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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 14 - Jahrgang 1929
"Reich der Himmel" und "Reich Gottes"
„Reich der Himmel“ und „Reich Gottes“ (2)„Reich der Himmel“ und „Reich Gottes“ (2)
(Schluß).
Nun7 kommen wir zur Betrachtung der Bezeichnung „Reich Gottes“.
Vorher möchten wir nur ganz kurz einen Blick auf die eingangs aufgeführten anderen Bezeichnungen des „Reiches“ im Ev. Matthäus tun, ohne auf Einzelheiten einzugehen, weil uns hier der Raum dazu mangelt. Selbstverständlich hat es immer seine Bedeutung, wenn der Geist Gottes eine andere Bezeichnung für eine Sache anwendet. So ist es auch hier. Es ist immer dasselbe „Reich“, aber jeweils von einer anderen Seite aus betrachtet. Wenn es nur „Reich“ genannt ist, ist es das Reich ohne besondere Charakterisierung. Als Reich des „Vaters“, des „Sohnes des Menschen“ und „Christi“ kommen die in diesen Worten liegenden verschiedenen Seiten oder Beziehungen zum Ausdruck. In den Stellen Mt 4,23; 6,10; 8,12; 16,28; 20,21; 24,14 und 25,34 ist offensichtlich das messianische (Tausendjährige) Reich gemeint. Die Stellen Mt 13,19.38.43 haben in den Ausführungen über das „Reich der Himmel“ bereits mit ihre Erklärung gefunden. In Mt 26,29 verstehe ich unter dem „Reiche Meines Vaters“ ebenfalls das messianische (Tausendjährige) Reich, ohne behaupten zu wollen, daß es so sein muß.
Das „Reich Gottes“ ist, wie schon am Anfang gesagt, nicht ein anderes Reich als das „Reich der Himmel“, sondern dasselbe Reich, aber von einem anderen Gesichtspunkte aus gesehen und in seiner Dauer über die Grenze des „Reiches der Himmel“ hinausgehend. Während die Bezeichnung „Reich der Himmel“ das Wesen des Reiches und damit zugleich den für dieses Reich passenden Herzenszustand der Untertanen desselben ausdrückt, bringt die Bezeichnung „Reich Gottes“ die Person des Herrschers, nämlich daß Gott der Herrscher dieses Reiches ist, und damit zugleich den diesem Herrscher entsprechenden sittlichen Charakter der Untertanen des Reiches zum Ausdruck: Gott ist ihr Schöpfer, und Er ist der Inbegriff der sittlichen Vollkommenheit, und es ist Sein Reich, in dem sie sind; darum sind sie verantwortlich, sich dementsprechend zu verhalten, d. h. Ihn, den Herrscher des Reiches, in ihrem Verhalten stets zu bejahen. Das wird auf dieser Erde ja immer nur in Schwachheit geschehen, in vollkommener Weise wird es erst sein in der Ewigkeit; dann wird Gott im ganzen All, von allen sittlichen Wesen, als der Herrscher gekannt und anerkannt sein - dann wird Gott „alles in allem“ sein (1Kor 15,28). Das ist das „Reich Gottes“ in seiner Vollendung! Damit kommen wir zu dem zweiten Unterschied: während das Reich als „Reich der Himmel“ dem oben erwähnten Sinne dieser Bezeichnung nach sich auf die Dauer des Reiches auf dieser Erde beschränkt, hört das Reich als „Reich Gottes“ nie auf, sondern ist - der Person seines Herrschers entsprechend - ewig, wie aus dem Worte Gottes deutlich hervorgeht. (S. Apg 14,22; 1Kor 6,9.10; 15,24-28.50; Gal 5,21; Eph 5,5)
Die Bezeichnung „Reich Gottes“ kommt in allen Evangelien sowie auch in der Apostelgeschichte und den Briefen vor - dem in dieser Bezeichnung ausgedrückten Gedanken entsprechend -, und auch einmal in der Offenbarung, wenn wir die Worte: „das Reich unseres Gottes“ in Off 12,10 so auffassen wollen. Um das Nachschlagen zu erleichtern, geben wir hier eine Zusammenstellung der Schriftstellen, wo „Reich Gottes“ vorkommt, nach der uns vorliegenden Aufstellung: Mt 6,33; 12,28; 19,24; 21,31.43; Mk 1,14; 4,11.26.30; 9,1.47; 10,14.23; 12,34; 14,25; Lk 4,43; 6,20; 7,28; 8,1.10; 9,2.11.27.60.62; 10,9.11; 11,20; 13,18.20.28; 14,15; 16,16; 17,20; 18,16.24.29; 19,11; 21,31; 22,16.18; 23,51; Joh 3,3.5; Apg 1,3; 8,12; 14,22; 19,8; 20,25; 28,23.31; Röm 14,17; 1Kor 4,20; 6,9; 15,24.50, Gal 5,21; Eph 5,5; Kol 4,11; 2Thes 1,5; Off 12,10. Es wäre von Interesse, manche dieser Stellen näher zu betrachten, aber wir müssen uns dieses wegen Mangels an Raum versagen und können nur noch die Stellen berühren, die für unsere Frage besonders in Betracht kommen.
Die Frage selbst hat in der Betrachtung, die wir über das „Reich der Himmel“ und das „Reich Gottes“ angestellt haben, schon ihre Beantwortung gefunden. Wir wollen aber noch kurz einiges darüber bemerken, warum im Ev. Matthäus das Reich nicht immer „Reich der Himmel“, sondern einige Male „Reich Gottes“ genannt ist:
Wo der Ausdruck „Reich der Himmel“ gebraucht ist, handelt es sich darum, das Wesen des Reiches zum Ausdruck zu bringen, während dort, wo es „Reich Gottes“ genannt ist, der Herrscher des Reiches, Gott, im Vordergrund steht. Das ist leicht zu erkennen; In Mt 6,24-34 geht die Belehrung des Herrn an Seine Jünger dahin, daß sie nur Gott dienen sollen und nicht daneben auch noch dem Mammon und daß dieses - daß sie Gott dienen - in ihrem Nichtbesorgtsein um die für das Leben nötigen Dinge und in dem Voranstellen der Interessen Gottes seinen Ausdruck finden würde. Die Interessen Gottes sind: daß Er gekannt und anerkannt, Seine Herrschaft - Sein Reich - aufgerichtet und Seine Gerechtigkeit eingeführt wird. Es handelt sich also um die Herrschaft Gottes, unter die sie sich selbst stellen und deren allgemeine Anerkennung und Geltung sie herbeiwünschen. Darum ist es „das Reich Gottes“, nach dem sie trachten sollen. Durch „Reich der Himmel“ würde das nicht zum Ausdruck kommen.
In Mt 12,28 betont der HErr, daß Er durch den Geist Gottes - also durch die Macht Gottes - die Dämonen austreibe und nennt deshalb das zu ihnen hingekommene Reich nicht das „Reich der Himmel“, sondern das „Reich Gottes“.
In Mt 19,23 ist es das Hängen an dem Reichtum, also der Herzenszustand, der den Reichen unpassend machte für das Reich, deshalb heißt es in diesem Vers „Reich der Himmel“, in Mt 12,24 aber ist es das sich-Nichtbeugen vor Gott (ein Kamel kann nicht durch ein Nadelöhr gehen, weil es zu groß ist), das sein Eingehen unmöglich macht; darum heißt es hier „Reich Gottes“.
In Mt 21,31 handelt es sich um das Tun des Willens Gottes (in dem Gleichnis vorgebildet in dem Menschen, der zwei Kinder hatte) - um die Unterordnung unter Sein Wort. Deshalb sagt der Herr „Reich Gottes“.
In Mt 21,33-42 zeigt der Herr das Verhalten der religiösen Führer des Volkes - der Hohenpriester und Pharisäer - Gott gegenüber in ihrer Ablehnung Seiner Boten, der Propheten, und in der Verwerfung Seines Sohnes.
Deshalb bezeichnet Er in V. 43 das Reich, das von ihnen weggenommen wird, als „Reich Gottes“. -
Nun noch einige ganz kurze Bemerkungen über einige noch nicht erwähnte Bezeichnungen des „Reiches“ in den Briefen.
Kol 1,13 finden wir den Ausdruck „Reich des Sohnes Seiner Liebe“. In dieses Reich sind wir versetzt. Es ist also etwas Gegenwärtiges. Erst waren wir unter der Gewalt der Finsternis, jetzt sind wir dieser furchtbaren Herrschaft entrückt und - geistlich und dem Herzen nach - an einem Platze, wo Licht und Liebe wohnt und wo wir unter einer Herrschaft stehen, unter der wir uns wohl und zugleich vollkommen sicher fühlen. Welche Lieblichkeit liegt für unser Herz in den Worten: „Reich des Sohnes Seiner Liebe“!
2Tim 4,18 gebraucht der Apostel Paulus den Ausdruck „himmlisches Reich“. Das ist auch im Urtext ein anderes Wort als „Reich der Himmel“ oder „Himmelreich“, und es ist ohne weiteres aus dem Zusammenhang ersichtlich, daß der Apostel damit die himmlische Herrlichkeit bezw. den Ort der himmlischen Herrlichkeit meint, wo der Herr den Seinen eine Stätte bereitet hat und wo wir alle bald sein werden!
Das „unerschütterliche Reich“ in Heb 12,28 ist das, was dann in Erscheinung treten wird, wenn alles vollendet sein wird, die neue Schöpfung, welche ewig bleibt und in der wir mit Christo alles teilen werden.
Als letztes sei erwähnt „das ewige Reich unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus“ in 2Pet 1,11, in das uns „der Eingang“ soll „reichlich dargereicht werden“. Es ist Sein „Reich“ im alles umfassenden Sinne - die Entfaltung Seiner Macht im Himmel und auf Erden jetzt und in Ewigkeit. Dieses Reich besteht jetzt und bleibt ewig - es ist ein „ewiges Reich“, und alle Seine Erlösten haben Teil daran. Und der „Eingang“ in dasselbe soll uns nicht erst zuteil werden, wenn wir aus diesem Leben scheiden, sondern wird uns jetzt schon „dargereicht“, und zwar in dem Maße, in dem wir „diese Dinge tun“, von denen wir V. 5-10 (vgl. V. 12 und 15) lesen; in Vollkommenheit aber dann, wenn wir aus dieser Welt dorthin gehen, wo Er ist. -
Zum Schluß möchte ich noch in wenigen Worten darauf hinweisen, daß „Reich“ und „Versammlung“ (oder „Gemeinde“) nicht dasselbe ist.
Das „Reich“ ist die Klasse von Menschen, die sich in irgendeiner Weise - sei es innerlich (durch den Glauben) und zugleich äußerlich (durch das Bekenntnis) oder vielleicht nur innerlich oder nur äußerlich - zu Christo bekennen und dadurch eine gewisse Sonderstellung in dieser Welt einnehmen. (S. die Gleichnisse Mt 13,24-30.36-43 und 25,1-12). In dieser Stellung steht jeder einzeln da, wie auf einem Acker die einzelnen Halme des Getreides und des Unkrautes, das dazwischen ist, denn dieses Bekenntnis verbindet die einzelnen nicht zu einer Lebenseinheit, sondern nur zu einem großen System. Die „Versammlung“ („Gemeinde“) aber sind die Menschen, die in Lebensgemeinschaft mit Christo stehen und durch den Geist mit Ihm und untereinander verbunden sind, wie die Glieder eines Leibes organisch mit dem Haupte und untereinander verbunden sind. (Eph 1,22.23; Kol 1,18)
In dem „Reich“ sind nicht nur Gläubige, Erlöste, sondern auch Ungläubige - „Gerechte“ und „Böse“, wie aus oben erwähnten Gleichnissen deutlich zu ersehen ist; die „Versammlung“ („Gemeinde“) aber besteht nur aus Gläubigen, Erlösten - solchen, die aus Gott geboren sind, die den Geist Gottes haben (Vgl. Joh 1,12.13; 15,19; 17,14.16; Röm 8,9b; 2Kor 6,14-18; Eph 2,13-22; 5,25-27; 1Tim 3,15). Deshalb sind zwar alle, welche die „Versammlung“ bilden, mit in dem „Reiche“, aber nicht bilden umgekehrt alle, die in dem „Reiche“ sind, die „Versammlung“ („Gemeinde“)!
Wir sehen, wie verschieden beides ist und wie notwendig es daher ist, „Reich“ und „Versammlung“ (oder „Gemeinde“) klar zu unterscheiden, wenn wir nicht zu ganz falschen Ergebnissen kommen wollen. -
Ich bin mir bewußt, wie arm und mangelhaft meine Ausführungen sind, hoffe aber, daß sie dennoch für manchen Leser nicht ganz wertlos sind. - Der Herr gebe uns Gnade zum Verständnis Seiner kostbaren Gedanken! Ihm sei Ehre in Ewigkeit!
Th. K.
7 Man vergleiche den Untertitel („Frage“) des Aufsatzes auf S. 31 dieses Jahrbuches! - (F. K).↩︎