Otto Stockmayer
Schriften von Otto Stockmayer
2Mo 15,22-28 Mt 5,21-26 1Kor 11,27 Jak 5,13-16 - „Ich bin der Herr, dein Arzt"2Mo 15,22-28 Mt 5,21-26 1Kor 11,27 Jak 5,13-16 - „Ich bin der Herr, dein Arzt"
Krankheit kann auch eine Art Gefängnis werden. In Matthäus 5,21-26 ist mir bedeutungsvoll, daß es da heißt: „Wenn du eingedenk wirst, daß dein Bruder etwas wider dich hat" — nicht, daß du etwas gegen deinen Bruder oder deine Schwester hast —, so laß es nicht einfach liegen, sondern „geh hin und versöhne dich.... und alsdann komm und opfere deine Gabe." Da sagt man so leicht hin: „Ich habe nichts gegen den Bruder oder gegen die Schwester." Davon ist hier auch nicht die Rede, sondern es heißt ausdrücklich: „Wenn du eingedenk wirst, daß dein Bruder etwas wider dich habe....", dann suche d u ihn auf, sage ihm, warum du die bisherige Stellung ihm gegenüber eingenommen hast, bitte ihn um Verzeihung und tu unter der Leitung des heiligen Geistes, was du tun kannst und tun mußt, um das richtige Verhältnis wieder herzustellen, wo es durch deine Schuld getrübt worden ist. In der Stelle 1. Korinther ii ist dem ganzen Zusammenhang nach von frühzeitigem Tode die Rede. Da das Schlafen mit der Krankheit zusammenhängt: „Darum sind auch so viele Kranke unter euch, und ein gut Teil schlafen", können letztere Worte kaum etwas anderes bedeuten als frühzeitigen Tod. Vers 32: „Wenn wir aber gerichtet werden, so werden wir von dem Herrn gezüchtigt, auf daß wir nicht samt der Welt verdammt werden." Richten und hinrichten. Wer sich richten läßt, wird nicht verdammt, hingerichtet, geht nicht mit der Welt zugrunde. Vers 33: „Wartet auf einander." Das ist nun auch ein Wort, in dem viel liegt. Es bezieht sich nicht nur auf das „auf einander Warten beim gemeinsamen Mahle" — beim heiligen Abendmahle —, sondern wir sollen auf einander warten, einander nicht drängen, gerade auf diesem Gebiete. Lasten wir uns selbst richten, aber verlangen wir nicht, daß der Bruder oder die Schwester vom Herrn gerichtet werden über Dinge, die uns persönlich zur Sünde geworden sind, die es aber dem Betreffenden noch nicht geworden sind! Auch da wollen wir auf einander warten und einander nicht drängen oder gar reizen mit unseren Bemerkungen. Der Herr hat seine Stunde und seine Art und Weise, wie er den einzelnen begegnet und nahe tritt. Manche müssen, wie hier in unserer Korintherstelle, zuerst durch äußeres Gericht gehen — sei es durch Krankheit oder durch einen Todesfall in der Familie oder dergl. —, ehe sie aufwachen. Der Herr hat Geduld, und wir warten auf einander in Liebe und Fürbitte.
Und dann Jakobus 5 von Vers 13 an: „Leidet jemand unter euch, der bete —, ist jemand gutes Mutes, der singe Psalmen. Ist jemand krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde und lasse sie über sich beten und salben mit Öl im Namen des Herrn. Und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen, und der Herr wird ihn aufrichten; und so er hat Sünden getan, so werden sie ihm vergeben werden. Bekenne einer dem andern seine Sünden und betet für einander, daß ihr gesund werdet. Das Gebet des Gerechten vermag viel, wenn es aufrichtig ist." Da kann es ja nun leicht geschehen und geschieht oft, daß in einer Gemeinde keine Ältesten sind, die das im Glauben tun könnten, — und was nicht aus dem Glauben geht, das ist Sünde — oder hat doch wenigstens keinen Wert vor Gott. Was dann? „Das Gebet eines Gerechten vermag viel, wenn es ernstlich ist." Und wenn die Gemeinde nicht auf der Höhe steht, daß sie durch ihre Ältesten den Kranken Handreichung tun könnte, so kann man es dem Kranken nicht übel nehmen, wenn er irgendwohin geht, wo er weiß, daß der Herr schon Kräfte der Heilung gegeben hat. Ich war auch einmal krank, war in Männedorf und in Cannstatt, bis ich schließlich an einem anderen Orte geheilt wurde. Es kommt bei der Heilung eben wesentlich darauf an, daß wir tiefer in die Heiligung eindringen. Wollen wir, daß unser Leib geheilt werde, so müssen wir ihn dem Herrn heiligen und müssen unsere Augen öffnen für die Herrlichkeit eines Lebens, wo man sich nicht mehr um sich selbst dreht, und anstatt bei allen Kleinigkeiten stehen zu bleiben und sich durch alles Mögliche de» Horizont trüben zu lassen, beim Herrn bleibt und sich ihm anvertraut. Werden wir zuerst selbst fest in der Gnade und lassen wir uns dann helfen da oder dort, wie uns der Herr führt und leitet! Da kann man keine Regeln auffstellen. Finden wir aber jemand, dem wir unsere Sünden bekennen können, und von dem wir wissen, er verwaltet das ihm Anvertraute in der richtigen Weise, so kann das für unsere ganze Existenz von durchschlagendem Segen sein. Und wenn wir finden, daß unsere Gemeinde nicht auf der rechten Höhe steht, so klagen wir nicht andere an, sondern beugen uns selbst, wo wir eö haben fehlen lassen an brüderlichem Sinn —, wo wir vielleicht so aufgegangen sind in der eigenen Not, daß wir kein Herz gehabt haben für andere. Wenn jemand eine schwere äußere Last trägt, darf man ihm nicht noch mehr aufladen. In geistlicher Beziehung — im Leiden — ist es umgekehrt. Da kann man für das Tragen einer Last oft neue Ausrüstung bekommen, indem man noch eine andere Last hinzunimmt, weil durch priesterliches Eintreten die eigene Last in den Hintergrund tritt. Besonders heutzutage ist es nicht mehr erlaubt, bei den persönlichen drückenden Erfahrungen stehen zu bleiben, solange wir noch freie Bewegung haben, anstatt jeden Augenblick Sturmsignale oder Kanonendonner hören zu müssen, der einem auf die Nerven geht und den Organismus ruiniert. An das Wort: „Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist," schließt sich Vers 19 und 20 an: „Lieben Brüder, wenn jemand unter euch von der Wahrheit abirrt" — das bezieht sich nicht mehr bloß auf Kranke — „und eS bekehrt ihn jemand" — hilft ihm zurecht —, „der soll wissen, daß er eine Seele vom Verderben erlöst hat und bedecket eine Menge Sünden."
Und nun nur noch einen Punkt für heute, nämlich: wie wichtig es in dieser Frage ist, daß man unterscheiden lernt zwischen menschlicher und göttlicher Energie, Tatkraft. Es gibt energische und phlegmatische Menschen, aber im letzten Grunde kommt es nicht auf den natürlichen Charakter eines Menschen an. Bei den Energischen muß der Herr zuerst der eigenen, natürlichen Energie widerstehen, sie stille machen und überzeugen, daß man nicht immer durchkommt, wenn man auch noch so viel Willenskraft und einen noch so festen Charakter hat. Es muß da eine Stunde kommen, wo einem der Herr die Kraft verrenkt, wie er dem Iakob die Hüfte verrenkt hat, und wo man — in sich selbst gebrochen — das Geheimnis göttlicher Energie lernt — das heißt — das Ausharren im sich Werfen auf den Herrn mit allem, was einen bedrücken will. „Werfet eure Sorgen auf den Herrn ...." Solches Werfen muß man lernen und üben, — das gilt auch in bezug auf Nerven- und Schwächezustände. Der Herr ist nun einmal der Helfer für den Leib, und es ist ein Mangel in der Gemeinde, daß das in den Hintergrund getreten ist. Nur nicht meinen, der Herr müsse die Krankheit möglichst schnell fortnehmen! Wir müssen uns zuerst Rechenschaft geben, was in unserem äußeren oder inneren Leben ist, was der Herr mit der Krankheit in Angriff nehmen möchte, — wo er ein Neues schaffen will. Das geht nicht über Nacht. „Harre, meine Seele, harre des Herrn...!" Durch Harren wird man stark, und durch Harren unsrerseits gewinnt der Herr Raum. Er muß seine ganze Gemeinde in die Hand bekommen in dieser Zeit wie noch nie, damit sie wirklich reife für den Tag der Entrückung. Jetzt, wo alles wankt, muß die Gemeinde in den Felsenboden der Gnade und Wahrheit, des Wortes Gottes, tiefer eingesenkt werden, und muß der Herr alle Quellen unseres inneren und alle Fäden unseres äußeren Lebens in seine zurecht- und fruchtbringende Hand bekommen.
Noch ein Wort über den Brudermord. Das in Matthäus 5 Vers 22 in der Elberfelder Übersetzung nach Handschriften hinzusetzte „ohne Grund" ist gegenstandslos — es hat offenbar dadurch seinen Weg hineingefunden, weil die Menschen im allgemeinen denken, wenn man Grund zum Hasse habe, so dürfe man Haffen — und gerade dort steckt der Jammer. Die Schrift sagt einfach: „Wer seinem Bruder zürnt . . ." „Ja, billig zürne ich bis in den Tod", hat Jonas gesagt. Da zürnt der Mensch und meint noch obendrein, er habe alles Recht dazu. Wenn du gegen Gott oder auch nur gegen einen Menschen, sei es nun Freund oder Feind, zürnest, so haft du niemals Recht. In Abel und Kain scheiden sich zwei Linien. Ersterer wollte Gott gefallen — und doch kann nun einmal niemand Gott gefallen ohne Glauben. „Durch den Glauben", heißt es, „hat Abel Gott gefallen" — durch den Glauben hat er Gott ein besseres Opfer dargebracht als Kain. Der eine sucht Gott zu gefallen, der andre sich selbst, daher sucht er es so einzurichten, daß niemand ihn irgendwie in den Hintergrund stellt, daß ja kein Schatten auf ihn fällt, daher will er niemand neben sich dulden, der ihm nicht paßt. Er schafft alles Schwierige eigenmächtig aus dem Wege — und sogar diesen oder jenen Mitmenschen, wenn es nicht anders geht. Kann man es machen, so geht man in ein andres Geschäft, sucht sich eine andre Herrschaft, begibt sich vielleicht gar in ein andres Land, wo man es leichter zu bekommen hofft, und gelingt es einem auf diese Weise nicht, so probiert man, ob man sich den andern nicht vom Halse schaffen kann. Wer andre Brüder und Schwestern gern aus dem Wege schaffen möchte, der sucht sein eigenes Leben, sucht sich Verhältnisse, wo er möglichst wenig zu tragen hat, und möglichst wenig von andern belästigt wird, wo ihm nichts in die Quere kommt. Das sind die Leute, die ihr eigenes Leben suchen auf dieser Welt, weil sie keine Ewigkeitshoffnung haben und nicht merken, daß sie sich selbst am meisten Abbruch tun, indem sie andre fortschaffen. Abel war dem Kain zur Seite gestellt, damit dieser durch ihn zurecht komme — damit aber, daß man es dem Abel nachmacht, und wenn der Abel opfert, auch opfert, ist nichts gewonnen. Ist dann Gott nicht zufrieden mit dem Opfer, so trotzt man und versündigt sich. Sein Leben will man nicht hergeben, meint aber dennoch, Gott müsse sich an dem, was man ihm geboten hat, genügen lassen und gar noch sein Wohlgefallen äußern. Ob du aus Abels oder aus Kains Samen bist, kannst du daran merken, ob du alles, was deinen Willen durchkreuzt oder dir in die Quere kommt, aus Gottes Hand nimmst. „Denen, die Gott lieben, muß alles zum Guten mitwirken . . ." Bist du ein Ewigkeitskind, so ist es dir vor allem darum zu tun, daß du für die Herrlichkeit reifest, und das tust du eben dadurch, daß du die Dinge aus deines Gottes Hand nimmst und dir bewußt bleibst, daß nichts zufällig in deinen Weg hereingeschneit kommt. Alles wirkt in Gottes gnädiger Hand zusammen zu deiner Erziehung, und wenn du dir da nicht alles gefallen lässest, tust du dir selbst Abbruch, bist ein Selbstmörder. Du brauchst deinen Bruder und deine Schwester, du brauchst gerade deren Art und Charakter, damit dadurch deine Kanten und Spitzen abgebrochen, damit du dadurch poliert und abgerundet werdest. Gott stellt dich immer mit solchen zusammen, durch die dir zum Bewußtsein kommen kann, was deinem Herrn an dir noch nicht gefällt, was in dir noch nicht dem Bilde Christi ähnlich ist, damit du dich davon lösen lasten könntest. Gott arbeitet an dir, bis du ganz seinem Ideal entsprichst und der Geist in dir ausgestaltet habe, was er sich mit dir vorgenommen hat. Gott hat sich mit dir und mit mir ein wunderbares Ziel gesteckt, und da hat er uns nicht nur so ins Leben hineingeworfen, sondern hat uns in seiner Güte und Weisheit mit solchen Charakteren zusammengestellt, durch die er sein Ziel am besten mit uns erreichen kann, und da erscheint zu der von ihm bestimmten Zeit hier eine Gestalt und dort eine Gestalt, hier eine Erfahrung und dort eine Erfahrung, um uns allem, was ungöttlich in uns ist und dem Bilde Christi nicht entspricht, auf die Spur zu verhelfen. Wir haben das ja erwählt, wir wollen ja in Christi Bild umgestaltet werden, und da dürfen wir auch nicht die Kosten scheuen, sondern müßen in jedem Familiengliede, Nachbarn, Geschäftsverbündeten usw. einen Mitarbeiter Gottes sehen, und da gilt es gerade da überwinden, wo andre noch verkehrt stehen und uns durch die von ihnen noch nicht überwundenen Dinge Schmerz bereiten. Durch jede Unart und Eigenart unsrer Mitmenschen wird ein Stück Eigenart oder Unart in unserm Charakter und Wesen in Angriff genommen. Schlägst du aber auf deinen Nächsten los und fuchst ihn dir vom Halse zu schaffen, dann lehnst du dich gegen Gott auf, und es ist eine Lüge, wenn du sagst, du wollest ins Bild Christi umgeftaltet werden, und es diene dir alles zum Besten. Du weißt, daß dein Gott nie über das rechte Maß hinausgeht, dich aber auch nie auf deinen Hefen liegen läßt, wo du dir einbildeft, du seift ein Heiliger, und dich doch ärgerst, wenn dir ein Bruder oder eine Schwester irgendwie in die Quere kommt. Also noch einmal: Jeder, der sein eigenes Leben sucht, ist ein Selbstmörder. Kain hat seinen Bruder totgeschlagen, weil es ihn ärgerte, daß Gott Wohlgefallen an ihm hatte. Du möchtest deinen Bruder aus dem Wege haben, weil es dir nicht in erster Linie um Gottes Wohlgefallen, sondern um ein leichtes Leben zu tun ist. Merkt euch darum diese beiden Linien, liebe Freunde! Wie viel hat ein Maler an einem Gemälde zu retuschieren, bis es fertig ist, und Gottes Auge sieht viel klarer als das des durchgebildetsten Künstlers. So lange er etwas an uns zu retuschieren findet, läßt er nicht nach mit der Arbeit, und sind wir göttlicher Natur, so widerstreben wir nicht, wenn er uns heute durch unsern Bruder Abel, morgen durch irgend einen andern auf die Spur hilft, wo irgend etwas noch nicht stimmt. Anstatt uns zu ärgern, freuen wir uns dann lieber des Wohlgefallens, mit dem er den Abel ansteht, dann merken wir, was ihm an andern wohlgefällt und was ihm an uns mißfällt. Wir erkennen dann, daß es nicht Parteilichkeit seitens unsers Gottes ist, wenn er dann und wann anders mit uns handelt als mit unserm Bruder; wir beugen uns und lasten es uns dazu dienen, aus unsrer Art herauszukommen. Sind wir aufrichtig, so kann uns der Geist Gottes dann sagen: „So rein und keusch wie dieser oder jener bist du nicht", und dann lasten wir uns Gottes Wohlgefallen an Abel nicht zum Ärgernis, sondern zur eigenen Zurechtstellung dienen — wir lernen dann daran unsern Gott näher kennen. Wer glaubt, hat sein Leben nicht lieb bis in den Tod. Im Grunde ist es ja ganz unbegreiflich, wie ein Menschenkind es wagen kann, sich darüber zu ärgern, wenn Gott diesem oder jenem sein Wohlgefallen zeigt und ihm nicht. Tust du recht, so ruht Gottes Wohlgefallen auf dir, und ruht es einmal nicht auf dir, so kannst du versichert sein, daß etwas nicht in Ordnung bei dir ist — dann schlage nicht auf deinen Bruder los, sondern stecke den Mund in den Staub und begrüße fortan alle diezenigen, die dich verletzt haben als Handlanger, welche dir aufdecken sollen, was Gott in deinem Charakter oder Dienst nicht wohlgefällt. Du beugst dich alsdann und fragst deinen Herrn, ob er nicht auch aus dir noch einen Abel machen kann, du dankst ihm dafür, daß er dich durch Abels Opfer gestraft hat und opferst dich selbst auf dem Altar. So wirst du dann umgestaltet von Klarheit zu Klarheit durch den Dienst deiner Geschwister. Überall, wo du etwas siehst, was du brauchen kannst, dankst du Gott, daß er dir den Bruder, die Schwester auf den Weg gestellt hat. Das ist Gottesfurcht, das andre ist Fleisch, durch besten Pflege man sein Leben verliert.