Otto Stockmayer
Schriften von Otto Stockmayer
Inhaltsverzeichnis
Der Gerechte wird des Glaubens leben.
Der Gerechte lebt des Glaubens, solange er in dieser Welt ist. Der Glaube wird in gewissem Sinn freilich schon jetzt zum Schauen, sofern wir die Erfahrung machen dürfen von dem, was wir geglaubt haben; aber jede Erfahrung ist wieder eine Ausrüstung für neue und höhere Glaubensproben, und wir wandeln so von Glauben zu Glauben.
Je mehr wir auf diesem wunderbaren Pfad vorwärts gehen, desto gewisser werden unsre Tritte. Die Gnade Gottes wird eine Macht, die uns trägt und umhüllt. Der Geist Gottes treibt die, die sich ihrem Gott völlig überlassen; sie brauchen sich nicht mehr selbst zu treiben und abzuquälen. Fortwährend auf Christus zu blicken, kostet sie keine Anstrengung mehr; sie können und wissen es nicht mehr anders, sie möchten keinen Schritt mehr tun ohne Ihn. In dem Kindesverhältnis, in dem sie jetzt mit ihrem Gott leben, wird ihnen Vertrauen, ein unbedingtes, unbegrenztes Vertrauen zur zweiten Natur und zu einer bleibenden Herzensstellung. Die Liebe hat Furcht und Zwang ausgetrieben.
Wer das Glaubensleben nicht aus Erfahrung kennt, dem mag es scheinen, als verzichteten wir mit der gänzlichen Übergabe unsres Herzens und Willens an den Herrn auf unsre Eigentümlichkeit, auf die Würde und Stellung, die uns als einer verantwortlichen, sittlichen Persönlichkeit vor Gott und Menschen zukommt; es mag scheinen, als erniedrigten wir uns dadurch zu einer Maschine. In Wahrheit verhält es sich aber umgekehrt. Dadurch, dass wir uns unserm Gott mit unbedingtem Vertrauen überlassen, wird unser sittliches Wesen, werden alle Kräfte unsres Erkennens, Liebens und Wollens erst von dem beengenden und knechtenden Druck erlöst, unter dem die Sünde sie gehalten hatte. Mit dem Eintritt in ein Leben des Glaubens bekommen wir wieder frische Himmelsluft zu atmen, für die wir geschaffen sind und ohne die keine gesunde, unsrer Bestimmung entsprechende Entwicklung möglich ist. Die Gnade, unter deren heilsame, sichere Zucht wir mit dem Glauben uns stellen, ist der heimatliche Boden, auf dem unsre durch die Sünde unterdrückte und entstellte Eigentümlichkeit neu aufblühen und im Rahmen der ihr entsprechenden Lebensaufgabe frei sich entfalten kann.
Erstellt: 18.08.2024 07:03, bearbeitet: 26.08.2024 00:38