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Handreichungen - Jahrgang 1913-1938 - Themen Artikel
Handreichungen Band 11 -Jahrgang 1926
OnesimusOnesimus
Der Philemonbrief13 ist der kürzeste Brief, den wir in der Heiligen Schrift von der Hand des Apostels Paulus haben. Die Veranlassung zu diesem Briefe war die Flucht und die spätere Bekehrung und die damit verbundene Zurücksendung des entflohenen Onesimus.
Onesimus war ein Sklave des gläubigen Philemon, war aber seinem Herrn, wie es scheint, aus Furcht vor Strafe wegen einer begangenen Veruntreuung entflohen.
(V. 18). Wie wunderbar sind doch die Wege Gottes! Onesimus entfloh seinem gläubigen Herrn, aber Gottes Auge ging mit diesem entlaufenen Sklaven, und Er führte es so, daß er mit dem gefangenen Paulus in Berührung kam. Das Heil seiner Seele, welches er im Hause Philemons, seines gläubigen Herrn, nicht fand, das wurde ihm zuteil, als er in Rom als Flüchtling umherirrte. Die Gnade Gottes gebrauchte seinen gefangenen Knecht, den geketteten Paulus, den armen Sklaven auf den Weg des Friedens zu führen.
Als nun aber Onesimus bekehrt war, entstand die Frage: Was muß nun geschehen? Muß das Eigentumsrecht Philemons anerkannt werden, muß er zu seinem Herrn als dessen Sklave zurückkehren?
Damit kommen wir zu einer Sache, von der wir uns sagen müssen, daß sie ihren Ursprung nicht in dem Willen Gottes hatte, und doch finden wir in der Schrift so oft von Sklaven geredet.
Das in der Schrift mit „Knecht“ oder „Magd“ übersetzte Wort bezeichnet den Sklaven, denn es schließt die Leibeigenschaft in sich. In der Elberfelder Übersetzung finden wir deshalb in der Fußnote auch oft dafür das Wort „Sklave“ angegeben.
Die Sklaverei bestand schon in den frühesten Zeiten. Abraham hatte Sklaven (1Mo 12,16). Die Zahl seiner Sklaven muß sehr groß gewesen sein, sie betrug allein an „hausgeborenen“ Sklaven, die mit der Waffe geübt waren, 318. Außerdem aber hatte er noch „für Geld erkaufte“ Sklaven (1Mo 17,23). Die Zahl der Sklaven vermehrte sich ständig durch die Kinder aus den Ehen von Sklaven und Sklavinnen. Solche „hausgeborene“ Sklaven bezeichneten sich zuweilen mit dem Ausdruck „dein Knecht, deiner Magd Sohn“; sie galten als die treuesten und zuverlässigsten. Vielleicht nahm Abraham deshalb nur diese in den Streit, Lot zu retten (1Mo 14,14).
Es mag uns befremden, daß ein Mann wie Abraham Sklaven hatte, und wir möchten fragen, ob solches nach dem Willen Gottes sein konnte. Sicherlich war es von Anfang an nicht die Bestimmung Gottes, daß ein Mensch über den anderen herrschen solle. Wenn der Mensch nicht gefallen wäre und die Sünde das Verderben nicht über den Menschen gebracht hätte, würde es nicht Herren und Knechte, Reiche und Arme geben. Die Knechtschaft ist eine Strafe, ist eine Folge der Sünde.
Das Gericht der Sintflut war über die Welt gegangen. Mit der Familie Noah begann die neue Bevölkerung der Erde. Die Sünde Hams trug den Fluch der Knechtschaft in das neu erstehende Menschengeschlecht (1Mo 9,25-27). Von da an finden wir Herren und Knechte, Freie und Sklaven, Reiche und Arme. Von Abraham lesen wir, daß er sehr reich war an Vieh, Silber und Gold (1Mo 13,2). Gott machte ihn reich (1Mo 14,23). So zeigte Gott neu, daß Er Sünde bestraft; aber so wie Seine Hand die einen strafte, so segnete Er die, die Ihm vertrauten.
Im Anfang gab Gott dem Menschen die Herrschaft über die Tiere, aber nie bestimmte Er, daß er ein Herr über seine Brüder sein solle. Wie gesagt, erst durch die Sünde kam dies Verderben, dieser Zustand in die Welt, daß ein Bruder dem anderen Knecht wurde. Gott erkannte den Fluch Noahs über die Sünde an.
Bei den Heiden des Altertums war der Sklave seinem Herrn gegenüber
ganz rechtlos. Er konnte ihn nach Gutdünken verstümmeln oder töten. Wir
sehen dieses bei Pharao, der den Befehl gab, daß alle Söhne der Hebräer
bei der Geburt getötet werden sollten. Gott führte Sein Volk aus der
Sklaverei Ägyptens heraus; aber auch bei den Juden blieb die Sklaverei. Selbst ein geborener Jude konnte seinem Stammesbruder ein Sklave werden. Am häufigsten geschah dieses unter dem Zwang der Not (
Während aber bei den Heiden die Willkür dem Sklaven gegenüber freien Raum hatte, war das Los der Sklaven bei den Juden ein viel milderes und durch das Gesetz geregelt. Gott ordnete die Sache so, daß der Sklave nicht gänzlich der Willkür seines Herrn überlassen war. Zur bestimmten Zeit mußte derselbe freigelassen werden, und auch sein Erbteil durfte ihm nicht ständig entzogen werden. Die Menschenrechte und die Verantwortlichkeit Gott gegenüber, daß sowohl der Herr wie der Knecht Gott zum Schöpfer hatten, wurden aufrecht erhalten.
Wohl hatte auch bei den Juden der Herr das Recht, seinen Sklaven zu züchtigen, aber doch mit Schranken. Schlug er ihn so, daß er unter seiner Hand starb, so sollte es an ihm geahndet werden, trat aber der Tod erst ein oder zwei Tage später ein, so galt der Herr durch den Eigentumsverlust des Sklaven schon als genügend bestraft. Der Sklave wurde angesehen als sein Geld (2Mo 21,20.21). Mehr Schutz gewährte dem Sklaven die Bestimmung, daß, wenn ihm ein Auge oder auch nur ein Zahn ausgeschlagen wurde, er freigelassen werden mußte (2Mo 21,26.27).
Im allgemeinen wurden die Sklaven in Israel milde behandelt. Sie hatten teil an den Festmahlzeiten. Sie konnten auch selbst für sich sparen, konnten von der Frucht des Landes in den Sabbatjahren haben usw. (3Mo 25,6; 5Mo 12,18; 16,11). Elieser hatte bei Abraham eine sehr angesehene Stellung. Ebenso finden wir es bei Joseph in Potiphars Hause.
Eine Sklavin konnte der Herr für sich oder seinen Sohn oder einem anderen zum Kebsweib machen. Damit gewann sie aber eine höhere Stellung und durfte nicht, falls das Verhältnis aufgelöst wurde, gleich anderen Sklavinnen verkauft oder verschenkt, sondern, wenn sie es wollte, freigelassen werden. Wenn eine solche Sklavin eine Kriegsgefangene war, mußte ihr vor dem Vollzug der Nebenehe wenigstens ein Monat Zeit gegeben werden, den Verlust von Vater und Mutter zu beweinen und sich in die neuen Lebensverhältnisse zu finden (5Mo 21,10ff).
Eine weitere gute Wirkung auf die Lage der Sklaven war die Bestimmung, daß sie als Angehörige des Hauses ihres Herrn im Gegensatz zu den Tagelöhnern und Beisassen auch der Gemeinde Israel angehörten und das Passah mit essen durften. Deshalb mußten die „hausgeborenen“ Sklaven auch am achten Tage und die „für Geld gekauften“ usw. beim Eintritt in den Dienst beschnitten werden (1Mo 17,10 und 13). Und in vielen anderen Punkten war die Lage der israelitischen Sklaven rechtlich viel günstiger als die der nichtisraelitischen (3Mo 25,42.46.55), denn diese mußten nach der Brüderschaft behandelt werden und hatten weiter nach sechs Jahren Dienstpflicht das Recht auf Freilassung ohne Lösegeld. Auch durften sie nicht einfach von allen Mitteln entblößt entlassen werden, sondern ihnen mußte eine Ausstattung von den Schafen, von der Tenne und von der Kelter mitgegeben werden (5Mo 15,12).
Für solche Sklaven, die ihre Freiheit nach sechs Jahren
Knechtschaft nicht benutzen wollten, weil sie sich vielleicht nicht ernähren konnten, denen brachte dann das Jubeljahr nicht nur die Freiheit, sondern auch den Wiederbesitz ihres Erbgrundstückes, wodurch es ihnen dann möglich wurde, sich und ihre Familie zu erhalten (3Mo 25,39ff).
War jemand mit einem Weibe in die Leibeigenschaft gekommen, so wurde sie mit ihm frei; hatte aber sein Herr ihm von seinen Sklavinnen ein Weib gegeben, so mußte er sein Weib und seine Kinder zurücklassen. Wollte er aber aus Anhänglichkeit zu seinem Herrn und aus Liebe zu Weib und Kindern von seinem Recht auf Freilassung verzichten, so mußte er für immer auf seine Freiheit Verzicht leisten. Dies geschah dann in öffentlicher, feierlicher Weise, indem er an den Türpfosten des Hauses treten mußte und sein Herr seinen Ohrlappen mit dem Pfriemen an den Pfosten des Hauses durchbohrte und heftete. 2Mo 21,6; 5Mo 15,17.
Im Neuen Testament wurde wiederholt zu den Brüdern geredet, die Sklaven waren, z. B. 1Kor 7,21: „Bist du als Sklave berufen worden, so laß es dich nicht kümmern, wenn du aber auch frei werden kannst, so benütze es vielmehr usw.“ Dieses Freiwerden konnte nicht durch Fortlaufen, sondern mußte auf dem rechtlichen Wege geschehen. Deshalb sandte Paulus Onesimus zurück. Das ganze Sklavenleben war, wie schon gesagt, nicht nach dem Willen Gottes, es kam wegen der Sünde in die Welt. Ebenso wie es nicht nach dem Willen Gottes war, sein Weib zu entlassen. Als Jesus dieserhalb gefragt wurde, antwortete Er ihnen: „Mose hat wegen eurer Herzenshärtigkeit euch gestattet, eure Weiber zu entlassen; von Anfang aber ist es nicht also gewesen.“ (Mt 19,8).
Wohl kehren wir in der Gemeinde, der Gott Seine Gedanken anvertraut hat, zu den Ursprungsgedanken Gottes zurück, und in der Christenheit hat sowohl die Sklaverei wie die Vielweiberei ihr Ende gefunden; aber wir sehen aus der Schrift, daß, wer mehrere Weiber oder Sklaven hatte, diese nicht, wenn er gläubig geworden, entlassen mußte. Der Apostel erkannte den Stand und die Rechte Philemons an und forderte deshalb nicht die Freilassung seines Sklaven. In seiner Liebe bittet er für ihn, und mit feinem und zartem Takt deutet er an, daß er ihn „nicht länger als einen Sklaven, sondern mehr als einen Sklaven, als einen geliebten Bruder“ besitzen möge.
Die Wirkungen der Sünde sehen und finden wir in der Welt. Gott führte das Christentum nicht ein, um die Dinge der Welt in Ordnung zu bringen, noch um dem Gläubigen das Recht zu geben, Dinge, die Folgen der Sünde sind, mit eigener Hand zu seinem Nutzen ändern zu können, aber Er läßt das Licht Seiner Gedanken uns leuchten, und Sein Geist, der Geist der Gnade und der Liebe (der in diesem Briefe so besonders hervortritt), unterweist uns, demgemäß zu handeln. So sehen wir in dem Philemon-Brief, wie in einer Sache, die die Sünde in die Welt gebracht hat, durch „Liebe“ und „Gnade“ Wendung geschafft wurde. v. d. K.
13 Nach einer Ansprache auf der Osterkonferenz 1926 in Zwickau.↩︎