Er blieb allein. Da rang ein Mann mit ihm, bis die Morgenröte anbrach. Und da er sah, dass er ihn nicht übermochte, rührte er das Gelenke seiner Hüfte an; und das Gelenk der Hüfte Jakobs ward über dem Ringen mit ihm verrenkt. Und er sprach: Lass mich gehen, denn die Morgenröte bricht an. Aber er antwortete: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.
Es ist wieder eine Nacht über Jakob gekommen, zwanzig Jahre nach jener Bethelsnacht. Jetzt schläft er nicht wie damals in Bethel, er hat auch kein Nachtgesicht wie damals; aber ein geheimnisvoller Vorgang, auch ein Gesicht, aber kein Traumgesicht wird ihm zuteil. Der Engel des Herrn mit einem geheimnisvollen Namen, nicht Gabriel oder Michael, sondern der Engel des Herrn, der über allen geschaffnen Engeln steht, ringt mit Jakob, bis die Morgenröte hereinbricht. Endlich will der Engel gehen, aber Jakob hält ihn und sagt: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.“ Ringen kann er nicht mehr mit ihm, denn der Engel hat ihm die Hüfte verrenkt; darum legt er sich aufs Flehen. „Er kämpfte mit dem Engel und siegte, denn er weinte und bat ihn; auch hat er Ihn ja zu Bethel gefunden, und daselbst hat Er mit uns geredet“ (Hos 12,5).| Mehr als zwanzig Jahre hat Jakob dem Herrn widerstanden seit jenem Wort des Herrn: Ich will dich nicht lassen . . .; und wie viele Schwierigkeiten und Widerwärtigkeiten haben es ihm erst zeigen müssen, was es heisst, einen geöffneten Himmel über sich nicht zu benutzen und dem von Erbarmen und Gnade gegen ihn erfüllten Gott lauter Bedingungen zu stellen! Gott hat ihm widerstehen müssen und legt ihn endlich lahm und bricht ihm die eigene Kraft, so dass Jakob als ein Überwundener zu Seinen Füssen sinkt und nur noch Tränen und Flehen hat zu seinem Gott.
So macht’s Gott auch mit uns; wenn wir die Gnade Gottes nicht achten und annehmen, dann führt Er uns so schwer unten durch, dass wir zusammenbrechen und Er doch den Sieg bekommt über uns und uns an den Boden bringt, dahin, wo Er uns allein segnen kann mit der Fülle Seiner Gnade. Er ändert sich nicht und schliesst auch nicht den geöffneten Himmel wieder zu, aber Er lässt uns die Folgen unsrer Verkehrtheiten kosten, und wenn wir unvergänglichen Samen in uns haben, kommt die Stunde des Zusammenbruchs. Wem es wirklich darum zu tun ist, um jeden Preis ein Gesegneter des Herrn zu sein, dem geht es wie Jakob, welcher sagte: „Herr, ich lasse Dich nicht!“ Wenn deine Hände nicht mehr halten können, dann kommt die heilige Stunde, wo der Herr sagt: „Liebes Kind, du hältst Mich nicht, aber Ich halte dich!“ Jakob wollte den Segen krampfhaft festhalten. Es ging aber nicht; er musste erst zusammenbrechen. Und doch, liebe Freunde, ist das krampfhafte Festhalten noch besser als das gedankenlose Weitergehen. „Ich lasse Dich nicht, Du segnest mich denn,“ das ist ein heiliger Wendepunkt im Leben, wo man nicht mehr sagt: Ich halte Ihn, sondern: Er hält mich.
Und da beginnt die Ruhe des Glaubens, wo man bekennt: Der Herr ist mir zu mächtig geworden, und wo das ganze Wesen des Menschen von Gott erfasst und ergriffen worden ist. So geht es in das Licht der aufgehenden Sonne hinein nach dem göttlichen Willen. Lasst uns treu sein und unter dem Eindruck der göttlichen Begegnung bleiben, solange sie da ist, sonst kommt sie nicht wieder.