Schriften von Otto Stockmayer
Mt 6,1-16 - Richtlinien für unser GebetslebenMt 6,1-16 - Richtlinien für unser Gebetsleben
„Der Herr siebt das Herz an", und er will, daß wir vor ihm wandeln und nicht vor den Menschen — als solche, die sich bewußt sind, daß sie vom Herrn gesehen werden und „ihre Gerechtigkeit nicht üben vor den Leuten", wie es in der Miniaturbibel heißt. Es genügt uns, vor Gott zu wandeln, und von ihm geleitet, gesehen und gestärkt zu werden. Gerechtigkeit üben — wirklich anderen wohltun — können wir nur durch die Gnade Gottes, und da muß er uns ausrüsten, sonst haben unsere Opfer und Almosen keinen Wert. Eine wörtliche Erfüllung dieser Dinge findet sich ja jetzt nicht mehr. Es verstößt schon gegen die gute Sitte, auszuposaunen, zu verkündigen, drucken zu lassen, was man tut — und doch, wie gern lesen gewisse Leute ihre Namen im Gabenverzeichnis äußerer oder innerer Mission oder irgendwelcher anderer Sammellisten! Die Namen müssen ja allerdings der Ordnung halber eingetragen werden, damit man kontrollieren könne, was eingegangen ist; doch soll und darf das alles der Einfalt und Lauterkeit keinen Eintrag tun. Es soll uns daher nie darnach gelüsten, aus irgendeiner Liste zu figurieren, um den Leuten zu gefallen. „Wahrlich, ich sage euch, sie haben ihren Lohn dahin." Wie ganz anders der, der in Einfalt und Lauterkeit gibt ohne irgendwelches Selbstbewußtsein — ohne sich etwas darauf zu gute zu tun — einfach, weil Gott ihm ein Almosen anvertraut hat, vielleicht auch nur ein Wort der Teilnahme, irgendeine Mitteilung inneren oder äußeren Segens für den ferneren Lebensweg. Das alles sieht und lohnt der himmlische Vater.
Von Vers 6 an bis Vers 15 redet dann der Herr vom Gebet. „Du, wenn du betest, sollst du nicht sein wie die Heuchler, die da gerne stehen und beten in den Schulen und an den Ecken...Das ist nun freilich auch nicht mehr in den Linien unserer heutigen Sitten und Gebräuche. Man scheut sich eher davor, daß die Leute einen beten sehen könnten. Vers 6: „Du aber, wenn du betest, so geh in dein Kämmerlein und schließe die Türe zu und rede zu deinem Vater im Verborgenen." Das bezieht sich auf das Nichtgesehenwerden von Menschen. Wenn es heißt: „Schließ deine Türe zu", so darf und soll man einen Schritt weiter gehen und seine Türe zuschließen — nicht nur den Menschen gegenüber, sondern vor seinen eigenen Gedanken, Sorgen und Phantasien. Da heißt es, die Türe zuschließen und dem Herrn die Schlüssel geben, daß er uns in seiner Gegenwart bewahre — Auge in Auge mit ihm — ohne daß die Gedanken umherschweifen, wenn auch vielleicht nicht in sündliche Gebiete. Schweifen unsere Gedanken umher, so werden unsere Gebete doch damit aufgehalten, und die Gemeinschaft mit Gott wird gestört. Gottes Auge ruht mit Wohlgefallen auf einem Verkehr seiner Kinder Auge in Auge mit ihm, und er lohnt ihn; denn es wird uns dadurch neue Kraft zuteil den Anforderungen, Versuchungen und Begegnungen mit anderen gegenüber. Wir werden dadurch ausgerüstet, um nach seinem Willen handeln und wandeln zu können, unter feiner Leitung.
Vers 7: „Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht plappern wie die Heiden; denn sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viele Worte machen." „Darum sollt ihr ihnen nicht gleichen; denn euer Vater im Himmel weiß, daß ihr des alles bedürfet." Dennoch — obwohl er alles weiß — will er gebeten sein, aber ohne viele Worte. Das Herz sollen und dürfen wir ausschütten vor unserem Gott — besonders in den Morgenstunden. Ehe wir an unser Tagewerk gehen, sollen und dürfen wir uns sammeln im Gebet und im Lesen des Wortes Gottes. Bei dieser Gelegenheit vertraut der Herr Jesus den Seinen das wunderbare Mustergebet an, das uns immer unentbehrlicher wird in seiner unerschöpflichen Tiefe; denn alles, was von ihm kommt, ist unerschöpflich. Es ist besonders bemerkenswert, daß, ehe man Gott eine persönliche Bitte vorträgt, man seinen Namen, fein Reich, seinen Willen vor ihn bringt. Das setzt allerdings schon ein Gegründetsein und Versiegeltsein in ihm voraus, das nicht alle Kinder Gottes haben, und in das man nicht mit dem ersten Tage der Bekehrung hineinkommt, — aber es soll gehen von Gnade zu Gnade. Die eigenen Interessen sollen immer mehr zurücktreten hinter den seinigen. „Geheiligt werde dein Name." Das verurteilt und schließt aus eine Gewohnheit, von der nicht einmal alle Kinder Gottes gelöst sind. Auch bei ihnen kommt manchmal mit einem Male ein „Ach Gott", bei dem man durchaus nicht an Gott denkt. Es ist nur eine Redensart. Das bedeutet eine entschiedene Entheiligung des Namens Gottes. Überhaupt, wenn wir den Namen Gottes und Christi tragen, so müssen wir wandeln, wie unser Heiland gewandelt hat und muffen unsere Herzen je länger je mehr reinigen lassen von aller Lust, Sorge und Befleckung, damit sein Name sei wie eine über unser ganzes inneres und äußeres Leben ausgeschüttete Salbe. „Es komme dein Reich." Wer das bittet, der hat abgedankt, der will nicht mehr selbst herrschen, sondern er ist entschlossen, die Quellen seines Lebens und die Zügel seiner inneren und äußeren Lebensbewegungen zurückzugeben in des Herrn Leitung und Kontrolle. „Geheiligt werde dein Name. Es komme dein Reich", und dann als drittes: „Dein Wille geschehe wie im Himmel also auch auf Erden." Das ist nicht ein Zugeständnis, wie manches Kind Gottes sagt: „Nun ja, so geschehe denn dein Wille", ohne dabei innerlich wirklich einverstanden zu sein mit Gottes Willen. Es ist bei ihm eine knechtische Hingabe des Willens — nicht die ehrliche Bitte, der ehrliche Wunsch, daß der Wille Gottes unter allen Umständen geschehen möge. Erft wenn wir dem Herrn vollen Raum gelassen haben in bezug auf unser Leben, unsere Lebensbeziehungen und täglichen Aufgaben, können wir im Geiste und in der Wahrheit unseren Blick erweitern und bitten, daß Gottes Wille geschehe im Himmel und auf Erden. Im Himmel ist es die Speise der Engel, den Willen Gottes zu tun, — und wie im Himmel der Wille Gottes ohne Verzug geschieht, also auch auf Erden. Und wer das bittet, der muß zuerst Gott in seinem Leben zu Worte kommen lassen. Es muß zuerst alles zurück in Gottes Hand, in seine Leitung und Bewahrung. Und dann, nachdem die drei ersten Bitten sich auf Gottes Interessen beziehen, kommt die vierte Bitte: „Unser tägliches Brot gib uns heute." Das ist nicht ein- für allemal. Das ist für heute. „Gib uns heute unser tägliches Brot." Du weißt, o Herr, was der heutige Tag bringen wird an Begegnungen, Aufgaben, Versuchungen, — und da ist es uns Bedürfnis, daß du uns Bahn machst, daß du uns bewahrst und behütest wie deinen Augapfel, daß nicht durch irgendeine Versuchung unsere Gemeinschaft mit dir unterbrochen wird. Das gehört zum täglichen Brot. Und nun — wenn da noch etwas Aufhaltendes ist — der Gedanke an frühere Schuld z. B.: „Vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unseren Schuldiger»." Erlaß uns, wo wir gefehlt haben, wo unser Gehorsam mangelhaft war, wo wir dich nicht verherrlicht haben. Wir wollen gern unseren Schuldiger» alles erlassen, anderen nicht mehr fordernd gegenüberstehen, wenn nur du unsere Schuld vergibst, so daß wir anderen vergeben, sie tragen, sie freilassen können. „Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns vom Bösen." Der Herr versucht niemand im Sinne von Lockung. Das tut der Teufel. Aber Versuchung im Sinne von Erprobung kann uns der Herr nicht ersparen. Wir bitten also, daß, wo uns der Herr durch Proben führt, er uns ausrüste in unserer Schwachheit und uns von dem Übel erlöse. So übersetzt man gewöhnlich, aber man kann es auch persönlich fasten und bitten: Erlöse uns vom Bösen, vom Argen, vom Erzfeind, der immer versucht, uns auf Abwege zu bringen, uns zu schwächen.
Und nun am Schluß noch die Siegesworte des Betenden: „Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen." Das Kind Gottes, das die Kniee beugt vor seinem himmlischen Vater, hat den Regenten vor sich, dem alle Macht gegeben ist im Himmel und auf Erden, der unser Leben ordnet und so darüber wacht, daß nichts Fremdes hineinkommt, — und wo das geschehen ist, — daß es wieder ausgeschieden werde. „Das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit" — verborgene Herrlichkeit in jedes Leben seiner Kinder! Herrlichkeit bricht überall da durch, wo die Sünde das Feld hat räumen müssen, wo das eigene Ich nicht mehr im Mittelpunkt steht, wo das Auge sich öffnet für die Bedürfnisse der Gemeinde und vor allem für die Verherrlichung des Herrn und die Wiederkunft Christi.
Dann kommen noch Vers 14 und 15 als Ergänzung, um uns zu zeigen, wie wichtig es für das Geistesleben ist, daß wir nie etwas von Groll und Bitterkeit in uns aufkommen lassen. „So ihr den Menschen ihre Fehler nicht vergebet, so wird euch euer Vater eure Fehler auch nicht vergeben." Wir sollen so vergeben, wie Gott vergibt, — so, daß die Dinge wieder abgetan sind und der Nächste nicht fürchten muß, daß ihm sein Vergehen früher oder später wieder vorgehalten wird. So muß es auch bei uns dazu kommen, daß Gott uns nicht immer wieder an die Vergangenheit erinnern muß, sondern daß wir als solche, die von der Vergangenheit abgelöst sind, fortan Zugang haben zum Gnadenthron unseres himmlischen Vaters. Der Herr schenke uns, daß wir als neutestamentliche Christen, als Nachfolger des Lammes, ihn verherrlichen und den Süßgeruch des Evangeliums immer reiner hineintragen in die Welt, in der wir uns bewegen!