Otto Stockmayer
Schriften von Otto Stockmayer
Mt 22,1-15 - Das hochzeitliche Kleid.Mt 22,1-15 - Das hochzeitliche Kleid.
Vers 45: „Und da die Hohenpriester und Schriftgelehrten seine Gleichnisse hörten, verstanden sie, daß er von ihnen redete", und sie hätten ihn gern gegriffen, hielten sich aber zurück. Warum? Weil sie sich vor dem Volke fürchteten — nicht, weil sie sich gefürchtet hätten, ein Verbrechen zu begehen, sondern sie fürchteten das Volk, das sie zu leiten hatten; denn das Volk hielt Jesum für einen Propheten. Sie wollten dem Volke gefallen. Das sind keine Leiter des Volkes, die zu dem Zweck und Ziel ihres Tun und Lassens den Gedanken haben, Einfluß auf andere zu gewinnen, anstatt sie dem Herrn zuzuführen.
Dieses Gleichnis ist gar nicht so einfach und leicht zu verstehen und zu erklären, als man auf den ersten Blick denken könnte. Man kommt nicht anders zurecht, als wenn man die Geladenen als Ganzes nimmt. Im tiefsten Grunde ist die Hochzeit, von der hier die Rede ist, ja doch die Hochzeit des Lammes. Des Menschen Sohn, der Sohn des Königs der Könige, das Lamm Gottes, ist der Gatte und die Geladenen sind die Gattin. Es ist eine Vermählung des Lammes mit der Gemeinde. Dann aber kann man nicht verstehen, wie im entscheidenden Augenblick die Knechte noch einmal ausgehen müssen — namentlich aber kann man nicht verstehen, daß alle Geladenen nun anderweitig beschäftigt sind, daß sie die Einladung zur Hochzeit mißachten — ja — daß sie sich sogar an den einladenden Knechten vergreifen, sie töten, so daß dann der König seine Heere sendet und die Mörder umbringen läßt. Dann geht die Einladung weiter hinaus — überallhin — an die Kreuzwege. Die Knechte erhielten den Auftrag, hereinzubringen, wen sie fänden. Nach Vers 11 bekam auch jeder der Geladenen ein hochzeitliches Kleid. „Der König ging hinein, die Gäste zu besehen, und sah allda einen Menschen, der hatte kein hochzeitliches Kleid an." Das setzt voraus, daß jedem der Geladenen ein hochzeitliches Kleid angeboten war; denn nach Vers 12 bekommt derjenige, der kein hochzeitliches Kleid an hatte, den Vorwurf zu hören: „Freund, wie bist du herein gekommen und hast doch kein hochzeitliches Kleid an?" Weiter heißt es: „Er aber verstummte." Er konnte nicht sagen: „Niemand hat mir eines angeboten." Seine alten Lumpen waren ihm gut genug. Es handelte sich hier also im Grunde um eine Verachtung des Königs. Ein König hatte ihn zur Hochzeit seines Sohnes eingeladen, und er schätzte diese Einladung gering; darum das furchtbare Wort: „Werfet ihn in die äußerste Finsternis hinaus — da wird sein Heulen und Zähneklappern." Und dann weiter: „Viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt." Da könnte man sagen: „Ja, ich bin eben nicht auserwählt — da bin ich also auch nicht schuldig." Wie gesagt, es sind Schwierigkeiten da, aber das Wesentliche, was das Gleichnis uns sagen will, bleibt uns darum nicht verborgen. Wir sind alle — soweit wir Kinder Gottes sind — von der Strasse zusammengerufen — von unserem Gewerbe her. „Der eine ging auf seinen Acker, der andere zu seinem Gewerbe." Beim Herrn ist alles bereit für unsere Aufnahme, und wir dürfen und sollen alles eher liegen und stehen, als den Herrn auf uns warten lassen. Wir sollen gelöst werden von der Scholle. Wir können dann immer noch unsere Äcker bebauen, aber als Fremdlinge und Pilgrime, die treu umgehen mit dem, was der Herr ihnen anvertraut hat — und die sich alle Erfahrungen, die sie machen in dem Gewerbe, das ihnen der Herr anvertraut hat, dazu dienen lassen, heranzureifen für die Hochzeit des Lammes. Inwiefern das Gleichnis sich im einzelnen erfüllen wird, haben wir abzuwarten. Wer sind aber die außer der Braut des Lammes erwähnten Gäste? Wenn einmal die Gemeinde mit dem Herrn verbunden ist, kommt ein weiterer Kreis in Betracht. Es hat damit nicht alles ein Ende. Wir herrschen dann mit ihm im tausendjährigen Reiche, — und da gibt es dann auch Werbung und Sammlung in weiteren Kreisen. Nur wollen wir nie vergessen, daß wir — wenn wir ein Glied der Braut des Lammes, ein Glied am Leibe Jesu Christi werden wollen — alles loslassen müssen, was nicht in unser Leben hereingehört, und jetzt schon alle unsere Kräfte und Gaben dem Herrn zur Verfügung zu stellen haben. Ihm sind wir anvertraut, angetraut, gliedlich einverleibt und müssen daher alles, was unser Leben und Tagewerk mit sich bringt, tun als solche, die aus seiner Fülle schöpfen Gnade um Gnade. Eine Gnade ruft der anderen, und es ist für jede Anforderung eines Tagewerkes Gnade die Fülle bereit. Diese Fülle nimmt aber durch immerwährendes Schöpfen nicht ab. Es ist ein unversiegbarer Born der Gnade für uns und für andere. Da braucht man nicht zu fürchten, es könnte einer zu viel nehmen, so daß der andere nichts bekommt. Im Gegenteil — je mehr ich schöpfe, um so mehr Mut mache ich den anderen, auch alles liegen und stehen zu lassen, um aus der gleichen Fülle zu schöpfen.