, man spricht doch von Tischen, und zwar von solchen, die miteinander und wieder von solchen, die nicht miteinander in Gemeinschaft sind.
Im Blick auf die Geschichte der Gläubigen, in deren Mitte solche Worte oft gebraucht werden, möchten wir die Frage stellen: „Als Br. Darby sich von den Gläubigen, mit denen er so lange am Tisch des Herrn gewesen, trennte und einige Wochen später einen anderen Tisch ‚aufrichtete‘, wo war dann der ‚eine‘ Tisch?“ Auf eine solche Frage habe ich von unseren Brüdern, die Br. Darby folgen, nie eine klare Antwort gehört. Aber beweist dies nicht, wie diese Vorstellung von dem einen Tisch und mehreren Tischen (Tischen, die mit - und nicht miteinander in Gemeinschaft) ganz und gar außerhalb und entgegen der Schrift sind?
Gewiß, auch wir glauben, daß es nur einen Tisch des Herrn (wie auch nur einen Tisch der Dämonen) gibt und daß es auch nur ein Tisch sein kann; aber dieser Tisch ist, wie wir gesehen haben, etwas ganz anderes als das Abendmahl, welches unsere Brüder sich darunter vorstellen. Einen solchen Tisch, mit dem verschiedene Tische in Gemeinschaft sind oder nicht sind, einen solchen Tisch kennt die Schrift nicht.
Der Tisch des Herrn, den die Schrift kennt, ist unsagbar herrlich und steht über jedem Gedanken von Zerteiltheit, über jedem Maß und jedem Unterschied von Erkenntnis, ist über jeden menschlichen Einfluß erhaben und schließt für alle Gläubigen alles in sich, was wir kennen, besitzen und was uns verheißen ist.
O, welch ein Tisch ist doch der Tisch des Herrn! Wie unaussprechlich glücklich sind wir doch, an dem Tische des Herrn teilnehmen zu dürfen! Wer kann seinen Reichtum ermessen?!
Eng verbunden mit dem Vorhergehenden ist die Anschauung, daß es Gläubige gäbe, die ihren Platz - und solche, die ihren Platz nicht am Tische des Herrn einnehmen.
Gehen wir in unserer Auffassung auch nicht so weit wie diese unsere Brüder, so finden wir doch diesen Ausdruck des öfteren gebraucht. Nach allem, was wir bisher miteinander überdacht haben, wird es kaum nötig sein, darauf hinzuweisen, daß auch diese Vorstellung nicht nach der Schrift ist.
Es gibt ja keinen einzigen Gläubigen aus der ganzen Erde, der nicht (um das Wort zu gebrauchen) einen Platz am Tische des Herrn einnimmt, und dies der einfachen Tatsache wegen, weil niemand ein Gläubiger sein kann, ohne an dem Tische des Herrn teilzunehmen.
Vielleicht aber wird jemand die Einwendungen machen: es steht doch in 1Kor 10,21: „Ihr könnt nicht am Tische des Herrn teilnehmen und am Tische der Dämonen“. Wir haben ja bereits im Anfang unserer Betrachtung die Bemerkung gemacht, daß das eine das andere ausschließt. Gewiß, aber wer will sagen, daß es einen Gläubigen geben könne, der nicht am Tisch des Herrn teilnähme? Sollen die Gläubigen mit jener Stelle nicht gewarnt sein, vor den Schlingen und Lockungen des Tisches der Dämonen auf der Hut zu sein, um nicht dahinein zu geraten?
Wer ist ein Gläubiger? Ist es nicht der, der das Zeugnis Gottes über Seinen Sohn durch den Heiligen Geist auf sich selbst angewandt und für sich selbst im Glauben angenommen hat? Dadurch lernte er sich selbst und den Herrn Jesus kennen. Aber ist dieses nicht schon eine Segnung, die ihm vom Tische des Herrn wurde, und je mehr die Seele es verstehen und erkennen lernt, wie unaussprechlich die Reichtümer und Segnungen sind, um so mehr genießt sie von dem, was der Tisch des Herrn darbietet.
Auf dem Tische des Herrn findet die gläubige und dankbare Seele alle Gnadengaben, die das liebende Herz unseres Gottes uns durch den Herrn Jesus Christus so reich und herrlich bereitet hat.
Sollen wir eine Liste Seiner Fülle zusammenstellen? O, wie viel würde ungenannt bleiben! Der Reichtum Seines Tisches, an dem alle die Seinigen teilnehmen, ist so überaus groß, daß niemand ihn überschauen kann. Und obwohl er aller gemeinsames Teil ist, so nimmt und genießt doch jede einzelne Seele von Seiner überreichen Fülle für sich besonders und anders, je nachdem die Umstände, Erfahrungen usw. verschieden sind. Nehmen wir als Beispiet eine kranke Schwester: 25 Jahre ist sie an ihr Bett gebunden. Mit einem vor Freude strahlenden Angesicht spricht sie von der herrlichen Freude des Naheseins des Herrn. Sie konnte in diesem Vierteljahrhundert nicht teilnehmen an der Verkündigung Seines Todes; wäre das der Tisch des Herrn gewesen, wie wir es uns immer gedacht haben, so hätte sie alle diese langen Jahre seiner entbehren und darben müssen. Aber nein! Sie hatte alle Tage teil an demselben und genoß mit vollen Zügen aus dem „Kelche des Herrn“ und erfreute sich der Segnungen, die der „Tisch des Herrn“ ihr darbot.
Ein anderes Beispiel: Da wohnt in einer Villa ein wohlhabender Bruder; aber mehr als mit irdischen Gütern hat der Herr ihn mit einem einfältigen und treuen Herzen gesegnet, das mit den Nöten der Kinder Gottes fühlt. Sein Verlangen und seine Freude sind, seine irdischen Schätze so anzuwenden, daß der Herr dadurch verherrlicht, Seinem Werke und den Seinigen damit gedient werde. Meinst du nicht, daß sein Genuß vom Tische des Herrn ein anderer ist als der jener kranken, bedürftigen Schwester?
Der bekehrte Sklave Onesimus und sein Herr, der gläubige Philemon, nahmen beide teil an ein und demselben „Tische“ des Herrn, und beide genossen sowohl gemeinsam als auch wieder jeder für sich besonders von dem Reichtum Seines Tisches.
Als die Jünger mit dem Herrn in Bethanien zu Tische waren, genossen alle die gemeinsame Freude Seiner Gegenwart und Seiner Liebe, und doch, was Johannes empfing, als er sein Haupt an Jesu Brust legte, oder Maria, als sie Ihn salbte und Seine Anerkennung empfing, das genoß jeder wieder einzeln, persönlich für sich.
Und so in der Zukunft, wenn „Er sie wird zu Tische sitzen lassen“ und alle gemeinsam die Liebe Gottes und die Erlösung, die wir in dem Sohne haben, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes genießen werden, wird doch jeder einzelne die Freude, Seines Tisches teilhaftig zu sein, besonders und persönlich genießen (denn unsere Persönlichkeit geht selbst in der Herrlichkeit nicht in der Allgemeinheit unter), und so auch jetzt.
Ja, in Wahrheit, der „Tisch des Herrn“ ist reich beladen mit allem, was Sein Herz für die Seinigen ausdenken konnte.
Gelobt und gepriesen sei Sein herrlicher, nie genug erhobener Name!
Lasset uns, Geliebte alle, Tag für Tag, Nacht für Nacht, mit vollen Zügen trinken aus dem „Kelch des Herrn“ und mit dankbaren Händen und Herzen nehmen, was der „Tisch des Herrn“ uns darbietet!
Euer im Herrn verbundener Bruder
M. J. S.
9 So wie sie auch nur von einem, dem „Tische der Dämonen“ redet.↩︎
10 Diese Zeilen sind dem Buche „Einheit und Gemeinschaft“ von Br. J. N. V. entnommen.↩︎