Da fing Jesus an, die Städte zu schelten, in welchen am meisten Seiner Taten geschehen waren, und hatten sich doch nicht gebessert. Zu der Zeit antwortete Jesus und sprach: Ich preise Dich, Vater und Herr Himmels und der Erde, dass Du solches den Weisen und Klugen verborgen hast und hast es den Unmündigen offenbart.
Die Verse, die wir eben gelesen haben, lassen uns tief hineinblicken in die Nöte des Dienstes, den unser Herr und Heiland nach dem Willen des Vaters in Seinem Erdenleben getan hat. Er hatte in Chorazin, Bethsaida, Kapernaum sich ausgegeben, Er hatte sich sozusagen erschöpft diesen Städten gegenüber. Er hatte sie von allen Seiten zu fassen gesucht - und nichts hatte sich in ihnen geändert. Je grösser der Einsatz, desto drückender das Bewusstsein des Misserfolgs. - Alles vergeblich - nun hatte Er nichts mehr zu bieten! Wir stehen hier vor einer der ernstesten Stunden im Leben Jesu. Dunkelheit, schwere, undurchdringliche Rätsel belasteten Seinen Geist und drückten Sein Gemüt danieder.
Der Acker, den Er bearbeitet hatte, brachte Ihm keine Frucht. Statt dessen aber trug er Dornen und Disteln. Das war ja der Fluch, der beim Sündenfall über den Erdboden ausgesprochen war. „Dornen und Disteln soll er dir tragen.“ Unser Herr selbst musste, um zu Gott zurückbringen zu können, was Ihm durch die Sünde entfremdet worden war, den über den Erdboden ausgesprochenen Fluch wie kein andrer auskosten, sonst hätte Er diesen Fluch nicht aufheben können. Er hat sich unter die Mühsal eines um der Sünde des Menschen willen verfluchten Lebensackers gestellt, und Er hat während Seines Erdenlebens die schmerzliche Erfahrung gemacht, dass Ihn niemand, nicht einmal die eigene Mutter, verstand, und dass Seine eigenen Jünger Ihn den Weg nicht gehen lassen wollten, den der Vater Ihn gehen hiess. Wo Er Seine grössten, herrlichsten Taten getan, erntete Er nichts als Undank und Verhärtung. Da gedenkt Er des Gerichts, das einst über Sodom und Gomorra hereingebrochen war, und die Verantwortung, die die Städte auf sich luden, welche jetzt das Zeugnis des Gottes- und Menschensohnes gehört hatten, stand mit erdrückender Gewalt vor Ihm. Das sind tief ins Fleisch dringende Dornen, das sind Leiden des Geistes, die wie ein Todeshauch gespürt werden. Die Welt ist der Acker, und die Menschheit im allgemeinen, die Städte, Dörfer, die der Herr gesandt war zu bebauen, schienen nur Dornen und Disteln zu tragen.
Wie nun aber kommt Jesus durch diese dunklen Stunden hindurch? Durch diese Stunden, wo Ihm die Hölle ins Ohr brüllt: „Umsonst! Vergebens! Lass ab von Deiner Liebesmühe um die Menschen! Du siehst, sie wollen noch nicht, sie werden ganz gut ohne Dich fertig! Du vermagst nicht, sie aus den tief gegrabenen Lebensgleisen herauszubringen. Du vermagst mit allen Deinen Wundern nicht, ein Neues bei ihnen werden zu lassen!“ - Wenn alles dazu angetan ist, Ihn zu entmutigen oder gar zu ärgern, wenn Er vor Erfahrungen steht, auf die Er nicht vorbereitet gewesen war, so zieht Er sich zu Seinem Vater zurück und beugt sich unter Seinen Vater, betet den Gott an, mit dem allein Er es auch in den schmerzlichsten Erfahrungen zu tun hat. Er betet an, gibt Gott die Ehre und stillt Sein Herz im verborgenen Ratschluss Gottes: Zu der Zeit antwortete Jesus und sprach: „Ich preise Dich, Vater und Herr Himmels und der Erde, dass Du solches den Weisen und Klugen verborgen hast und hast es den Unmündigen offenbart. Ja, Vater, denn also ist es wohlgefällig gewesen vor Dir. Alle Dinge sind Mir übergeben von Meinem Vater. Und niemand kennt den Sohn denn nur der Vater; und niemand kennt den Vater denn nur der Sohn und wem es der Sohn will offenbaren“ (Mt 11,25-27).