Otto Stockmayer
Schriften von Otto Stockmayer
Mt 26,36 - „Mir wird ums Herz so bang und weh, gedenk ich dein, Gethsemane!“Mt 26,36 - „Mir wird ums Herz so bang und weh, gedenk ich dein, Gethsemane!“
Es ist mir dieser einzigartige Moment — Kampf — im Leben unseres Erlösers unerwartet vor die Seele getreten, vielleicht herauswachsend aus unseren Andachten über das Seelische. Seine Seele wurde erschüttert und betrübt bis in den Tod — und ich hatte keine Freiheit daran vorüberzugehen, obwohl ich fast zurückschrecke; denn es ist ein Heiligtum, und für mich ist das letzte Wort über Gethsemane noch nicht gesprochen. Ich habe keinen vollen Durchblick über und in alle Worte, die wir hier über diesen geheimnisvollen Vorgang in den drei Evangelien und in dem Hebräerbriefe finden — und es ist doch merkwürdig, daß gerade der Jünger, der an Jesu Brust lag und tiefer hineinschaute als andere in seine Herrlichkeit — dem im hohen Greisenalter die Offenbarung Johannes gegeben worden, der im Gesichte schauen durfte die Herrlichkeit des Kommenden und alles, was sich daran knüpfte — ich sage, es ist doch merkwürdig, daß gerade dieser Jünger über den Vorgang in Gethsemane schweigt. Es sind also mehr anregende Fragen, die ich mit euch bewegen möchte über diesen furchtbar heiligen Vorgang in der Nacht vor dem Sterben unseres Meisters.
Wir haben je und je von der Seele gesprochen. „Des Menschen Seele ist in seinem Blute", lesen wir in der Heiligen Schrift. „Sein Leben", kann man auch sagen, „ist in seinem Blute." Seele oder Leben. Man kann übersetzen „Seele" und man kann übersetzen „Leben" in den verschiedenen Stellen, die wir schon berührt haben. „Wer seine Seele", oder „wer sein Leben lieb hat, der wird es verlieren." Das Adjektiv heißt: seelisch. Der Herr hat seine Seele — sein Leben — ausgeschüttet in den Tod um unsertwillen, aber ehe er das am Kreuze tun durfte und tun konnte, mußte er durch jene geheimnisvolle Erschütterung in Gethsemane hindurchgehen, die uns fast grausamer vorkommt als der Tod selbst, — abgesehen von dem grausamen Augenblick, wo Jesus rief: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" Es scheint mir, daß der Herr es in Gethsemane mit dem Teufel, dem Fürsten der Finsternis, zu tun hatte, der ihm in jener Nacht das Leben nehmen wollte — und daß Jesus da erschüttert war in den Tiefen seines innersten Lebens. Es steht kein Wort davon da, daß Angst vor dem Leiden über ihn gekommen wäre. Der Herr hatte eine Seele, und — des Menschen Seele ist in seinem Blute — und dort liegt vielleicht der Schwerpunkt des Vorgangs. „Des Menschen Seele ist in seinem Blute", und — ich darf es kaum aussprechen, aber ich bin für mich persönlich davon überzeugt: Das Blut, das in des Herrn Adern floß, war das Blut einer Tochter des gefallenen Adam. Jesus ist nicht empfangen wie unsereins — er stammt von einer Jungfrau, — aber er ist empfangen vom heiligen Geist. O, diese tiefen göttlichen Geheimnisse! Aber sein Leben, sein Leib, sein Blut, ist das Blut der Maria. Und so hatte er — nach meiner tiefsten Überzeugung — schon in seinem Körperbau die Möglichkeit, daß einmal aus seinem Blute heraus irgend eine Befleckung der Phantasie oder der Gedanken über ihn gekommen wäre. Er hatte sich nicht nur allen Versuchungen von außen her gegenüber rein zu erhalten, sondern in ununterbrochener Gemeinschaft mit Gott, aus dem Worte sich nährend, Stellung zu nehmen gegen das, was von Versuchlichem schon in seinem Körperbau begründet lag, in seinem Blute — und da ist nie irgend etwas zum Ausdruck gekommen, weder in der Phantasie noch in den Empfindungen — das war aber nur möglich, weil er von frühester Kindheit, von seinem frühesten Lebensbewußtsein an unbedingt gehorchte und in ununterbrochener Gemeinschaft mit seinem Gott stand. Ich sage, darin liegt für mich ein Schlüssel für Gethsemane. Hatte der Feind ihm nie eine Sünde vorzuwerfen, so hatte er doch einen gewissen Anspruch an diesen Leib, weil eben dieser Leib, die Seele, das Leben, nach einer Seite hin zusammenhing mit dem gefallenen Geschlechte — und dort liegt einer der Schwerpunkte der Erlösung. Ich denke, der Feind wollte ihn töten. Er sank zusammen unter der Wucht dieses Anpralls, und diese Traurigkeit, die über seine Seele kam — (es ist nicht gesagt, daß es Furcht vor dem Tode war; denn er kannte keine Todesfurcht) — diese Traurigkeit war etwas anderes, hatte einen anderen Grund. Er mußte von einem Engel gestärkt werden in bezug auf sein seelisches, leibliches Leben, um nicht zusammenzubrechen. Engel durften, mußten ihm dienen. „Ein Engel vom Himmel stärkte ihn." Auch in dieser Stunde hat er alles in seines Vaters Hand gelegt, anstatt sich in Auseinandersetzungen mit dem Feinde einzulaffen. Wie er ihm drei Jahre vorher nur mit einem: „Es steht geschrieben" geantwortet hatte, so legte er auch da alles in des Vaters Hand. „Dein Wille geschehe" nicht mein, sondern dein Wille"; „dir sind alle Dinge möglich." Also — wie gesagt — ich denke, unser Herr sah sich am Zusammenbrechen, am Ende seiner Kraft und Lebensfähigkeit — unter der Einwirkung des Feindes kam Todestraurigkeit aus seiner Seele. Ganz allein ging er seinen Weg —> von den drei Jüngern trennte er sich noch und betete allein. Wohl sind wir am Kreuze erlöst worden durch den Opfertod Christi; aber ich kann Gethsemane nicht von Golgatha trennen, und ich finde in diesem furchtbaren Kampfe meines Erlösers Zuflucht gegen alles, was sich in dunkler Stunde von seelischem Druck auf mich legen möchte. Es gibt Stunden, wo gewisse Naturen, wenn Gott ihnen nicht zu Hilfe käme, in Nacht und Grauen versinken würden. „Der Fürst der Finsternis kommt und hat nichts an mir", aber er wirkt auf die Seele, und soll unsere Seele nicht heute sich in Verzückung verlieren und morgen in Schwermut versinken, so muß sie unter der Deckung des Blutes Christi stehen und unter der Deckung jenes Seelenkampfes in Gethsemane; denn das war ein Seelenkampf, in dem Jesus volle Macht hatte durch den Geist, und aus dem er als ein Geistgezeugter als Sieger hervorging — aber es war ein Kampf auf Leben und Tod. Geistessöhne sollen wir werden. Das Seelenleben bringt keine Frucht — weder Verzückung noch irgend welche selige Zustände oder Schwermutsanwandlungen und Kindheitserinnerungen, Sehnsucht nach den vorausgegangenen Lieben. Gegen alles Emporhebende und gegen alles Hinunterdrückende, wozu in unserer Seele das Zeug liegt — für das alles haben wir Deckung in dem, der den Kampf durchgemacht und siegreich bestanden hat. Es war ein heißer Seelenkampf dort in Gethsemane, wie wir ihn am Kreuze nicht finden. Dort hat er unsere Sünde gesühnt, und das hat sich zugespitzt, hat gegipfelt in jenem Augenblick — der allerdings noch etwas ganz anderes ist — in dem Augenblick, wo ihm der Vater das einzige Mal sein Angesicht verschleiert, und er nicht mehr sprach: „Mein Vater", sondern: „Mein Gott." Da war eine Scheidewand zwischen ihm und dem Vater, und das war um unserer Sünde willen; denn unsere Sünde schied uns von unserem Gott, und der, der für uns einstand, mußte durch das Gefühl des Gottverlassenseins hindurch. Er hatte nie gesündigt — weder in Phantasie, noch in Wort oder Tat, und er mußte als Opferlamm geschlachtet werden, auch für unsere Phantasiesünden, für unreine Menschen, für Selbstgerechte — für uns mußte er diesen schrecklichen Augenblick durchmachen, der ihm den Schrei auspreßte: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" Er wußte es ja, daß er als Opferlamm sterben mußte — schon in der Schrift stand es klar und deutlich geschrieben; aber das alles war jetzt zugedeckt, und er mußte im denkbar tiefsten, nackten Glauben da hindurch — alles Empfinden und Sehen war völlig weg. Was das für den Sohn war, das läßt sich nicht ausdenken. Erst dann konnte er sagen: „Es ist vollbracht!", und erst dann konnte er seinen Geist in seines Vaters Hände befehlen, nachdem sein Gott ihn verlassen hatte. O, diese tiefe, tiefe Erniedrigung! Er wurde in den Staub gelegt, damit wir wieder in den Himmel hinaufkönnten, und uns der Zugang zu dem Vaterherzen erschlossen würde. Das Blut, das uns den Weg öffnete ins innerste Heiligtum, bis ins Vaterherz, das war das Blut des Lammes, das Blut unseres Heilandes, der in Gethsemane und aul Golgatha durch Nöte hindurchgegangen ist, für die wir nur annähernd fühlen, die wir nur annähernd versieben können — nie in ihrer ganzen Tiefe.
Und nun, um auf unser Thema zurückzukommen. Da sehen wir, was es den Herrn gekostet hat, uns von unserem seelischen Wesen loszumachen. Seine Seele mußte in Todesbetrübnis hinuntergehen, damit das Weh des Erdenlebens — Heimweh, Schmerz über diesen oder jenen Verlust und dergleichen uns nicht mehr hinunterdrücken darf. Wir sind nicht mebr unseren Erfahrungen preisgegeben — nicht mehr den Erfahrungen des Seelenlebens — wir sind Geisteskinder, und alles, was die Erde und die Sichtbarkeit uns nimmt — wenn wir einmal aus dem Geiste gezeugt und uns unseres hohen Adels als Geistgezeugte bewußt sind — kann uns nur tiefer einführen in die Erkenntnis der Herrlichkeit, die der Herr jetzt schon mit uns teilt. So sind wir dann nicht mehr unserer seelischen Traurigkeit preisgegeben und brauchen nicht mehr an den Gräbern unserer Lieben trostlos zu weinen. Was habe ich mich als 14 jähriger Junge nach meiner Mutter Grab gesehnt. Da geht man wieder und immer wieder hin, um sich auszuweinen. Das Seelische bringt keine Frucht — das kommt keinem Menschen zu gute. Ob du in Entzückung schwelgst oder dich in Schwermut dahinschleppst — damit wird keine Seele gerettet — andere werden da nur mit hineingezogen. Es ist eine finstere Macht, die aus dem Seelenleben hervorgeht, und gegen die wir nur dadurch gedeckt sind, daß Jesus seine Seele ausgeschüttet und uns damit erlöst hat von allem Hochdruck der Schwermut und seelischer Betrübnis, sowie von allen seelischen Entzückungen und Wonnegefühlen, die uns beherrschen möchten. Durch das alles hindurch führt er uns allmählich auf den nackten Glaubensweg und lüftet uns einen Schleier nach dem andern, um uns die Herrlichkeit des nackten Glaubenslebens zu zeigen, wo man seine Seele dem Vater anbefiehlt, wenn alles auf uns drücken will, damit durch solche ferne Schattenbilder von Gethsemane unsere Seele gestärkt, befreit werde, damit wir aus dem Seelischen unseres Seelenlebens herausgerettet und dagegen gedeckt werden, und unser ganzes Leben mit seinen Höhen und Tiefen Frucht bringe für andere. Wie gesagt, Gethsemane und Golgatha zusammengenommen, erlösen uns, halten uns in Verbindung mit der oberen Welt, geben uns Macht, die Stunde, wo der Teufel uns zerquetschen möchte durch die Vorgänge des Lebens einerseits und unsere Seelenzustände andererseits — geben uns Macht, solche Stunden zu benützen, um durch den Vorhang hindurch tiefer ins Heiligtum und ins Geistesleben einzudringen — Frucht zu bringen für Gott. Das ist das Eigentümliche bei den israelitischen Frauen: „Wir wollen Frucht bringen für Gott" — heiligen Samen. Es war ihnen nicht bloss darum zu tun, die Freuden des Mutterherzens kosten zu dürfen — nein, es hatte noch einen ganz anderen Grund, warum die israelitischen Frauen den Gedanken der Unfruchtbarkeit nicht ertragen konnten — es lag ihnen daran, Frucht zu bringen für Gott — heiligen Samen — einen Sohn für Gott. Das ist geistlich — alles andere ist seelisch. Was uns zum Mittelpunkt hat, sinkt ins Grab — was Gott zum Mittelpunkt hat, hat Ewigkeitsgehalt. Durch seinen Tod, durch Gethsemane und Golgatha haben wir Macht, unser Leben, unsere Seele, auszuschütten in den Tod — nicht, um keine Seele mehr zu haben — es geht auch da durch Tod und Auferstehung — sondern damit unser Seelenleben ganz unter die Kontrolle des Geistes Gottes komme, damit es erneuert, geheiligt, fruchtbar werde, weil es durchdrungen und beherrscht ist vom Geiste, und unsere Ziele nicht mehr in uns liegen — weil wir nicht mehr nach geistlichen Errungenschaften und Vollkommenheiten jagen, sondern nur nach dem Einen uns ausstrecken: da zu sein für unsern Gott.