Auf dem Punkt, bei dem wir angekommen sind, ist es augenfällig, wie die Frage, die uns beschäftigt, durchaus an die Frage der Leitung durch den Heiligen Geist gebunden ist, an die Salbung, wie der Apostel Johannes sich ausdrückt (1Joh 2,20+27). Heilung durch den Glauben und Glaubensgesundheit ist ein Boden, auf dem man nicht wandeln kann, solange man nicht stille geworden ist vor seinem Gott, solange man nicht so zu ihm steht, dass er uns innerhalb der Heiligen Schrift leiten kann, mit anderen Worten, solange man nicht unter der Salbung steht. Wie die Israeliten in der Wüste, um aufzubrechen oder sich nieder zu lassen, immer auf eine bestimmte Weisung von oben gewartet, so wird der, der die Salbung hat, vom Geistes Gottes in allen Fragen des Tuns und Lassens, des Weitergehens und Innehaltens geleitet und das mit unfehlbarer innerer Gewissheit.
Laufen alle von der Heiligen Schrift geforderten Bedingungen, um vor Krankheit bewahrt zu bleiben, darauf hinaus, dass man mit völliger Hingabe des Willens auf die Stimme seines Gottes merkt, so ist damit auch die einzige Bedingung ausgesprochen, die erforderlich ist, um vom Heiligen Geist geleitet zu werden. Sobald unser Herz in unbedingtem Einverständnis mit allem Gotteswillen auch seine leisesten Wünsche vor Gott niedergelegt hat, sobald uns nur noch die Frage nach Gottes Ehre beschäftigt, können keine fremden Stimmen unser Ohr, können keine fremden Bilder unseren Blick mehr trüben, wir stehen unter der Salbung.
Wer von Gott geboren und eine neue Kreatur geworden ist, der hat die Salbung. Soll sie aber jederzeit in uns wirken, soll Gott zu uns reden können, so muss unser Herz vor ihm stille geworden und unser Auge einfältig auf ihn gerichtet sein. Ist das Schaf für die falsche Stimme erst taub geworden, so ist es damit geschickt, des Hirten Stimme zu vernehmen (Joh 10,4-5). „Ich kann nichts von mir selbst tun“, spricht der Herr Jesus: „Ich suche nicht meinen Willen, sondern des Willen des, der mich gesandt hat“ (Joh 5,30 vgl. Jes 50,4-6). Wollen wir von Gott unterwiesen sein und den Weg kennen, den wir gehen sollen, so dürfen wir nicht eigenwillig sein. „Wenn ihr euch bekehret und stille bliebet, so würde euch geholfen; in stille sein und hoffen wird eure Stärke sein.“ (Jes 30,15+20-21) Dies ist der Weg, denselben geht…
Wie unentbehrlich die Salbung ist, erkennt jeder, der sich auf die in Jes 40,28-31 gegebene Verheißung stützt: „Weißt du nicht, hörst du nicht? Der ewige Gott, der die Enden der Erde erschaffen hat, wird nicht müde noch matt und die Jünglinge fallen dahin; aber die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft und viel Stärke dem Unvermögenden…sie kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.“ Im Dienste Gottes darf unser Herz nicht maßgebend sein, so rein und uneigennützig sein Eifer für Gott auch sein möge. Soll unsere Kraft erneuert werden, so müssen wir nach Jes 40 auf den Herrn harren, nicht mehr vornehmen, was uns gefällt und nicht mehr eigene Worte reden (Jes 58,13). Nun kann uns aber in den Einzelheiten eines irdischen Berufes so gut als im unmittelbaren Dienst fürs Reich Gottes nur die Salbung Gottes Gedanken und Wege lehren. Durch sie lernen wir erkennen, was Gott getan und nicht getan, wann und wie er es will, durch uns oder andere. Durch sie unterscheiden wir, ob wir in einer Anwandlung von Müdigkeit einen Wink von oben zu sehen haben, um unsere Arbeit zu unterbrechen, oder ob es eine Versuchung des Feindes ist, die wir im Glauben zu überwinden haben.
Sind wir uns darüber klar, uns mit unserer Arbeit in Gottes eigensten Gedanken zu bewegen und von seinem Geist geleitet zu sein, so können wir unbedingt und jederzeit auf Erneuerung unserer Kräfte hoffen; keine Vorschriften des Arztes, keine Naturgesetze können uns dann binden. Der Geist, der uns leitet, treibt uns auch, durchdringt und kräftigt uns. So sehr uns ein Dienst, den wir in eigener Kraft tun, erschöpft, so sehr wird unser ganzes Wesen, Leib, Seele und Geist belebt, wo wir aufhören, selbst zu arbeiten und uns zu Werkzeugen des Heiligen Geistes hergeben.
Es ist eine Erfahrungstatsache, dass unsere leiblichen Zustände vielfach davon abhängen, wieweit wir uns innerlich vom Geiste Gottes treiben und beeinflussen lassen, wieweit wir unser Herz allen schwächenden und trübenden Einflüssen verschließen, wie sie von der unsichtbaren Welt her, von Verhältnissen und Kreaturen an uns herantreten. Es ist besonders bei Nervenkrankheiten und bei allen nervösen Zuständen in die Augen fallend, wie unmittelbar das leibliche Wohlsein mit der Glaubensstellung zusammenhängt.
Eine weitere Erfahrung, die jedes Kind Gottes machen kann, liegt in der natürlichen Kraft, die der Herr für besondere Zeiten und Aufgaben schenkt. Für Nachtwachen bei Kranken, für den Dienst an Armen und Verlassenen, in Predigt und Seelsorge, wo immer uns der Herr, eine Aufgabe zuwies, für die wir weder Kraft noch Zeit, weder Weisheit noch Geschick hatten, da ist der Herr eingestanden und hat uns durchgetragen. Er hat uns zu einer Erquickung und Stärkung werden lassen.
Der Herr verlangt dabei immer nur das Eine, dass wir uns als echte Kinder Abrahams erweisen, nicht auf unseren erstorbenen Leib, auf unser Vermögen, sondern harren auf den Herrn. Man hat hiergegen den Einwurf erhoben, dass Epaphroditus um des Werk des Herrn willen, krank geworden sei (Phil 2,25-30). Dies ist gewiss nicht so zu verstehen, dass der Herr ihm ein Maß von Arbeit aufgetragen, bei dem er krank werden musste, eine Arbeit für die ihm der Herr nicht genügend Kraft gegeben hätte2. Wir haben bereits bemerkt, wie wir gerade in unmittelbaren Dienste des Herrn am meisten ausgesetzt sind, von Krankheit befallen zu werden. Je völliger und reiner unsere Aufopferung in diesem Dienst ist, desto bedenklicher wird unsere Lage und desto größer unsere Gefahr, wo wir auch nur einen Augenblick unser Auge vom Herrn abwenden.
Wer des Glaubens lebt und dem Herrn im Glauben und in der Liebe dient, der wandelt auf dem Wasser und dann genügt ein Seitenblick, um zu sinken. Der aber dem Petrus noch in die Wellen hinein die Hand gereicht, der hat sich auch dem Epaphroditus erbarmt und damit dem Apostel Paulus (V. 27).
Mögen die Knechte Gottes, die ihre Arbeit im Weinberg des Herrn unterbrechen mussten, deren Kopf müde und deren Nerven angegriffen sind, mögen sie harren auf den Herrn, bis er ihnen klar macht, was in ihrer Arbeit oder in ihrem Leben nicht aus dem Geist gewesen ist, bis er Raum in ihnen geschaffen für die Erfüllung Seiner Verheißung. (Jes 40). Mögen sie anstatt mutlos für immer auf ihrem Posten zu verzichten, sich demütig unter die gewaltige Hand Gottes beugen und er wird sie erhöhen zu seiner Zeit3. (1Pet 5,6)
Wer auf den Herrn harrt und sich von seinem Geiste sich leiten lässt, ist dadurch in seiner Arbeit für den Herrn über zahllose Befürchtungen, Rücksichten und Hemmnisse hinweg gehoben. Er ist in seinen Bewegungen nicht mehr aufzuhalten. Er kann nun laufen in den Wegen göttlicher Gebote. Sein Herz und sein Sinn sind frei, um ausschließlich die Anforderungen des Dienstes, dem der Herr ihm nach seinem Wohlgefallen aufgetragen, ins Auge zu fassen. In allem übrigen, auch in Fragen der Rücksicht und Pflege des Leibes, vertraut er der Leitung des Herrn. Der Herr ist der einzige unfehlbare Arzt und ihm steht in allem Dingen Wort zu.
Sind wir einmal vom Herrn geheilt, so ist und bleibt unsere Gesundheit seine Sache. Steht nicht geschrieben: „Werfet alle eure Sorge auf Ihn, denn er sorget für euch.“ (1Pet 5,7). Warum können denn so mancher Kinder Gottes alle ihre Sorgen auf den Herrn werfen und nur diese eine nicht, gerade die, die am tiefsten in alle Lebensverhältnisse eingreift? Warum können sie ihren Leib dem Herrn nicht anvertrauen? Kommt es nicht daher, dass sie noch nicht gelernt haben, unter der Salbung zu leben? Sollen wir die Sorge für unseren Leib vertrauensvoll in des Herrn Händen lassen können, so müssen wir gewiss sein, dass der Herr uns leitet. Wie willst du nach dem Beispiel des Apostels deinen Leib betäuben und knechten (1Kor 9,27) ohne die Salbung? Wer nicht im einzelnen vom Geist Gottes geleitet ist, der gibt entweder dem Fleische Raum oder fällt unter das Gesetz zurück in einen Stand der Ängstlichkeit und Gebundenheit.
Wir haben gesagt, der Heilige Geist leite uns innerhalb der Heiligen Schrift. Durch das Wort hat der Heilige Geist in uns Glauben gewirkt und neues Leben in uns geschaffen (Röm 10,14Gal 3,2) und das Wort bleibt während unseres ganzen Lebens die Grundlage, auf der sich alles Werk des Heiligen Geistes aufbaut. Der Heilige Geist erinnert uns an das, was Jesus gesagt hat (Joh 14,26) und aller Unglauben an den Herrn, beruht auf Unglauben an das was geschrieben steht. „Oh ihr Toren, sagt der Herr zu den Jüngern von Emmaus, „trägen Herzens, zu glauben alle dem, was die Propheten geredet haben (Lk 24,25-27). Wie können wir verlangen, dass uns der Geist Gottes Schritt für Schritt in unserer Arbeit für den Herrn leite, solange wir uns nicht gewissenhaftes Forschen in der Schrift und durch Unterwerfung unter alles, was sie lehrt. (2Tim 3,16-17).
Forschen im Wort und Gehorsam zum Wort sind Grundbedingungen zur Lösung der Frage, die uns beschäftigt. Schon im ersten Teil dieser Schrift haben wir die Notwendigkeit gesehen, auf Gottes Stimme zu hören. Soll aber Gottes Geist unmittelbar zu uns reden, so müssen wir damit anfangen, dass wir auf alles merken und alles tun, was die Schrift lehrt. Es fehlt fast allgemein an der nötigen Unabhängigkeit uns Ausdauer, um zur Quelle zurück zu gehen und direkt aus dem Worte zu schöpfen.
Wer auf dem Wege des Stehens gegen Krankheit und Tod in göttlicher Salbung vorgeht, wer sich treu und demütig vom Wort und vom Geist Gottes leiten lässt, der hat nichts zu fürchten.
2 Aus V. 25 und 30 scheint hervorzugehen, dass es sich um eine erschöpfende oder gefährliche Reise handelte, die Epaphroditus im Dienst des Herrn unternommen hatte.↩︎
3 Dass der Stand eines Kindes Gottes auf Erden ein Stand der Schwachheit bleibt, ist mit Jes, 40 nicht ausgeschlossen. Inmitten großer Schwäche vollbringen wir unseren Lauf hier unten (1Kor 2,3). Leiden und Entbehrung ist unser Teil (2Kor 6,5-10 / 12,10). Das Leben Jesu wird in unserem Leibe nur offenbar, soweit wir das Sterben des Herrn Jesus an unserem Leibe allezeit mit uns tragen (2Kor 4,10). Solange wir in dieser Hütte sind, seufzen wir und sind beschwert (5,4). Wir warten auf die Erlösung unseres Leibes (Röm 8,23) Aber gerade in unserer Schwachheit erweist sich Gottes Kraft; sie hindert ihn nicht, frei über unsere Glieder zu verfügen. Sobald wir im Glauben wandeln, werden wir in Wahrheit stark sein, da wo wir uns schwach fühlen und werden alles vermögen durch Christus, der uns mächtig macht (2Kor 12,9-10 / Phil 4,13.↩︎