Otto Stockmayer
Schriften von Otto Stockmayer
Mt 18,1-20 - Selbstzucht und BruderzuchtMt 18,1-20 - Selbstzucht und Bruderzucht
„Au derselben Stunde traten die Jünger zu Jesu mit der Frage: Wer ist doch der Größte im Himmelreich?" Das ist eine merkwürdige Frage, gerichtet an den, der von der höchsten Höhe heruntergestiegen ist und unser Fleisch an sich genommen, der hienieden in Niedrigkeit gewandelt hat, und sich dann ans Kreuz erhöhen ließ, nachdem er zu seinen Jüngern gesagt hatte: „Wenn ich erhöhet sein werde von der Erde, will ich sie alle zu mir ziehen", — d. h. zuerst in seine Nachfolge und dann sich nach ans Kreuz, als Mitgekreuzigte. Die Welt ist voller Selbstsucht. Wenn man in dem Worte Selbstsucht einen einzigen Buchstaben verändert, so heißt es Selbstzucht. Der natürliche Mensch hat nicht Macht, sich in Zucht zu halten. Wenn er eine gute Erziehung erhalten hat, so tut er es bis zu einem gewissen Grade und bringt eS auch bis zu einem gewissen Grade fertig, wenigstens in der Gesellschaft. Er läßt nicht heraus, was in ihm ist, ist bescheiden um des guten Tones willen — aber demütig ist er damit nicht. Wahre Demut, die nichts gellen will, die sich im Schatten wohl fühlt und gern im Schalten bleibt, hat nur der Herr Jesus gekannt, und die lernt man nur von ihm. Er hat gesagt: „Lernet von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig." Wie gesagt, es gibt auch eine Scheindemut — eine anerzogene Bescheidenheit, die zum guten Ton gehört. Wahrhaftig demütig sein kann nur ein Kind Gottes — solche wahre Demut lernt und bekommt man nur in der Schule Jesu durch den Heiligen Geist. Da steigt man hinunter, wo man vorher immer hoch hinaus und hoch hinauf wollte. Nur wer klein geworden und heruntergestiegen ist, wird den Kleinen kein Ärgernis geben. Demut und Keuschheit — Reinheit besteht darin, daß man nicht etwas in den Gesichtskreis der Kinder stellt, was sie nicht zu wissen brauchen und was sie aus der Einfalt herausbringt. Die Welt ist der Ärgernisse voll — da können den Menschen nicht Ärgernisse erspart werden, wie schon Ädam und Eva im Garten Eden die Probe nicht erspart werden konnte. Immer wieder treten Sachen irgend welcher Ärt an den Menschen heran, die ihm Ärgernisse in den Weg legen, mögen sie aus seiner Stellung oder aus seiner Aufgabe in der Welt erwachsen. Und was tut man dann? Vers 8 heißt es: „So aber deine Hand oder dein Fuß dich ärgert, so haue ihn ab und wirf ihn von dir. Es ist dir besser . . und werdest in das höllische Feuer geworfen." Ich glaube nicht, daß man viel damit gewinnen würde, wenn man das Wort buchstäblich und äußerlich nehmen würde. Es könnte leicht sein, daß einer, der sich eine Hand oder einen Fuß hat abhauen lassen, nachher nur noch mehr von Lüsten und Begierden aller Art geplagt würde. Mit der äußeren, buchstäblichen Erfüllung des Wortes wäre nicht viel gewonnen. Etwas ganz anderes ist es, wenn ein Mensch — vielleicht ein Kind Gottes — von einer ganz gewissen Seite her versucht wird — wenn ihm gewisse Dinge versuchlich sind, die an sich erlaubt sein mögen, ihm aber zum Ärgernis gereichen. Dann soll er nicht sagen: „Es ist ja gut." „Alle Kreatur Gottes ist gut und ist nichts verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird" — aber wie willst du es mit Danksagung genießen, wenn Lust oder Hochmut in dir gereizt — dich geärgert hat? Dann enthalte dich! Das ist auch eine Art Verkrüppelung — dann wirf das Ärgernis von dir. Wende dein Auge ab, wenn es dich ärgert! Mit Ausreißen wäre auch da nicht viel gewonnen. Es muß das Innere gereinigt werden. Wir müssen gelöst werden von dem, was uns heute anzieht und morgen erschreckt und mit Furcht erfüllt. Wir haben nichts zu fürchten, wenn wir dem Herrn nachfolgen, und wir haben im Blute des Lammes nicht nur Vergebung der Sünden, sondern Lösung — tief innerliche Lösung in der Gemeinschaft mit ihm. „Des Menschen Sohn ist gekommen, das Verlorene zu suchen." Anstatt etwas für uns selbst zu suchen, wollen wir Verlorene suchen. Anstatt es uns bequem und leicht zu machen, wollen wir anderen Handreichung tun. Da gewinnen wir ewiges Leben und treten tiefer ein in die Welt der Liebe, der Rettung. Des Menschen Sohn rettet nicht nur, sondern er macht Gerettete zu Rettern. Er gibt ihnen seinen Geist, damit sie anderen zurechthelfen können auf dem Wege des Lebens, aus dem Reiche der Selbstsucht heraus. Entweder man sucht sein eigenes Leben, oder man nimmt sich selbst in die Zucht und steht, wie man dem Herrn gefallen und anderen dienen kann. Dazu braucht es Selbstzucht und Lösung von der Selbstsucht. Dann sucht man sich nicht selbst, sondern man sucht Verlorene; dann kommt man dem Herrn nahe und läßt sich von ihm schenken, wie man anderen dienen kann — oft nur mit einem Worte. Es kommt nicht auf viele Worte an, sondern auf den Geist. Die Welt sagt: „Ich will diesem oder jenem den Kopf waschen." Das tun wir nie. Der Herr ist heruntergestiegen in unsere menschliche Natur und hat seinen Jüngern die Füße gewaschen. So macht er es heute noch. Alle, die sich in seinen Dienst begeben, reinigt er. Vers 12: „Was dünket euch, wenn irgend ein Mensch hundert Schafe hätte . . ." Wenn er das verlorene Schaf findet, hat er eine unaussprechliche Freude. Vers 14: „Also auch ist es nicht vor eurem Vater im Himmel der Wille, daß jemand von diesen Kleinen verloren werde." Der Gott von unermeßlichem Vermögen — der die Welten gebaut — die Erden- und die Sternenwelt — dieser unendlich erhabene Gott hat ein Herz für alle Kleinen — und erzieht sich seine Kinder in der Richtung, daß sie klein und arm werden. Wer sich noch reich fühlt und sich nicht in Zucht hat, sucht sein Eigenes, und das geht nicht Hand in Hand mit dem Suchen dessen, was des anderen ist. Wo Demut ist, da ist dann auch Versöhnlichkeit, wie wir weiter sehen. „Wenn dein Bruder gesündigt hat, so gehe hin" — nicht — wasche ihm den Kopf, sondern wasche ihm die Füße! Rede zu ihm von unten herauf und weise ihn zurecht, ohne daß jemand es sieht und hört. Das macht es dem andern viel leichter, anzunehmen, was du ihm sagst, als wenn andere Zeugen sind. Nur wenn er dich nicht hört, dann nimm einen oder zwei andere hinzu, damit die Sache bestehe auf zweier oder dreier Zeugen Mund. Vers 17: „Hört er die nicht, so sage es der Gemeinde. Höret er die Gemeinde nicht, so halte ihn als einen Heiden und Zöllner." Aber wo haben wir eine solche Gemeinde, wie sie hier in Frage kommt? Auch in geschlossenen Gemeinden, wo die Aufnahme streng kontrolliert wird, ist es nicht leicht, derartiges auszuführen in einer Weise, daß alle einmütig trauern in wahrer Liebe um den Gefallenen und er, von Liebe und Demut umgeben, zurechtkommt. „Ich bin sanftmütig und von Herzen demütig. Lernet von mir." Andere lernen von uns, wenn wir ihnen in Demut die Füße waschen, und die wahre Demut gibt uns dann — wunderbarer Gegensatz — eine Herrscherstellung. Vers 18: „Wahrlich, ich sage euch: Was ihr auf Erden bindet . . . ." Das gibt uns wahre Demut und führt uns eben damit in den Sinn Jesu ein. Solches Binden und Lösen kann nur im Namen Jesu und im Geiste und Sinn Jesu geschehen, durch solche, die sagen können: „Wir haben Christi Sinn — seine Demut und Sanftmut." Das überwindet.