Otto Stockmayer
Schriften von Otto Stockmayer
Mt 23,1-36 - Wehe euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler!Mt 23,1-36 - Wehe euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler!
„Es sprach der Herr zum Volk und zu seinen Jüngern .. ." — zum großen Kreise, der sich um ihn gesammelt hatte, wobei er aber doch in erster Linie seine Jünger im Auge hatte, damit sie nachher den Samen weitertrügen. Die Schriftgelehrten und Pharisäer haben sich auf Mose Stuhl gesetzt. Damit aber, daß man sich auf den Lehrstuhl setzt und lehrt, ist noch nicht alles getan, auch wenn es eine korrekte Lehre ist, die man verkündigt. „Alles, was sie sagen, das tut . .." Der Herr kann also unterschreiben, was sie lehren; sie sind wirklich in der Schrift bewandert — fähig, andere zu unterrichten, aber ihre Werke stimmen nicht, und dann richten Lehre und Unterricht nichts aus bei anderen. Sie reden, aber sie tun nicht. Unsere Rede, unser Wandel, unser ganzes Wesen, muß Zeugnis ablegen von dem, was Gott an Wahrheit bei uns niedergelegt hat. Die Wahrheit macht freie Menschen, macht frei für Gott — sie macht an Gott gebunden und damit frei von allem andern Einfluß. Was tun diese Schriftgelehrten und Pharisäer nach Jesu Ausspruch? Sie unterweisen nicht nur nach der Heiligen Schrift, sondern binden zugleich schwere, kaum zu tragende Bürden auf die Schultern anderer — und wollen sie selbst doch mit keinem Finger anrühren. Was für einen Wert aber hat ein Unterricht, dem der Wandel, der Charakter, das Tun und Lassen der Lehrenden widerspricht? Was haben sie mit dem Auflegen von Lasten, die sie selbst mit keinem Finger anrühren wollen, im Auge? Sie wollen nicht ihrem Gott damit gefallen, sondern den Menschen. „Sie tun alle ihre Werke, um von den Leuten gesehen zu werden." Und bei einem solchen Vorgehen sammelt sich innerer Schmutz, Schmutz der Selbstgefälligkeit und Selbstgerechtigkeit und ein Suchen von Ehre bei den Menschen, gegen das nur die Gnade Macht hat und von dem nur die Gnade frei macht. Aber das ist es eben: Diese Pharisäer und Schriftgelehrten leben nicht aus der Kraft, die Gott darreicht, sondern haben ihre eigene Gerechtigkeit aufgerichtet. „Sie machen ihre Denkzettel breit . . . und sitzen gern obenan über Tisch und in den Schulen." O diese Armseligkeit, Verkehrtheit und Gebundenheit, etwas gelten zu wollen, einen Vorsitz zu begehren, immer im Vordergrund stehen zu wollen! Auch von diesem Jammer erlöst uns der Herr und gibt uns Gnade, daß wir uns im Schatten wohl fühlen und nicht das Bedürfnis haben, die Aufmerksamkeit anderer auf uns zu ziehen. Was Gott in uns niedergelegt hat, wird schon hinausstrahlen, umsomehr, als wir nicht anderen zu gefallen suchen. Wir wandeln vor unserem Gott. Er hat uns erkauft mit dem Blute des Lammes aus furchtbarer Knechtschaft. Er hat uns erlöst — nun sind wir aber auch für ihn da, leben für ihn, stehen ihm zur Verfügung. Vers 5: „Sie machen ihre Denkzettel breit . . . und haben's gern, daß sie gegrüßt werden auf dem Markte und von den Menschen Rabbi genannt werden." Vers 8: „Aber ihr sollt euch nicht Rabbi nennen lassen; denn Einer ist euer Meister — Christus." Er hat uns erkauft. Er ist unser Führer und Hirte — ihr aber seid alle Bruder und Schwestern — ihr steht alle auf der gleichen Stufe von Lernenden, Dienenden, Wartenden. Eins dient dem andern mit den gemachten Erfahrungen. Auch die Kleinen können uns dienen mit ihrer Einfalt. Wer Len Herrn kennt und sich von ihm unterweisen läßt, der kann uns auch dienen. Ebenso sollt ihr euch Christus als Lehrer ergeben, in seine Schule gehen. Dabei ist auch nicht ausgeschloffen, daß solche, die schon tiefer in die Schrift eingedrungen sind und schon ihre Erfahrungen in der Nachfolge Jesu gemacht haben, anderen Handreichung tun können — aber die beste Handreichung geschieht damit, daß ein Jünger den andern zu Jesu führt, wie die ersten Jünger getan haben. „Einer ist euer Meister, — Christus." Auch wo wir anderen dienen, müssen wir sie immer auf Christus weisen, daß er ihnen Privatunterricht gebe; denn er allein weiß, was wir bedürfen. Vers 11: „Der Größte unter euch soll euer Diener sein." Bei Gott besteht die wahre Größe darin, daß man Macht hat, hinunterzufteigen, und nicht mehr versucht ist, anderen den Kopf zu waschen. Das tut man von oben herab. Wir sollen anderen aber von unten herauf dienen in der Demut, Einfalt und Liebe. Von Vers 13 bis 32 ziehen sich nun die Weherufe durch das Kapitel. „Wehe euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr das Himmelreich zuschließt vor den Menschen. Ihr kommt nicht hinein . . ." Gerade, weil sie den Menschen unerträgliche Lasten aufbürden, anstatt ihnen den Weg einfach zu machen, wie der Herr Jesus ihn gemacht hat, hindern sie andere, hineinzukommen ins Himmelreich. Es vergeht den Leuten die Lust, sich unter ihre unerträglichen Lasten zu beugen. Dabei haben diese Pharisäer Hintergedanken. Vers 14: „Sie fressen der Witwen Häuser und wenden lange Gebete vor." Sie fahren auf die Witwen herein, die ihre Beschützer durch den Tod verloren haben. Sie tun, als wollten sie ihnen helfen, verfolgen dabei aber die unlautere Absicht, sich für ihren vermeintlichen Priesterdienst an ihnen zu bereichern. „Darum werdet ihr desto mehr Verdammnis empfangen." Als Lehrer im Reiche Gottes sein Eigenes suchen, andere ausnützen wollen, das ist eine schwere Sünde. Vers 15: „Wehe euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr Land und Wasser durchzieht . . . macht ihr aus ihm ein Kind der Hölle, zwiefältig mehr, denn ihr seid .. ." Iudengenossen sind zum Judentum übergetretene Heiden. Das Unkraut pflanzt sich rascher fort als der gute Weizen. Vers 16: „Wehe euch, verblendete Leiter, die ihr sagt: Wer da schwöret bei dem Tempel, das ist nichts ... ihr Narren und Blinden, was ist größer — das Gold oder der Tempel, der das Gold heiligt?" Wer da schwöret bei dem Altar, das ist nichts ... und wer da schwöret bei dem Tempel, der schwöret bei demselben und bei dem, der darin wohnet. Und wer da schwöret bei dem Himmel, der schwöret bei dem Stuhl Gottes und bei dem, der darauf sitzet . . ." Das ist aber eine furchtbare Anmaßung für ein Menschenkind, das keine Macht hat und dann nicht zu einem Schwur stehen kann. Vers 23: „Wehe euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr verzehntet. . . und lasier dahinten das schwerste im Gesetz — nämlich das Gericht, die Barmherzigkeit und den Glauben ..." Zuerst das Gericht. Das Erbarmen bekommt erst freie Bahn in die Herzen hinein, wenn man sich hat richten lassen. Wer dem Gericht ausweicht, kann auch nicht auf Erbarmen rechnen. Es muß durch Gericht hindurchgehen und alles im Glauben — im Glauben an die Treue Gottes, der auch im Gericht nicht aufhört, Erbarmen zu haben — der nie vergißt, was für ein Gemachte wir sind, und dem wir dann auch unbedingt stille halten müssen im Gericht, damit er mit allem aufräumen könne. Ihr Heuchler, die ihr beim Kleinen stehen bleibt, und die ihr dann Kamele verschluckt, anstatt allem Belastenden fern zu bleiben — sofern es nicht der Herr ist, der die Last auferlegt. Vers 25: „Wehe euch . . . , die ihr die Becher und Schöffeln auswendig rein haltet, inwendig aber ift's voll Raubes und Fraßes." Raub und Unmäßigkeit. „Du blinder Pharisäer, reinige am ersten das Inwendige. . . auf daß auch das Auswendige rein werde." Man muß tief innen anfangen, sonst hilft alles Reinigen nicht viel. Wenn inwendig ein Herd von Schmutz ist, mit dem man nicht gründlich aufräumt, so mag man nach außen reinigen, soviel man will, es ist bald wieder schmutzig. Vers 27: „Wehe euch, die ihr gleich seid wie die übertünchten Gräber . . . aber inwendig sind sie voller Totengebeine." Es ist ja allgemein Brauch, daß man die Gräber schmückt — aber wie möchte man selbst sein wie ein Grab, das Verwesung in sich birgt, während es nach außenhin geschmückt ist! Das ist ja schrecklich. Vers 28: „Also auch ihr; von außen scheinet ihr fromm vor den Menschen, aber inwendig seid ihr voller Heuchelei und Untugend." Voll welcher Untugend, voll welchen Unrats? Voller Heuchelei. Wenn man etwas gelten will, was man nicht ist, so wird man ungerecht gegen andere. Dann will man sich selbst in den Vordergrund stellen, anstatt andere hochzuhalten und ihnen zu dienen in Geduld und Wahrheit. Vers 29: „Wehe euch ... die ihr der Propheten Gräber bauet . . . und sprechet: Wären wir zu unserer Väter Zeilen gewesen, so wollten wir nicht teilhaftig sein mit ihnen an der Propheten Blut! So gebt ihr über euch selbst Zeugnis, daß ihr Kinder seid derer, die die Propheten getötet haben. Wohlan, erfüllt auch ihr das Maß eurer Väter. Ihr Schlangen . . . wie wollt ihr der höllischen Verdammnis entrinnen?" Was ist doch das für eine Sprache! Gott gebe uns Gnade, nichts mehr von der alten Schlangennatur mit uns herumzuschleppen! Der Herr kann mit der Schlangennatur aufräumen. Er kann aus Schlangen Kinder des Gehorsams und der Wahrheit machen, wenn man sich Ihm anvertraut — und damit man sich ihm anvertraue, dazu hat er Weise und Propheten und Schriftgelehrte gesandt. Vers 34: „Darum siehe, ich sende zu euch Weise . . . auf daß über euch komme alles gerechte Blut . . ." Sie gehen ein in die Erbschaft ihrer Väter, die die Propheten verfolgt haben. Sie nehmen ihre Sünden an und tun noch mehr dazu. Entweder wir sagen uns vom Alten los oder wir tun noch mehr dazu. Die Entwicklung des damaligen Geschlechts hörte auf, weil sie sich von den Sünden der Väter nicht losgesagt haben.