Otto Stockmayer
Schriften von Otto Stockmayer
Mt 26,63 - Die beiden Hohenpriester. Vom Schwören.Mt 26,63 - Die beiden Hohenpriester. Vom Schwören.
Dieser Abschnitt, dieses Ereignis im Leben unseres Herrn und Heilandes, als er vor Gericht stand und alle möglichen Zeugen wider ihn auftraten, ist von großer Bedeutung für uns. „Er antwortete diesen falschen Zeugen kein Wort", heißt es da; aber auf den Zuruf des Hohenpriesters: „Ich beschwöre dich bei dem lebendigen Gott, daß du uns sagst, ob du Christus bist", antwortet er: „Du hast es gesagt . . ." Ich glaube, aus diesem Zwischenfall vor Gericht dürfen wir schließen, daß es uns erlaubt ist, einen Schwur vor Gericht abzulegen, wenn es von uns verlangt werden sollte. Die Verantwortung für solchen Schwur trägt dann das Gericht. Wenn ich nicht irre, legen z. B. die Quäker nie einen Eid ab. Ich neige zu der Ansicht, daß das Gericht das Recht hat, unter Umständen einen Eid von uns zu verlangen. Um in einer vor Gericht anhängig gemachten Sache entscheiden zu können, muß das Gericht Zeugen haben, die zugegen waren und also erklären können, was sie gesehen und gehört haben — als Augen- und Ohrenzeugen. Die Entscheidung, die das Gericht trifft, ist abhängig von den Zeugen aussagen. Das führt uns auf den tiefsten Grund, warum wir nicht eigenmächtig schwören dürfen. Wir haben nie über andere zu Gericht zu sitzen — wir haben nie endgültig zu entscheiden, wer Recht und Unrecht hat; wir haben zu zeugen — wir legen nieder, was wir gesehen und gehört haben — ohne zu verschweigen, was dem einen schaden und dem andern nützen könnte, was belastend oder entlastend für den einen oder anderen in die Waagschale fallen könnte. Wie wir wissen, besteht ja das Gesetz, daß die nächsten Angehörigen im allgemeinen nicht als Zeugen aufgerufen werden. Man kann nicht vom Sohne verlangen, daß er gegen seinen Vater zeugt. Sonst aber haben wir, wie gesagt, zu zeugen von dem, was wir gesehen und gehört haben, wenn es von uns verlangt wird. Im übrigen haben wir nicht zu richten — wir warten, bis Gott alles offenbar macht. Wir haben zu zeugen und haben zu warnen, wo Gott es uns zeigt — haben nach rechts und nach links Handreichung zu tun, sei es ermunternd oder warnend, aber wir respektieren immer die Majestätsrechte Gottes über unseren Nächsten und greifen nicht in seinen Lebensgang ein. Je mehr wir in dieser Zeugenstellung bleiben, und je mehr wir uns als unparteiische Zeugen ausweisen, um so mehr werden wir das Vertrauen anderer genießen und um so mehr können wir wirklich anderen dienen. O, wie schwer können wir uns versündigen, wo wir andere entlasten möchten! Wir können anderen aus seelischem Erbarmen ersparen wollen, was Gott ihnen nicht ersparen will; wir kommen dann leicht in Versuchung, die Wahrheit zu beugen im Interesse dessen, dem wir helfen wollen. Überdies schaden wir anderen nur, wenn wir ihnen gegen die Wahrheit helfen. Die Majestätsrechte Gottes an den Bruder und die Schwester sind es also, dir uns zu Zeugen machen, und als echte Zeugen weisen wir uns aus, wenn wir nichts in die Waagschale legen als was unserem Zeugnis Wert gibt und der Wahrheit zu freier Zirkulation verhilft. „Wer aus der Wahrheit ist, der höret meine Stimme", und der sorgt dann auch dafür, daß Gott in allen Dingen zu seinem Rechte komme. In Matthäus 5,33 fs. sucht uns der Herr an unsern Platz zu weisen. Wer bist du, der du mit Schwurautorität auftrittst? Der Himmel ist Gottes Thron, und die Erde ist seiner Füße Schemel.. ." und du bist ein armseliger Mensch, der kein Haar schwarz oder weiß machen kann — darum sei zurückhaltend, vorsichtig, nüchtern, keusch in deinem Reden. „Eure Rede aber sei ja, ja, nein, nein — was darüber ist, das ist vom Übel", — vom Bösen. Auch hier kann man wohl mit allem Rechte an den Bösen denken — nicht nur an das Böse. „Der Böse — der Arge — wird ihn nicht antaften." Der Böse steht im Hintergrund von allem Bösen, und aus ihm stammt alle Beugung des Rechtes. Jede Verfolgung eigener Zwecke, wo man dem einen helfen und den anderen zurückstellen will, ist ein Eingreifen in die Majeftätsrechte Gottes. Der Wahrhaftige und der Arge stehen einander gegenüber, und in unserem Reden, Tun und Lasten, in unserem Schweigen zahlen wir entweder dem Wahrhaftigen oder dem Lügner unseren Tribut — wir machen da entweder der Wahrheit oder der Lüge Bahn. Es wirft alles Strahlen — es hat alles Folgen und Samen; darum wollen wir keusch, zurückhaltend, ehrerbietig sein und schließlich immer wieder uns halten an das alte Losungswort des Apostels Paulus: „Wahr seiend in Liebe", — um der Liebe willen wahr sein und keinen Augenblick aufhören zu lieben. Das sind die Grundlinien, die uns die Heilige Schrift zeichnet im Verhältnis zu unseren Brüdern und Schwestern, zu Nahestehenden und Fernstehenden. Immer wieder gilt es, keinen Druck ausüben, nichts in die Wagschale legen, nicht mit Autorität auftreten, und so die Fäden des eigenen Lebens und die Fäden des Lebens anderer in Gottes Hand lasten zu seiner Ehre und zum Lobe seines Namens. Was dann daraus für uns erwächst, darauf kommt es nicht an. Jak. Z, iz: „Leidet jemand unter euch Trübsal? Er bete . . ." Es hat den Herrn Jesus sein Leben gekostet, daß er vor Pilatus Zeugnis gab, aber er hat sein Leben nicht lieb gehabt bis in den Tod, und alles Beugen des Rechtes durch Unwahrheit kommt daher, daß man sein Leben lieb hat, daß man sein eigenes Interesse sucht, oder daß man einem anderen heraushelfen möchte, daß man gewalttätig und in unerlaubter Weise in das Leben eines anderen eingreift, daß man nicht in der richtigen Zeugenstellung bleibt. „Leidet jemand Trübsal" und will er durch solche Trübsal nicht Schaden nehmen, nicht den Mut verlieren, nicht etwas von seiner Kraft einbüßen, so gehe er sofort zu Gott — sonst wird er geknickt und ist nicht mehr fähig, für seinen Gott zu zeugen. Seelisches Erbarmen mit anderen oder ein verborgener Haß im Herzen gegen diesen oder jenen — beides macht uns untüchtig, Zeugen für den Wahrhaftigen und für die Wahrheit zu sein. „Leidet jemand Trübsal" — der gehe zu Gott, schütte sein Herz vor ihm aus, breite seine Lage vor ihm aus, sage ihm, welche Anforderungen man ihm stellt, welche Lasten man ihm auferlegt — dann sehe er, ob er sich darein zu schicken oder Einsprache dagegen zu erheben hat. Es ist nicht gesagt, daß man immer alles tun muß, was andere einem auferlegen wollen. Es muß das alles mit dem Herrn abgemacht sein. Der Herr wußte vor Gericht zu schweigen den falschen Anklagen gegenüber, aber von dem Augenblick an, wo der Schwur von dem Hohenpriester gefordert wurde, hat er geredet. Ich verfolge kein anderes Interesse beim Zeugen — wenn ich richtig zu meinem Gott stehe — als daß die Wahrheit durchbreche — muß also an die Wahrheit glauben und muß festhalten, daß der Wahrheit viel mehr durch Wahrheit gedient wird, als durch irgend etwas anderes. Und sollte man das Leben darüber laßen müssen? Ja, heißt es denn nicht: „Wer sein Leben verliert, der wird es gewinnen." Wer sein eigenes Leben opfert, seine eigenen Interessen beiseite legt und nur der Wahrheit dienen will in der Liebe und in den Linien der göttlichen Vorsehung, der dient Gott und dient dem Nächsten. Diesem aber kann er ebensosehr durch Liebesbezeugung dienen wie er ibm dienen kann durch Verleugnung aller seelischen Liebe und Rücksicht. Gott der Herr gebe uns Gnade, daß wir in allem in seinem Lichte das Licht sehen, in seinem Lichte wandeln und im Lichte der Wahrheit ihm dienen an unseren Brüdern und Schwestern bis auf den Tag seiner Zukunft!