Dieweil die Ungerechtigkeit wird überhandnehmen, wird die Liebe in vielen erkalten.
Wir leben in einer Zeit, von welcher der Herr sagt: „Die Liebe wird in vielen erkalten“ (Mt 24,12). Warum erkaltet die Liebe? Weil „die Ungerechtigkeit überhand nimmt.“ Warum kannst du denn kein Unrecht ertragen? Der eine sagt: „Von Gottes Hand will ich alles annehmen, aber nicht von Menschen.“ Ein andrer sagt: „Von der Welt will ich mich wohl verachten und verfolgen lassen, aber so und so von Kindern Gottes behandelt zu werden, das ist zu stark, das geht zu weit.“ Mein Bruder, so denken und reden Heiden. Der Heide sieht überall Zwischenursachen, hat es mit Untergöttern zu tun. Der Jünger Jesu hat es nur mit seinem Gott zu tun. Er ist in Christus; Ihn kann nur erreichen, was das Haupt unterzeichnet hat und was zur Umwandlung in des Lammes Bild dient. Da wundere dich nicht und lass dich’s nicht befremden (1Pet 4,12), wenn es an ein Reiben und Schlagen, Hobeln, Meisseln und Schmelzen geht; das gehört zu deiner Umbildung. Wie kann deine Liebe erkalten, wenn du durchschaust und hinter allem, was dir durch und von Menschen geschieht, den Gott der Liebe erblickst, auf dessen Seite du dich gestellt und dem du es überlassen hast, dich um jeden Preis zu Seinem Ziel zu bringen. Und Er kommt zum Ziel; Er ist Seiner Sache so gewiss, dass der Geist in Römer 8,30 in der Vergangenheit reden kann; Er hat gerechtfertigt, Er hat herrlich gemacht.
Je näher ein Glied dem Haupt steht, desto enger schliesst es sich mit den andern Gliedern zusammen. Ist ihm erst die Einheit des Leibes aufgegangen und zum Lebensgesetz geworden, so kann man aus ihm nicht mehr einen Sektierer machen. Verstehen uns die Brüder nicht, so fragen wir nicht danach, was sie uns, sondern was wir ihnen schuldig sind, - ihnen, mit denen das Blut und der Geist Christi uns unzertrennlich verbunden hat. Schande und Schmach über uns, wenn wir nur da lieben, wo man uns zustimmt, und wo wir hängenbleiben an dem, was uns passt. Das Geheimnis der Liebe ist: „Niemand mehr kennen nach dem Fleisch“ (2Kor 5,16). Dazu aber musst du am Feuerherd der ewigen Liebe wohnen. „Niemand hat grössere Liebe denn die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde“ (Joh 15,13). Ist die Liebe Gottes ausgegossen in dein Herz, so lernst du dein Leben lassen für andre, lernst deine Befriedigung, deine Rechte, deine Bequemlichkeit lassen auch für solche, die dich nicht verstehen. Wurde Christus anerkannt, als Er am Kreuz Sein Leben für die Welt liess? Er erwartete nicht, verstanden zu werden in Seiner Liebestat.. „Er kam in das Seine, und die Seinen nahmen Ihn nicht auf.“ Seine Liebe erkaltete nicht, wenn Seine Jünger Ihn nicht verstanden. „Wie Er geliebt hatte die Seinen, die in der Welt waren, so liebte Er sie bis ans Ende.“ Dein Liebeseifer ist bald erschöpft; darum öffne dein Herz der Liebe Gottes. Von ihr kann dich nichts scheiden (Röm 8,39), auch nicht die Sünde der Gemeinde, auch nicht das Misstrauen der Brüder. Das Göttliche ist stärker als das Menschliche, die Liebe mächtiger als der Tod. Wohnt diese Liebe in dir, so kann weder Lieblosigkeit noch Schläfrigkeit noch Gleichgültigkeit in deiner Umgebung deine Liebe erkälten. Eine Liebe, deren Quelle Gott ist, überwindet alles.