Schriften von Otto Stockmayer
Mt 2,1-18 - Aus derVorgeschichte JesuMt 2,1-18 - Aus derVorgeschichte Jesu
Die Weihnachtsgeschichte bietet uns ein reiches, unerschöpfliches Thema. Die Weisen aus dem Morgenlande hatten einen Stern gesehen oder — wie sie sagten: „den Stern, seinen Stern". „Wir haben seinen Stern gesehen im Morgenlande und sind gekommen, ihn anzubeten." Was war das für ein Stern? 4. Mose 24,17 lesen wir folgende Weissagung des Bileam: „Ich sehe ihn, aber jetzt noch nicht; ich schau ihn, aber noch nicht in der Nähe. Ein Stern kommt aus Jakob hervor, und ein Zepter kommt aus Israel." Bileam war auf den Ruf Balaks aus der Euphrat Gegend gekommen. Er war sowohl ein bekannter wie ein wirklicher Seher, ein merkwürdiges Beispiel von einem göttlich ausgerüsteten, unlauteren Mann, von einem mit göttlichem Lichte erleuchteten Seher, der aber irdischen Glan; und irdische Reichtümer suchte. Und leider ist dieses Ungeheuerliche noch heute verbreitet: göttliches Licht, göttlicher Einblick und dabei ein Schalksauge. Bileam wollte vom Könige geehrt sein. Es lockten ihn die Reichtümer, und da brachte er es fertig, im Dienst für den Herrn eigene Zwecke zu verfolgen, nachdem ihn Gott dazu gebraucht hatte, eine ganz eigenartige Weissagung auf den kommenden Messias, den Herrn der Welt, in Israel niederlegen zu dürfen. Er war aus der Euphrat Gegend gekommen, vielleicht sogar aus der gleichen Gegend, aus der die Weisen stammten. Der Herr streut seine Samenkörner auch in die Heidenwelt.
Zu einer Zeit, wo in Israel noch alles schläft, machen jene drei Weisen aus dem Morgenlande sich auf. Sie waren Wartende aus dem Heidenland, und auch in Israel hatte der Herr seine Wartenden, einen Simeon, eine Hanna und andere. Wartende aber warten nicht mit gekreuzten Armen, sondern sie sind bereit, sich auf den ersten Ruf aufzumachen. Auch heute noch hat der Herr Wartende, wären sie auch noch so sporadisch zerstreut. Der Herr hatte in Israel Leute, die auf sein erstes Kommen warteten, und hat in der Jetztzeit Leute, die seiner Wiederkunft warten. Und wenn auch alles in Jerusalem schlief, als er kam, und wenn auch heutzutage viele schlafen, und vielleicht auch manche Kinder Gottes erschrecken würden, wenn der Herr heute käme und diejenigen, die er bereitfände, hinaufnähme, so hat er eben doch seine Wartenden, und diese lassen sich durch nichts und durch niemand irre machen. Endlich kommen die Weisen in Jerusalem an und finden daselbst alles in tiefem Schlafe. „Wo ist der neugeborene König der Juden?" fragen sie, aber nicht etwa mit der Zurückhaltung des Unglaubens oder Kleinglaubens. Sie fürchten nicht, sich zu kompromittieren — nein — sie treten kühn hervor mit ihrem Glauben und ihrer Überzeugung, dass sie sich nicht getäuscht haben, und dass Gott mit dem Stern, der ihnen in der Heimat erschienen war, nichts anderes sagen wollte, als was Bileam geweissagt hatte. Sie treten damit kühn vor die Leiter des Volkes Israel, und diese müssen sich strafen lassen ob ihres Schlafens. Sie treten mit solcher Unerschrockenheit auf, dass die Pharisäer und Sadduzäer erschrecken und merken: dahinter steckt etwas. Echtes Glaubensleben wirkt ernüchternd, aufweckend — da wachen die Schläfer auf, wäre es auch nur, um zu verfolgen. Schliesslich muss doch alles anbetend in den Staub sinken vor einer solchen Erscheinung wie der neugeborene König in Israel. Einer solchen Erscheinung gegenüber gilt es Stellung nehmen — nicht nur zusehen und warten, ob dieser oder jener, der eine gewisse Autorität hat, sich für ihn entscheidet.
Die Weisen sind nicht an die falsche Adresse gekommen. Sie kamen zu wirklichen Schriftgelehrten — das muss man ihnen lassen. Die Leiter des Volkes Israel kannten die Schrift aus dem Fundament und bedurften weder eines Lexikons noch einer Konkordanz, um erst lange nachzuschlagen, wo der Messias sollte geboren werden. Sie wussten ganz genau, dass es in Bethlehem sein sollte, also in nächster Nähe von Jerusalem. So kann man dozieren, Sonntagsschule halten, den Leuten das Evangelium bringen, in Schule, Kirche und Kapelle Christum verkündigen, ohne in Christo oder für Christum zu leben, ohne das eigene Leben im Blute des Lammes ertränkt zu haben. Man weiss mehr, als man auslebt, und das ist Korruption — da setzen sich die Würmer an. Es gibt Blutstockung da, wo man mehr weiss und bezeugt, als man auslebt. Darum heisst es da wohl aufpassen. Ist in dir Jesus geboren, ist in dir Jesus gewachsen, hat sich in dir Christus ausgestalten können, hat er alles, was vorher in deinem Herzen gewuchert hat, überwachsen? Ist sein Königreich in dir in Ausbreitung begriffen, so dass es ein Gebiet deines Herzens und Lebens nach dem anderen völliger beherrscht und alles gefangen wegführt in die Gefangenschaft des Kreuzes? Es ist die Geburt des Gekreuzigten, die wir am Weihnachtsfeste feiern, und dabei fragen wir uns, wie weit wir schon mit ihm gekreuzigt, mitbegraben, mitauferweckt und mit ihm in die himmlischen Örter niedergelassen sind — sonst werden wir nie mitherrschen und mitregieren, wenn wir uns nicht setzt schon üben im Herrschen über unsere Charakter- und Temperamentsanlagen, über unser eigenes Leben und Wesen, über die Verhältnisse, über die wir uns je und je so bitter beklagt haben, und die Gott doch ganz genau zu unserer Mitkreuzigung bestimmt hat. Ist das eine Verstocktheit bei den Pharisäern und Schriftgelehrten! 'Sie kennen die Weissagung, aber es fällt ihnen nicht ein, sie ernst zu nehmen und an die Realität der Schrift zu glauben, die sie so genau dem Wortlaut nach kennen. Keiner von diesen Obersten des Volkes ist mit den Weisen gegangen, um der Sache genauer nachzuspüren. Sie erschrecken nicht. Herodes wird sie darum dereinst am Tage des Gerichts verklagen. Der kann wenigstens noch erschrecken und fährt zusammen ob der Frage der Weisen. Er sagt sich ganz richtig: Entweder muss der neugeborene König das Leben lassen oder ich — beide können wir nicht König sein. Da scheut er denn vor nichts zurück; da muss eine ganze Generation von Kindern in Bethlehem das Leben lassen. — „Da sie nun den Stern wiedersahen, wurden sie hocherfreut." Da waren sie getröstet. Was musste das für eine Erschütterung für sie sein, als sie merkten, dass die geistlichen Führer des Volkes die Weissagung gar nicht ernst nahmen und vielleicht gar miteinander über die Einfalt der Weisen aus dem Morgenlande spotteten! Einer aber in Jerusalem war nicht ruhig, hat nicht ruhig in der Nacht geschlafen — nämlich der König Herodes, und er wird diese Schriftgelehrten darum, wie gesagt, am Tage des Gerichts verklagen. Herodes war nicht träge, sondern hat sich aufgemacht, nachdem er bald nachher merkte, dass die Weisen nicht zurückkamen. Gott hat das den Weisen nicht erlaubt, denn er wachte über das Kindlein. Zum näheren Verständnis der Weihnachtsgeschichte möchte ich heute früh nur noch eines bemerken. Wenn wir den Bericht des Matthäus mit dem des Lukas vergleichen, so haben wir erst Mühe, uns zu orientieren, wie alles zusammenstimmt. Tatsache ist, dass im Augenblick, als die Weisen kamen und von den Hohenpriestern nach Bethlehem gewiesen wurden, das Jesuskind bereits vierzig Tage alt war. Es war schon in den Tempel gebracht worden, und die beiden ehrwürdigen Alten, Simeon und Hanna, hatten es bereits begrüsst und ihrerseits ihre herrlichsten Hoffnungen in Erfüllung gehen sehen. Simeon und Hanna hatten darob ihren Gott angebetet, denn der Herr hatte auch damals, wie wir sahen, wartende Anbeter — Leute, die sich nicht irre machen liessen, auch als sie nichts weiter vor sich sahen als ein einfaches Kindlein. Der Geist hatte sie geführt — dem Geiste hatten sie längst gehorchen gelernt, und sie liessen sich ebensowenig irre machen wie die Weisen. Das ist wahrer Geistesadel, wenn man im kleinsten und einfachsten Gottes Weg, Gottes Heil und seine Rettung erkennt. Hat man diesen Geistesadel nicht, so kommt man trotz der Erfahrung von den aller ausserordentlichsten Dingen zu kurz, weil man noch nicht gelernt hat, in der Erfahrung die Einfachheit der Erlösung durchbuchstabieren, und weil man nicht in der Einfalt des Evangeliums steht. Ich sage, es waren bereits vierzig Tage vergangen seit der Geburt des Kindleins, denn Jesu Darstellung im Tempel, der Besuch der Weisen und der Mordanschlag des Herodes — das alles ging Schlag auf Schlag. Herodes hat keine Zeit verloren, sondern hat sich aufgemacht und alle Kindlein in Bethlehem und Umgegend umbringen lassen, damit er seiner Sache sicher sei. In der Nacht vorher kam ihm aber Gott zuvor und befahl Joseph, sich noch in der gleichen Nacht mit Weib und Kind davonzumachen nach Ägyptenland.
Liebe Geschwister, üben wir uns in der Einfalt und kommen wir in diesen Tagen zur Einfalt zurück angesichts dieser klassischen Anbeter aus dem Morgenlande, die nicht auf das Sichtbare sahen, sondern auf das Unsichtbare, und hinter einem unscheinbaren Kindlein den Retter der Welt erkannten, die einzig und allein den Spuren göttlicher Offenbarung in der Schrift nachgingen und daher anbeten und dann in Frieden ihre Strasse ziehen konnten. Wer unter uns hat nicht schon weit mehr von Gott empfangen als diese Weisen in ihr Heimatland mitnehmen konnten? Wer da hat, dem wird gegeben. Wer in dem Masse, in dem er von Gott empfangen hat, ein Glaubensleben führt, wird immer unabhängiger von diesen oder jenen Erfahrungen, der wird ein Kind der Unsichtbarkeit. Das kommende Weihnachtsfest soll uns tiefer und immer tiefer in die Realität des Glaubenslebens führen, in die Realität, die Herrlichkeit, die verborgene Herrlichkeit des Glaubenslebens. Der wiederkommende Heiland will diejenigen auf sein Kommen zubereiten, die aus Glauben in Glauben gegangen und Kinder der Unsichtbarkeit geworden sind.
Siehe „Lk 2,22“ von Otto Stockmayer über Hanna und Simeon