Vergib auch uns unsere Schulden wie wir unseren Schuldiger» vergeben. Die unbestreitbar richtige Lesart heißt: „vergeben haben". Es ist nur ein ganz kleiner Unterschied im Griechischen. „Gib uns unser täglich Brot" und: „Vergib uns unsere Schulden" — beides gehört zusammen. Was würde uns die äußere Hilfe nützen — was hülfe uns die Garantie unseres täglichen Brotes, wenn wir dabei die furchtbare Last unvergebener Sünde mit uns durchs Leben schleppen und schließlich vor dem Throne Gottes damit anlangen müßten? Gib uns unser Brot und vergib unsere Schuld. Dabei ist nicht zunächst an Übertretungen gedacht. Was würde aus uns, wenn Gott unsere Übertretungen, unsere vergangenen Sünden nicht bei unserer Bekehrung vergeben hätte? Wenn es aber hier heißt „unsere Schulden", so geht das viel weiter als Übertretungen. Ich kann meinem Gott gehorchen, es kann mir nichts bewußt sein. „Ich bin mir nichts bewußt, aber darum bin ich nicht gerechtfertigt; Gott ist es aber, der mich richtet", sagt der Apostel Paulus. Was wir Gott schuldig sind, das geht tiefer als das Gebiet der Übertretungen. Wohl uns, wenn wir uns keine Übertretungen mehr zuschulden kommen lassen. „Wer aus Gott geboren ist, der sündigt nicht; denn sein Same bleibet bei ihm und kann nicht sündigen, denn er ist aus Gott geboren." Es ist ihm eine Unmöglichkeit zu sündigen in dem Sinne, das Gebot wissentlich zu übertreten, aber dann geht es von Reinigung zu Reinigung, und wieviel wir zurückgeblieben sind hinter dem, was Gott von uns erwarten konnte — auch dem Nächsten gegenüber —, das geht uns erst allmählich auf. Gib uns und vergib uns — da steht aber eben dabei: „wie wir unseren Schuldiger» vergeben haben". Das erinnert uns an die Geschichte vom Schalksknecht, der, nachdem ihm Barmherzigkeit widerfahren war, so unbarmherzig mit seinem Nächsten umging, i. Joh 5,18 heißt es: „Wir wissen, daß jeder, der aus Gott geboren ist, nicht sündigt, sondern der aus Gott Geborene bewahrt sich, und der Böse tastet ihn nicht an. Wir wissen, daß wir aus Gott sind, und die ganze Welt liegt im Bösen, im Argen." „Vergib uns unsere Schuld." Solange unsere Schulden nicht vergeben sind, hat der Arge ein Recht an uns, und er hat auch ein Recht an uns, solange wir anderen ihre Schuld nachtragen. Da kann er uns antasten. Wo wir in der Liebe wandeln, andere in Geduld tragen, ihnen freundlich begegnen, ihnen ihre Schuld nicht nachtragen, da kann uns auch der Arge nichts anhaben. „Wer seinen Bruder liebt, in dem ist kein Ärgernis." Da ist nichts, was ihn zu Fall bringen könnte. Er steht auf einem Boden, wo der Arge keinen Zugang hat, und erst, wenn du gegen deinen Bruder irgend etwas haft oder aufkommen lässest, gewinnt der Arge Raum. Er ist der Hasser, der Mörder von Anfang an. Wo jemand liebt, steht er außerhalb des Bereichs der Finsternis. Liebe und Licht gehen zusammen. Wer im Reiche der Liebe steht, steht in Gott, denn Gott ist die Liebe, und da hat der Feind keine Macht.
„Führe uns nicht in Versuchung." Das Wort Versuchung hat also die doppelte Bedeutung versucht werden zum Bösen —, das tut Gott niemals, aber er erprobt uns. Er führt uns nicht in Lagen hinein, wo wir nicht durchkommen. Wie auch eine Lage sein mag, in die wir jetzt oder späterhin kommen, so dürfen wir uns doch unbedingt darauf verlassen, daß es ein Durchkommen gibt — nicht ein Zurückkommen. Er nimmt jeden Morgen seine Kinder beiseite und gibt ihnen Ausrüstung für den Tag. Wir wissen nicht, was im neuen Jahre uns begegnet. Die Macht der Finsternis nimmt überhand. Je tiefer wir ins Reich der Liebe hineinkommen, desto näher kommen wir zu Gott, und desto ferner stehen wir aller Hetzerei des Feindes. Und dann schließt das Vaterunser mit diesem Lobgesang, mit diesem Liede der Anbetung. „Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen." In der dreimaligen Versuchung, mit der der Feind an den Sohn Gottes heranzutreten wagte, hat er zu ihm gesagt' „Alle diese Herrlichkeit ist mein, und ich gebe sie dir, wenn du niederfällst und mich anbetest." Der Vater im Himmel hat nicht dem Feinde, sondern seinem Sohne die Reiche der Welt beschieden. Nehmen wir nie etwas an aus des Feindes Hand — alles, was uns wahrhaft gut ist, bekommen wir aus der Hand unseres Vaters im Himmel. Das hat er uns zugedacht und wird es uns auch geben zu seiner Zeit. „Er erspart kein Gutes denen, die ihn lieben." Da brauchen wir uns keine Offerten vom Feinde machen zu lasten. Er wird uns nicht antasten lassen, aber allerdings gilt es dann, auch nicht das Gebiet des Feindes zu betreten. Augenluft, Fleischeslust und hoffärtiges Wesen ist das Gebiet der Welt und stammt aus dem Reiche der Finsternis. Dein ist das Reich und alle Herrschaft — ich danke ab — ich räche mich nicht selbst—ich will nicht über andere herrschen, sondern nur dienen. Zu herrschen ist deine Sache — dein ist das Reich. Ich will keine Kraft suchen — weder in meinem Arm noch in meiner Ausrüstung. Ich will keine eigene Kraft haben. „Die durch das Tränental gehen, gehen von Kraft zu Kraft" — die Gott loben und ihm dienen, erneuern fortwährend ihre Kraft. Ich will keine Herrlichkeit hier unten; ich will in der Demut bleiben, will keine Rolle spielen oder irgend etwas vorstellen hienieden. Die Herrlichkeit ist Lein, und du reisst jetzt in deinen Kindern verborgene Herrlichkeit aus, ein mit Christo in Gott verborgenes Leben. Das ist die größte Herrlichkeit, die es gibt. „Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, und was in keines Menschen Sinn gekommen ist, das hat Gott bereitet denen, die ihn lieb haben." Herrlichkeit — keine Fürstenkronen, kein Kaiserreich. Das ist alles Erbärmlichkeit. Was sind die Reiche dieser Welt gegen die Herrlichkeit des Gottessohnes! So wollen wir denn Gott danken, daß er uns verborgene Herrlichkeit geoffenbart hat, daß er unserem blöden Auge, das hier unten Befriedigung suchte und Herrlichkeit sehen wollte, eine andere Herrlichkeit aufgeschlossen hat, die nicht von dieser Welt ist, und daß er uns durch sein Wort immer tiefer in diese Herrlichkeit einführt. Wir wollen ihm danken, daß uns der Fürst der Finsternis nicht mehr antasten darf. Wir wollen in der Liebe und im Lichte bleiben, und damit als Lichter brennen in dieser dunklen Welt zur Ehre Gottes, des Vaters.