Schriften von Otto Stockmayer
Mt 15,1-31 - Menschensatzungen verworfen. Das kananäische Weib erprobt und erhört.Mt 15,1-31 - Menschensatzungen verworfen. Das kananäische Weib erprobt und erhört.
Bon Jerusalem, der Hauptstadt, kommt eine Deputation von Schriftgelehrten und Pharisäern, um mit dem Herrn zu rechten, ihn zur Rede zu stellen. Vers 2 fragen sie: „Warum übertreten deine Jünger der Ältesten Aufsätze? Sie waschen ihre Hände nicht, wenn sie Brot essen." Sie waren so gewöhnt, sich an die Satzungen zu halten, daß sie sich gar nicht mehr Rechenschaft gaben, ob die betreffenden Satzungen auch wirklich von Gott geboten waren. „Sie waschen ihre Hände nicht, wenn sie Brot essen", als ob man keine Mahlzeit zu sich nehmen dürfe, ohne sich vorher die Hände zu waschen. Sich aus Reinlichkeitsgründen die Hände waschen, ehe man zu Tische geht, ist recht und gut, aber es soll das nicht zu einer religiösen Übung und Vorschrift gemacht werden, nicht zu einem religiösen Ritus. Vers 4.: „Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Warum übertretet denn ihr Gottes Gebot um eurer Aufsätze willen?" Und dann führt er sie auf etwas viel Ernsteres als das Händewaschen. „Gott hat geboten", sagt er Vers 4 — „du sollst Vater und Mutter ehren, und wer Vater oder Mutter flucht, der soll des Todes sterben. Ihr aber sagt: Wer zum Vater und zur Mutter spricht: Ich habe Gott gegeben, das dir sollte von mir zunutz kommen, der tut wohl." So wird durch diesen Pharisäismus alles verkehrt. Der Gottesdienst wird ein äußerlicher und die Familienpflichten werden vernachlässigt um eines sogenannten Gottesdienstes willen, den Gott gar nicht geboten hat, der ihm keine Ehre einbringt und ihm keine Freude macht. Da werden nach Vers 6 Gottes Gebote aufgehoben und Menschensatzungen treten an die Stelle. Vers 7: „Ihr Heuchler . . ." Man wundert sich immer wieder über diese offene scharfe Rede aus dem Munde dessen, der der Sanftmütige und von Herzen Demütige war. Eines schließt aber das andere nicht aus. Eine Sanftmut und eine Demut, wo man nicht mehr den Mut hat, anderen entgegenzutreten, ist nicht nach Gottes Sinn, und es gilt, sich ausrüsten lasten mit Kraft aus der Höhe, wo Gott uns einen Dienst anvertraut hat an einem Bruder oder an einer Schwester. Es ist nicht an uns, an anderen herumzumachen nach eigenem Gutdünken, aber wo Gott uns einen Auftrag gibt, dürfen wir nicht schweigen aus vermeintlicher Sanftmut oder Demut. Mit Menschensatzungen ist dem Herrn nicht gedient — im Gegenteil. Nun ruft Jesus das Volk zu sich und sagt: „Höret zu und vernehmt's! Was zum Munde eingeht, das verunreinigt den Menschen nicht, sondern was zum Munde ausgeht, das verunreinigt den Menschen." „Da traten seine Jünger zu ihm und sprachen: Weißt du auch, daß sich die Pharisäer ärgerten, da sie das Wort hörten? Aber er antwortete und sprach: Alle Pflanzen, die mein himmlischer Vater nicht pflanzte, die werden ausgerottet. Lasset sie fahren! sie find blinde Blindenleiter. Wenn aber ein Blinder den anderen leitet, so fallen sie beide in die Grube." Es war mit diesen Leuten nichts mehr anzufangen. So lange der Herr noch retten kann, so lange sein Wort noch Gehör findet, gibt er niemand preis; wenn aber jemand sich in eigene Wege verstrickt und sich dann noch anmaßt, andere leiten zu wollen, so ist ihm nicht mehr zu helfen. Er fällt dann unter das Wort des Herrn Jesu: Blinde Blindenleiter. Vers 15: „Da antwortete Petrus und sprach zu ihm: Deute uns dieses Gleichnis. Und Jesus sprach zu ihnen: Seid ihr denn auch noch unverständig? Merket ihr noch nicht . . . Denn aus dem Herzen kommen arge Gedanken" — aus einem Herzen, das nicht mehr unter Gottes Zucht steht. Alles, was nun aufgeführt ist, kommt zunächst aus dem Herzen: böse Gedanken — also nicht nur Worte und Taten. Man muß das Böse an der Wurzel fassen, sonst wird man niemals Herr darüber. Der Herr reinigt auch unsere Gedanken- und Phantasiewelt bis hinein in die Träume, wenn wir ihm vertrauen und mit allem Befleckenden — Unreinigkeit, Unlauterkeit, fleischlichen Lüften, Hochmut, Geiz u. dergl. — mit allem, womit wir nicht fertig werden, zu ihm kommen. „Das Blut Jesu Christi reinigt uns von aller Sünde." Nur an die Quelle gehen und seine eigenen Quellen reinigen lassen durch ihn! Er ist die Quelle des Lebens und aller Reinheit. Wenn böse Gedanken nicht zeitig überwunden werden, so geht es weiter — so kann es zu Mord . . . kommen, zu Dieberei, wo man anderen die Ehre raubt, die ihnen gebührt, zu falschen Zeugnissen, die die Menschen belasten — und zu Lästerungen, womit man sich gegen Gott versündigt. Vers 20: „Das sind die Stücke, die den Menschen verunreinigen. Aber mit ungewaschenen Handen essen, das verunreinigt den Menschen nicht."
Vers 21—28 kommt nun die bedeutsame Begegnung mit dem kanaanäischen Weibe. Vers 21: „Und Jesus zog von dannen und entwich in die Gegend von Tyrus und Sidon." Warum? Weil sein Vater ihn leitete, und weil in dieser Gegend — außerhalb des heiligen Landes, im Heidenlande — ein Weib war, das nach dem Herrn verlangte — das von ihm und von allem Wunderbaren, was in Judäa vorging, gehört hatte. Dieses Weib kam und schrie und sprach . . . Wenn man in der Not ist, so schreit man. Und was schrie sie? „Jesu, du Sohn Davids, erbarme dich mein! Meine Tochter ist vom Teufel übel geplagt." Sie hatte also von Jesu gehört und an ihn geglaubt. „Meine Tochter ist arg besessen" — das Schrecklichste, was man sich denken kann. „Und der Herr antwortet ihr nicht ein Wort. Er stellt ihren Glauben auf die Probe. „Da traten seine Jünger zu ihm", taten Fürsprache für sie und sagten: „Fertige sie ab, denn sie schreit uns nach." Das war ja kein edles Motiv. Sie wollten sie los werden. Sie waren ihres Schreiens müde. Vers 24: „Er antwortete aber und sprach: Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen vom Hause Israel." Jesus hat sich beschränkt auf den Rahmen, in den sein Vater ihn hineingestellt hatte. „Sie kam aber und fiel vor ihm nieder und sprach: Herr, hilf mir!" Sie hat ihn nicht losgelassen, hat seine Weigerung nicht als letztes Wort genommen. Der Herr bleibt jedoch zunächst dabei. Vers 26: „Aber er antwortete und sprach: „Es ist nicht fein, daß man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hündlein." Damit hat er das Weib zurückgewiesen und auf die Probe gestellt — denn im Grunde war es doch eine Beleidigung, wenn der Herr sie zu den Hündlein zählte. „Sie aber sprach: „Ja, Herr," ich bin ein Hündlein — ich bin nicht mehr und will auch gar nicht mehr sein, „aber doch als Hündlein mache ich Anspruch auf dich." „Demütigt euch unter die gewaltige Hand Gottes, so wird er euch erhöhen zu seiner Zeit." „Gott widersteht den Hoffärtigen, aber den Demütigen gibt er Gnade." Den Demütigen, und denen, die sich demütigen wollen, kommt Gott zu Hilfe und gibt ihnen Gnade. „Ja, Herr, ich bin ganz einverstanden — ich will gar nichts mehr als eine Brosame von all dem Reichtum, mit dem du deinem Volke begegnest, und von all dem Großen, das du im Lande tust." Da war der Herr überwunden, und wie es ihn freut, sich überwinden zu lassen durch einen alles überwindenden Glauben, davon können wir uns kaum eine Vorstellung machen. Da kommt er einmal — er, der so viel gelitten hat unter dem Unglauben der großen Städte — und findet endlich ein Weib, deren Glauben er rühmen kann. Sie hat ihn überrascht mit ihrem Glauben, und er sagt zu ihr: „Dir geschehe, wie du willst, und ihre Tochter ward geheilt zu derselbigen Stunde." Vers 29—31: Der Herr hat mehr als eine Bergpredigt gehalten. „Er setzte sich daselbst, und es kam viel Volks, das halte bei sich Lahme, . ." „Und sie warfen ihm dieselben zu Füßen, und er heilte sie, also daß sich das Volk verwunderte, als sie sahen, daß die Stummen redeten . . ." „Sie priesen den Gott Israels." Sie gaben Gott die Ehre, der durch seinen Sohn solche Wunder tat. Ist er nicht heute noch derselbe? Kann er nicht heute noch große Dinge tun, wenn erst das Herz gereinigt ist, und wenn wir erst durch das eine oder andere hindurch, was uns belastet, rein geworden sind? Er ist derselbe gestern und heute und in Ewigkeit. Möge sein Name auch in unserer Zeit verherrlicht werden nah und fern — und wer weiß, wieviel der Herr im Verborgenen tut?