Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 5 -Jahrgang 1917
4Mo 20,10-11 - „Er redete unbedacht mit seinen Lippen“4Mo 20,10-11 - „Er redete unbedacht mit seinen Lippen“
Wie viele Beweise Seiner Güte und Macht hatte Gott Seinem Volke gegeben! Und nun, nahe am Ende der Wüstenreise, finden wir dasselbe wiederum murrend. Es verlangt Wasser. Wie wird Gott ihrem Murren antworten? Wird Er es züchtigen? Nein! Er will Sich in Gnade verherrlichen. Nach dem Gericht über die Rotte Korah öffnete Gott einen neuen Weg, um mit dem Volke in Gnade zu verkehren. Das Priestertum sollte eintreten für die Ungerechtigkeit und der Hut des Heiligtums warten, damit „kein Zorn mehr komme über die Kinder Israels“ (4Mo 18,5). Dazu hatte Er den Stab Aarons, der gesproßt, geblüht und Mandeln trug, erwählt und ausgesondert und gesagt: „Und so werde Ich vor Mir stillen das Murren der Kinder Israel.“ Diesen Stab mußte Mose in die Bundeslade vor Jehova niederlegen. Dort sollte er bleiben, „damit du ihrem Murren ein Ende machest vor Mir, und sie nicht sterben“ (4Mo 17,10). In diesem Stabe sollte die freie Gnade zum Ausdruck kommen, mit der Er auf Grund des priesterlichen Dienstes das Volk durch die Wüste leiten wollte.
In der Wüste Zin angekommen, beginnt das Volk wieder zu murren. „Und Jehova redete zu Mose und sprach: Nimm den Stab und versammle die Gemeinde, du und Aaron, dein Bruder, und redet zu dem Felsen vor ihren Augen, und er wird sein Wasser geben ...
Und Mose nahm den Stab vor Jehova weg, so wie Er ihm geboten hatte“ (4Mo 20,8.9).
Alsdann versammelt er das Volk vor dem Felsen. Was durch die Seele Moses gegangen sein muß, als er vor dem hadernden Volke stand, das sich ganz besonders gegen ihn und Aaron wandte, und den Ort, wohin es geführt worden, einen „bösen Ort“ nannte, das ersehen wir aus den Worten, die er an das Volk richtete: „Ihr Widerspenstigen! werden wir euch Wasser aus diesem Felsen hervorbringen?“ Solche Worte hatte Gott, der mit dem Volke in Gnade handeln wollte, ihm nicht in den Mund gelegt. Sein Auftrag war überhaupt nicht, mit dem Volke, sondern mit dem Felsen zu reden. Wie ganz anders würden seine Worte gewesen sein, wenn er sich, statt an das Volk, an den Felsen (der Christus ist) gewandt hätte. O, wieviel Schmerz hätte Mose sich erspart, wenn er die Worte Seines Gottes genau beobachtet hätte. Aber vor ihm stand die Widerspenstigkeit des Volkes, und diese füllte seine Seele so, daß er unbesonnen mit seinen Lippen redete. Er verlor das Verständnis für den Stab, den er vor Jehova hinweggenommen hatte und er vergaß, Jehova in den Wegen Seiner Gnade zu heiligen und darzustellen. Seine Worte offenbarten nur die Stimmung seiner Seele, nicht aber das Herz Gottes. Welch ernste Warnung empfangen wir hier! Wenn wir unser eigenes Herz nicht kennten, wir würden auch nicht verstehen können, daß er sich und Aaron dahin stellt, wo Jehovas Name allein genannt werden konnte, als er sagte: „Werden wir euch Wasser hervorbringen aus diesem Felsen?“ Und er schlug den Felsen mit „seinem“ Stabe.
Alles dieses hinderte Gott nicht, Sich Selbst zu heiligen und dem widersprechendem Volke in Gnade zu begegnen. Moses Sünde konnte Gottes Wege in Gnade nicht aufhalten. Aber Mose hatte einen großen Verlust. In seinem Verhalten und Vorgehen kam nicht die Gesinnung und der Vorsatz Gottes zum Ausdruck. Wohl sah man bei ihm den Abscheu über die Widerspenstigkeit, aber das Zeugnis des Stabes der Gnade in seiner Hand wurde nicht gesehen.
In Psalm 106,33 lesen wir, daß das Volk seinen Geist reizte, so daß er unbedacht redete mit seinen Lippen. Sie forderten seinen Zorn heraus, aber dies war keine Entschuldigung für Mose.
Die Belehrungen, die der Herr uns hier gibt, sind von der größten Wichtigkeit für uns. Sie berühren tief unser praktisches Leben und Verhalten. Hier lernen wir, wie sehr wir uns selbst zu fürchten haben - wie sehr wir zu wachen haben, daß nicht das eigene „Ich“ und eigenes Wesen sich mit unserer Stellungnahme für den Herrn vermischt. Sein Zeugnis und Seine Herrlichkeit an dem gegenwärtigen Tage Seiner Gnade kann nur von uns getragen und behauptet werden, wenn wir selbst uns in Übereinstimmung mit Seinem Geiste, Seinen Vorsätzen und Seinem Walten bewegen. Wie aufrichtig und hingebend auch unsere Beweggründe sein mögen, Fleisch (unser „Ich“, unser Wille) darf keinen Raum dort haben, wo es sich um Seine Herrlichkeit handelt.
Wer würde es geahnt oder gedacht haben, daß der Mann, der dort so unbedacht mit seinen Lippen redete, derselbe Mann ist, der einige Augenblicke zuvor vor dem Herrn auf seinem Angesicht lag, ja, über den sich die Gnade so ausgebreitet hatte, daß ihm „die Herrlichkeit Jehovas erschien“ (4Mo 20,6) und Jehova Selbst mit ihm redete. Als das Volk mit ihm haderte, da floh er ins Heiligtum und die ganze Freundlichkeit und Gnade Gottes neigte sich herab zu Seinem Knechte, der vor Ihm lag - aber als er dem Volke begegnete, da öffnen sich seine
Lippen zu einem Scheltworte: „Ihr Widerspenstigen!“ Es war die Wahrheit (Widerspenstige waren sie), aber es war nicht Gottes Geist. Können nicht auch wir, wenn wir vor einer Sache stehen, im völligen Bewußtsein unserer Abhängigkeit und Ohnmacht zum Herrn schreien, und wenn wir in der Sache stehen, voll eigener Energie auftreten? So ist es, wenn wir nicht wachsam sind. Wir können das Angesicht des Herrn in Aufrichtigkeit suchen und von unseren Knien aufstehen und hinausgehen und in Selbstbewußtsein unbesonnen mit unseren Lippen reden. So kam Mose um den Eingang in das Land Kanaan. So können wir um den Lohn kommen. So hieß es für Elia, als er nicht willig war für den Weg der Gnade: „Gehe ... salbe Elisa an deiner Statt.“ So hieß es zu Mose: „Nimm Josua, den Sohn Nuns,“ und so können auch wir aufhören, Gefäße zu sein, brauchbar für den Herrn.3
Andererseits hatte Mose gewiß einzutreten für die Rechte und die Ehre Jehovas. Nicht einen Augenblick haben wir unsere Verantwortlichkeit aus dem Auge zu verlieren, alles Böse, wo es offenbar ist, zu richten und abzutun. Aber auch nichts erfordert mehr Abhängigkeit, Nahesein dem Herrn, Wachsamkeit und Selbstgericht als dieses, damit in unserer Stellungnahme für den Herrn und Sein Zeugnis sich nicht eigene Kraft und Temperament einmischen und die Herrlichkeit der gegenwärtigen Zeitperiode, die Offenbarung Gottes in Gnade, verwischen.
Wie traurig die Resultate sind, wenn wir es au unserer Verantwortlichkeit fehlen lassen, wenn es an der Treue zum Herrn in der Stellungnahme dem Bösen oder falschen Lehren gegenüber mangelt, das sehen wir in der Geschichte der Gemeinde, in der Offenbarung und in vielen Beispielen der Schrift.
Zu Ephesus sagt der Herr noch, daß sie die Werke der Nikolaiten hassen, die Er, der inmitten der sieben goldenen Leuchter wandelt, haßt. Aber sie hatten die erste Liebe verlassen und damit die abschüssige Bahn betreten. Taten sie hier nicht Buße, so würde mit dem Mangel der Liebe zu Ihm die bewegende Kraft schwinden, um das Böse zu hassen, und einer falschen Milde Platz machen denen gegenüber, die das Böse wirkten. Schon in Pergamus ist dies der Fall. Dort klagt der HErr: „Du hast solche, welche die Lehre der Nikolaiten festhalten,“ und Er findet nicht mehr solche, von denen Er, wie in Ephesus, sagen kann, daß sie hassen, was Er haßt. Gleichgültigkeit bösen Dingen, Werken und Lehren gegenüber zeigt den niedrigen Stand unserer Liebe zu Ihm und führt bald zur Duldung der Lehre des Bösen. Die Straße abwärts geht sich leicht. Das Ende eines solchen Laufes sehen wir in Laodicäa.
Der Herr schenke uns Gnade, inmitten der wachsenden Schwierigkeiten dieser letzten Tage Seinem Herzen so nahe zu sein, um Ihn recht darzustellen, in voller Entschiedenheit für Seine Rechte einzutreten und die Wahrheit festzuhalten in Liebe. „Die Gnade sei mit Dir!“ (1Tim 6,21).
3 Wiederholt finden wir in der Schrift die beiden Namen, „Mose und Elia“ zusammen. Und wie viel Gemeinsames finden wir in ihren Pfaden! Um mich nicht hier zu wiederholen möchte ich auf das von mir in Bd. 3, S. 6-8 Gesagte verweisen.↩︎