Schriften von Otto Stockmayer
Mt 11,1-25 - „Selig ist, der sich nicht an mir ärgert!"Mt 11,1-25 - „Selig ist, der sich nicht an mir ärgert!"
Der Herr hat seine Jünger als Bevollmächtigte ausgesandt und ihnen für den Dienst, den sie zu erfüllen hatten, Befehle, Instruktionen gegeben. Dieser Dienst hatte zwei Hauptteile: Lehren und predigen. Der Zeit nach geht das Predigen voraus, und darnach kommt das Lehren. Die Predigt lautet — kurz zusammengefaßt: „ Tut Buße und glaubet an das Evangelium." Diese Predigt des Evangeliums hat also zum Hauptinhalt und zur Grundlage die Buße, das Sichabwenden von Sünde und von eigenem Leben, das Sich öffnen der Gnade, die Zurückkehr zu Gott, das Sich stellen mit seinem ganzen Tun und Lassen unter die Zucht des heiligen Geistes und des Wortes Gottes. Nur den, der Herz und Ohren öffnet, sich beugt und Buße tut, kann der Heilige Geist lehren. Zuerst Buße und dann Unterricht für diejenigen, die sich unter den Ruf stellen, die aus der Welt heraustreten und sich als Schüler stellen, um ihren Religionsunterricht zu empfangen. Johannes der Täufer hört im Gefängnis von den Werken Christi. Jesu Lehren und Jesu Predigt waren begleitet von gewaltigen Taten, durch die er sich Bahn brechen sollte in der Welt, durch die ihn Gott als seinen Sohn legitimierte — als seinen Gesandten. Und nun wird Johannes selbst irre an seinem Gott. Er kann nicht verstehen, daß er, der dem Meister treu gedient hatte, gebunden bleiben sollte, wenn Jesus doch alle Gefängnisse öffnete, und wenn er sonst überall Licht und Freiheit verkündigte. Da sandte er eine Botschaft an den Meister und ließ ihn fragen: „Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir eines anderen warten?" Wie gesagt, er war irre geworden, und Jesus beantwortete die Frage mit dem Hinweis auf die wunderbaren Dinge, die geschahen — Dinge, wie sie noch nie gesehen worden waren und wie die Leute sie jetzt mit Augen sahen und mit Ohren hörten. „Was ihr sehet und höret." Und worin bestehen diese wunderbaren Dinge? „Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören, Tote stehen auf, und — das Herrlichste — den Armen wird das Evangelium verkündigt." Alles Übrige sind nur Begleiterscheinungen. Damit, daß den Blinden die Augen aufgingen, daß die Lahmen wandelten, war eine neue Weltzeit angebrochen, die sich als solche gerade dadurch auswies, daß der Herr allen Hilfe zuteil werden ließ. Es geht nicht nach dem natürlichen Sinn. „Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert!" Er ist arm, gering, unscheinbar durch die Welt gegangen trotz alles Wunderbaren und Herrlichen, was er getan hat. Er war nicht nach dem Sinn des natürlichen Menschen, und es gilt, sich unter sein Kreuz und seine Predigt zu beugen. „Als aber die Jünger des Johannes aufbrachen, fing Jesus an, zu dem Volke zu reden von Johannes dem Täufer, indem er sie fragte: „Was seid ihr hinausgegangen zu sehen? Wolltet ihr ein Rohr sehen . . .? Oder was seid ihr hinausgegangen zu sehen? Wolltet ihr einen Menschen in weichen Kleidern sehen? Siehe, die da weiche Kleider tragen, die sind in der Könige Häusern." So nimmt Jesus den Johannes in Schutz. Dann aber zeigt er seine Schranken: Nur die neutestamentliche Gnade, die sich auf die Ausgießung des Heiligen Geistes gründet, kann uns schützen und decken gegen solches Ärgernisnehmen. Nur sie kann uns davor bewahren, daß wir Ärgernis nehmen an der Erscheinung des Herrn und an der Art, wie er uns persönlich führt. Von einem Wendepunkt zum andern geht es tiefer hinein ins Ärgernis — das heißt — gegen unseren natürlichen Sinn. Die Buße ist Sinnesänderung, Eintreten in eine neue Welt, und ehe man wirklich Bürger wird in dieser neuen Welt, hat man zuerst Unterricht.
Johannes ist der Bahnbrecher für eine neue Weltzeit — der Bahnbrecher für das Evangelium, auf das die Propheten alten Bundes aus der Ferne hinausgeschaut haben. Johannes aber ist nicht ins Reich Gottes hineingekommen. Vers 11: „Ja, ich sage euch", fährt Jesus fort, „unter allen, die von Weibern geboren sind, ist keiner größer als Johannes der Täufer. Wer aber der Kleinste ist im Himmelreich, ist größer als er." Wie gesagt, er hat dem Reiche Gottes Bahn gekrochen, ist aber nicht hineingekommen. Er hat kein Pfingsten, keine Geistesausgießung erlebt. „Von den Tagen Johannes des Täufers bis jetzt leidet das Himmelreich Gewalt, und die Gewalt tun, reißen es an sich." Das ist eine Durchgangszeit, die jedes mehr oder weniger durchmacht — die Zeit der Buße, wo man noch nicht im Himmelreich drinsteht und dem Himmelreich Gewalt antut, indem man sich losreißt von seiner Vergangenheit und damit das Reich Gottes an sich reißt. Es gilt, sich losreißen von der Vergangenheit, damit sich öffne immer größer und gewaltiger das Neue. „Er ist der Elias . ." Der erste Elias war ein Vorbote, eine Erscheinung, die auf einen zweiten Elias hinauswies, auf den, der dem Herrn Jesus unmittelbar vorangehen sollte. „Wer Ohren hat, zu hören, der höre. — Wem aber soll ich dieses Geschlecht vergleichen? Es ist den Kindlein gleich, die an dem Markte sitzen und rufen gegen ihre Gesellen und sprechen: Wir haben euch gepfiffen, und ihr wolltet nicht tanzen; wir haben euch geklagt, und ihr wolltet nicht weinen. Johannes ist gekommen, aß und trank nicht, so sagen sie: Er hat den Teufel. Des Menschen Sohn ist gekommen, isset und trinket, so sagen sie: Siehe, wie ist der Mensch ein Fresser und ein Weinsäufer, der Zöllner und der Sünder Geselle! Und die Weisheit muß sich rechtfertigen lassen von ihren Kindern." Das ist der natürliche Verstand und das natürliche Urteil, was sich im ersten Teile dieser Worte kundgibt — die göttliche Weisheit wird gerechtfertigt von ihren Kindern. Wer ist ein Kind der Weisheit? Wer sich losreißt vom eigenen Urteil, wer sich selbst beugt, sich demütigt und sich gefangen gibt unter den Gehorsam Christi. Dieser wird ein Kind der Weisheit — ein Kind Gottes, ein Jünger Jesu, ein Kind dessen, der uns von Gott zur Weisheit gemacht ist. Er geht bei der göttlichen Weisheit in die Schule und gibt seine eigene Weisheit gefangen unter den Gehorsam des Kreuzes und unter die Zucht des Heiligen Geistes. Es ist eine ganz neue Welt, die sich ihm eröffnet. Vers 20: „Da fing er an, die Städte zu schelten, in welchen am meisten seiner Taten geschehen waren und hatten sich doch nicht gebessert . . ." Je mehr man Licht bekommen hat, umso größer ist die Verantwortlichkeit. „Wem viel gegeben ist, von dem wird auch viel gefordert" — und mehr als den Herrn selber konnte Gott nicht geben — er konnte nicht mehr geben als den Heiligen Geist, der uns Jesum verklärt und uns die Fülle der Gnade Gottes aufschließt, der in unserem Innersten alles neu macht. „Wehe dir, Chorazin, .... Wären solche Taten zu Tyrus und Sidon geschehen, als bei dir geschehen sind, sie stünden noch heutigen Tages. Man sieht aus diesen Worten Jesu, welche große Unterschiede es geben kann in bezug auf die Verantwortlichkeit des Einzelnen, und wie die Verantwortlichkeit des Einzelnen sich richtet nach dem Maße von Licht, das er erhalten hat. Da gibt es heute noch große Unterschiede. Es haben nicht alle Gelegenheit, das Evangelium in seiner Einfalt zu hören. Sie haben sich nicht durcharbeiten können in einem Religionsunterricht, wo der Herr selbst einen neuen Sinn gibt und dem Neugeschaffenen seine Gnade, seine Herrlichkeit und die Fülle der Erlösung aufschließt. Vers 23: „Und du, Kapernaum . . ." Da zeigt der Herr selbst die Stufen der Verantwortlichkeit. Alles Gericht hier unten — so schwer es sein mag — ist nur Vorgericht.